Das ist wirklich eine sehr reflektierte Übersicht! Ich feier dich dafür. Da ist ganz viel drin.
@Leon Ja, es ist schwer. Und es tut auch weh, weil es hätte soviel leichter sein können, weil wir für Dinge kritisiert werden, die wir gar nicht absichtlich machen, weil unsere Probleme oft runtergespielt werden.
Aber: Es liegt ganz viel tröstliches, hilfreiches in der Auseinandersetzung mit ADHS. Du weißt jetzt, was es ist. Du kannst dich selbst viel besser kennenlernen, gucken, was andere in bestimmten Situationen machen und dann auch mit deinen Lieben besser darüber reden.
Es folgt ein ausführliches Beispiel, das man auslassen könnte:
Beispiel: ich brauche viel Erholung. Dann will ich auch nicht mit Menschen reden, die ich liebhabe. Meine beste Freundin braucht ganz viel Nähe und viel Austausch. Wenn ich nicht ans Telefon gehe, fühlte sie sich manchmal zurückgewiesen, sie wollte mir nach einem langen Tag oder wenn sie wusste, mir geht’s nicht gut, das schenken, was ihr hilft: Austausch, Nähe. Sie wollte mir ihre Liebe zeigen.
Wenn es ihr nicht gut geht, habe ich nicht angerufen, lieber nur geschrieben. Ich wollte ihr das schenken, was mir hilft: in Ruhe gelassen werden, Stille.
Seitdem ich das weiß, wie unterschiedlich wir ticken, haben wir das besprochen. Ich rufe sie an(wenn ich kann), wenn sie krank oder traurig ist.
Sie fragt mich, ob ich reden mag oder Ruhe brauche. Oder ich sage ihr: Du, ich muss erstmal abschalten, mein Gehirn rauscht, ich kann jetzt nicht reden, ich muss auftanken, ich melde mich vielleicht, wenn die Kinder schlafen oder melde mich morgen.
Ganz banales Beispiel, aber seitdem bin ich nicht mehr in Abwehr oder sogar sauer, wenn sie nach einem langen Tag anruft, obwohl ich doch einfach nur meine Ruhe will. Und sie fühlt sich nicht mehr so abgewiesen, weil sie versteht, dass ich auftanken muss.
Genau so passt sie jetzt mit mir und für mich auf, dass ich nicht reizüberflutet werde, zB macht ne Redepause, wenn wir in einer lauten Umgebung sind oder weist mich darauf hin, wenn ich direkt unter einem Lautsprecher stehe. Also durch das Erkennen meiner Bedürfnisse und auch deren Akzeptanz habe ich nicht nur mehr Verständnis von mir und anderen bekommen, sondern auch eine tiefere, hilfreichere Beziehung zu meiner Freundin, in der wir uns beide akzeptiert fühlen.
Beispiel Ende.
Alleine das Lesen hier im Forum, der Austausch mit einer Freundin mit ADHS und auch Infos bei Instagram fühl ich mich schon verstanden, weniger alleine und merkwürdig. Als Teil einer sehr bunten Truppe. Und dieses Forum ist wirklich was Besonderes, viel Empathie und emotionale Intelligenz, Sprachwitz und Offenheit hier.
Du wirst ja vermutlich einen Psychiater aufsuchen, der eine Diagnose stellt. Dieser wird dir vermutlich Medikamente vorschlagen. Ich zB wollte keine. Ich wollte nur wissen, was los ist. Woran hat’s jelejen? Meine Psychiaterin hat mir vorgeschlagen, es nur mal zu versuchen und mit dem Satz:„Frau Katz, Sie haben so viel erreicht und es hat viel gekostet. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind weiterhin so erfolgreich und haben aber am Nachmittag noch Energie übrig. Für sich, fürs Lesen und malen und Ihre Kinder. Ihr Leben ist ja nicht nur Arbeit.“ hatte sie mich.
Für mich ist das Medikament ein Gamechanger. Ich kann mich besser regulieren, bin weniger müde, konzentrierter. Die Erfahrung haben hier einige gemacht, andere nicht. Du wirst herausfinden, Was für dich funktioniert.
Zum Streiten: Ich kann das nicht gut, laute Streits machen mir Angst, ich sehe gleich die Beziehung/ Freundschaft zu Ende gehen und fühl mich schnell beschuldigt. Das hat oft dazu geführt, dass ich entweder mich der anderen Person unterwerfe, damit ich den Streit nicht aushalten muss. Oder dass ich im Streitfall zumache, nicht mehr denken kann, mich selbst nicht mehr reflektieren kann, meine eigenen Werte nicht mehr abrufen kann und dann habe ich Diskussionen auch abgebrochen und gesagt, dass ich bitte erstmal denken muss. Nur wenn das Gegenüber voll in Fahrt war und das nicht akzeptieren konnte: Katastrophe. Bedrängter verängstigter Nebelkopf mit Verlustangst kann nicht konstruktiv diskutieren.
Wieder Beispiel
Ich sage sowas mittlerweile an, wenn mir ein Mensch wichtig genug ist. „Ich kann oft nicht gut streiten und brauche dann viel Zeit, um Sachen einzuordnen. Ich kann auch oft Dinge nicht gut ansprechen, die mich stören. Das hat nichts mit fehlendem Vertrauen zu tun und nichts mit dir, ich arbeite daran.“
Meine oben genannte beste Freundin ist da ganz anders als ich, aber: seitdem ich ihr das gesagt habe, funktioniert unser Austausch noch besser. Ich fange vielleicht an mit:„Du, ich wollte dich was fragen, ich weiß nicht, wie du etwas gemeint hast. Das ist jetzt ganz schwer und ich sag es einfach, bitte sei nicht böse“ und sie gibt mir erstmal Sicherheit:„Hau einfach raus, Katz. Ich bin dir nicht böse, wenn du mir deine Gefühle mitteilst, ich wünsche mir das doch von dir. Alle deine Gefühle haben ein Recht darauf, gefühlt zu werden.“ Echt jetzt! Sie ist so toll.
Wenn ich es dann rausgestottert habe, verteidigt und erklärt sie nichts. Sie sagt erstmal, dass sie stolz auf mich ist, dass ich mich getraut habe, mit ihr zu reden. Dann sagt sie, dass sie meine Gedanken verstehen kann und dann erklärt sie ihre Perspektive und fragt nach, ob ich das nachvollziehen kann.
Das ist total schön, bin echt glücklich, jemanden wie sie zu haben, die sowas mit mir übt. 
Beispiel Ende
Da du, Leon, ja sagtest, dass deine Frau eine ganz Liebe ist, wäre mein Tipp: Reden. Erzähl ihr, was das Streiten in dir auslöst. Vielleicht kann sie Kritik ein kleines bisschen anders formulieren, so dass du es nicht persönlich nimmst. „Dankeschön, dass du abgewaschen hast, ich bitte dich darum, das nächste Mal nicht mit dem Badetuch abzutrocknen, das fusselt auf die Teller. Aber ich bin froh, dass ich jetzt nicht abwaschen muss.“ oder „Ich weiß, dass du es ganz lieb gemeint hast und dafür Danke ich dir. Und ich wünsche mir, dass du das nächste Mal xyz“ Oder falls du Liebe sehr körperlich brauchst (so wie ich), könnte sie dir die Hand auf die Schulter legen etc. Da müsst ihr besprechen, was für beide funktioniert. Vielleicht kannst du dir auch angewöhnen, erstmal die Emotionen zu sortieren. Dann könntest du sagen:„Ich habe dich gehört. Ich muss erstmal darüber nachdenken, dann sprechen wir darüber.“ Und wenn es mit gefletschten Zähnen ist. Dann zählen, hopsen, atmen, was auch immer dir hilft, nicht direkt dich zu verteidigen.
Das bekommt ihr hin. Die Liebe habt ihr. Ihr seid beide offen. Du weißt jetzt, dass du wahrscheinlich nicht neurotypisch bist und kannst lernen, damit umzugehen. Auch für euer Baby
. Was du jetzt lernst, wird für euer Kind ein tolles Beispiel sein, wie man in Beziehungen mit Auseinandersetzungen umgeht.
Und: viele Beziehungen haben Stress, nachdem ein hilfloses kleines Wesen dazu kommt. Alleine der Schlafmangel, das ständige fremdbestimmt sein. Sei da bitte gut zu dir und verurteil dich nicht, wenn du Zeit brauchst. Wir wollen ganz oft hopp hopp, ich habe ne Erkenntnis, jetzt wird alles anders. Aber so funktioniert das leider nicht. Es ist ein Lernprozess, der Zeit braucht und nie ganz abgeschlossen ist.