Hallo zusammen,
Bei mir wurde vor einigen Monaten ADHS diagnostiziert. Ich bin Mitte 30 habe schon ein Studium abgeschlossen und war in meinem ersten Beruf nach dem Studium relativ selbstständig und frei in meiner Arbeitsgestaltung. Die Bezahlung war dafür nicht ganz so hoch.
Danach war ich einige Zeit in Elternzeit, und nun muss ich mich um orientieren.
Ich habe tatsächlich gedacht, mich mal in der Stadtverwaltung zu bewerben einfach weil die Leute suchen und ziemlich gut zahlen auch bei Teilzeit.
Erzählt mal von euren beruflichen Erfahrungen welche Arbeitsumgebung braucht ihr, um gute Ergebnisse zu erzielen?
Was ich bei mir festgestellt habe ich kann überhaupt nicht gut im Teams und auch nicht, wenn ich nicht frei über meine Arbeit bestimmen kann. Oder mit permanent konstantem Druck umgehen
Ich bin im Moment in einer sehr bescheidenen Situation und habe etwas für mich daraus gelernt:
Wenn ich keine Rollen- und Aufgabenbeschreibung erhalte, nehme ich den Job in Zukunft nicht an! Mir kann jemand noch so oft bestätigen, dass bei ihnen die Aufgaben klar sind. Wenn mir nicht im Vorstellungsgespräch jemand diese Aufgaben beschreiben kann, dann gebe ich nichts auf diese Worte.
Ich brauche immer sehr viel Orientierung! Also ich muss wissen, wo es hingehen soll, was das Ziel der Tätigkeit ist, was meine Befugnisse sind und auch was ich nicht darf. Sonst mache ich ständig die Erfahrung, dass ich ängstlich und verunsichert bin und man mich ganz falsch einschätzt. Im Moment droht das bei mir auf Arbeit zu eskalieren.
Lachenmeiers recht neues Buch „Mit ADHS erfolgreich im Beruf“ kann ich dbzgl. nur empfehlen. Es klärt über ADHS auf, bietet neue Lösungsansätze und öffnet auch die Augen für Bedürfnisse an einen Beruf. Geschrieben von einem Psychiater mit ADHS für uns.
Ruhe, kein Kundenaufmarsch oder Großraumbüro (da reichen mir schon 3 Kollegen im Raum, einer schlürft laut Tee, der andere hämmert die Tastatur und der Dritte musste extra lautstark telefonieren), klare Angaben, gegenseitige Hilfe aber ohne sich auf die Pelle zu rücken, kein „wir sind eine Familie“, keinen Chef/Vorgesetzten der wie ein Fähnlein im Winde agiert, ständige Besprechungen und Teamcalls kann ich auch nicht ausstehen. Viel Gelaber, wenig Ergebnisse - womit direkt der nächste Termin angesetzt wird.
Fokuszeiten sind mir ganz wichtig. Da ruft keiner an oder stört nicht, auch wenn es „ganz schnell“ erledigt ist. „Ganz schnell“ sagen sie immer alle, am Ende sitzt man 30 Minuten später immer noch da. (aka Schick mir ne Mail!) Da kann man sich mit Kollegen absprechen ob die das Telefon übernehmen und dann haben die ihre Fokuszeit und man selbst übernimmt das Telefon. Scheitert oft am Verständnis dass ich sowas brauche und die anderen nicht.
Bedürfnisse bei den Gesprächen offen kommunizieren, ggf. mit Schwächen in Verbindung bringen und diese Bedürfnisse als Lösungsweg präsentieren. Schließlich hat auch der AG Anforderungen und Bedürfnisse - ist keine Einbahn. ADHS nicht erwähnen.
Leider missverstehen einige AG „Teamwork“: Eigentlich ist damit eine Arbeitsteilung gemeint die zu einem Gesamtresultat führt. Jeder macht mehr oder weniger sein Ding. Die Menschheit neigt aber unter Teamwork zu verstehen: Wir machen alles gemeinsam, auch wenn das absolut unproduktiv ist und alles länger dauert.
Hört sich nicht angenehm an. Weißt du wie du damit umgehen willst?
Damit meine ich auch die modernen offenen Bürolandschaften die jetzt jeder große Konzern bejubelt.
Noch zwei Sachen:
Gleitzeit, weil ich morgens nicht funktioniere und damit Probleme wegen Unpünktlichkeit reduzieren kann (ist natürlich für Fließbandarbeit, Schichtdienst etc unrealistisch)
Working from home aka Home Office: Idealerweise Mo/Di/Fr oder Mo/Do/Fr oder Mo-Fr. Es gibt wenig Sachen die mir mehr Energie rauben als Berufsverkehr, vermeidet aber auch viele bereits genannte Probleme
Oh je, das kenne ich… ich habe bereits eine Familie und Freunde, ich brauch keine neuen! Aber mein Chef-Chef-Chef (!!!) möchte am liebsten uns alle unter sich in so etwas zwingen.
Und mein direkter Vorgesetzter… menschlich wirklich nett, aber organisatorisch und bezogen auf Durchsetzungsvermögen… er ist am liebsten unsichtbar. Was ich verstehen kann, aber in der Position ganz schlecht
Genau in solch einem Büro arbeite ich eigentlich. Ist ja alles so super toll modern und klasse…
Vor Corona war ich glaub kurz vor einem Burnout, weil ich mit der Situation dort nicht mehr klar gekommen bin. Es mag sich für manche makaber anhören, aber Corona war damals für mich die Rettung. Als es zu uns hieß, ab jetzt gehen alle nach hause und sind erstmal auf unbestimmte Zeit zu 100% in Kurzarbeit, war ich soooo erleichtert. Die ersten 3 Monate hatte ich panische Angst, dass ich zurück muss. Das hatte mich damals gerettet! Als wir wieder aus der Kurzarbeit geholt worden sind, habe ich klar gesagt, ich geh nicht zurück in das Büro, ich will im home office bleiben. Zum Glück wurde das damals großzügigerweise bewilligt, aber mein Arbeitgeber schwenkt gerade um und möchte, dass die Mitarbeiter wieder mindestens 40% im Büro sind
Jetzt, mit meiner, recht frischen, ADHS-Diagnose, weiß ich zumindest, woher das kommt…
Ich denke, das ist, wie das ADHS selber, ziemlich individuell, was jemand braucht.
Ich muss z.B. tatsächlich stellenweise recht komplexe Projekte selbst organisieren, viel denken ( ), mich vorbereiten und gut dokumentieren. Ich mag das Thema an sich, aber ich merke, wie es mich manchmal überfordert. Nicht, weil ich es nicht kann, sondern weil ich ADHS habe. Ich hoffe, die Medis helfen mir jetzt dabei ein bisschen. Ich möchte eigentlich auch dabei bleiben, weil ich mir denke, ein bisschen sollte ich mich auch herausfordern, gerade in Bereichen, wo ich mich schwer tu. Das ist auf die Arbeit bezogen, nicht auf die Umgebung meines Arbeitsplatzes! Obwohl ich durchaus mal ausprobieren werde, wie das Großraumbüro auf mich wirkt, wenn ich mit den Medikamenten eingestellt bin…
Ist es nicht. Das Fähnchen muss leider die eigene Ambivalenz durch Strenge und Leistungserwartung an die MA kompensieren und das ist sau anstrengend. Zudem schlimme Stimmungsschwankungen.
Ich bin glücklicherweise in therapeutischer Behandlung.
Bis jetzt kann ich dank Medikation relativ gut vom Job abschalten, aber es ist krass. In den 2 Std “Arbeit“ habe ich täglich Gespräche mit ihr, bekomme jeden Tag eine andere Zuständigkeit für die Zeit nach der WEG gesagt, und sie versucht mich ständig in eine Richtung zu drängen, die aber jeden Tag anders ist.
Ich habe das Spiel vor meiner Krankheit viel zu lange mitgespielt, habe immer nur people gepleast und nie widersprochen. Ich vermute sie kann nicht damit umgehen, dass ich nun Dinge hinterfrage und mich selbst (lerne) ab(zu)grenze(n).
Trotzdem ist es schon belastend auf Dauer. Gerade kann ich nach 2 Std gehen, aber wenn es mehr werden, weiß ich nicht ob ich das auf Dauer hinbekomme.