Einfühlsamer Umgang versus "Abhärtung"

Auch in den ersten Lebenswochen?

Ich dachte das wäre sehr vom Alter abhängig.

Hallo @Klarundklipp1

In dem Zusammenhang hat auch Russel Barkley ein tolles Videos auf YouTube:

Das ist vor allem im Rahmen der Beziehung (ca. 1h)
https://www.youtube.com/watch?v=52wQuMSUAkY

Das ist etwas allgemeiner zu ADHS aber vor allem für Eltern (fast 3h :sweat_smile:)
https://www.youtube.com/watch?v=YSfCdBBqNXY

Beide Videos sind auf Englisch.

Und klar, ein einstündiges Video ist schon lang, da brauchen wir über das dreistündige garnicht reden. Aber Russel Barkley ist einfach eine ADHS-Koryphäe und hat unglaublich gute Tipps. Wenn einem also Thema ADHS wichtig ist, wird die Zeit recht schnell vergehen und man wird unglaublich wichtige Sachen lernen.

Das für mich wichtigste, das ich da mitnehmen konnte:
Eltern von Kindern mit ADHS dürfen sich nicht als „Ingenieur“ oder als „Architekt“ verstehen, die die Persönlichkeit und die Talente ihres Kindes durch ihr Wirken so beeinflussen können, dass sie ein Kind erziehen, das ihren Vorstellungen von einem „guten Kind“ oder später einem „guten, erfolgreichen Erwachsenen“ entspricht.

Die Eltern sollten sich viel mehr als Schäfer für ihr Kind sehen. Sie müssen auf das Kind aufpassen, es schützen (wenn es mal zu viel wird), eine Umgebung für das Kind schaffen, in dem sich das Kind wohl fühlt, sich um das körperliche und seelische Wohl kümmern etc. Aber auch mal Grenzen aufzeigen falls notwendig, denn Kinder mit ADHS machen auch viele Fehler. Nur sollten dann Kinder mit ADHS eben auch nicht für ihre ADHS-spezifischen Defizite gerügt, geschimpt und schon garnicht versuchen, diese Verhaltensweisen „zurechtzubiegen“ indem man hart zu dem Kind ist, weil dann wird man als Eltern sehr viel mehr Schäden zufügen, als es das ADHS bei dem Kind eh schon tut.
Daher: Sich um das Kind kümmern, unterstützen, Grenzen aufzeigen und eben auch vor allem schauen, dass das Kind eine stabile und gesunde Bindung zu den Eltern hat und auch dadurch letztendlich eine gesunde Selbstwirksamkeitserwartung aufbauen kann, weil es eben auch für seine Erfolge gelobt wurde und nicht nur für die Misserfolge fertig gemacht wurde.

Weil ganz ehrlich: Ärger und negatives Feedback kriegen wir eh schon genug in der Arbeit, in der Schule einfach allgemein von der Gesellschaft.
Und dann wäre es echt toll, wenn nicht die Eltern auch noch „extra hart“ zu einem sein müssen, weil davon ausgegangen wird, dass das das ADHS „zurechtbiegen“ kann. Das kann es nicht. (Meine Eltern sind leider so ähnlich bei mir vorgegangen und als Erwachsener sieht man mir mein ADHS zwar kaum noch an, aber ADHS ist mit mein geringstes Problem inzwischen. Ich hab massive Selbstwertzweifel (obwohl ich eigentlich objektiv gesehen schon einiges geschafft habe), hatte mit 26 noch keine Beziehung, weil ich Menschen nicht vertrauen kann, weil emotionale Nähe bei mir stark mit Abwertung verbunden ist (warum nur, wenn mich meine Eltern (wichtigste Bezugspersonen) ständig für Sachen geschimpft haben, für die ich eigentlich nichts konnte um mich „zurechtzubiegen“? Wieso habe ich so ein Misstrauen gegen alle Menschen? :sweat_smile: :see_no_evil:). → Was ich sagen will: Wenn man schon als Kind lernt, dass die Eltern nicht mal immer für einen da sind sondern einen eher zamscheißen oder einen Verändern wollen, dann schafft das keine guten Voraussetzungen für die Zukunft.
Die Schäden, die man von so etwas mitnimmt, sind dann nochmal ne ganz andere Dimension, als nicht aufmerksam sein können oder hyperaktiver zu sein (da kann ich von mir zumindest sprechen, vielleicht sehen das andere Menschen nicht so^^)

Ganz wichtig ist es tatsächlich auch für kinder, nachvollziehbare und nicht willkürliche Reaktionen von Eltern zu erfahren, die dem Verhalten des Kindes entsprechen und nicht ständig aus den launen der Eltern heraus kommen.
Weil auch das verunsichert ein Kind unglaublich und kann es je nach Intensität und Dauer solcher unvorhersehbaren Verhaltensweisen für das restliche Leben prägen.

Edit: Und eine gewisse Resilienz sollte jeder Mensch aufbauen.
Aber ich bin der Überzeugung, dass eine solche Resilienz nicht zwingend dadurch entsteht, dass man seine Kinder aktiv „abhärten“ muss, wie auch immer man das tun will.
Ich denke Resilienz erlernt man am besten dadurch, wenn man selbstständig Dinge erledigen bzw. Herausforderungen angehen muss(da kann man ja Hilfe bekommen, wenn es viel zu viel wird), wenn man lernt, Verantwortung für die eigenen Fehler und das eigene Handeln zu übernehmen (ohne, dass man dafür von seinen eltern „fertig gemacht“ werden muss und eben für diese Verhaltensweisen, also Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit belohnt wird, statt für das gegenteilige Verhalten bestraft zu werden.

Klar, es gibt auch Grenzen, wenn es dann um z.B. Gewalt unter Kindern geht, dann müssen irgendwann auch klare Worte gesprochen werden, wenn das eigene Kind dahingehend Fremdagressionen aufzeigt und dadurch z.B. zu einer Belastung in der Schulklasse wird. Aber auch da muss dann nicht gleich das Kind dafür „fertig gemacht“, weil ein Kind, das sich so verhält, hat sicherlich auch selbst genug Probleme, die es nicht bewältigen kann und dann sollte man vielleicht eher diese angehen, statt das Kind noch mehr zu schikanieren.

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Wir haben. heute nachmittag ein gutes Gespräch hingekriegt- mussten erstmal darüber sprechen, das wir uns beide gegenseitig nicht gehört und deshalb gekränkt fühlen. Dann konnte ich nochmal besser Rolle von Abwertung oder Anerkennung bei ADHS erklären, mal grob zusammengefasst.
Es ging übrigens nicht um autoritäre Strenge oder Gewalt oder böses Vwrhalten…

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Liebe @Klarundklipp1 um was ging es denn dann genau, Sorry wenn ich noch mal frage, aber manchmal brauche ich eine zweite Erklärung. :heart:

Darum dass mein Mann fand, dass sein Gegenpol in Form von " Einfach unverblümt sagen was Sache ist. ( es geht um Sohnemanns Defizite in Schule und Alltag)- egal ob und wie unser Sohn jetzt gerade damit klarkommt" gegenüber eher einfühlsamer, achtsamer Rückmeldung von mir wichtig wäre. Einerseits um die Sachen zu benennen und damit er lernt, mit solchen Rückmeldungen klarzukommen und nicht mehr so empfindlich zu reagieren.
Wir konnten uns darauf einigen, dass man die Baustellen ohne Vorwurf und Abwertung benennen muss und kann, aber nicht in der kritischen Situation selbst, sondern lieber in einer ruhigen Minute gemeinsam darüber reden…

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Vielen Dank für eure Antworten und eure Unterstützung!!!

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So mache ich das auch. Als impulsive ADHSlerin platzt es halt auch aus mir raus. Aber nicht abwertend.

Das ist auch authentisch und ich finde es meist ok.

Vor einigen Tagen hatte ich allerdings eine Situation - da habe ich den Kindern (meine Stiefkinder) gegenüber Sachen geäußert und ihnen Vorwürfe gemacht (eine Situation hatte sich hochgeschaukelt) - die waren überhaupt nicht ok. Ich war dann auch selbst sehr erschrocken.

Ich habe mich dafür entschuldigt und habe über meine Gefühle gesprochen.

Ich finde aber der Begriff „Abhärtung“ den du in der Überschrift schreibst passt gar nicht zu dem Thema.

Nachtrag:

Ich muss sagen das ich immer sehr gut darin bin meinen Mann da zu kritisieren mit Sätzen wie „so kannst du mit den Kindern nicht reden“ oder „es ist nicht gut wenn du immer so aufgeregt reagierst“.

Der hat halt auch eher wenig Geduld. Jedenfalls fällt es mir aus der beobachtenden Position heraus immer leicht zu sagen was nicht so gut ist :sweat_smile:

Im großen und ganzen ist aber Achtsamkeit sehr wichtig. Und das geht dann auch sehr ehrlich. Dann sage ich den Kindern auch „bei mir ist gerade Wut“ das ist nämlich was anderes als „du bist…“ und es ist völlig ok das Wut oder Ungeduld da ist, egal bei wem. Oder Hilflosigkeit.

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Ich persönlich finde das der Titel schon irgendwie passt, immerhin war das der erste Gedanke der @Klarundklipp1 dazu zu ihrem eigenen Thema durch den Kopf gegangen ist, warum also etwas nachträglich abändern was den ersten Gedanken und Gefühlen von Klarundklipp1 durchaus entsprach?.
Ich glaube das es in gewisser Weise um Probleme geht was sehr viele Adhs Eltern betrifft, nämlich vielleicht dem Umstand das man als Adhs Eltern schneller an seine eigenen Grenzen stösst als das vielleicht bei nicht Adhs’lern der Fall ist, geschweige denn man das selber so will.
Genauso das man Mühe damit hat sich selbst einzugestehen das Elternschaft generell sehr anstrengend ist, und auch das man sich sehr oft überfordert fühlt, was man aber nicht gerne zugibt, da ein Eingeständnis von Überforderungen in unserer Gesellschaft nicht gerne gesehen wird, sondern Quasi als „total Versagen“ bewertet wird.

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Mir war kein bessers Wort eingefallen, deshalb die Anführungszeichen , also kein Zitat. Aber ich inhaltlich hatte ich ihn so verstanden. Im Nachhinein sehe ich, dass ich noch zwei Aspekte in „seine Sicht“ reininterpretiert habe: Er hat mir früher mal erzählt, dass es in seinem Heimatland üblich ist, Kinder auf augenzwinkernde Art durch den Kakao zu ziehen und damit sie sozusagen auf Zack sind und sich abgrenzen können. Also nicht " nur zum Spaß" Ich hab auch damit in Verbindung gebracht.
Außerdem war ich mir nicht sicher, ob er einfach von dem ganzen ADHS- Zeugs müde und genervt ist und keinen Nerv mehr auf Awareness hat. Trifft auch nicht zu, aber ab und zu wäre ja das auch sehr menschlich…

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Hm ja klar irgendwie kommt ja vermutlich jeder Adhs’ler* irgendwie mal an seine Grenzen wo er*, wie soll ich sagen?, manchmal keinen Bock mehr auf Adhs hat?.
Aber es nützt ja nichts, Adhs löst sich ja wegen solcher individueller oder phasenweiser Gefühle nicht einfach in Luft auf, oder verschwindet.
Die Wahrheit ist, wenn man Adhs hat, dann hat man es immer, mal stärker, mal schwächer, aber von selbst „verschwinden“ wird es nicht.
Das heisst man „muss“ sich immer mit sich selbst auseinander setzen, ob einem das gefällt oder nicht, ob einen das manchmal ankotzt oder nicht.
Und wenn man als Adhs’ler* Kinder hat, dann haben diese armen Kinder leider ihr Adhs von einem von beiden geerbt, im schlimmsten Fall von beiden.
Im Prinzip müssen dann diese Kinder wieder dort anfangen wo man selbst einmal stand, zu Zeiten als man selbst mal noch dieses Adhs Kind war das anscheinend niemand wirklich versteht.
Dieses Kind/er was man dann als Adhs’ler* selbst heute in die Welt gestellt hat, im Prinzip ein Abbild von sich selbst, auch dann wenn es natürlich trotzdem individuelle Unterschiede gibt, ist Angewiesen auf liebevolle, starke und selbstbewusste Eltern.
Und deshalb muss man sich als Adhs’ler* zurück erinnern, man muss sich fragen, was war es eigentlich damals bei mir selbst was mir gefehlt hatte?, und wie kann ich meinem Kind/er heute am besten helfen ohne es womöglich zu schädigen.
Und es ist ganz sicher nicht eine „Abhärtung“ für’s Leben, sondern ein Gefühl von Sicherheit und Liebe das man sich als Adhs Kind wünscht. :heart:

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Man kann die Resilienz von Kindern schon zu großen Teilen beeinflussen. Da spielen vor allem (wie auch @UlBre schon schrieb) sichere Bezugspersonen eine Rolle und ein autoritativer/demokratischer Erziehungsstil:
Zu dem gehört ja gerade, dass Regeln transparent und nachvollziehbar sind, dass Kinder ein (altersangemessenes) Mitbestimmungsrecht haben, dass sie (altersangemessene) Aufgaben übernehmen und dass die Haltung der Eltern wertschätzend und warm ist.

Generell ist es auch nicht sinnvoll, Kindern ihre „Defizite“ aufs Brot zu schmieren, damit sie daran arbeiten. Es sollten die Kompetenzen gefördert werden, denn die hat jedes Kind.

Das alles stärkt Gefühle von Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein, führt zu besseren Konfliktlösestrategien, mehr positiven Emotionen (=glücklicher = gesünder), einer gestärkten Ich-Identität usw.

(Drehen wir das also mal um: Wenn mir dauernd aufgezeigt wird, was ich alles falsch mache, werde ich kein gutes und gesundes Selbstbild aufbauen und demnach weniger resilient sein. Also das Gegenteil von dem, was „abhärten“ bewirken soll.)

Das ist Resilienz: Das Leben ist hart und es passieren schlimme Dinge, aber ich steh trotzdem auf und mach weiter, ohne dass ich davon krank werde.
Kein „abhärten“ notwendig :slight_smile:

Da gibt es auch viele interessante Studien zu, in denen man die verschiedenen Bindungstypen bei Kindern erkennen kann. Die werden nämlich gerade bei Trennung sehr deutlich!

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Schließe mich einigen hier an, die sagen, der Mann hat unter Umständen auch ADHS? Du beschreibst hier exakt unsere Situation. :smiley:

Mein Mann ist auch der festen Überzeugung, dass er ungefiltert alles dem Kind „vor den Latz knallen darf“, weil es sonst ja nichts fürs Leben lernt.

Nach mehreren Gesprächen versucht er inzwischen, sich diesbezüglich zu zügeln, schafft aufgrund seines Reizfilters aber nicht, es unkommentiert hinzunehmen. Er setzt dann eine Regulierungs-Strategie um und stimuliert sich geistig durch Mantras. Zu meinem Leidwesen spricht er sie leise vor sich hin, er schafft es nicht, sie nur im Kopf zu sagen… Meistens „Ich bin woanders, ich bin woanders, ich bin woanders.“ :sweat_smile:

Vielleicht hilft das auch deinem Mann? Sich abzulenken und die Situation innerlich zu verlassen, um sich ihr in der Realität zu stellen? :slight_smile:

Hi, Danke für deine Antwort! Nein ich sehe meinen Mann nicht im Spektrum. Es muss schon ziemlich viel passieren, dass er neben sich steht, out of order oder control ist, eigentlich gar nicht. Er ist dann mal einen Satz lang laut, oder sehr selten: „ich explodiere gleich…“ wenn ein Kind einfach nicht in die Gänge kommt…ist er aber noch nie. Es ging nicht um unkontrolliertes verbales Ausagieren- sondern um kritisches und direktes Feedback, das wiederum bei meinem Sohn auf emotionale Dünnhäutigkeit trifft. Z.B. bei auch wie auch immer „vergessenen“ Hausis oder dem Handling von Essen und Besteck am Tisch. Kann ich selbst aber auch schwer aushalten- und mich zurückhalten mit Hinweisen und Kommentaren…

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