Erleichterung nach Diagnose?

Hallo und herzlich Willkommen!
Anfangseuphorie, ja, aber eher wie vor einer langen Wanderung.

Zwischendrin wird es regnen, Du wirst von den Mücken gestochen, Dein Portmonnaie wird geklaut, Du brichst Dir den Fuß … UND Du verlierst die Karte bzw. das Navi. Deine Ziele ändern sich auf dem Weg, weil Du Dich entwickelst. Du stellst fest, dass Campen nicht so Deins ist und übernachtest im B&B… und irgendwann fängt das alles an Spaß zu machen, Du lernst Dich neu kennen, steckst Deine Ziele neu - und kommst an, während Du auf dem Weg bist.

So geht es mir zumindest.

Ja.
Wie viele begleitet mich das Gefühl, nicht mein Leben zu leben, ja schon sehr lange - schon immer eigentlich.
Als meine Kinder größer wurden habe ich angefangen, mich auf den Weg zu machen - habe nochmal studiert und bin währenddessen mit all meinen Ängsten derart massiv konfrontiert worden, dass ich in Therapie gelandet bin. Mit chronischen Schmerzen von Kopf bis Fuß, ziemlich depressiv, mit Todes- und Lebensangst.
Die Therapie mündete dann in der Diagnose. Viele Entscheidungen konnte ich schon während der Therapie treffen und dann mit Medikation realisieren.

Vor allem die Abhängigkeit von der Meinung anderer, das Mutmaßen, was sie denken könnten, der Drang, besonders perfekt zu sein, sich keine Blöße zu geben - dieser ganze anstrengende und humorlose Mist ist jetzt zum Glück über Bord.

Was neu ist, ist das Gefühl, richtig zu sein, angekommen zu sein, das habe ich jetzt seit rund einem Jahr. Da spielt viel mit rein: die Therapie und der Glücksgriff von Therapeutin, Beharrlichkeit und Geduld bei der Medikation, und dieses tolle Forum!!!

Man muss oft nachjustieren, muss bereit sein, sich von eigene Vorstellungen zu lösen - dann kann das klappen.
Ich muss immer aufpassen, nicht zu euphorisch zu sein. Aber warum eigentlich nicht?
Ich freue mich an meinem neuen Leben wie an meinem neuen Fahrrad. Es ist schön! Manchmal machts mir Angst und ich denke, da kommt noch ein dickes Ende, und dann denke ich - da waren schon so viele dicke Enden. Jetzt ist jetzt und jetzt machts Spaß. Endlich.

:ai

Wow, so gehts mir auch.
Immer, wenn mal alles gut und schön ist kommt gleich mein hyperaktives Hirn wieder um die Ecke: ne, das kann nicht sein. Bald passiert irgendwas schlimmes. Gewöhn dich nicht dran, hält eh nicht lange. Wenn alles gut ist, mach ich mir also Sorgen, dass es bald nicht mehr so ist :lol:

Also, ruhig euphorisch sein. Sind die anderen doch auch oder? :lol:

Huch bin ich erleichtert, dass ich nicht die Einzige bin.
Ich dachte die Einstellung kommt von meiner Erzeugerin, die immer sagte: „Freu dich nicht, denn nach dem Gute kommt immer das Schlechte in zweifacher Form“! :ai
Und so gehe ich durchs Leben :panik

Ne, bist du nicht. Das habe ich auch so.
Ich hatte aber auch einfach schon so viele Probleme im Leben. Vllt ist man dann einfach so konditioniert? Das Hirn ist es gewöhnt sich Sorgen zu machen?
Besonders schlimm ist auch immer Angst vor Krankheiten, wenn alles gut ist. Das ist immer so das erste was mein Kopf sich ausdenkt, wenn ich sonst keine Sorgen habe.

Das wegzubekommen ist vllt eine Trainingsfrage…? Umkonditionierung?

Ich versuche meine Einstellung zu ändern und zu akzeptieren, dass shit happens, bei mir und bei den Anderen. Und dass es egal ist, ob ich mir Sorgen mache oder nicht. Und dass man in sorgenfreien Zeiten Kraft tanken soll fürs Danach.

Na ja, gelingen tut es nicht immer, aber Übung macht den Meister.

Oh ja, dass kenne ich auch. Wenn mal alles läuft werde ich misstrauisch, fange an nach der nahenden Katastrophe ausschau zu halten. Frei nach dem Motto, zu schön um wahr zu sein. Jetzt mit Medis ist es besser, aber leider nicht weg.

1 „Gefällt mir“

@Nymphaea alba
@allmighty

Dieses Negativieren und Katastrophisieren soll laut meiner Therapeutin auch ein Zeichen von Depressionen sein :frowning:

Seid ihr auch mit Depressionen diagnostiziert?
Also ich soll sie ja immer mal wieder gehabt haben oder haben…

ADHS oder Depressionen? Oder beides?

Auf jeden Fall gibt es hier immer mehr Parallelen für mich.
Allein das Austauschen und Auskotzen über die Stinos tut gut :wink: :wink:

@Irrlicht
Ich habe keine Depression. Und ich dachte Katastrophisieren sei typisch für ADxS, aber es gibt ja auch einige Überschneidungen bei den Symptomen.

Ich glaube bei mir kommt es daher, dass schon so viel schief gelaufen ist.

Es ist zwar ein Symptom der Depression, kommt aber auch unabhängig vor. Ich hatte Depressionen und davor/danach ist diese Einstellung immer da.

Ich habe immer mal wieder depressive Phasen, offizielle Diagnose „rezidivierende Depressionen“. Eine ADxS Diagnose hab ich bisher nicht (was ja der Anlass des Beitrags war;)).

Ich hab gar nicht so ein großes Problem mit mir selbst eigentlich, aber ich tu mich schwer mitzuhalten;
meinen eigenen Erwartungen, wie ich sein sollte, damit ich dazugehören kann, gerecht zu werden;
„Beziehungsfähig“, „Arbeitsfähig“… Irgendwasfähig fühlen.

Das ist auch meine eigentliche Last…Ich hatte immer das Gefühl, es steckt irgendwas anderes hinter diesem Depressionen-Kreislauf, weil: Kann doch nicht sein, dass ich „einfach so“ alle 1-2 Jahre furchtbar depressiv werd. Ohne, dass es langfristig eine Perspektive gibt, dass das nicht mein ganzes Leben so sein wird.

Und ständig wird mit Diagnosen gewedelt, mit denen ich mich nicht identifizieren kann und die mehr Schaden als nutzen angerichtet haben (außer vielleicht die Berechtigung auf viel Therapie).

In den letzten 30 Jahren Leben und 5 Jahren Therapie hab ich super viel über mich gelernt und komm schon irgendwie zurecht.
Ich kann meine Vergangenheit, Beziehungen, Verhaltensweisen von A-Z super durchanalysieren. Aber unterm Strich habe ich trotzdem das Gefühl, dass ich mich im Kreis drehe.

Und zur Zeit steck ich auch in einer solchen Phase.
Vor allem dann (wenn es mir schlechter geht, so wie jetzt) begebe ich mich in diesen Kaninchenbau mit der Frage „Was stimmt eigentlich mit mir nicht?“, dass durch ein großes Labyrinth von Selbstzweifeln, -vorwürfen & -mitleid führt. Ab und zu mal bieg ich ab zu Klagen über diese turbo-kapitalistische Gesellschaft und Weltschmerz…
Und Momentan bin ich eben auf dem ADS-Weg gelandet, wo kleine Blüten von Hoffnung am Wegrand knospen.

Einen Schluss den ich immer wieder ziehe ist allerdings der: Wie fatal es ist, sein ganzes Dasein nur nach dem Schema „Symptom“ oder „kein Symptom (noch „normal“)“ zu bewerten. Und selbst wenn man sich dem bewusst ist, kann man so leicht in dieser Art von Denken versinken. :?

Ich tu mir damit sehr schwer&will so einen Maßstab nicht auf mich anwenden, obwohl ich aber gleichzeitig auch einen Namen dafür finden will. Weil aus meiner Einsamkeit komm ich wahrscheinlich besser raus, wenn ich mich verständlich machen kann und dann verstanden fühle.

Und diesbezüglich: Kleines schicksals-ironisches Erlebnis von gestern:

Ich habe beim Einkaufen so versunken darüber nachgedacht, ob ich jetzt eigentlich dieses ADS hab oder ob ich mir das alles bloß einbilde, dass ich den falschen Einkaufswagen genommen hab und damit abwesend bis zur Kasse gefahren bin, bevor ich gemerkt hab, dass es nicht meiner ist :lol: :lol:
Ich konnt den aber auch nicht wieder zurück stellen, weil ich hatte vergessen woher ich ihn genommen hab. Hähä.

Mir hat geholfen als Ausgangspunkt den subjektiven Leidensdruck zu nehmen.
Diagnose, Symptom etc. - das sind ja nur Werkzeuge, um das Phänomen beschreib- und fassbar zu machen damit Hilfe dafür organisiert werden kann.

Leidensdruck ist natürlich subjektiv und wenn man z.B dazu neigt sich zu sagen, dass man sich nicht so anstellen soll, ist es vielleicht schwierig, die erforderliche Hilfe einzufordern. Eventuell helfen dann Objektivierungen, z.B. Definitionen von Gesundheit, hier sind ein paar: Gesundheit – Wikipedia

Vielleicht ist dieses Video von Gunther Schmidt (u.a.) was für Dich: Dort https://youtu.be/oiNZvUJOrX8 ab etwa 1 h 8 Minuten, direkt hinspulbar, sagt er, er hatte eine Zeit lang einen Würfel mit sechs gängigen Diagnosen. Die Patienten/Kunden durften würfeln, was sie auf das Kassenformular eingetragen haben wollten.

Insgesamt geht es um Würde in der Therapie und ein bisschen Würde gibt das Video auch zurück, finde ich.

@Elementary ziemlich interessanter Input! Danke dir für den Link.

Und auch @TulipRulesOkay find ich eine hilfreiche Betrachtungsweise!

@Blaupause sehr interessanter Thread! Mir geht es tatsächlich ziemlich ähnlich. Ich bin seit ungefähr 4 Jahren wegen (chronischen) Depressionen in Behandlung. Zu tun habe ich damit aber schon ein paar Jahre länger. Ich habe immer mal wieder die Vermutung gehabt, dass ich evtl ADS haben könnte. Dies wurde aber von Seiten der Behandler leider mal mehr mal weniger rücksichtslos ohne große Rückfragen abgewiesen. „Höhepunkt“ war eine Therapeutin, die einfach gelacht hat und gar keine Rückfragen gestellt hat, sondern nur festgestellt hat, dass das ja absolut abwegig ist… Jetzt bin ich vor kurzem zu einer neuen Psychiaterin gekommen und sie hat mir einfach zugehört und gesagt, dass man das ja testen kann und jetzt habe ich bei ihr demnächst den Test. Ein solcher wurde bisher nämlich noch nie durchgeführt. Jetzt bin ich ziemlich gespannt und aufgeregt. Ich hoffe sehr, dass ich durch die Diagnose eine Erklärung für so vieles in meinem Leben bekomme und dadurch auch eine Möglichkeit an meinen Problemen zu arbeiten. Bisher bin ich nämlich häufiger schon an Dingen gescheitert, auch innerhalb der Therapie an Aufgaben, die jeder eigentlich schaffen kann. Mir wurde dort dann auch Unwillen zur Mitarbeit unterstellt, was absolut nicht der Fall war…
Hast du denn auch eine Untersuchung auf ADS in nächster Zeit? Falls nicht, kann ich dir auf jeden Fall raten nicht zu verzweifeln, nur weil manche Ärzte/Therapeuten das als nicht notwendig (da abwegig) abtun. Liebe Grüße :hugs:

Hallo, ich bin auch neu hier. Habe letzte Woche ganz frisch die Diagnose bekommen. Und ich kann dir sagen: Es war erstmal ein bisschen erschreckend. Aber irgendwo auch eine wahnsinns Erlichterung. Ich habe quasi meine ganze Jugend gedacht ich wäre dumm, konnte mit Mitschülern nicht mithalten, war mir selbst nicht genug und wäre einfach gerne „normal“ gewesen. Aber jetzt weiß ich, dass bin eben ich und ich bin nicht dumm oder weniger Wert. Das ist einfach eine Erkrankung, mit der ich nun leben kann und die therapierbar ist. Es war irgendwie versöhnlich und ich kann mit mir selbst Frienden schließen, falls das verständlich ist.

Es gibt ja dieses Modell von den fünf (oder so) Phasen der Trauer, von Leugnung über Wut und Aushandeln wollen usw. Ich glaube, so was Ähnliches gibt es auch bei der Diagnose - ich habe jedenfalls in kurzer Zeit Unglauben, Erleichterung, Wut (vor Allem, dass ich nicht früher drauf gekommen war), Enthusiasmus, Zweifel und Akzeptanz durchlebt (und dann weiter Zweifel, Akzeptanz, Zweifel, Akzeptanz…).

Erleichterung war definitiv Teil der Mischung. Nach Jahren, in denen die gängigsten Erklärungsmuster für meine Besonderheiten und Misserfolge irgendwo zwischen „muss sich mehr anstrengen“, „muss sich mehr zusammenreißen“, „muss mal ordentlich in die Fresse kriegen“ variierten, in denen alles Zusammenreißen und Anstrengen nur zu noch schlimmeren Misserfolgen führte, hatte ich endlich eine Perspektive. Ist ja nicht nur eine Erklärung, sondern so eine Diagnose kommt auch immer mit einem Satz Strategien und Therapieangeboten.

Vorher hatte ich eine Aufgabe, die ich mir wirklich nicht vorstellen konnte zu tun, mit „ein Auto rückwärts den Berg hochschieben, während es zugleich vorwärts fährt“ verglichen. Stellt euch vor, das geht euch mit allem so. Aber Ihr versucht es immer wieder, weil alle anderen es auch so tun (hier hinkt der Vergleich etwas, aber egal). Dann kriegt Ihr plötzlich eine Gebrauchsanweisung für das Auto, und da steht ausdrücklich drin, dass es nicht wie die anderen zum Rückwärts den Berg Hochschieben konstruiert ist, sondern zum Vorwärts Fahren… (Okay, hier säuft der Vergleich völlig ab. Aber so ähnlich halt.)

Ich kann nur sagen das es eine Erleichterung war.

Nein, ich bin nicht nur einfach doof.
Nein, ich bin nicht kaputt.

Aber:
Nein, man hat im Vorfeld keine Ahnung was alles hinter AD(x)S stecken kann.
Ja, es ist mit Medikamentenzu behandeln.
Nein, es ist nicht das Allheilmittel.
Ja, man muss sich und sein Verhalten hinterfragen.
Ja, man muss an sich selber arbeiten.

1 „Gefällt mir“

Ja, das ist toll.

Aber auch wenn man wie ich seine ADHS-Diagnose seit vielen Jahren hat und sich viel damit auseinandergesetzt hat, die Gedanken, man sei faul, tolpatschig, nachlässig usw. und müsse sich einfach besser zusammenreißen, kommen leider immer wieder.

2 „Gefällt mir“