Hinter Tür 14 erwartet Euch: das Schnee-Geständnis
. Dazu folgender Vorspann, weil ich etwas unsicher auf meinen blutjungen Autorenbeinchen rumhampele…
Meine erste Handlungsidee in Sachen „Schneemann“ hatte gewisse naturwissenschaftliche Plausibilitätslücken in den Details.
Die Handlungsentwicklung jetzt ist wissenschaftlich tragfähiger - aus Sicht der konsultierten Schnee-Experten zumindest. Ich dachte, dass das einigen von Euch vielleicht wichtig ist… (Mir ja nicht so. Ich stehe mit einem Bein im magischen Zauberwald, blöderweise. Hätte ich mir auch nicht ausgesucht, aber ist eben so.)
Wenn ich selbst die jetzige Handlung mit der ersten Idee vergleiche, ist sie jedenfalls: bedeutend besser.
Aber Ihr habt ja den Vergleich nicht. Und vielleicht habt Ihr daher den Eindruck, dass da nicht nur der Schnee leise rieselt…
Aber nicht verzagen: Das 2. viel zentralere Rätsel ist ja schon da! Und meine Lieblingstüren kommen erst noch! Und Tür 24, hohoho! Das kann ich sagen, weil ich die voraussichtlich nicht alleine gestalte…
Öffnet Tür 14 und die folgenden daher hinter der Klapptür, wann immer für Euch der richtige Moment ist. Die Kühlkette ist ausreichend lange gesichert. Ihr könnt auch in Etappen lesen. Ich bin ein paar Tage weg in Seligenburg…
Tür 14: Das Schneegeständnis
Torben Schmeling fuhr in einem weißen Porsche vor, als er seinen Sohn Malte brachte.
Niklas sah die beiden als erster durch das Kellerfenster: „Weiß! Pferd auf der Motorhaube! Sie kommen wirklich auf einem weißen Pferd! Ich bin der Seher Niklas Nostradamus!“
Mit Maltes Besuch hatten sie wegen der Drohne gerechnet, aber nicht mit seinem Vater, der nun seltsam förmlich um „ein paar Minuten Eurer Zeit“ bat. Die Küche war gerade am ordentlichsten. Paul bat sie rein und kochte Tee.
Während Malte auf seine Turnschuhe starrte (schneeweiße Air Max), übernahm Torben die Gesprächsführung. Malte habe seinen Vater letzte Nacht ins Vertrauen gezogen nach mehreren Tagen „Schulabsentismus aus Herzschmerz“. Erst durch Lenis Anruf und die Bitte um die Drohne hätten sie jetzt von Rikes Unfall erfahren. Also, es sei so:
Beim letzten Schnee in Seligenburg, kurz vor den Winterferien letztes Jahr, hätte die Chemie AG auf dem Schulhof wohl zusammen einen Schneemann gebaut? Rike habe Malte damals gesagt, das sei ihr glücklichster Tag seit langem. Sie liebe Schneemänner.
Malte habe den Schulhof-Schneemann daraufhin eigentlich in einem der Gefrierräume des Hotels für Leni konservieren wollen. Sie hätten einen Kühltechniker befragt. Es sei aber so, dass sich Schnee im Gefrierschrank über die Monate verändere und eher zum Eisklumpen werde.
Diese „kleine Schnee-Romanze“ und die Schneebegeisterung der Jugend habe Torben aber auf eine Geschäftsidee gebracht: Kürzlich habe man in seinem Hotel ein „sehr exklusives Event“ veranstaltet, das „Selige Winter Wonderland“ mit Prominenten und zahlreichen Influencern. Paul habe ja vielleicht auf Instagram die Ankündigung gesehen?
Nein, leider nicht, sagte Paul. Kein Instagram bisher, aber er höre davon immer mehr gerade.
Nun ja, fuhr Torben fort, sie hätten jedenfalls eine absolut perfekte Kulisse für Influencer geschaffen. Das habe dann wahnsinnig tolle und gelikte und geteilte Bilder gegeben. Ob sie mal sehen wollten? Er zog ein IPhone der neuesten Generation raus.
„Torben, geht das später, bitte? Ich verstehe immer noch gar nichts…“
Richtig, also für das Event habe man Schnee besorgt, Schlitten, Glühwein und Lichterketten. Eine Schneekanone sei ja nun ein zu teures Gadget. Auch wenn er eigentlich immer großzügig sei bei Investitionen in Technik. Dann noch der CO2-Footprint! Im Ergebnis habe man einen Tiefkühl-LKW voll Schnee anfahren lassen aus Altkirchen, dem nächsten Ski-Ort mit Schneegarantie. Ein befreundeter Jugendherbergsvater von dort habe geholfen.
„Da waren wir sogar mal zusammen auf Ski-Freizeit, Paul, glaube ich?“ fragte Torben.
Paul bejahte. Er habe gerade kürzlich aus Anlass des Bircher Müslis daran gedacht, das es hier im Haus immer morgens gebe. „Overnight Oats“, korrigierte ihn Niklas.
Jetzt war es Leni, die seit Beginn des Gesprächs still gewesen war, aber nun genervt stöhnte: „Euer Ernst jetzt? Zur Sache!“
Naja, also Malte sei dann am Rande des Events auf einmal eine Idee gekommen - „connect the dots-mäßig“ - da ist Schnee, da ist Lenis kommender Geburtstag! Was für ein Timing! Zwei Säcke voll hätten sie am Tag nach dem Event dann in den Tiefkühler gestellt. Ein romantischer Portier habe noch zwei Knöpfe von einer alten Hotelpagen-Jacke und eine Karotte aus der Hotelküche besorgt. Dann habe Malte noch mit einer Drohne Lenis Schulweg beobachtet, um Zeit und Schneemann-Standort zu optimieren.
Leni blickte auf Malte. Malte blickte weiter auf seine Turnschuhe.
Naja, aber dann habe „der Bub“ nach all der Vorfreude und Planung aus dem Schulfenster gesehen, dass Leni ausgerechnet an dem Morgen von einer Frau mit dem Auto gebracht wurde - auf ganz anderer Strecke! Sie habe den Schneemann also gar nicht sehen können. Da sei Maltes Enttäuschung wohl so immens gewesen, dass er sofort nach Hause geflüchtet sei, die Tür geknallt und drei Tage sein Zimmer nicht verlassen habe, nur noch World of Warcraft gespielt.
Jetzt blickten sie alle auf Malte. Malte blickte weiter auf seine Turnschuhe.
Torben fuhr fort, er habe heute morgen schon seinen Rechtsanwalt kontaktiert. Der sei zwar kein Spezialist für Strafrecht, aber könne in dem Schneemann kein Verbrechen erkennen. Rike sei ja auch nicht wegen Schnee und Glätte gestürzt, sondern abgelenkt gewesen? Trotzdem sei die ganze Familie Schmeling natürlich „am Boden zerstört“ wegen Rikes Verletzung. „Auch für meine Frau Gesine möchte ich das sagen. Das hat natürlich niemand gewollt.“
Rike, Paul und die Kinder seien nach der Reha zu einer besonderen Party in der „Seligen Burg“ eingeladen: einem eigenen Familien-Wonderland. Sie sollten doch bitte so viele Übernachtungsgäste mitbringen, wie sie mögen. Und wenn Rike oder Paul Verdienstausfall hätten oder sonst etwas… „Die Schmelings möchten sich kümmern.“
Paul sammelte sich als erster. Er könne hier nicht für Rike sprechen oder für die ganze Familie. Aber ihn selbst bewege Maltes Idee und auch seine Aufrichtigkeit. Erstmal wolle er jetzt Rike anrufen, damit die nicht mehr an ihrem Verstand zweifeln müsse.
Er brachte Torben zum Auto. Malte ging noch kurz mit Leni in die Garage. Dann bestieg auch er das „weiße Pferd“, wie Niklas nochmal sagte, als er sich zu Paul stellte: „Da reitet er hinfort, Dein Detektiv-Freund. Er kann machen, dass es schneit! Crazy. Bestes Leben. Ob es auf seinem ‚Influencer-Rat Park-Event‘ auch Koks gab?“
Paul bat Niklas vor allem um Stillschweigen rund um die SoKo Schneemann: „Ich liebe Deinen Humor, Niklas. Aber was hier gerade in der Küche passiert ist, bleibt in der Küche, ja? Rike braucht Ruhe, und für Malte und Leni gilt das sicher noch mehr.“
Dann rief Paul Rike an. Sie war in der Tat erleichtert. Nun wolle sie erstmal nachdenken. Paul ging zu Leni in die Garage. Sie schwiegen, während Leni die Asservate in eine Kiste räumte, beschriftet mit „SoKo Schneemann“.
Schließlich versuchte es Paul: „Weißt Du, Leni, kann sein, dass … Dopamin und die anderen Botenstoffe verursachen in solchen Situationen wilde Turbulenzen, manchmal.“
„Alles gut, Paul. Wie mit der Diagnose: Es löst nicht alle Probleme, aber da sind zumindest weniger Rätsel an der … Tischtennisplatte. Und wir haben ja schließlich schon einen Folgeauftrag, auf den wir uns konzentrieren müssen. Malte recherchiert und meldet sich morgen per Teams. Er kann wohl Ablenkung gut gebrauchen.“
Niklas kam dazu und schaute sich in der Garage um: „Haben wir hier irgendwo weiße Farbe? Ich würde gern Mamas altes Stockpferd hier upcyclen. Könnte Julia vielleicht zu Weihnachten gefallen?“
Paul scheuchte ihn aus der Garage, um Leni noch etwas Zeit zu geben: „Gehen wir lieber in den Keller, Coldplay hören und weiter aufräumen. Da ist sicher weiße Farbe aus vier Generationen und alle Schätze, die Du sonst noch suchst.“
„Auch Dein Detektivausweis von 1957?“
Tür 15: Elternsprechtag und Ermittlungsarbeit
Das Wochenende war knackvoll: Der EST - Elternsprechtag - stand am Samstag auf dem Plan. Und danach dann der Übergang von „SoKo Schneemann“ in „SoKo Pilze“.
Rike hatte Paul um den Besuch in der Schule gebeten. Aber er hatte ja keine Erziehungserfahrung? Er beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen und - „in Vertretung für meine kleine Schwester, die leider nach einem Sturz mit einem gebrochenen Bein im Klinikum liegt“ - nur zuzuhören. Niklas’ Lehrer schütteten ihr Herz bald aus wie in Pauls Sprechstunde.
Paul nickte, bestätigte, validierte und paraphrasierte. Nach drei Stunden hätte er Burnout-Diagnosen und Rezepte am Fließband ausstellen können. Die ganze Schule bräuchte eigentlich eine Systemtherapie samt Familienaufstellung im Lehrerzimmer, wenn man Paul fragte. Aber er war ja nur zum Zuhören gekommen.
Dem Latein-Lehrer hatte Niklas mit seiner jüngsten „3–“ fast den Glauben an seinen Beruf zurückgegeben. „Der Knabe macht sich! Geht doch! Weiter so!“
Paul antwortete: „Das hat Niklas nur für Sie getan! Per aspera ad astra, wie wir Lateiner sagen!“ Durch den Mehlstaub zu den Sternen, dachte er bei sich. „Ich pflück Dir Sterne aus der Dämmerung“! (Und da war er wieder, der Tangobounce-Ohrwurm, und würde den Rest des EST bleiben, safe.)
Das „E mit Blitz“, also Niklas Englisch-Klausur am Donnerstag, war Paul komplett durchgerutscht, trotz Küchen-Plan. Offenbar fiel Englisch Niklas aber ohnehin leichter als Latein. Der Lehrer spielte in seiner Freizeit in einer Punk-Band. Er schilderte einen komplett anderen Niklas als die anderen Lehrer: den Niklas, den auch Paul jetzt immer öfter zu Gesicht bekam.
Am Ende schaute Paul noch bei Lenis Chemie-AG-Leiter vorbei. Paul dankte ihm, dass er den Nerds und Geeks eine Heimstatt bot. Er habe mitbekommen, wie wichtig das für die Kinder sei: der gemeinsame Schneemann-Bau als Lenis „glücklichster Tag seit langem“. Paul weihte ihn grob ein, aber bat um Diskretion. Der AG-Leiter war sichtlich gerührt und versprach, mehr als ein Auge auf Malte und Leni zu haben. Teambuilding, so wichtig, vermutete Paul: Es braucht ein Dorf, um Kinder großzuziehen, sagte man ja in Afrika.
Auf dem Weg nach Hause war Paul in Gedanken versunken und noch ohne Plan: Sollte er den Kindern vermitteln, dass die Schulzeit vor allem eine Frage von Durchhalten sei: sowohl in den Schulstunden als auch in den Pausen? Dass „Jetzt nicht Immer“ sei, obwohl es sich zu oft so anfühlte? Dass ein Leben danach wartete, mit mehr Gestaltungsfreiheit, wenn sie nicht an der Schulzeit zerbrachen oder zu viele Komorbiditäten entwickelten?
Zum Glück hatte Paul das ja nicht zu entscheiden. Er schickte Rike eine extralange Sprachnachricht, eher einen Podcast zum EST und zum Verlauf der vergangenen Woche. An manchen Tagen hatte er komplett die Zeit vergessen.
Dann ging es schnell in die Garage. Dort wartete gute alte Detektiv-Arbeit. Malte hatte mit seiner Online-Recherche alles zusammengetragen, was sie an Sachverhalt brauchten. Da waren:
- ein Beitrag aus einem ADHS-Forum mit 14 Antworten, überwiegend pilz-kritisch
- ein neu eröffneter Praxis-Facebook-Account, überwiegend pilz-euphorisch
- ein neues Instagram-Profil „Pilze-Praxis Krampitz“
- diverse weitere Screenshots und Header-Daten.
Leni hatte - mit Malte virtuell verbunden - schon eine Übersicht der W-Fragen an der Tischtennis-Platte begonnen: wer, was, wo, wann, warum und wie?
Paul besah sich die Ermittlungsergebnisse und war fassungslos: „Das müssen wir sofort alles stoppen. Das kann mich in Teufels Küche… bis hin zur Ärztekammer. Wer macht denn so etwas?“
Er scrollte durch die Bilder, die Malte zusammengetragen hatte: „Moment mal, ich kenne den Mann! Das ist Gustav. Der hilft bei mir als Gärtner für die Orchideen im Wartezimmer und so. Er ist mit … egal, sagen wir ‚einem eigenen Problem‘ gekommen und da habe ich das als soziales Projekt gesehen. Was mache ich denn jetzt, ohne meine Schweigepflicht…?“
Auf einem Bild hielt Gustav einen übergroßen Pilz in die Kamera wie andere Männer ihren Fischfang. 67 Likes hatte das Bild schon.
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@RitaLean67 hatte z.B. kommentiert: „Die spirituellsten Pilzbauern haben die dicksten Exemplare. Nice catch, Gustav!“
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@MoniMannheim nutzte seltsame Gemüse-Emojis und schrieb: „Einmal so angefasst werden, wie Gustav seine Pilze berührt!“
Paul drehte sich angewidert ab. Und das wurde online jetzt mit seiner Praxis in Verbindung gebracht?
Tür 16: Gruppen-Waldbaden mit Pilzsuche
In der Garage suchte die ehemalige „SoKo Schneemann“, jetzt „SoKo Pilze“, schon eine ganze Weile die beste Strategie. Paul schrieb mit Julias bunter Straßenkreide auf Lenis Tischtennis-Tafel.
Jetzt alles sofort bei den sozialen Medien melden und sperren lassen? Würden sie so Beweise verlieren? Oder Zeit? Würde es die schnellste Lösung bringen oder war eine gewisse „Kooperation“ mit Gustav der effektivere und auch für ihn beste Weg? Sollte Paul selbst zu dem Waldbaden-Termin fahren?
Torben, der sich gerade mehr Zeit für seinen Sohn Malte nahm, schaltete sich in den Teams-Call ein. Er bot Paul an, ihn und Leni zu dem „Waldbaden-Pilz-Event“ zu fahren: „Mit meinem Porsche sind wir ruckzuck da - und auch wieder weg, falls nötig.“
Niklas hielt - zum Glück außer Reichweite der Laptop-Kamera - das Stockpferd hoch, das er inzwischen abgeschliffen hatte und gerade weiß bemalte. Paul warf mit Kreide nach ihm.
Torben aber war weiter Feuer und Flamme: „Ich wäre echt gern dabei, Paul: wie in alten Detektiv-Club-Zeiten! Und vielleicht komme ich ja sogar auf eine neue Event-Idee für das Hotel!“
Von Torben konnten sie wirklich alle noch viel lernen, dachte Paul. Vor allem: Phantasie und harten Geschäftsalltag zu verbinden.
Sie fuhren also im Porsche zum Pilz-Waldbaden. Dort ging alles ganz schnell. Das von früher noch gut eingespielte Detektiv-Club-Duo ging arbeitsteilig vor.
Der befehlsgewohnte Torben löste mit großer Autorität das gut besuchte Event auf: „Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts mehr zu sammeln.“ Paul bat derweil seinen Patienten Gustav zu einem längeren Waldspaziergang samt ernstem Gespräch.
Leni wartete in Torbens Porsche. Seltsam, die ganze Situation, aber immerhin mit Sitzheizung. Torben erzählte ihr dann noch vom Detektiv-Club und fragte nach der Schule und Rikes Genesung, bis Paul und Gustav wieder am Auto waren.
Vor Leni und Torben als Zeugen nahm Paul dem zerknirschten Gustav noch das Versprechen ab, sofort restlos alle Pilz-Online-Aktivitäten zu löschen und in der Praxis ab jetzt wirklich nur noch Orchideen zu gießen. Bei Frau Meyerling sollte er sich persönlich entschuldigen mit Blumen seiner Wahl.
Kurz bevor Gustav - wie versprochen - als Account-Inhaber die gesammelten Profile löschte, fand sich noch ein neuer Kommentar von @MoniMannheim: „So typisch!!1! Der Herr Schulmediziner kommt mit dem weißen Porsche an und macht Expärten, die uns wirklich helfen, das Leben schwer! Danke, Merkel!“
Und eine andere Userin schrieb: „Schaut mal hier: Hier gibt es eine tolle Doku über das geheimnisvolle Leben der Pilze“.
Paul konnte das alles immer noch nicht fassen. Und er wusste noch nicht mal, dass der wahre Ernst seiner Zeit in Seligenburg erst noch vor ihm lag.