Hyperfokus neu definiert

Hallo zusammen

Ich habe meine Diagnose seit knapp 3 Monaten, bin 53 Jahre alt und war eigentlich der Meinung, dass ich mein Leben mega gut im Griff habe. Eigentlich habe ich immer nur das Problem in Partnerschaften zuviel zu sein oder am Arbeitsplatz zu wahrheitsgemäß Stellung zu allem zu nehmen.

Ich trage mein Herz auf der Zunge. Mich selbst stört es eigentlich wenig, zumindest nicht in dem Moment wo ich rede. Dennoch leide ich immer wieder unter den Folgen des gesagten, im privaten, wie auch beruflichen Leben. Letztendlich geht es immer wieder darum, dass ich mir halt mehr Gedanken darüber mache, dass es anderen mit mir nicht gut geht, als mir, mit mir selbst.

Das eigentliche Thema, was mich aktuell beschäftigt, ist mein Hyperfokus. Ich neige permanent dazu, alles perfekt zu machen, verausgabe mich komplett und wenn die Phase vorbei ist, bin ich völlig erschöpft.

Jetzt nehme ich seit 4 Wochen Medikenet adult 10-10-0

Ich hab davon die ersten zwei Tage nochmehr Energie bekommen und wusste garnicht was ich zuerst machen sollte. Geschlafen habe ich fast garnicht, erschöpft war ich auch nicht.

Jetzt hat sich alles eingepegelt. Ich verspüre keinerlei Nebenwirkungen, was eigentlich bei mir Standard ist nach 35 Jahre immer wieder Antidepressiva, wegen Panik und Angststörungen.

Was soll ich sagen, Angst und Panikattacken sind durch Medikinet vollständig weg. Ich trage mein Leben mit Leichtigkeit und kann 5 grade sein lassen.

Es kommt mir vor, als könnte ich endlich akzeptieren, wie ich bin. Ich brauche nix mehr wie so eine Zwangsgestörte wegräumen und Putzen. Ich kann mich einfach hinsetzen und denken, “ nein ich hab jetzt keinen Bock und mach das später “

Der Hyperfokus ist weg, obwohl ich immer dachte, es ist genau das, was mir das Leben rettet. Mit einer Million Zetteln und mega Struktur mein Leben zu meistern.

Ich sitze hier ohne mir nen Kopf darüber zu machen, ob ich aufräumen muss oder was ich noch tun könnte und mache einfach garnichts.

Ich verstehe das alles nicht. Ich sehe viele Dinge plötzlich total klar, hab das Gefühl das mein Drang zur Perfektion mich davor geschützt hat, mein permanentes Gedankenchaos zu unterdrücken.

Jetzt hock ich hier mit einem völlig ruhigen Kopf und frag mich, ob das alles richtig ist.

Ich hab zum ersten Mal seit Jahrzehnten keine Angst :pleading_face:

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Hallo Tabaum1972,

Herzlichen Glückwunsch! Liest sich super.

Und ein Dankeschön für deinen schönen Bericht. Endlich gibt es mal einen schönen Beitrag über positive Wirkungen eines Medikaments bei ADHS. Toll, dass es dir sogar zu mehr Gelassenheit hilft. Das ist ein schönes Gegengewicht zu den vielen Katastrophenberichten, die ist hier im Forum gibt.

Dass mit Medikamenten viele Dinge klarer werden, kann ich von mir bestätigen .

Ich denke,das analysiert du richtig. Achja, seit ich Medikamente nehme, sind “deprimierende” Versagenserlebnisse deutlich weniger geworden und das Antidepressivum brauch ich nicht mehr.

Viel Erfolg weiterhin

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Danke für die positive Rückmeldung. Trotz aller seltsamer Klarheit, bin ich froh diesen Weg gefunden zu haben.

Mir wird dadurch auch leider klar, dass ich mich aufgrund meiner Kindheit immer wieder auf Menschen einlasse, die mir nicht gut tun.

Und jetzt steh ich hier, mit meiner Klarheit und hab keine Ahnung, wie es weiter gehen soll.

Der „Nachteil“ von Klarheit ist, dass man auch die negativen Dinge klarer sieht. Aber das ist nur schlimm, wenn man das nicht aushalten kann. Wenn man es aushalten kann, gibt es durch die Klarheit neue Möglichkeiten von Erkenntnis, Änderung oder einfach seinen Frieden mit Dingen zu machen.

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Das wird sich sicher nach und nach finden. Du wirst in Zukunft vermutlich andere Entscheidungen treffen und die Chancen werden besser stehen, dass diese Entscheidungen gut für dich sein werden. Zum Bespiel, welche Menschen du in dein Leben lassen möchtest.

Gib dir ein wenig Zeit, dich an die neue Situation zu gewöhnen. Das ist ein Prozess, das braucht vermutlich etwas.

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Oh, das Gefühl kenne ich… und ich finde es richtig…

Auch diese Klarheit, wie sich plötzlich die Kreise schließen…

Wie soll es denn weitergehen? Ruhigeres Fahrwasser? Fehler bewusst zulassen? Weniger Zettel? Struktur und Routinen wirklich können, ohne nachzudenken? Nicht sofort alles sagen, was du denkst?

Ja, der Perfektionismus… das wäre doch jetzt das, wo du nachlassen könntest… Gut reicht auch.

Aber ganz ehrlich… genieß es doch erstmal…

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Ja, alles erstmal schwer zu verdauen, wenn man plötzlich merkt, dass eigentlich genau das von dem du meintest, dass es gut ist, plötzlich wie Gift für dich scheint.

Ich hab mich halt jahrelang genau dran aufgehängt, dass es ADHS auf keinen Fall sein kann, genau weil ich ja alles so toll hinbekomme. Die mit ADHS sind doch die, die nix gebacken bekommen, hab ich immer gedacht.

Das das alles nur meine Taktik war damit umzugehen, hab ich dabei nie bedacht. Klar scheint es genau die Ruhe zu sein, die mir fehlte und die Erschöpfung kam daher, dass ich genau diese Ruhe nie zugelassen habe.

Ich hab vor 13 Jahren einen Alkoholentzug gemacht, bin seitdem trocken und komm eigentlich garnicht mehr klar, weil mein “Heilmittel” damit weg war. Ich hab meine ständige Unruhe im Kopfe auf alles geschoben… Wechseljahre, Job in drr Pflege… und und und

Jetzt muss ich erstmal sortieren, weil soviel Klarheit, so eine krasse Wirkung hat, dass ich wieder ganz andere Reize in mir spüre.

Ich bin sehr froh, dieses Forum hier gefunden zu haben und mich austauschen zu können.

Mir ist klar, dass ich jetzt nicht alles erreichen kann, was Jahre unterdrückt wurde. Dennoch ist es beängstigend soviele Dinge, wie zum Beispiel meine Ehe in Frage zu stellen. Doch andererseits verstehe ich plötzlich genau, warum ich in dieser Partnerschaft bin und immer gedacht habe, ich bin der Fehler im System.

Es brodelt im Kopf und ich glaube ich muss erstmal die Füße still halten, um nun nicht wieder irgendwelche vorschnellen Entscheidungen zu treffen und in die nächste Katastrophe zu latschen.:face_with_peeking_eye:

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Ja,ja, kann ich gut nachvollziehen. Ich fand diese Klarheit auch beeindruckend. Vieles aus meinem Verhalten in der Vergangenheit bekam eine plausible Ursache z.B. mein jahrzehntelanger Workaholismus, der mich Frau und Kind vernachlässigen ließ. Und andere schräge Verhaltensmuster mehr. Die Vergangenheit kann ich nicht ändern, aber meine Sehensweise darauf. Schuldgefühle konnten gehen.

Der Prozess, Verhalten aus der Vergangenheit anders zu betrachten, ist noch nicht abgeschlossen. Jedenfalls tun sich neue Möglichkeiten auf - zuerst in Gedanken. Was ich draus mache, hm…

Mir war noch nie so klar wie jetzt, dass ich jetzt “ich” bin und das kann ich mit Überzeugung im Moment raushängen lassen. Ich hätte es nach sovielen Therapien und Antidepressiva Versuchen nicht für möglich gehalten, dass es ne Pille gibt, die tatsächlich irgendwas positives mit sich bringt.

Wenn das so bleibt, wäre ich schwer beeindruckt und ich könnte mich tatsächlich mal in anderen Bereichen bewegen, statt permanent nur zu malochen, es allen recht zu machen und drei mal die Woche die Möbel im Kreis zu drehen. Hört sich wahrscheinlich lustig an, aber ist echt Genießer Modus im moment angesagt.

Mein Mann hat gestern schon gefragt, ob ich nen “Faulen” mache ? Ne ich chill mein Leben, ohne schlechtes Gewissen und einen scheiß muss ich heute !! :smiling_face_with_sunglasses:

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