Hallo!
Ich habe heute diesen Artiekl gefunden, weil ich mich momentan sehr mit Introvertiertheit auseinandersetze. Dort berichtet eine introvertierte Mutter wie sie den Alltag mit (extrovertierten) Familienmitgliedern meistert und wie es sie manchmal auslaugt.
Ja, so in etwa geht es mir auch.
Nur, dass ich nicht mit einer extrovertierten Familie zusammenlebe aber einen Beruf für mMn. extrovertierte Menschen gelernt habe. Und das sind jeden Tag 8h meiner Lebenszeit in einem System, was mich krank macht - einmal ist das System/die Branche eh schon krank und zweitens liegt es an meinen natürlichen „Spezifikationen“ (=Introvertiertheit), dass ich dort besonders schnell zugrunde gehe. Es endete bei meiner alten Arbeitsstelle in einer Depression und tiefer Verzweiflung und kurz vor Crash habe ich dann gekündigt. Damals noch nicht mit dem Wissen ausgestattet, dass meine „laute“ Arbeitsstelle mit für meine Depressionen verantwortlich war.
Wie oft saß ich nach Feierabend weinend im Auto, weil ich nichts mehr hören konnte, selbst haptile Reize nicht mehr ertragen habe. Ich war für mindestens 2h nicht ansprechbar, weil ich mich erstmal akklimatisieren musste. Kein Radio, kein Fenster auf bei der Rückfahrt bitte! Auch mein Freund hat sehr darunter gelitten.
Das habe ich erst bei meinem neuen Arbeitgeber herausgefunden, wo es wesentlich leiser und passender für Introvertierte ist. Erst jetzt merke ich wie fertig und kaputt ich damals war.
Der neue Job ist mit Patientenkontakt, aber mit viel „Alleinarbeit“ (=weniger extrovertierte Kollegen), deutlich mehr Arbeit am Bildschirm und mehr Sachen, die man organisieren muss (mehr Eigenverantwortlichkeit, was mir Spaß macht).
Als ich meine Einarbeitung dort hinter mir hatte, in einem Raum saß, in dem ich die Uhr ticken hörte, hätte ich fast angefangen zu weinen (seriously), weil diese Ruhe wie Balsam für mich ist.
Und, siehe da: habe ich meine Batterien auf Arbeit nicht komplett verbraucht für social interacting habe ich auf einmal Reserven für soziale Kontakte nach der Arbeit, die mir wichtig sind. Die sind zwar auch nicht zahlreich (ich bin eben intro), aber mir wichtig und seelenverwandt (eben auch Intros).
Ich zitiere mal ein Kommentar aus dem Artikel oben:
„Vielen Dank für den tollen Artikel. Auch ich (36,m) fühle mich oftmals erschöft in meinem Alltag und benötige ganz viel Ruhe und Zeit für meine Gedanken und um Erlebtes zu verarbeiten. Ich habe mich auch oft gefragt ob mit mir irgendwas nicht stimmt. Ich arbeite in einer Wohngruppe für Jugendliche und habe nun einen Sohn (3) und meine Tochter kommt die nächsten Tage zur Welt. Leider habe ich zu spät erkannt wer ich bin und was ich will und stecke nun in einem System, was viel von mir abverlangt (Arbeit und Familie). Viele wechselnde, laute, spontane Kontakte. Hätte ich mich früher intensiver mit mir auseinander gesetzt, hätte ich wohl einen anderen Weg eingeschlagen. Aber ich kann in einigen Momenten das Familienleben auch genießen.“
Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin ist das vermutlich auch ein Grund, warum ich (aktuell) keine Kinder möchte. Ich kann es einfach nicht leisten, mir fehlt dazu die Kraft. Hätte ich nach Feierabend ein lautes, evtl sogar extrovertiertes Kind daheim dann würde ich innerhalb kürzester Zeit in den totalen Zusammenbruch rutschen. Elternabende, Kitatreffen, andere Eltern einladen…ein Graus. Für mich verzichte ich da einfach drauf, das geht aber nicht mehr, wenn ich ein Kind hätte. Dann würde ich es für das Kind machen. Mich also in der Freizeit noch verbiegen müssen, obwohl ich das für den Job schon machen muss.
Ich schaffe meine Arbeit nur, weil ich daheim einen Ruhepol habe (mein Freund ist genauso ein Alien wie ich).
Auf diese ganze Eigenart kommt natürlich noch mein ADHS on top. Das Ritalin hilft mir, macht mich wesentlich ruhiger und weniger empfindsam. Die alte Arbeit würde ich damit trotzdem nicht meistern. Ich arbeit noch auf Minijobbasis dort und merke nach 1-2h wie die Nadel rückwärts wandert, wenn ich dort bin. So wie beim Auto der Tank schneller leer geht, wenn man beispielsweise im falschen Gang ist.
Es sind zu viele Menschen, zu viele Kollegen. Patienten laugen mich weniger aus, weil sie für mich „Arbeitsmaterial“ sind und ich das gleiche Prozedere mit ihnen durchgehe.
Seid ihr evtl selbst introvertiert und habt ihr einen Beruf gefunden, der damit konform ist?
Ich will den Exit aus dieser Branche, ich gehe lieber ins Lager und packe Sachen ein als nochmal in die Klinik zu gehen.
Warum nicht beim jetzigen Job bleiben? Nunja, erstmal Gehalt. Sehr wenig. Das stört mich nicht, weil ich mir keinen dicken Mercedes leisten kann, sondern weil mich das einfach direkt in die Altersarmut treibt. Gehaltserhöhungen gibt es auch nicht. Ebenso ist dieser AG eine kleine heile Insel mit guten Arbeitsbedingungen (abgesehen vom Gehalt), was völlig branchenuntypisch ist.
Sprich, ich möchte mich nicht für mein restliches Leben auf diese eine Karte setzen. Diese Zeit dort nutze ich zum regenerieren und zum orientieren. Wohin soll es mit mir gehen? Inzwischen weiß ich ja eine ganze Menge mehr über mich.
Kennt ihr Branchen, in die man als Quereinsteiger einsteigen kann, die für introvertierte Menschen geeignet sind? Morgens in der Bahn lese ich immer so viele Annoncen, die Stellen für Azubis aushängen.
Ich habe schon überlegt, ob ich mich initiativ bewerbe. Ich bin zwar älter, aber ich weiß auch wie der Arbeitsmarkt teilweise aussieht. Lieber einen Bewerber als gar keinen, oder?
Außerdem bin ich auch einfach eine gute Kraft, ich arbeite zuverlässig, bin pflichtbewusst, pünktlich und fast nie krank. Fachlich bin ich auch gut bis sehr gut - ich bekomme so viele positive Rückmeldungen von den Patienten.
Ebenfalls werde ich als Teammitglied sehr geschätzt. Also ich mache schon einiges richtig.
Ich will das bloß für dieses System nicht mehr hergeben. Ich bekomme durch meinen Freund mit wie schwierig es ist gute Arbeitnehmer zu finden. Hallo, hier bin ich doch! Tja, falsche Qualifikation…
Ich würde auch nochmal eine Ausbildung machen oder gar studieren (bloß da mache ich mir eben Sorgen, dass ich es nicht packe (ADHS)).
Familiengründung ist mit den jetzigen Bedingungen für mich gestrichen und wenn es nötig ist für eine Umorientierung darauf zu verzichten, dann ist es eben so. Ich bin für dieses Opfer bereit, da mein Kinderwunsch eh nicht sonderlich groß ist.
Evtl kann das jmd nachvollziehen, sich wiederfinden oder jmd. hat diese Situation schon erfolgreich gemeistert. Für Anmerkungen jeder Art bin ich dankbar. Und natürlich für den ein oder anderen Tipp zur Umorientierung
Liebe Grüße,
Irrlicht
PS: durch meinen Job sehe ich viele Patientenakten, wir haben ein sehr bunt gemischtes Klientel. Da sind auch öfter MPH-Kandidaten dabei und die stecken meist alle in kreativen Berufen. Freiberufliche Illustratorin hatte ich letztens Da muss ich immer ein bisschen schmunzeln. „Ich bin so wie du!“ will ich dann am liebsten sagen, das verbietet sich aber aufgrund der Professionalität
Menschen aus dem Gesundheitswesen sind auch vertreten…die nehmen auffallend oft Antidepressiva. Nicht alle, aber überproportional viele.