Lifestyle als AD(H)S-ler

Hallo,

ich habe mich etwas mit ADHS jetzt auseinandergesetzt. Meine erste Hypothese war, dass ADHS einfach nur eine Krankheit ist, eine Art Handicap. So kam es mir jedenfalls vor, weil mir relativ wenig Vorteile einfallen, die damit einhergehen. Die Prävalenz in der Bevölkerung ist aber zu hoch als dass das einfach nur eine Art Verkehrsunfall ist.
Es gibt auch einige interessante evolutionsbiologische Hypothesen, welchen Nutzen ADHS genau hatte in der Vergangenheit. Vermutlich war die Umwelt damals noch deutlich ADHS-freundlicher als heute. Beispielsweise kann sich das Bestreben nach einer stetigen Dopaminerhöhung als vorteilhaft in der Akquirierung von Ressourcen erweisen. Die Kehrseite ist natürlich heute, dass mit der breiten Verfügbarkeit „billiger“ Dopaminquellen wie Internet, Smartphones, Drogen etc die Gefahr für ein Abrutschen in unproduktive Verhaltensweisen deutlich erhöht ist. Im Krieg ist es absolut hilfreich sofort abgelenkt zu werden, wenn man hintersich hört, wie jemanden auf ein Ast tritt oder unter extremen Adrenalinmengen noch fokussiert sein zu können. Im normalen Alltag eher weniger.

Kann es sein, dass viele ADHSler, die unter starkem Leidensdruck stehen, versuchen einen Normie-Leben zu führen, und dabei einfach nur scheitern? Also quasi einen Lifetsyle leben, für den sie genetisch eigentlich überhaupt nicht angepasst sind? Braucht man als ADHSler nicht dauernd immer wieder neue Stimulierungen und Herausforderungen durch das Umfeld? Führen nicht vor allem hohe Stressbelastung, hohes Interesse und Leidenschaft an einer Sache zu einer erheblichen Symptomreduzierung? Meine Vermutung ist, dass ADHS-Medikamente genau solche Zustände mimiken. Methylphenidat erzeugt den Hyperfokus, den ich habe, wenn ich mich in eine neuees Thema reinfresse, es fühlt sich an als würde ich mich in einen Kaninchenbau hineingraben, und eine Spur verfolgen, die mich irgendwohin führt. Während Amphetamine genau das Gefühl von Entspannung und Ausgeglichenheit verschaffen, was ich unmittelbar nach einem Erfolg habe. Atomexetin habe ich nicht probiert, aber da es ein Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer ist, sollte eigentlich klar sein, was es macht und welchen Zustand es nachsstellt.

Ich habe das Gefühl, dass vielleicht gerade so mit Medikamenten auf die Funktionalität eines Normies bringe. Wenn man Lifestyle und eine Lebensituation ideal wäre, bräuchte ich keine Medikamente. Ich weiß nicht genau, wie die aussehen muss. Aber wahrscheinlich bedeutet das einen ständigen Zufluss von neuem Input, Herausforderungen und Thematiken, die mein Dopamin anheben.

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Interessante Gedanke, macht für mich Sinn!

Hohe Stressbelastung kann zwar für den Moment zu Symptomreduzierung führen, aber auf Dauer macht es das ganze System kaputt. Ich meine, wenn du ein Bugatti (fun fact: dachte immer, es wäre italienisch, kommt aber aus Frankreich) ständig mit 300 kmh fährst, geht es auch schneller kaputt.

Ich hoffe wirklich, dass wir es bald nicht erfahren müssen.

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Der Gedanke ging mir schon sehr oft durch den Kopf. Ich folge da einer Youtuberin, die lebt in ihrem Holzhäuschen irgendwo abgeschieden im Wald. Sie renoviert ständig immer was in ihrem Haus oder lebt dann wieder für eine gewisse Zeit in ihrem umgebauten Van und fährt in die Sonne. Ihr Job ist es, alles für Youtube zu dokumentieren. Sie hat auch ADHS und ich denke mir immer, wie die ihren Traum lebt - sie hat ihren ganz eigenen Rhythmus, ist ihr eigener Boss und hat eine ganze Followerschaft als accountability buddies, so dass sie weiterhin brav ihre Videos fabriziert. Medikamente nimmt sie sicherlich nicht. Ihre Diagnose hat sie auch erst seit Kurzem.

Ist natürlich ein Lebensstil, den wir uns nicht alle ermöglichen können. Aber ich denke mir oft, wenn ich wüsste, worin ich wirklich gut bin und was ich wollte, dass ich dann meinen Job auch gut machen würde bzw. vielleicht sogar selbständig arbeiten würde, das war schon immer mein Wunsch. Ich weiss bloss nicht womit und glaube auch nicht daran, dass ich es ernsthaft schaffen könnte (bin noch am Anfang meiner Therspie und Medikation).

Auch ADHSler haben ihre Stärken, aber mehr Mühe damit diese zu erkennen und auszuleben. Von daher interschreibe ich Deine Aussage ja, wären meine Lebensumstände auch ideal, bräuchte ich auch keine Medis. Aber das ist sicherlich auch sehr individuell und vielleicht auch vom Schweregrad abhängig.

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Jonna Jinton? :smiley:

Ne, Hannah Lee Duggan :sweat_smile:

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oke, zieh ich mir mal rein :smiley:

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Hallo Nachtigall,

nein, das ist nicht meine Erfahrung. Mit Medikamenten bringe ich mich in einen Zustand, mir aussuchen zu können, ob ich Normal oder Unnormal sein möchte.

Ohne Medikamente gelingt mir noch nicht mal, richtig unnormal zu sein.

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Hi @Nachtigall
ich denke auch Menschen ohne ADHS quälen sich in Jobs die sie unterfordern oder eben keine Freude bringen. Auch zwischenmenschlich läuft da oft nicht alles rund.
Die arrangieren sich eben mit prekären Umständen besser. Oder verarbeiten sowas anders.
Tausende Hochschulabsolventen flüchten jeden Tag aus ihrer Heimat und putzen erstmal ein paar Jahre oder fahren hier bei uns Pizza aus.
Das kommt mir natürlich erstmal auch nicht, wenn ich mal wieder mit der „Gesamtsituation“ unzufrieden bin😃

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Absolut. Aus meiner Perspektive 100%.
Gerade was das Thema Job, Beruf, Beziehungen, Freundschaften angeht.
Ich bin bei allem permanent gescheitert und bin langsam (endlich) soweit das alles so zu akzeptieren, mir keinen Druck mehr zu machen, oder mich deswegen negativ zu beurteilen, mit anderen zu vergleichen und keine Einsamkeitsgefühle mehr zu haben. Meinen eigenen Weg zu gehn und das völlig ok zu finden…

Ich habe auch inzwischen ein dickes Fell gegenüber Einflüsterungen, Vorwürfen, eigenen Schuldgefühlen usw.
Oder es prallt nur noch an mir ab.

Es ist wirklich so wie alle erfahrenen Psychologen ( und Menschen generell) sagen: Akzeptanz ist der Schlüssel.
Nur kommt diese von selber, lässt sich nicht einfach mal so herbeiführen.

Guckt euch mal Jonas Deichmann an, der hat ja in Mexiko den Spitznamen „El Forrest Gump alemán“ bekommen.
Ein Triathlon um die ganze Welt, komplett allein. Ein absolutes Vorbild…

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@KryptoTrillionär darf ich Dich mal virtuell knuddeln?, auch wenn das jetzt nach Kalenderspruch tönt, mach Dich nicht selber runter.
:hugs::heart::sun_with_face:

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Ich mach mich doch garnicht runter. Über den Punkt bin ich ja glücklicherweise hinaus :wink:

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Free your mind and the rest will follow!
Tolle Sache, ich wünsche ich wäre so weit!

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Ja ich weiss :wink:, ich bin auch über meine schlimmsten Phasen hinweg, aber trotzdem gibt es manchmal Tage an denen es weniger gut geht, wo man mal wieder einen „Durchhänger“ hat, und ich dachte ich hätte ein kurzes „aufblitzen“ davon aus Deinem Text „rausgelesen“. :wink:
Aber typisch „hochsensible“ halt (ich), sieht hinter jeder Schlossmauer ein Gespespenst, selbst wenn garkeins da ist. :joy:
Hauptsache es geht Dir gut. :heart:

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Ich hoffe nur dass das jetzt auch anhält.
Man weiß ja nie…
Sport hilft natürlich auch, meine Kombi aus „Homepumping“ und Rennradeln ist äußerst effektiv.
Nur mein Mimik/Lächel-Problem ist leider noch ziemlich präsent. Gerade als Reaktion funktioniert da nix.

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Durchhänger hab ich oft, gerade das häufige Nichtwissen was mit dem Tag sinnvoll anzufangen ist…
Und das Keinenbockhaben auf nötige Dinge wie aufräumen, abwaschen, putzen :confused:
Mich erschlägt der Berg schonwieder…

Aber im Sommer ist allgemein mehr los, man trifft draußen öfters mal jemanden oder ist mal irgendwo beim Grillen dabei…

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Hey @Nachtigall

Ich stimme dir vor allem in deinem folgenden Punkt zu: "

Kann es sein, dass viele ADHSler, die unter starkem Leidensdruck stehen, versuchen einen Normie-Leben zu führen, und dabei einfach nur scheitern

Ich fühle mich echt genauso. Eigentlich setze ich mich (leider) noch total unter Druck, um in dieser heutigen Leistunggesellschaft klarzukommen. Noch heute habe ich mir heute gedacht „Ich kann mit diesem Tempo einfach nicht mehr mithalten“ und das ist mir alles tooooooooooooooooooo much aber ich denke, hier wäre es genau angebracht die radikale Akzeptanz mit ins Spiel zu holen und diese Tatsache zu akzeptieren - und mich selbst mich nicht mehr unter Druck zu setzen um „mithalten“ zu können :slight_smile:
Das ist auch mein Ziel.

@KryptoTrillionär Respekt & mega cool, das du es schon an diesen Punkt geschafft hast :tada:

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Hallo Nachtigall

Meine Psychotherapeutin in der Reha hat mir das Adhs einmal so erklärt!
In dee Steinzeit gab es Jäger und Sammler !
Und als Jäger musste man immer und überall auf der Hut sein , sonst hätte man aufgrund der vielen wilden Tiere nicht überlebt.
Wenn z.b ein wildes Tier einen zu kam konnte mann schnell agieren und durch den Adrenalienausschuss dann auch schnell fliehen bzw andere vor der Gefahr warnen!

Eigendlich habe ich auch das Geschick in Krisensitionen gute praktische Ideen zu haben, die dann auch schnell umsetzen kann , nur in welchem Beruf ohne Abi wird das gebraucht?
Nur diese Eigenschaft wird heute halt so gut wue nicht mehr gebraucht!
Daher wirkt mann dann eher hektisch und andere Menschen sind davon genervt.
Förster soll der Ideale Beruf für Menschen mit ADHDS sein.
Das einzige Manko mann muss dafür studieren!

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