Logorrhoe bei ADS

Hast Du schon mal zum Stichwort „Misophonie“ ein bisschen quergelesen? Belastet ja viele Familien-Essen extrem und scheint mir immer noch vergleichsweise wenig bekannt.

Oder auch Hyperakusis: Mein Vater fand es immer eine Qual, wenn er am Wochenende auf dem Sofa lag und einer von uns hat Geschirr in den Schrank eingeräumt. Das hat evtl. meinen Feminismus befeuert. Denn ich dachte: liegt da faul rum und spielt sich auch noch auf. Heute kann ich mir langsam vorstellen, dass er eben „was anderes gehört hat als ich“.

Immer alles nicht als Entschuldigung, natürlich. Ich merke nur Schicht für Schicht, dass einige Gespenster von früher (und heute) wie von selbst ein bisschen weniger spuken, wenn sie eine einigermaßen „naturwissenschaftliche Erklärung“ und Einordnung kriegen. So als könne man in der Zeit zurückreisen, sich mit an den Tisch setzen und den Kindern versichern, dass es nichts mit ihnen zu tun hat.

@AbrissBirne
Das ist sicherlich so, dass in vielen Familien kaum noch miteinander kommuniziert wird. Bisschen zu meiner Situation: ich bin erst im Alter von 50 auf ADS getestet worden, habe meine Diagnose also erst sein einem Jahr. Von Zuhause bin ich schon mit 18 ausgezogen…
Mit meiner Mutter habe ich klar noch mehr Probleme. Es ist aber extrem schwierig wenn gar unmöglich, sich mit ihr zu unterhalten. Weil sie eben, wie @artemienvy so treffend beschreibt, mit nicht enden wollenden Redeschwallen antwortet und das ist wirklich irgendwann psychisch zermürbend.
Meine Mutter hat ein ziemliches Selbstwertproblem. Wenn man ihr also mitteilt, wie anstrengend ihr Verhalten für ihr Gegenüber ist, dann legt sie extra noch eine Schippe drauf. Dann macht sie mit Absicht weiter. Weil man sie ja kritisiert hat.
Nach dem letzten Besuch bei ihr bin ich tatsächlich in eine Depression abgerutscht, so sehr hat mich das fertig gemacht. Dieses uneingeschränkte Zugreifen auf mich ohne Rücksicht. Dass sie ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass ich die ganze Zeit ihr zur Verfügung stehen muss. Dass ich keine eigene Gedanken, Vorstellungen zu haben habe, dass ich meine komplette Freizeit nur dafür zu verwenden habe, ihr zuzuhören. Das hat mich dermaßen getriggert, dass ich komplett abgerutscht bin. Es ist eigentlich nicht nur das Dauertexten, es ist, was dahinter steht und was ich meine komplette Kindheit und Jugend über erlebt habe: dass ich kein eigenes Ich zu haben habe. Dass sich alles um meine Mutter und ihre Befindlichkeiten zu drehen hat.
Oh man…zu Glück hab ich diese Woche noch einen Termin bei meiner Therapeutin…

Viele Grüße!

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Naja @HundUndIch, ich meinte ja nur, das es sich lohnen könnte die Sichtweise darauf, nicht zu eingeschränkt zu sehen, mehrere Sichtweisen auf die Problematik zuzulassen.

Aber im Endeffekt, weisst sowieso nur Du, was das beste für Dich ist, oder wie Du damit umgehen willst.

Ich für meinen Teil, bemühe mich nach wie vor darum, meine zuweilen einseitige Sicht auf Dinge, Situationen, Menschen, mich selbst, zu erweitern.

Auf jeden Fall habe ich aber grosses Verständnis für Dich, und es tut mir leid, das Deine Beziehung zu Deiner Mutter so schwierig ist, sowas ist schwer.

Danke @HundUndIch, nun kann ich selbstverständlich VIEL besser verstehen was Dein Anliegen ist, jetzt ist mir einiges klar. :wink: :+1:

@HundUndIch , ich kenne das Thema Logorrhoe übrigens von meinem alten Herren.

Der war ja nie für uns Kinder da, jedenfalls nicht, wenn man ihn wirklich gebraucht hätte.

Er hatte immer wichtigeres im Leben zu tun, als sich um seine Kinder zu kümmern.

Aber wenn er da war, hat er immer nur über sich selbst gesprochen.

Auch viel später, als ich verheiratet war, eigene Kinder hatte, sprach er immer nur über sich selbst.

Wie toll er ist, was er alles kann, was er alles weiss, was er über die Menschheit denkt, er hatte immer auf alles eine Antwort, egal ob man danach gefragt hat, kurz und gut, er laberte ohne Punkt und Komma, IMMER nur über sich SELBST.

Nach eigener Recherche kam ich zum Schluss, das es sich bei meinem Vater um eine narzisstische Störung handeln könnte.

Aber ich bin ja keine Psychologin, deshalb ist es letztendlich nur eine „Vermutung“ meinerseits.

Jedenfalls habe ich niemals wieder, in meinem ganzen Leben, einen Menschen wie meinen Vater getroffen, der stundenlang immer nur über sich sprechen konnte : Ich, Ich und nochmals Ich, das scheint sein ganzer Lebensinhalt zu sein. :scream:

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Es tut mir sehr leid, dass Du offenbar ebenfalls viele extrem belastende Erfahrungen in Deiner Kindheit und Jugend machen musstest. Die Wutausbrüche kenne ich nur zu gut. Einmal habe ich mich als Grundschülerin bei den Hausaufgaben verschrieben, sie hatte den Tintenkiller. Es folgte Geschrei und eine derart schallende Ohrfeige, dass ich Nasenbluten bekam. Über diese „Begebenheit“ sollte ich auf Ihr Geheiß dann auch noch lügen (Unfall gehabt, gestoßen …). Ich bin zum Glück ein Einzelkind. Klar, als ich klein war fühlte ich mich entsetzlich einsam (mutterseelenallein, im wahrsten Sinne des Wortes) und hätte gerne Geschwister gehabt. Das hat sich später gegeben. Heute bin ich froh, dass nur ich durch diese Hölle von Elternhaus gehen musste. Schlimm ist, dass so viele Menschen mitbekommen haben, dass mit ihr definitiv etwas nicht stimmt und ich regelrecht misshandelt werde. Niemand hat mir geholfen, es hat niemanden interessiert. Sie hat mich sogar in der Öffentlichkeit mitten auf der Straße „zusammengeschrien“, die Leute drehten sich nach uns um und schauten. Mehr nicht.

Heute ist sie geschieden, eine ältere Frau, nicht mehr so fit, nicht mehr in der Lage sich um sich selbst zu kümmern (war sie genau genommen nie). Ich habe ihr verziehen, nur vergessen kann ich nicht. Der Alltag mit ihr ist natürlich nicht gerade einfach, zumal sie sich nicht grundlegend geändert hat. Ich bin ihr aber nicht mehr ausgeliefert und das wissen wir beide.

Ich wünschte, ich könnte Dir irgendeinen Rat geben aber ich bin selbst noch so oft ratlos und es gibt kein Patentrezept, nicht einmal Tipps. Jeder ist ein Individuum und empfindet Situationen eben auch individuell. Hoffentlich findest Du eine für Dich passende Lösung.

@Elementary: es ist „witzig“, dass Du Misophonie und Hyperakusis ansprichst. Ich bin mit beidem gesegnet. :sweat_smile:
Es gibt Essgeräusche, die machen mich (innerlich) rasend. Ratet mal wer bei uns derartige Geräusche bei jeder Mahlzeit macht. Eins meiner Kinder kaut allerdings auch eher geräuschvoll, trotz geschlossenem Mund und auch dieses akustisch vernehmbare Kauen ist mir unangenehm. Es liegt also nicht etwa daran, dass ich die Person an sich nicht mag oder etwas in der Art.
Hyperakusis: es gibt Geräusche und Tonlagen die mir physisch Schmerzen bereiten. Sie tun mir tatsächlich in den Ohren weh. Bemerkt habe ich das zum ersten Mal, wenn ich angebrüllt wurde. Genau diese Stimme, genau diese Tonlage und Lautstärke kann ich nicht ertragen aber auch ähnliche (grelle) Stimmen empfinde ich als quälend.
Schlägt jemand einen Nagel in die Wand oder knallt mit einer Tür, muss ich unwillkürlich zwinkern. Das war schon immer so.

@alle: ich frage mich ob es für Senioren auch noch Therapiemöglichkeiten gibt, falls Ad(h)s diagnostiziert wird. Gibt es da eigentlich Erfahrungswerte?

Liebe Grüße

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Super das Du das ansprichst @artemienvy , ich kann Deine Erfahrungen zum Teil nachvollziehen.
Auch ich und meine beiden Geschwister, wurden sowohl körperlich, wie psychisch misshandelt, von beiden Eltern.

Mein Vater, war der extrovertierte narzisstische Part, meine Mutter der introvertierte, aber möglicherweise AUCH narzisstische Part, glaube man nennt das Co narzisstischen Partner?, in der Ehe mit meinem Vater.

Wie auch immer, Gewalt war in unserer „Familiengeschichte“ irgendwie „Alltag“ im Leben meiner Geschwister und mir, meine beiden Geschwister, mussten sogar noch VIEL mehr körperliche Gewalt ertragen, als ich selbst unter meinen Eltern leiden musste.

Wahrscheinlich bin ich selbst, durch diese „Erlebnisse“ von Gewalt, innerhalb der Familie, dermassen „geprägt“, das ich auch HEUTE noch, nur Schrecken, bis hin zur totalen „Erstarrung“ kenne, sobald ich irgendeiner Art von Gewalt ausgesetzt bin.

Ich selbst, verabscheue Gewalt, von jeher, wen wundert’s, da ich selbst WEISS, wie es sich „anfühlt“ sich nicht wehren zu können, den kürzeren zu ziehen, körperlich unterlegen zu sein.

Vielleicht reagiere ich dann, sogar noch HEUTE, wie dieses kleine Mädchen, das sich nicht wehren kann, Angst hat?.

Andererseits kann ich dann auch total „ausrasten“, werde zu dieser „Bestie“ die mich selbst gedemütigt hat, die mich selbst, in meinem Inneren, total erschüttert hat.

Obwohl: Nein, ich konnte nie wirklich so sein!, obwohl ich zugebe, das auch ich, immer wieder, in Gefahr war, dem „Muster“ meiner eigenen Familiengeschichte zu folgen, womöglich „auszurasten“, aber im Gegenteil, ich war, bin, immer anders gewesen, habe mich mit Leibeskräften dagegen gewehrt, genau gleich, wie meine Eltern zu sein.

Meine eigenen Kinder, habe ich nie geschlagen, nie zu etwas gezwungen, was sie selbst nicht wollten.
Es war, und ist, mir ein Anliegen, das meine Kinder, so sein können, wie sie sein wollen, in allen Belangen ihres Lebens.

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Letztendlich erzeugt Gewalt, egal in welcher Form, immer Gewalt, selbst wenn sie sich am Ende nur gegen einen selbst richtet, wie bei mir.
Wenn man sich am Ende selbst hasst, für Ding für die man weder etwas kann, noch verantwortlich dafür ist.
Was bleibt, sind die Selbstzweifel, das Unverständnis, die Frage, warum ich?, warum musste mir das passieren?.
Am Ende immer wieder sinnlos, zermürbend, ohne jegliche Grundlage, und doch lässt es einen nicht los.
Ausser man zieht selbst einen Schlussstrich darunter, lernt die Vergangenheit hinter sich zu lassen, und trotz allem was war, in die Zukunft zu blicken.
Das ist die einzige Chance, die man hat.

Sorry übrigens, das ich selbst, zumindest zeitweilig, unter Logorrhoe leide, komme mir gerade so bescheuert vor, bin halt wahrscheinlich auch irgendwie total daneben. :exploding_head:

Trotz allem, habe ich meinen Eltern verziehen, denn auch sie, oder besonders sie, hatten weder eine schöne, noch unbesorgte Kindheit, sind in Trümmern nach Ende des 2. Weltkrieges aufgewachsen.
Sie wussten es nicht anders, wie man „richtig“ mit Kindern umgeht.
Mein Vater war 18, als er Vater wurde, meine Mutter war 21, halbwaise, hatte ihren Vater im Krieg verloren, ihre Mutter war arbeitslos, litt unter schwersten Depressionen, war als „Allein erziehende“ mit ihren Kindern überfordert.
Eine Medaille hat immer zwei Seiten, eine Geschichte, hat immer eine Vorgeschichte.

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Ist seltener, aber ich habe es mal als AD(H)S-Symptom betrachtet.

@anon94021787 , Danke für Deine Antwort.
Verzeihen bedeutet für mich soviel wie: nichts mehr nachtragen, nicht mehr sauer sein.

Natürlich empfinde ich sehr ähnlich wie Du wenn ich an meine Eltern denke, aber eben, wie Du selbst schreibst, mit den alten Eltern diskutieren geht nicht, ist sinnlos, raubt einem nur den letzten Nerv.

Mit meinem Vater schon garnicht, er ist sich keiner Schuld bewusst, im Gegenteil, er besitzt sogar noch die Dreistigkeit uns Kindern zu sagen das wir schuld seien, unsere Probleme „Hausgemacht“ seien, jeder sei selbst für sein Schicksal verantwortlich, weist jede Verantwortung von sich.
Den Kontakt zu meinem Vater habe vor Jahren ganz aufgegeben.

Zu meiner Mutter, die ihren Anteil schuld anerkennt und sich schon seit langem bemüht hat, ihre Schuld wieder gut zu machen, habe ich immer noch Kontakt, wenn auch nur noch wenig, und nicht an Weihnachten.

Das schöne deutsche Wort „verzeihen“ klingt doch schön, fast schon bedeutungsvoll, feierlich.
In Wahrheit bedeutet es aber schlicht und einfach, mehr oder weniger soviel, wie ich weiter oben geschrieben habe.

Denn verzeihen ist zum Beispiel nicht gleich vergeben, oder vergessen.
Naja, „hinter sich lassen“ ist vielleicht eh das beste was man machen kann, die Vergangenheit dort lassen wo sie hingehört, in die Vergangenheit.
Lieber den Blick nach vorne richten, in die Zukunft.

@HundUndIch , entschuldige bitte das ich hier soviel gelabert habe, immerhin habe ich aufzeigen können, zum Verständnis anderer, was Logorrhoe ist.
:wink::joy::rofl:

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