Bei mir auch beides (und auch sonst ist die Beschreibung von @Hibbelanna ein ziemlicher Homerun bei mir).
Beides auch deshalb, weil sich mir derzeit immer mehr „aufdrängt“, dass meine Eltern „nicht anders konnten“, weil sie eben selbst auch betroffen sind/waren. Und manche Überreaktion, die heute noch im Inneren Kritiker fortlebt, erschließt sich mir heute dadurch, dass sie Veranlagungen in mir erkannt haben, die sie von sich selbst kannten (ohne Wissen um die Ursache) und panisch auf die Zukunft „hochgerechnet“ haben. Ob und wie schwer damit Versöhnung möglich ist, hängt vermutlich auch am individuellen Komorbiditäten-Cocktail der Familienmitglieder.
@julai, Ich habe selbst nicht zehnmal zu dem von Dir beschriebenen Ausweg gegriffen, aber ein paar Mal war es bei mir ultima ratio, um aus einem Zustand, den ich heute Dissoziation nennen würde, asap in die Gegenwart zu kommen. Sei es durch das reine Spüren der eigenen Außenhülle als Grenze oder durch das Ausschütten von körpereigenem Schmerzmittel.
Und dieses Herbeiwünschen/-phantasieren eines fürsorglichen, wohlwollenden Gesprächspartners kenne ich auch. In der Phase habe ich mal alle Staffeln von „In Treatment“ geguckt, um dafür Material zu bekommen. Inzwischen deute ich solche Signale eher so, dass mein Unbewusstes damit was bei mir bestellt: jemanden, der sich um mich kümmert.
Ich finde „im Rückblick unkende ältere Frauen“ immer ganz schrecklich und möchte selbst keine sein und werden… Einen Erfahrungswert trotzdem, wenn ich darf, weil ich ihn meinem jüngeren Selbst gerne geben würde:
Je früher man sich erlaubt, dass man sich Medikation wert sein darf und auch sonst die allerbeste zu findende Behandlung … und/oder auch mal zwei Wochen Klosterruhe, um sich wieder zu spüren, desto besser… Ein bisschen ist das mit einem Haus vergleichbar: Wenn wir in der Phase von Fundament und Erdgeschoss an die eigenen Grenzen und darüber hinausgehen… (und die eigenen Grenzen physisch zu öffnen/verletzen, ist ein ziemlich gutes Zeichen dafür, dass sie überschritten wurden), mag das immer noch „gerade so gut gehen“ und sich teilweise sogar ziemlich cool und edgy anfühlen, aber auf das Fundament und das Erdgeschoss soll ja auch noch eine tolle 1. Etage, mit Balkon und Blick bis zum Horizont. Vom Dachgeschoss gar nicht zu reden.
Weniger blumig: Was mit 20/30 noch geht, geht mit 40 evtl. nicht mehr. Und Deine 40-jährige Version wird Dir danken, wenn Du Selbstfürsorge und Fürsorge anderer für Dich nicht nur in der Phantasie zulässt. Auch wenn es vielen anderen auf der Welt noch schlechter geht. Und selbst wenn Du es nur machst, „um Dich funktionsfähig zu halten“ und dann in Bestform die Welt zu retten und die Klimakrise abzuwenden oder aus welchen Motiven auch immer es sich lohnt, das Seelenhaus weiterzubauen.