Mal zwei Wochen ohne alle Medis ausprobieren - wo kann man das?

Hattest du das denn schon früher,oder hat das auch Entzugserscheinungen?

Das ist ja eigentlich ein Problem der Selbstwahrnehmung, was auch zu ADHS , zur Aufmerksamkeit gehört.
Das wollte ich einfach noch dazu sagen, weil ich das wichtig finde.

Bei mir war das ziemlich fest, das ich mich nicht wahrgenommen hatte und mit Medikation habe ich mich plötzlich wahrgenommen. Bei zuviel Medikation wurde ich noch mehr Ich Bezogen (egozentrisch) als sonst…

Ich freu mich mega über so viele Rückmeldungen!

Ich bin jemand, der sich nicht entscheiden kann, ob Elvanse oder Mph besser ist. Ich vertrage beides… darum hat mein Arzt mir einfach beides verschrieben (ich denke mir immer, was denkt bloß die Apothekerin von mir, ein BTM-Rezept mit gleich zwei Stimulanzien drauf :smiley:). Mph macht sich besser im Uni-Alltag, wenn ich feste Essenszeiten habe und so, Elvanse ist in unstrukturierten Situationen mit viel sozialer Interaktion besser, oder wenn ich keinen Bock auf den Rebound habe weil ich Abends noch zu was zu gebrauchen sein will :wink:
Was man sonst noch ändern kann weiß ich nicht genau… ich nehm noch Escitalopram (eine winzige Menge von 4mg), da frage ich mich auch inzwischen wie es ohne wäre, aber das zu reduzieren ist schon ein größeres Projekt, weil es lange dauert und wer weiß was für Nebenwirkungen auftreten…


Jaaa Watte… genau das habe ich vor.


Mein Psychiater sagt auch, ich solle Stimulanzien nicht jeden Tag nehmen. Ich bin gerade mitten in der Prüfungsphase und lerne auch am Wochenende, aber als ich es mal ohne probiert habe, ging das mit dem Lernen erstaunlich gut. Den Gegenwind auf dem Fahrrad beim Nachhauseweg habe ich dafür überhaupt nicht ertragen und bin voll „psycho“ geworden (laute Selbstgespräche) und war danach extrem erschöpft (vielleicht habe ich mich beim Lernen schon verausgabt? Keine Ahnung). Also für ein-zwei Tage geht es supi, es kostet dann eben alles mehr Energie, und die ist irgendwann aufgebraucht… das macht sich nach mehreren Tagen/Wochen dann voll und ganz bemerkbar, denke ich.

Wenn ich weniger Stimulanzien nehme, muss ich auch weniger vom Neuroleptikum nehmen, weil sich die etwas gegenseitig von ihrer Wirkung nehmen (nicht vollständig, weil andere Dopaminrezeptoren betroffen sind). Wie gesagt, für einen außenstehenden Arzt eine unplausible Kombination, aber bei mir funktioniert es.

Ich meine nicht die ADS-Kreativität (ich denke die ist auch mit Medikation da?), sondern die Kreativität, die ich ohne das Neuroleptikum habe. Das führe ich noch aus…

Das ist ein Symptom meiner Schizotypen Störung (F21, bei mir eher eine Tendenz als das ganze Störungsbild).
Depersonalisation/Derealisation und ungewöhnliche Wahrnehmungen stehen in den Diagnosekriterien. Bei mir kommen dann noch starke soziale Ängste, Grübeln, dysmorphophobe Gedanken (das Gefühl, der eigene Körper sei entstellt) und sozialer Rückzug dazu. In meinem Arztbrief steht noch „sozial bizarr auffälliges Verhalten“ (ich musste so lachen, aber naja, vielleicht hat sie recht). Und ich habe eine Tendenz, verrückte oder bizarre Sachen zu machen. Mit Amisulprid (dem Neuroleptikum, um das es geht) sind die Symptome quasi ganz weg und ich bin sehr „normal“, es ist echt erstaunlich, das Zeug.

Nach seinen Schwächen zu leben scheint mir auch nicht wirklich sinnvoll - das klassische Problem des AD(H)S-Underachievers, der sein Potential nicht ausschöpfen kann… das macht mich immer traurig irgendwie. Gerade weil AD(H)S-ler aus meiner Erfahrung so richtig leidenschaftlich sind in dem, was sie tun!

Ja, das ist ein beruhigender Punkt - ich bin ja vor 1,5 Jahren erst in diese Stadt gezogen und da ist noch nicht viel mit „Konstanten“ im Leben. Vertrautheit nimmt enorm viel von der Reizüberflutung, und ich muss mir noch meine Orte suchen, wo ich auftanken kann…

Hehe, bei „Versuchsanordnung“ muss ich an einen Comic von xkcd denken: https://xkcd.com/242/
Man könnte sagen, das ADS ist wie vom Blitz getroffen werden, und das Hebel drücken ist das Weglassen der Medis… idealerweise ist das mein Motiv: mehr Daten sammeln, um mir über das Phänomen klarer zu werden :wink:

Aber du hast Recht, ich habe Zweifel, und ich mache mir wirklich Sorgen, ob ich es nicht einfach cool finde, leistungssteigernde Medikamente zu nehmen, ohne dass ich wirklich eine psychische Störung in dem Ausmaß habe, dass das indiziert wäre.
Ich mache mir generell über vieles Sorgen, aber über das recht häufig. Wenn ich den Gedanken für komplett unplausibel befinden würde, könnte ich mich auch davon freimachen - aber da gibt es vielleicht leider keine endgültige Antwort, weil das alles so subjektiv und schwer messbar ist. Wenn ich wirklich ohne Medis mit meinem Alltag überfordert bin, habe ich die Berechtigung, sie zu nehmen. Ich habe schon immer sehr hohe moralische Standards an mich… und will nichts Falsches tun. Daher sind so ein paar Wochen ohne eben auch ein Test: Erfülle ich die Diagnosekriterien ohne die Medis, oder nicht? Aber leider sind die auch wieder so auslegbar… und wenn ich mein ADS dann testen wollte wäre der Zeitraum auch wieder zu kurz, weil sich ADS nun mal in langen Zeiträumen am ehesten bemerkbar macht (man braucht ja entsprechend viele Situationen von Verpeiltsein und so).

Mein Motiv setzt sich daraus zusammen, und gleichzeitig aus dem Wunsch, wieder meine Persönlichkeit ohne Amisulprid zu spüren.
Also ja, da sollte ich nochmal reflektieren, das stimmt…

Liebe Julai,

wenn ich Deine älteren Beiträge, auch in der ADW, richtig erinnere und Dich hier richtig verstehe, fällt mir - etwas abseits von der Frage, wie/wo Du einen Auslass- und Naked-ohne-Medis-Kennenlernversuch machen könntest, auf, dass es ein durchgängiges Thema geben könnte, nämlich

  • nicht zu genügen / nicht genug wert zu sein um xy verdient zu haben

Das wäre für mich so ein roter Faden von

  • sich einen sorgenden Therapeuten wünschen, aber zu glauben, ihn nicht verdient zu haben, weil Du nicht genug leidest (sondern Probleme „produzierst“ um Aufmerksamkeit zu bekommen)
  • ungewöhnlich hohen ethische Standards (and I adore that!!! Hätte gern mehr von Deiner Sorte um mich rum!! Würde sofort eine Selbsthilfe- und Selbstfeiergruppe der Nichtflieger*innen mitgründen :stuck_out_tongue: )
  • körperdysmorphe Überzeugungen
  • und jetzt: sich nur schlauzudopen, mit unlauteren Mitteln akademischen Erfolg erreichen.

Kannst Du was damit anfangen? Bis auf das erste ist mir das alles auch gut bekannt, vielleicht springt es mich deshalb an.

Wünsche Dir jedenfalls jede Menge Wohlwollen Dir selbst gegenüber und Sich-Gutes-Gönnen-Können - sogar ein durch Medis normalisiertes Hirn :wink: . Wenn Du mit dieser Perspektive draufschaust, ändert sich möglicherweise noch einmal etwas am Verständnis Deiner Motive für die Auszeit.

Cassiopeia

Danke, das hat viel Introspektion ausgelöst gestern! Ich kann damit etwas anfangen - und irgendwie weiß ich trotzdem nicht weiter.

Ich gehe eigentlich davon aus, meine Selbstwertprobleme behoben zu haben. Klar, das ist naheliegend und auch möglich, dass ich irgendwo noch welche habe, aber ich halte eine andere Erklärung für wahrscheinlicher. Ich scheine eine eher strenge Überzeugung von Verzicht und Bescheidenheit zu haben - und da könnte ich definitiv einen roten Faden ziehen:

  • Suffizienz für den Umweltschutz als großes Thema; daher verzichte ich auf alles mögliche: ich hatte bis vor kurzem keinen Staubsauger, habe kaum Küchengeräte und kaufe mir fast alles gebraucht (gerade z.B. trage ich außer der Unterwäsche nur second hand, auch dreiviertel meiner Schuhe sind gebraucht). Dazu kommt Verzicht auf viele Lebensmittel (bin 90% vegan, kaufe viel unverpackt und saisonal), Flugreisen (und yey schön dass du das auch gut findest!! Ich kenne da auch ein paar Initiativen…) und teilweise sogar Videostreaming, weil ich mal gehört habe, wieviel Strom das braucht… bei Heizung und Warmwasser muss ich mich auch eher überwinden, es zu benutzen… naja und in meinen extremen Phasen konnte ich quasi nicht normal einkaufen gehen ohne mir endlos Gedanken zu machen (oder ähm ich mache mir immer noch endlos Gedanken :smiley: aber es ist viel besser geworden).

  • Das ist auch in anderen Bereichen so, z.B. Unterhaltung. Ich kann mir nur ganz schwer etwas gönnen, was unproduktiv ist und mich aber entspannt. Ich bin da immerhin drauf gekommen und habe mir eine „Unproduktivitäts-Liste“ gemacht wo so Sachen draufstehen wie „sinnlos in Wikipedia surfen“ oder so (ich finde das entspannend), aber es fällt mir trotzdem so schwer, mir etwas Unproduktivität zu gönnen (wobei ich alles mögliche produktiv finde, inkl. Malen, Gitarre spielen oder draußen Wildkräuter sammeln oder Kontakte pflegen - halt etwas Nützliches oder was zu persönlichem Wachstum beiträgt). Ich schaue z.B. auch keine Serien und spiele keine Computerspiele (auch weil ich Angst habe das dann stundenlang zu tun und mich nicht mehr unter Kontrolle zu haben… aber auch weil ich sehr wählerisch bin und mir eh nur wenig gefällt) und schaue nur wenig Youtube oder so (der Rest der Welt scheint das ständig zu tun oder?)

  • Während meiner Essstörung und auch später hatte ich oft das Gefühl, nicht essen zu „dürfen“ und gleichzeitig hatte ich Heißhungerattacken, da habe ich mich natürlich total geschämt

  • als Kind habe ich auch nie gesagt wenn ich irgendwas wollte oder nicht wollte oder anders wollte… oder später in meiner ersten bis dritten Beziehung auch nicht (was doof war, gelinde gesagt)

  • als ich mich mal geritzt habe (ist etwa… 10mal? vorgekommen bisher innerhalb von 3 Jahren oder so) bin ich durch eine Freundin auch darauf gekommen, dass das vielleicht eine merkwürdige Art von „Self-Care“ ist, weil ich es am meisten mochte, danach die Wunden zu versorgen (sorry, das klingt echt sehr verrückt). Also als würde ich mir eine Pause erzwingen irgendwie, ein Bedürfnis erfüllen wollen, das ich anders nicht erfüllen konnte…
    Ich habe dann immer von einem Arzt oder Psychologe/Psychologin geträumt, der/die für mich da ist und mir Aufmerksamkeit schenkt. Aber wie gesagt, ich leide wirklich nicht genug dafür, um in Behandlung zu kommen, ich muss mir was anderes ausdenken :slight_smile:

Vielleicht weiß ich manchmal einfach nicht, wie man entspannt oder die eigenen Bedürfnisse erfüllt. (Was macht ihr, um euch zu entspannen?)
Mir ist so etwas im Studium aber noch nicht untergekommen und ich habe auch keine Ahnung, woher es kommen mag, wenn es schon von Kindheit an besteht (??).
Es kann aber an meinem doch recht rigiden Denkstil liegen. Ich halte mich an Regeln, würde mich ernährungsmäßig am liebsten komplett an WHO-Richtlinien orientieren und mache mir voll Sorgen, ob ich mir 15min zu viel Arbeitszeit eingetragen habe (gewissenhaft bin ich trotzdem nicht, ich vergesse immer, das Ding rechtzeitig auszufüllen). Das fällt mir schon irgendwie auf. Dazu passt, dass ich alles richtig machen will: wenn Produktivität allgemein als gut befunden wird, Meditation mir guttut und ich mit Verzicht zum Klimaschutz beitrage (und zwar mit jeder einzelnen Handlung!), „muss“ ich das machen. Aber ich weiß auch wieder nicht, woher dieser Denkstil kommt (kenne das nicht von Verwandten). Das ist auch etwas, was nicht zu ADS passt irgendwie…

Ich bin manchmal krasser Spätchecker, was emotionale Sachen angeht, freue mich deswegen sehr über den Input hier.

Doch, doch, das ist schon sehr ADHS, Schwarz-weiß-denken genannt. Man nennt es nicht umsonst die Störung der Extreme. Wenn ich z.B. beschließen würde, dieses oder jenes in meinem Leben zu ändern, dann ginge nur eine 180 Grad Wendung ohne Kompromisse. Deswegen klappt es meistens leider nicht. :wink:

Andererseits sehe ich aber auch eine „depressive Struktur“ des funktionieren müssens und sich nichts gönnen dürfens. Da spielt sicher auch das Thema Selbstwert eine Rolle. Dass sowas bei ADHS entsteht, ist naheliegend, funktionieren doch in der Kindheit oft viele Dinge nicht wie gewünscht und das Geliebt-werden wird dann schnell mit dem Thema Leistung verknüpft.

Dass du dir einen Therapeuten wünschst, der sich um dich kümmert, könnte aber zusätzlich auch auf einen emotionalen Mangel aus Kindheitstagen hindeuten, der über das Thema ADHS hinausgeht. Oder anders: Wenn sich schon keiner um mich kümmert, dann kümmere ich mich halt - um die Umwelt z.B.

„Gutes Tun“ (frei nach Funny van Dannen) setzt andererseits sicher auch Dopamin frei…

… wieder mal seeehr interessant… das mit dem „was sinnvolles tun“ zum Ausruhen statt echt zu chillen… und der Sparsamkeit, Gewissenhaftigkeit… kommt mir bekannt vor… kein Wunder, dass man irgendwann ausbrennt…

Ich kann ja nur relaxen, wenn ich mich mit der App zwinge… oder es „Qigong üben müssen, weil es mir gut tut“ nenne

Kann es sein, dass du einen Kontrollzwang hast? Du versagst dir ständig deine Bedürfnisse und beweist dir dadurch selbst, dass du dich im Griff hast. Kein Wunder, dass du dich dann nicht mehr spürst und dich ritzen musst oder in einer Heißhungerattacke dann alles in dich hineinstopfst bevor du dann wieder die Kontrolle über ich zurückeroberst.

Das ist natürlich Küchenpsychologie, aber dieser Gedanke kam mir beim Lesen deines Posts.


Oh, eine Diagnose! :smiley:
Ich hätte jetzt eher auf einen starken inneren Kritiker geschlossen. Zwang ist da ein deutlich zu hartes Wort. Letztlich werden „wir“ doch von Kind auf (oder zumindest mags so scheinen) stark reglementiert, da ist die Übernahme in das eigene Verhaltensmuster normal.
Auch in Bezug auf Heißhungerattacken, die bei vielen ADHSlern vollkommen üblich sind, weil im Bezug auf Steinzeitbedürfnisse (Essen, Sex) die Impulskontrolle deutlich verringert ist. Bei einem ansonsten normalen Essverhalten sind die Heißhungerattacken das Problem, nicht der Umgang damit. Heißhungerattacken sollten bei geeigneter Medikation deutlich zurückgehen.
Zwang wäre es doch letztlich dann, wenn man die Domäne nicht bestimmen kann.
In Zusammenhang mit ADHS erlebe ich bei mir vor allem die Unfähigkeit, Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen - nicht nur Bedürnisse: auch die sinnliche Wahrnehmung ist eingeschränkt, ich denke mal als Folge auf den Dauerstress. Ich rieche dann nichts mehr, brauche deutlich stärkere Reize, zB. beim Geschmack des Essens. Da würde ich auch das Ritzen verorten. Das könnte auch eine Art fehlgeleitete Eigentherapie sein, im Sinne eines etwas unpassenden „Skills“. Sich zu zwicken oder in eine Zitrone zu beißen wäre sicherlich eine passendere Methode…

Naja, ich denke, es sind doch zwei Paar Schuhe, ob ich zwanghaft bin aus der Angst, die Kontrolle zu verlieren, oder ob mir mein innerer Kritiker ununterbrochen sagt, dass ich keine Fehler machen darf und perfekt sein muss.

Beides wäre hier denkbar, wobei ich ersteres als direkte Folge der ADHS sehe, und das zweite eher als Folge der Interaktion mit der Umwelt, die mir von frühester Kindheit auf sagt, dass ich so, wie ich bin, nicht ok bin.

Bei mir sind definitiv beide Aspekte vorhanden.

Bei mir zB, glaube ich, nur der zweite.

Habe keinen Kontrollbedarf an sich. Bestimmte Dinge, nur die Kinder betreffend, müssen einfach klar gehen, komme was wolle… nur mal als ein weiteres Beispiel… ansonsten bin ich durch meine verrückte Mutter (ADHS und Komorbiditäten Richtung Narzissmus/Borderline) gewohnt, dass ich mir ja nicht einbilden darf, etwas kontrollieren geschweige denn planen zu wollen, nein, das sind immer die Leute um mich rum, ich bin das Beispiel für jederzeit ausweichenkönnen, Fähigkeit ganz besonders verfeinert durch Taijiquan und Befassung mit chinesischer Kultur - das hat leider völlig verhindert, dass ich mal gelernt habe, meine harte Kante, eine Grenze aufzuzeigen… das hole ich nach und nach nach… aber das ist wirklich nicht verallgemeinerbar…

Bei mir auch beides (und auch sonst ist die Beschreibung von @Hibbelanna ein ziemlicher Homerun bei mir).

Beides auch deshalb, weil sich mir derzeit immer mehr „aufdrängt“, dass meine Eltern „nicht anders konnten“, weil sie eben selbst auch betroffen sind/waren. Und manche Überreaktion, die heute noch im Inneren Kritiker fortlebt, erschließt sich mir heute dadurch, dass sie Veranlagungen in mir erkannt haben, die sie von sich selbst kannten (ohne Wissen um die Ursache) und panisch auf die Zukunft „hochgerechnet“ haben. Ob und wie schwer damit Versöhnung möglich ist, hängt vermutlich auch am individuellen Komorbiditäten-Cocktail der Familienmitglieder.

@julai, Ich habe selbst nicht zehnmal zu dem von Dir beschriebenen Ausweg gegriffen, aber ein paar Mal war es bei mir ultima ratio, um aus einem Zustand, den ich heute Dissoziation nennen würde, asap in die Gegenwart zu kommen. Sei es durch das reine Spüren der eigenen Außenhülle als Grenze oder durch das Ausschütten von körpereigenem Schmerzmittel.

Und dieses Herbeiwünschen/-phantasieren eines fürsorglichen, wohlwollenden Gesprächspartners kenne ich auch. In der Phase habe ich mal alle Staffeln von „In Treatment“ geguckt, um dafür Material zu bekommen. Inzwischen deute ich solche Signale eher so, dass mein Unbewusstes damit was bei mir bestellt: jemanden, der sich um mich kümmert.

Ich finde „im Rückblick unkende ältere Frauen“ immer ganz schrecklich und möchte selbst keine sein und werden… Einen Erfahrungswert trotzdem, wenn ich darf, weil ich ihn meinem jüngeren Selbst gerne geben würde:

Je früher man sich erlaubt, dass man sich Medikation wert sein darf und auch sonst die allerbeste zu findende Behandlung … und/oder auch mal zwei Wochen Klosterruhe, um sich wieder zu spüren, desto besser… Ein bisschen ist das mit einem Haus vergleichbar: Wenn wir in der Phase von Fundament und Erdgeschoss an die eigenen Grenzen und darüber hinausgehen… (und die eigenen Grenzen physisch zu öffnen/verletzen, ist ein ziemlich gutes Zeichen dafür, dass sie überschritten wurden), mag das immer noch „gerade so gut gehen“ und sich teilweise sogar ziemlich cool und edgy anfühlen, aber auf das Fundament und das Erdgeschoss soll ja auch noch eine tolle 1. Etage, mit Balkon und Blick bis zum Horizont. Vom Dachgeschoss gar nicht zu reden.

Weniger blumig: Was mit 20/30 noch geht, geht mit 40 evtl. nicht mehr. Und Deine 40-jährige Version wird Dir danken, wenn Du Selbstfürsorge und Fürsorge anderer für Dich nicht nur in der Phantasie zulässt. Auch wenn es vielen anderen auf der Welt noch schlechter geht. Und selbst wenn Du es nur machst, „um Dich funktionsfähig zu halten“ und dann in Bestform die Welt zu retten und die Klimakrise abzuwenden oder aus welchen Motiven auch immer es sich lohnt, das Seelenhaus weiterzubauen.


Das sprichst du einen sehr wunden Punkt bei mir an: Was alles kaputt gehen kann, wenn Eltern und Kinder über Generationen betroffen sind. Ich sehe es selbst bei meinen eigenen Eltern und jetzt bei meinen Kindern: Was tun, wenn einen die Kinder in den Wahnsinn treiben, man selbst aber aus seiner Haut nicht kann und nur allzu oft falsch/impulsiv reagiert? Leider scheint mit dieser Aspekt in der Literatur völlig unterrepräsentiert… :cry:

Ja wirklich… ich sehe in dem ganzen Durcheinander in den Familien meiner beiden Eltern, also auch Großeltern, Onkels, Tanten, Cousins Cousinen… allmählich etwas, was es irgendwie ein wenig erklären könnte… nicht nur ADxS, sondern auch autistische Züge und entsprechende Komorbiditäten… eine Nichte von mir hat diese Doppeldiagnose wie auch mein einer Sohn… ansonsten ist man sich in vorhergehenden Generationen alleine überlassen worden… und dazu dann noch die Kriegswirren…

A propos Krieg… die Epigenetik hat ja herausgefunden, dass es Veränderungen an den Genen gibt, etwas dass sich darauf setzt und entsprechend auswirkt… ich habe angefangen, etwas dazu zu lesen… ich glaube, es läuft darauf hinaus, dass sich Traumen bis in die dritte Generation genetisch weitergeben… muss ich noch verifizieren, ob das mit dem Artikel zusammen passt, das mit den Generationen hatte ich von einer Ärztin gehört…

Aber wenn es eine Epigenetik durch Trauma gibt, dann wäre es meiner Meinung nach auch denkbar, eine allmähliche Heilung/Auflösung durch Meditation oder Akupunktur zu bewirken…

Zum Thema Meditation lese ich auch grade dies und das, es ist für mich sehr beeindruckend, was da möglich wird.

Da schließt sich für mich der Kreis, bei psychischen Belastungen unbedingt an MBSR zu denken und sogar noch mehr an MSC, Mindfulness Self Compassion.

Dazu habe kurz gegoogelt und gesehen, dass grade die Übungen aus dem Insight Timer zum Thema Selbstmigefühl, die mir grade so extrem viel bringen, genau aus dem MSC Programm kommen. Und das MSC Programm samt Insight Timer hat mir wer empfohlen? Meine ADS Psychiaterin!

Also liebe ADxS Community egal was euer Problem ist, probiert es aus!!! Es ist kostenlos und keine Wartezeit! Selbst ist der Mensch/die Menschin!! Wer sich jetzt noch beklagt, keine Hilfe zu bekommen, probiere diesen Weg aus! <PredigerInnenmodus off>

Ok, sorry, off topic hier, ich tue das nochmal in einen eigenen anderen Thread rein…


Da beziehst Du Dich auf das Ritzen? Da wüsste ich gerne von @julai, ob sie die Ursache wie von Dir beschrieben so sieht. Ich kenne selbstverletzendes Verhalten als „Blitzableiter“ für unerträgliche Spannungszustände als direktes Symptom von ADHS. Darauf deuten auch diese Heißhungerattacken hin. Ich habe Jahrzehnte gebraucht um auf den Zusammenhang zu kommen, aber es ist sehr hilfreich, weil hier ja auch die Medikation ansetzt. In Kombination mit MBSR für die rechtzeitige Wahrnehmung (das ist auch wichtig im Umgang mit stressigen Kindern!), Borderline-Skills zum Runterkommen (die aber nur frühzeitig und meist auch nur in Kombi mit Medikamenten helfen).
Dieses „Öffnen von Grenzen“ ginge ja eher in den Bereich des Sensation Seeking, verstehe ich das recht?

Ansonsten kann ich dem Satz:


nur mit einem „Amen, Sister!“ zustimmen

Ja, das habe ich auch schon mehrfach gelesen und eine Doku darüber im TV gesehen. Es ist mittlerweile erwiesen, dass sich Gewalttraumata genetisch manifestieren und so zumindest an die nächste Generation weitergegeben werden. Auch diesbezüglich hat das Hitlerregime „ganze Arbeit“ geleistet. Die Folgen „dürfen“ wir jetzt tagtäglich live erleben.

Aber es gab ja auch den ersten Weltkrieg und unzählige andere gewaltsame Situationen früher und überall auf der Welt… eigentlich komisch, wie sich genau in Deutschland auch so eine enge Sicht dessen, was „normal“ ist, herausbilden konnte. Ist wohl auch viel (klassische/antike) Idealisierung mit im Spiel gewesen… wobei ich das nur grade erfinde, dazu habe ich noch nichts gelesen…

Die Idealisierung von Krieg und Gewalt war weltweit ein epochales Thema. Erst mit Gründung des Völkerbundes 1920 und den Genfer Konventionen wurde eine Bewusstseinsänderung angestoßen. Wie stark die Gewalt jedoch auch noch in den Köpfen der Europäer verankert ist, hat der Balkankrieg gezeigt. Und zeigt sich gerade jetzt wieder im aufkeimenden Nationalismus Europas.

Wie lange permanente Gewalt und Ausgrenzung Menschen aus der Bahn werfen kann, zeigt z.B der Zustand der Ureinwohner in den USA. Dort vegetieren die „Indianer“ in Reservaten vor sich hin…