Therapieformen bei Kindern

Hi

Unsere Tochter (knapp 7) ist in der ersten Klasse und hat neu die Diagnose ADHS. Und zwar sehr deutlich, obwohl sie in der Schule wie im Kindergarten durch soziale Ängstlichkeit maskiert und die Lehrerin sie ziemlich unauffällig findet, ausser halt schnell abgelenkt und so. Freundinnen hat sie zum Glück auch.

Aufgrund der Stärke der Symptome und einer leichten sozialen Funktionsbeeinträchtugung (niedrige Frustrationstoleranz, blockiert oft, Wutanfälle in jüngeren Jahren bis zu 3 Stunden) wurde uns Elterntraining und sofort Medikamente empfohlen. Alle Einzeltherapien für Kinder brächten nichts. Meine Frage: Gibt es ZUSÄTZLICH nichts, was unterstützen kann wie Ergotherapie, Spieltherapie, Rebozo-Massage? Hat jemand Erfahrung? Wir hätten hier Bekannte, die sowas anbieten. PS: Ich bin nicht gegen Medikamente oder Eltertraning.

Liebe Grüsse

Hallo JacknRose,

viele Dinge haben schon ihren Sinn. Nur bitte nicht alles auf einmal.

Beginn mit Medis + Elterntraining und Ergotherapie dann ergänzen.

Mich überrascht es immer wieder, wie viele Fachleute mit solchen undifferenzierten Pauschalaussagen kommen.

Da stecken gerne unter anderem Denkmuster (Selbstzweifel) dahinter. Ihr begleitet sie nun auf dem Weg zum wachsenden Selbstvertrauen. :slight_smile:

Alles Gute

Unter anderem hier gibts viele Infos bzgl. Therapie bei Kindern mit ADHS. Das Hauptmenü finde ich gut übersichtlich aufgebaut.



Eine KI-generierte Übersicht könnte ich auch noch anbieten:

1. Medikamentöse Behandlung
  • Zugelassen in Deutschland:

    • Stimulanzien: Methylphenidat, Lisdexamfetamin, Dexamfetamin.
    • Nicht-Stimulanzien: Atomoxetin, Guanfacin
  • Voraussetzung: Umfassende Diagnostik.

  • Empfohlen: Psychoedukation und begleitende psychosoziale Maßnahmen.

  • Ziel: Verbesserung von Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Emotionsregulation.


2. Elterntraining (verhaltenstherapeutisch fundiert)
  • Pflichtbaustein jeder multimodalen Therapie laut NVL ADHS (2023).

  • Von der GKV übernommen, wenn durch approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen, Kinder- und Jugendpsychiaterinnen oder SPZ angeboten.

  • Ziele:

    • Verbesserung von Erziehungskonsistenz
    • Konfliktprävention
    • Aufbau von Routinen und Verstärkersystemen
    • Stressreduktion im Familienalltag
  • Evidenz: Hohe Wirksamkeit bei Grundschulkindern.

  • In Deutschland etablierte Programme:

    • THOP (Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten, Döpfner et al.)
    • Triple-P (Positive Parenting Program, deutsche Manualversion)
    • Starke Eltern – Starke Kinder (Deutscher Kinderschutzbund; mit ADHS-Modulen)

3. Verhaltenstherapie für das Kind
  • Indiziert bei sozialer Ängstlichkeit, emotionaler Dysregulation und Frustrationstoleranzproblemen.

  • GKV-Leistung, wenn durch approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen oder Kinder- und Jugendpsychiaterinnen durchgeführt.

  • Inhalte:

    • Emotionsregulation und Selbstinstruktion
    • Problemlöse- und Bewältigungsstrategien
    • Aufbau von Aufmerksamkeit und Handlungsplanung
    • Verstärkerpläne und Belohnungssysteme
    • Psychoedukation über ADHS

4. Sozialkompetenz- oder Aufmerksamkeitstraining
  • Sinnvoll bei sozialer Unsicherheit, Ablenkbarkeit oder Impulsivität.

  • In Deutschland etablierte manualisierte Programme:

    • Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern (TaK) – Lauth & Schlottke
    • Attentioner – Lauth & Naumann
    • Fit für Freunde – Gruppentraining für soziale Kompetenzen
  • Kostenübernahme: Wenn unter fachtherapeutischer Leitung (z. B. Psychotherapeut*in, SPZ, Rehaeinrichtung, Jugendhilfeträger mit zugelassenem Konzept).


5. Ergotherapie
  • Sinnvoll bei komorbiden motorischen oder sensorischen Auffälligkeiten.

  • Beispiele:

    • Fein- oder Grobmotorikstörungen
    • Dyspraxie
    • sensorische Integrationsprobleme
  • GKV-Leistung, wenn ärztlich verordnet und mit überprüfbaren Zielen (z. B. Verbesserung der Stifthaltung, Selbststeuerung, Planungskompetenz).

  • Keine generelle Wirksamkeit bei reinem ADHS ohne motorische Defizite.


6. Tiefenpsychologisch fundierte oder spieltherapeutische Ansätze
  • Nur im Rahmen einer anerkannten Psychotherapieform (Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundiert, analytisch, systemisch).

  • GKV-Übernahme nur bei entsprechender Qualifikation und Kassenzulassung.

  • Indiziert bei zusätzlicher Ängstlichkeit, emotionaler Belastung oder Beziehungsunsicherheit.

  • Freie oder heilpädagogische Spieltherapie außerhalb psychotherapeutischer Behandlung ist nicht GKV-leistungsfähig und hat keine belegte Wirksamkeit bei ADHS.


7. Körperorientierte und komplementäre Verfahren
  • Beispiele: Rebozo-Massage, Kinesiologie, sensorische Integration (ohne motorische Störung).

  • Nicht Bestandteil der S3-Leitlinie und nicht von der GKV übernommen.

  • Können unterstützend und entspannend wirken, sind aber rein ergänzend einzusetzen.


8. Schulische und alltagspraktische Unterstützung
  • Nachteilsausgleich bei Aufmerksamkeits- und Impulskontrollproblemen möglich (§35a SGB VIII bzw. landesrechtliche Regelungen).

  • Enge Kooperation zwischen Eltern, Lehrkräften und Schulsozialarbeit sinnvoll.

  • Fördermaßnahmen:

    • Strukturierte Lernumgebung
    • Klare Anweisungen
    • Positives Verstärkersystem

9. Systemische Familien- oder Eltern-Kind-Interventionen
  • Bei familiären Konflikten, Belastung oder Geschwisterproblemen leitlinienkonform.

  • GKV-Leistung, wenn im Rahmen einer systemischen Psychotherapie (§92 PsychThG) erbracht.
    Alternativ über Jugendhilfe nach §27 ff. SGB VIII finanzierbar.

  • Ziel: Verbesserung von Kommunikation, Rollenverständnis und familiärer Kooperation.


10. Zusammenfassung

Leitlinienkonform und von der GKV übernommen:

  • Elterntraining (THOP, Triple-P, Starke Eltern – Starke Kinder)

  • Verhaltenstherapie für das Kind

  • Sozialkompetenz- oder Aufmerksamkeitstraining

  • Ergotherapie (nur bei motorischen Begleitstörungen)

  • Systemische Intervention bei familiärer Belastung

Nicht leitliniengestützt und keine GKV-Leistung:

  • Rebozo-Massage, Kinesiologie, sensorische Integration ohne Störungsdiagnose

  • Freie Spieltherapie ohne psychotherapeutischen Rahmen


11. Quellen
  • Nationale VersorgungsLeitlinie ADHS im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Version 3.0 (2023), AWMF-Registernr. 028-045

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP): Behandlungsempfehlungen ADHS (2023)

  • Bundesarbeitsgemeinschaft ADHS e. V.: Versorgungspfade und Elterntrainings (2024)

  • Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Psychotherapie-Richtlinie § 5 Abs. 6 SGB V


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jetzt bleibe ich das dritte Mal daran hängen…

ketzerische Fragen

Ist das eine „Diagnose“? Wer stellt sowas fest? Wie müsste sie denn sein, damit ihre soziale Funktion nicht beeinträchtigt ist? Wie muss man sich dann eine schwere Beeinträchtigung vorstellen?

@JacknRose Dir hilft das jetzt nicht, ich weiß. Deswegen sind die Fragen eher an die anderen hier gerichtet. Mich würde das nämlich wirklich mal interessieren, was das soll. Muss man wirklich alles direkt therapieren, was nicht in die Schablone passt?

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Danke für den Überblick! Ich muss mich mal in Ruhe einlesen - auch bezüglich Wirksamkeit in dem Alter. Bezüglich Ergotherapie etc werden wir die Kinderärztin mal ansprechen und nachfragen, was der Erfahrungswert ist.

Vielleicht gibt es bei euch eine Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit ADHS. In den Runden besteht meistens ein guter Überblick über Möglichkeiten und Erfahrungen zum Austausch.

@Seven Das Sozialverhalten wird im multitaxialen Klassifikationschema für Störungen des Kindes- Jugendalters ebenfalls beurteilt (anhand von Anamnese und verschiedener Fragebögen).

Bei uns kam so von einem Psychotherapeuten mit Spezialisierung auf kindliche Verhaltensstörungen und ADHS eine Doppeldiagnose. Wie kommst du darauf, dass alles therapiert wird, was nicht in eine Schablone passt? Der Leidensdruck durch die zweite Diagnose ist sowohl für unser Kind wie für uns sehr groß.

@JacknRose Entschuldige, ich konnte damit einfach nichts anfangen. Meine Gedanken gehen eher in die Richtung, was heute von kleinen Kindern erwartet und verlangt wird. Kein Spielraum, Fehler zu machen, stattdessen gibt es eine Diagnose…

Ich habe mich inzwischen auch schlau gemacht, weil mir das keine Ruhe gelassen hat. Das ist also keine Diagnose im eigentlichen Sinn, sondern die Achse VI ist praktisch die Stelle in dem Schema, wo Schwere und Ausmaß zu einem Gesamturteil führt. Man kann es also nicht ignorieren.

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Hallo JacknRose,

Wenn ich die Kombi von ADHS und sozialer Ängstlichkeit lese, dann stell ich mir inzwischen generell die Frage, ob unter dem ADHS nicht auch mehr oder minder autistische Symptome eine Rolle spielen könnten.

Damit meine ich Schwierigkeiten in der Interpretation des Verhaltens von Gleichaltrigen; sich verunsichert fühlen, weil man intuitiv soziale Situationen nicht genau erfasst und man nicht abschätzen kann, was andere jetzt wohl oder nicht von einem erwarten.

Es gibt im Rahmen einer ergotherapeutischen Behandlung Therapie in Kleingruppen (4 Kinder, 2 Therapeuten) zum Training sozialer Kompetenz. Mein Sohn hat sehr davon profitiert.

Folgende Bereiche wurden da unter anderem erarbeitet:

  • die eigenen Gefühle bewusst wahrnehmen und lernen, sie klar zu benennen

  • Erfahrungen und die damit verbundenen Gefühle von anderen mit sich abgleichen, überlegen ob man Ähnliches erlebt/gefühlt hat

  • Lernen, Verständnis dem Gegenüber auch deutlich zu vermitteln

  • Lernen, sich zurückzuhalten, sich darauf einzulassen, was andere über sich erzählen, auch, wenn es für einen selbst gerade total langweilig ist

  • Lernen, klare verbindliche Absprachen zu treffen, Regeln gemeinsam zu erarbeiten und auf deren Grundlage gemeinsam zu spielen

  • Lernen bei einer kniffligen Gruppenaufgabe, die Aufgaben und Rollen zu verteilen und gemeinsam die Lösung zu erarbeiten.

  • Bewusst wahrnehmen, ab wann ein Gefühl von Überforderung eintritt, lernen, es zu äußern und sich zurückzuziehen, wenn es sein muss

Es gibt sicher noch jede Menge mehr Aspekte, die man da aufzählen kann. Auf jeden Fall ist mein Sohn in der sozialen Interaktion mit seinen Klassenkameraden inzwischen viel selbstsicherer und entspannter geworden.

Hallo @Brotbox23

Vielen Dank für den Tipp. Das hört sich nach einem vielversprechenden Setting an. Darf ich fragen, wie alt dein Sohn wahr?

Wurde bei euch neben ADHS zeitgleich ASS diagnostiziert? Autismus wurde bei unserer Tochter eigentlich bereits beim Erstgespräch ausgeschlossen, was mich etwas überrascht hat, weil sie sehr zugewandt und adäquat aufgetreten ist. Die vom Therapeuten diagnostizierte soziale Ängstlichkeit ist bei ihr sehr situativ und nur, wenn wir Eltern nicht dabei sind. Es sei anscheinend bei vielen ADHSlern der Grund fürs Maskieren ihrer Symptome, was ihnen ja auch hilft in der Schule und im Umgang mit Gleichaltrigen.

Ich empfinde das so: das „H“ im ADHS macht mich extrovertiert. Wenn es durch Medikation gedämpft ist, kommt die darunter liegende Ängstlichkeit mehr zum Vorschein. Die Ängstlichkeit ist auf eine grundlegende Unsicherheit zurckzuführen, wie ich soziale Situationen und Erwartungshaltungen identifizieren muss- weil ich weiß, dass die Menschen häufig ganz anders „ticken“ als ich. Ich wirke nach außen hin offen, bekomme sogar das Feedback, sozial kompetent zu wirken. Aber genau DAS ist mein persönliches Masking. Ich habe durch Beobachtung anderer, durch Filme, durch Bücher eine Vorstellung davon entwickelt, wie man sozial kompetent rüberkommt. Das ist ein Schema, dass ich anwende. Schaut man aber ins Detail und beobachtet mich über einen längeren Zeitraum hinweg, zerbröselt das Masking und eine in sich versunkene Person, die heimlich in ihrem Kopf monologisiert und Bedürfnisse anderer übersieht, weil sie zu sehr in ihrem eigenen Film steckt, kommt zum Vorschein.

Das heißt nicht, dass ich nicht auch sehr einfühlsam sein kann. Es ist situativ stark unterschiedlich.

Autismus ohne ausführliche Diagnostik auszuschließen, finde ich daher nicht überzeugend.

Und natürlich tritt die Ängstlichkeit ohne die Eltern auf. Eltern bieten Sicherheit in Situationen, die als unsicher empfunden werden.

Das ist ein Zeichen für eine sichere Bindung zwischen Euch und dem Kind.

mein Sohn hat mit 6 Jahren auf meine Initiative endlich die ADHS-Diagnose und Behandlung bekommen, ein Jahr später erfolgte die Autismus -Diagnose.

Wir hatten ihn im Alter zwischen 4-6 mehrfach in der KJP zur Diagnostik, wegen Zwängen, Ängsten und sozialen Problemen, Hyperaktivität etc. Man diagnostizierte eine Hochbegabung und erklärte uns, dass damit alles begründbar sei- bis ich auf eine ADHS-Testung insistiert habe.

Vielen Dank für deine Offenheit.

Ich denke auch, dass wir die soziale Ängstlichkeit im Blick behalten müssen und für mich ist das Thema Autismus nicht 100% von Tisch, auch wenn wir jetzt erstmal eine Behandlung der ADHS anstreben.

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