AD(H)S Symptome bei Frauen - ADHS erst im Erwachsenenalter entwickelt?

Hallo an alle,

Ich habe hier im Forum ein bisschen gelesen und wollte jetzt nach weiteren Erfahrungsberichten fragen :slight_smile:
Zu mir: Ich bin 22 Jahre alt, weiblich, habe meine ADHS Diagnose mit 20 bekommen, hatte jedoch im Kindes- und Jugendalter eigentlich keine typischen Symptome. Ich bin gut in der Schule gewesen (Abitur von 1,3), nie Zeugniseinträge gehabt bzgl. Unruhe, Aufmerksamkeit o.Ä., und kann mich auch nicht erinnern, die gängigen 25 Symptome https://www.adhs-ratgeber.com/25-hinweise-auf-adhs.html irgendwie gehabt zu haben. Nur vereinzelt, wenn ich mich anstrenge und es in Richtung ADHS deuten möchte, fallen mir ein paar Situationen ein, vielleicht bin ich (gerade) auch noch blind dafür. Wichtige Info ist vielleicht (die bisher meine Herleitung ist, weshalb die Symptome sich nicht groß bemerkbar gemacht haben), dass ich mit 2 1/2 Jahren ein stark traumatisierendes Erlebnis hatte und bis zum 7 Lebensjahr regelmäßig starke Hilflosigkeit und das Gefühl, mich nicht wehren zu können, erfahren habe. Vielleicht wurden die Symptome durch dieses Erlebnis eher unterdrückt…? Ich weiß es nicht. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich mich wie ein Imposter mit dieser Diagnose fühle, obwohl ich mir den laaangen Weg der Diagnostik auf gebürgt habe, weil ich vor 2 Jahren so überzeugt durch meine Symptomatik war.
Verunsichert hat mich auch, dass der Arzt, welcher den Test durchgeführt hat, damals meinte, dass er sich ebenfalls nicht sicher sind, es quasi 50/50 steht, ob ich es habe oder nicht, er mir die Diagnose jetzt aber gibt. Das schwirrt mir immer noch im Kopf herum.
Die Symptome, die ich damals hatte und noch habe:

  • innere Unruhe
  • ich kann und konnte mich nicht auf die Uni konzentrieren (nach 5 min Vorlesung sind meine Gedanken überall - nur nicht bei der Vorlesung)
  • rasende Gedanken
  • Wenn mich ein Thema nicht interessiert, kann ich mich nur mit müh und Not darauf konzentrieren, lenke mich aber selbst ständig ab und finde Tausend Dinge, die in dem Moment wichtiger sind
  • Beim Sport und Auto fahren bin ich ständig abgelenkt von Dingen, die um mich rum geschehen
  • Ich prokrastiniere seit 6 Jahren ein Buch, dass ich schreiben möchte
  • Kann Konversationen nicht folgen, unterbreche andere öfter im Satz, vergesse beim reden mitten im Satz selbst, was ich sagen wollte
  • Ich muss vieles aufschreiben, um es nicht zu vergessen
  • Damals ein wippendes Bein gehabt (während der Schulzeit bis zur Diagnostik, hat sich in den letzten Monaten entspannt)
  • Viele Hobbies im Hobby Friedhof (Geige gekauft und nie gelernt, Grafiktablet und für 3 Tage genutzt, …)
    Damals habe ich Medikinet ausprobiert, habe damit jedoch keine gute Erfahrung gemacht (Konzentration nicht verbessert, dafür 3 Stunden TOTAL aufgedreht und unruhig)
    Weitere Diagnosen sind/waren damals eine starke Angstsymptomatik sowie starke Depressionen, falls das relevant sein sollte. Momentan hält sich beides im Rahmen :slight_smile:

Deshalb die Fragen:
Wie sehen eure ADHS Symptome (als Frau) aus? Gibt es hier jemanden der auch erst im Erwachsenenalter von den Symptomen etwas mitbekommen hat? Wie geht es euch damit und wie geht ihr damit um? Tipps und Ratschläge vielleicht?

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Da ADHS eine Veränderung im Gehirn ist, hat man das von Geburt an oder eben nicht.
Aber Symptome können sich im Laufe der Zeit schon verändern, abschwächen oder verstärken.

Der Unterschied zwischen jetzt und der Kindheit ist ja z.B., dass einem als Kind die Eltern viel abnehmen, um das man sich später selbst kümmern muss. Das heißt, man muss seine persönlichen Ressourcen als Erwachsener auf mehr Aufgaben verteilen.

Es kann natürlich auch sein, dass bei Dir jemand eine falsche Diagnose gestellt hat. Du sagst ja, dass Du als Kleinkind ein traumatisches Erlebnis hattest. Vielleicht ist das Problem bei Dir dieses Trauma und seine Folgen und kein ADHS, oder beides überlagert sich, wie Du vermutest.

Hattest Du Deinem Therapeuten, der die Diagnose gemacht hat, von Deinem traumatischen Erlebnis erzählt oder Unterlagen dazu mitgebracht (falls welche existieren)?

Wenn Du Zweifel hast, ob das alles so seine Richtigkeit hat, dann geh’ Dir eine Zweitmeinung holen.

Ob das bei dir der Fall ist, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich denke schon, dass eine Traumatisierung in der Kindheit gewisse adhs-Symptomatiken verschleiern kann. Neben fight, flight, freeze gibt es als Traumaantwort ja auch noch fawn. Ich hab das zb sehr extrem (habe selber ptbs und adhs) bzw. als Kind hatte ich es noch viel extremer. Ich hab mich zwar immer als andersartig empfunden, aber das alles komplett internalisiert und nicht nach außen gezeigt, weil ich ja nicht auffallen wollte, da Auffallen immer böse Konsequenzen nach sich gezogen hat. Also möglichst unsichtbar machen und wenn das schon nicht möglich ist, dann eben möglichst lieb, nett und brav sein, um zu überleben.

Meine ADHS-Symptomatik ist so richtig erst durchgebrochen, als ich im Erwachsenenalter das Trauma so halbwegs bearbeitet hatte. Ich hatte durchaus schon Symptome in der Kindheit. Aber da muss man schon sehr genau hinschauen, um die unter dem anderen Mist zu entdecken.

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Ist „fawn“ das gleiche wie „fiddle“?

Ich kenne nämlich nur Letzteres, und damit ist so viel gemeint, wie beschwichtigen oder was man jetzt als people Pleasing bezeichnet

In meiner Kindheit und Jugend war ADHS noch überhaupt nicht bekannt und ich glaube, damals (in den siebziger/achtziger Jahren) sind Kinder auch deutlich weniger beachtet worden als heute, hatten aber auch deutlich mehr Freiheiten

Als bei mir der Verdacht auf ADHS aufkam und ich in meiner Familie nach meiner Kindheit gefragt habe, hat zunächst auch mal jeder gesagt gesagt: Ach, du warst doch ein ganz normales Kind!

Ich war auch ziemlich gut in der Schule, zumindest bis etwa zur siebten Klasse
Hatte allerdings auch immer Lehrer, die mich gefördert haben, was sicherlich zu einer hohen Motivation geführt hat
Und mit der entsprechenden Motivation können ja bekanntlich auch Menschen mit ADHS gute Leistungen bringen, häufig sogar bessere als normalos

Diese hohe Motivation könnte bei mir zum Beispiel genau dadurch entstanden sein, dass ich zu Hause praktisch keine Beachtung fand (als letztes von vier Kindern mit großen zeitlichen Abstand zum dritten bin ich halt mit durchgeschleppt worden)
Da ich aber sehr wissbegierig und neugierig war, fand ich anscheinend bei den Lehrern die Beachtung, die mir zu Hause gefehlt hat

Auch das „fiddle“ oder people Pleasing, wie auch immer man es nun nennen will als Trauma Response kommt Gerade als Mädchen sicher gut bei Lehrern an, was durchaus auch eine positive Motivationsschleife auslösen kann
Sozusagen eine Überanpassung
Da bleibt man auch schnell mal unter dem Radar oder aber, gelegentliche „Ausrutscher“ werden einem vielleicht eher nachgesehen.
Es gibt ja selten nur eine Ursache und eine Wirkung, sondern häufig sind das sich gegenseitig verstärkende Tendenzen.

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Fiddle kenn ich nicht, aber ich denke wir meinen dasselbe, ja :slightly_smiling_face:

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Ich hatte eine ausführliche Diagnostik (eine Woche, mehrere Interviews (knapp 3 Stunden pro Tag), vieeele Tests und auch das Trauma war dort viel Thema.

Blockzitat Der Unterschied zwischen jetzt und der Kindheit ist ja z.B., dass einem als Kind die Eltern viel abnehmen, um das man sich später selbst kümmern muss. Das heißt, man muss seine persönlichen Ressourcen als Erwachsener auf mehr Aufgaben verteilen.

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, danke dir

Blockzitat Meine ADHS-Symptomatik ist so richtig erst durchgebrochen, als ich im Erwachsenenalter das Trauma so halbwegs bearbeitet hatte. Ich hatte durchaus schon Symptome in der Kindheit. Aber da muss man schon sehr genau hinschauen, um die unter dem anderen Mist zu entdecken.

Wenn ich nachdenke dann fallen mir auch ein paar Situationen aus der Kindheit bzw eher Jugendalter (da fangen meine Erinnerungen an) ein, die man einer ADHS zuordnen könnte. Trotzdem bleibt halt das Gefühl vom Imposter, dass ich einfach Cherrypicking betreibe und mir diese und jene Situation raussuche, damit ich das Richtung ADHS deuten kann…machen sich normale Menschen überhaupt soviel Kopf und Aufwand? :melting_face:

Blockzitat weil ich ja nicht auffallen wollte, da Auffallen immer böse Konsequenzen nach sich gezogen hat. Also möglichst unsichtbar machen und wenn das schon nicht möglich ist, dann eben möglichst lieb, nett und brav sein, um zu überleben.

Ja, bei mir wurde auch sehr viel Druck gemacht gleichzeitig zum Trauma, dass ich gut in der Schule sein muss. Vielleicht hat das auch einfach Angst ausgelöst, die dann der Konzentration in der Schule geholfen hat. Ab der weiterführenden Schule ist wiederrum klar erkennbar, wofür ich mich interessiert hab und wofür nicht, da sind die Noten einfach abgesackt.
Außerdem, fällt mir gerade wieder ein, hatte ich von der 2.- 4. Klasse eine Verhaltenstherapie (wegen des Traumas), vielleicht wurden mir dort schon Strategien an die Hand gegeben, sodass ich die Symptome selbst vor mir verschleiert habe…so blöd, dass ich mich an so wenig erinnern kann :confused: und auch kaum an die Therapie von damals

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Fiddle kann auch durch „flirt“ ersetzt werden und da sind wir dann schon fast bei „fawn“.
:slight_smile:

Hallo Marascha, ich finde, du solltest eine Zweitmeinung einholen. Die Symptome bei schweren Traumata oder PTBS können den ADHS-Symptomen ähneln. Eine klassische ADHS Behandlung würde dir nichts bringen. Daher solltest du in jedem Fall eine Therapie wegen des Traumas überdenken. Ich wünsche dir alles Gute.

Hi Jesse, danke dir für deinen Vorschlag. :slight_smile: Über eine Zweitmeinung werde ich auf jeden Fall nachdenken und schauen was möglich ist (ich glaube wir wissen alle, wie schwierig es ist einen Termin für die Diagnostik zu bekommen). Tatsächlich bin ich schon seit 2 Jahren und auch immer noch in laufender Therapie bezüglich der Erlebnisse und konnte dort auch schon einiges aufarbeiten. Die Symptome sind, trotz aktuell überwiegend guter Stimmung, trotzdem gleichbleibend stark, wenn nicht sogar etwas mehr geworden

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