ADHS-Behandlung ohne Therapie: Anleitung zum Unglücklichsein?

Nun, ich habe über ADxS eine Ärzteliste angefodert mit Ärzten in meiner Nähe. So bin ich an einen Arzt gelangt, Dr. Hessel in Düsseldorf, welcher mir einen Termin am nächsten Tag anbot, da jemand abgesprungen ist.

Prompt bin ich dorthingegangen. Nach einem Gespräch, welches einem klinischen Interview im Ultra-Kurzdurchlauf entsprach, und dem erneuten Ausfüllen eines Fragebogens zur Symptomatik im Erwachsenenalter, und im Kindesalter, meinte der Arzt zusammen mit vorherigem ADHS-Gutachten „Sie haben ADHS. Was denn sonst?“.

Er hat mich gefragt „Für wie lange am Tag brauchen Sie Medikamente?“. Was für eine Frage. Für immer? Habe ich natürlich nicht gesagt. Ich habe gesagt, von morgens bis abends. So verschrieb er mit Elvanse 30mg.

Die Tatsache, dass er mir Elvanse verschrieb, obwohl ich noch nie zuvor ADHS-Medikamente genommen habe (das habe ich ihm natürlich gesagt) zeigt: Er hat mir in meiner Symptom-Schilderung vertraut, in der Schwere, die ich beschrieb.

Elvanse löst die genau Symptome, unter denen ich am stärksten leide:

  1. ADHS
  2. Cognitive disengagement syndrome
  3. Binge Eating

Insbesondere Binge Eating betreibe ich sehr stark. Ich kann 1 Kilogramm Müsli auf einmal essen und fühle mich nicht satt. Ich esse einfach nur wegen des Dopamins wegen. Wenn ich wach bin, lebe ich quasi nur des Essens wegen und bin immer vorfreudig auf die nächste Mahlzeit. Das ist anscheinend nicht normal.

Seit gestern nahm ich Elvanse und alle obrigen Symptome sind weg. Natürlich. Ich fühle mich so, wie ich glaube, es anfühlt normal denken zu können. Ich fühle mich nicht aufgeputscht. Ich fühle mich nicht high. Ich fühle mich normal. Es fühlt sich so an, als könnte ich zum ersten Mal in meinem Leben meine Gedanken aktiv steuern, ohne externe Stimulation zu benötigen.

Ich habe jetzt die Bestätigung: Ich bin nicht charakterschwach, da meine bizarren Verhaltensweisen nicht aktiv Ich-gesteuert sind, nicht Resultat eines aktiven Denk-Prozesses.

Und genau deswegen brauche ich keine Therapie. Therapie ist da, um den Charakter, das Ich zu behandeln, das was man denkt. Nur, wenn man Probleme mit dem wie hat, braucht man Medikamente. Denn das Ich selbst, kann man nicht durch das Ich ändern.

Ich fühle mich normal, die Art und Weise, wie ich denke, ist jetzt normal. Mehr wollte ich doch gar nicht. Es erschien mir eigentlich schon immer trivial, dass, wenn man nur durch externe Stimulation normal denken kann, man medikamentöse Stimulation braucht.

Ich habe deswegen nie verstanden, warum ich immer dazu gedrängt wurde, mein Ich, meinen Charakter zu therapieren. Es schien so absurd. Es ist so, zu sagen: „Wenn Sie die Matheaufgaben nicht lösen können, versuchen Sie es doch einfach mal nach Gefühl?“

Was ich auch noch weiß: Mit logischem Denken kann man alle Probleme lösen. Ich habe nicht an Unlogik geglaubt, an Charakterschwäche als Problem, wenn ich noch nie charakterschwach war. Mein Abitur habe ich mit 1,0 bestanden. Bin ich ernsthaft faul, ohne Selbstdisziplin, Organisationsfähigkeit nach so einer Leistung? Nein.

So wusste ich, ich habe ein Problem im Denken außerhalb meines Einflusses, eine Stufe tiefer, im wie. Und, ich habe logisch geschlussfolgert, wenn man die Ursache löst, verschwinden die Symptome. So war es.

Also jetzt kann ich normal denken. Natürlich kann ich das, da das Medikament genau das Problem addressiert, von dem ich wusste, es das Problem ist. Dopamin-Dysregulation biblischen Ausmaßes. Wenn mir irgendjemand auch nur früher zugehört hätte. Aber nein, ich bin ja charakterschwach. Natürlich. Der 1,0er Abiturient ist ist faul, ohne Selbstdiziplin, charakterschwach. Klar /s!

Das Problem ist, was ich jetzt im Nachhinein weiß: Man kann sich nicht vorstellen, anders zu denken. Deswegen hat mich niemand verstanden. Wenn alle deine Handlungen Resultat eines aktiven Denkprozesses sind, kannst du dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn du Dinge tust, die nicht Resultat eines aktiven Denkprozesses sind. Es ist so, sich vorzustellen, blind zu sein. Es funktioniert nicht.

Und, da normale Menschen Dinge nur tun als Resultat eines aktiven Denkprozesses, gehen sie davon aus, das trifft auch auf mich zu: Sie denken also: Jede meiner Handlungen ist Resultat des Ichs, eines aktiven Denkens. Ein Trugschluss, und so wird mir Charakterschwäche attribuiert, die ich nicht habe.

Ich weiß, Charakterschwäche lässt sich in der Tat durch Therapie lösen. Ich bin zum Beispiel sozial inkompetent. Da weiß ich, das bin Ich, das ist nicht mein Gehirn, das bin Ich, als virtuelle Entität, die sich so verhält. Und das was man denkt, was man tut, kann man ändern. Man muss es nur trainieren.

Nur, bei ADHS weiß ich halt, es ist keine Charakterschwäche. Es tut mir ja wirklich Leid. Aber ich werde keine Behandlung für Dinge tun, von denen ich weiß, sie sind nicht die Ursache. Ich will die Ursache selbst lösen, immer, da es das einzig rational richtige ist. Ja, klar, kann ich Therapie tun, um zu lernen, wie man mit ADHS umgeht. Nur, das weiß ich bereits, wie man mit ADHS umgeht, sonst hätte ich nicht mein Abitur mit 1,0 geschafft. Was ich möchte, ist es, die Ursache zu beheben, unabhängig von meinen Coping-Strategien, sodass diese effektiver und nicht mehr ständig angewendet werden müssen, und das habe ich jetzt geschafft.

Mein Gehirn fühlt sich jetzt so an, als arbeitet es für mich. Nicht gegen mich. ADHS fühlt sich so an, wie ein schreiendes Baby, welches rund um die Uhr so laut schreit, dass mein Logik-Modul in meinem Gehirn kaputt geht. Wie soll man das denn durch Therapie lösen, bitte? Ergibt keinen Sinn. Mittels ADHS-Medikamente wird das schreiende Baby zum Schweigen gebracht, und mein Logik-Modul funktioniert wieder.

Wenn man weiß, man denkt anders, aber man es keinem erklären kann, weil es keiner versteht, dann ist das sehr isolierend. Man weiß, man hat Recht, aber man kann es keiner anderen Person erklären. Man kann nur hoffen, dass irgendwann jemand kommt und mir einfach vertraut, wie jetzt geschehen. Ein sehr ätzender Prozess, wenn man nicht nur glaubt, alles besser zu wissen, sondern weiß, basierend auf logischer Schlussfolgerung, alles besser zu wissen. Denn Logik ist wahr, oder nicht, und kein anderer Mensch kann sagen „1+1=2“. Und Logisches Denken hat mir das Selbstvertrauen gegeben, die einzig korrekte Lösung für die Ursache zu finden, und zu lösen.

Ganz einfach, eigentlich.

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