Hey @lara07,
erstmal danke, dass du das so offen mit uns hier teilst
Ich sehe mich wirklich fast 1 zu 1 in deinem Text wider! In der Grundschule hatte ich zwar eine weniger schöne, soziale Zeit aber lernen „musste“ ich auch nie wirklich. Wenn ich etwas spannend fand, hab ich mich bei jeder Möglichkeit gemeldet und war schnell zickig, wenn ich nicht rangenommen wurde. Ich habe seit der Grundschule angefangen in meinen Heften zu malen, sodass ich mehrmals dazu gezwungen wurde, diese zu ersetzen und alles komplett neu aufzuschreiben… Vielleicht wurdest du damals auch als „hoch begabtes“ Kind bezeichnet und hast möglicherweise in der 3. Klasse eine Empfehlung für den frühzeitigen Wechsel auf ein Gymnasium erhalten?
Im Gymnasium rutscht man leider nicht so einfach durch, wie in der Grundschule, weil man zum ersten Mal etwas (auswendig) lernen musste. Ein Fach oder Thema, dass einem liegt oder interessiert? 1, 1-, 2+?
Fächer mit mehr Aufwand eher 2-, 3, 4+? Zu meinem Glück hab ich diese Zeit endlich hinter mir und hab es durch die richtigen Wahlfach-Kombinationen zum Abi geschafft!
Das Anpassen, was du beschrieben hast, könnte möglicherweise auch „Masking“ sein. Leider habe ich teilweise unbewusst zur Grundschulzeit damit angefangen und weiß bis heute nicht, wer ich wirklich bin. Persönlichkeitstests kamen immer anders raus, je nach meiner aktuellen Lebenseinstellung oder Wahrnehmung. Das ungewollte Verstellen macht es sehr schwer neue Freunde zu finden oder diese aufrecht zu erhalten. Bei meiner einzige Freundin, seit knapp 10 Jahren, musste ich mich nie verstellen und habe damals erst gemerkt, dass es egal ist wie viele Freunde man hat, solange man glücklich ist und sich nicht verstellen muss. Soziale Interaktionen mit anderen „Freunden“ können sehr anstrengend sein, weil man möglicherweise andere Persönlichkeiten zu jeder Person hat und sich denen angepasst hat.
Diese Situationen in großen Gruppen sind bis heute für mich stressig, da es die totale Reizüberflutung ist. Alle reden gleichzeitig und durcheinander, man möchte jedem zuhören aber kann es wegen der Musik oder den lauten Gesprächen nicht, man achtet auf die Mimik und Gestik von einem selbst, zu helle oder dunkle Lichter lassen einen unwohl fühlen, man zupft vielleicht an seinem Outfit und hofft, dass man bald nach Hause gehen kann und sich endlich etwas bequemeres anziehen kann. Nach und nach freut man sich vielleicht immer weniger auf Partys oder Treffen und denkt einfach: „Wieso kann ich es nicht einfach genießen und fühle mich jedes mal so erschöpft? Anscheinend bin ich einfach nur komisch oder sozial inkompetent?“
Mittlerweile weiß ich, dass es für die meisten nicht anstrengend ist und sie sich nicht für ein Treffen aufraffen müssen oder 3 Tage danach Pause brauchen…
Events, Großstädte oder Shopping-Malls sind mein persönlicher Endgegner haha
Da hält meine gute Laune nie lange an, bis mir schwindelig wird und ich gefühlt nichts mehr mitbekomme. Ich fühle mich teilweise sehr schlecht, wenn ich den anderen dadurch den Spaß nehme und schnell überfordert, zickig, müde und gereizt bin. Es ist gut zu wissen, was und wie lange man sowas ungefähr durchhalten kann, ohne den Rest des Tages K.O. zu sein! Natürlich ist es auch schade, wenn man solche Situationen öfters meidet aber mir persönlich ist es manchmal lieber noch genug mentale Kraft für die restlichen Tage zu haben
Ich vermute mal, dass du auch immer von dir dachtest, dass du keine Disziplin hast? Wechselst du oft deine Hobbys? Nachdem die E-Gitarre nach stundenlanger Recherche endlich bei dir zuhause angekommen ist, hast du plötzlich das Interesse verloren? Du schreibst dich für (Sport)Kurse ein und nach paar Tagen bereust du die Entscheidung? Du hast gerade DEINEN Style gefunden und paar Wochen später ist es wieder ein komplett anderer Geschmack? Das waren gerade nur paar Beispiele von meiner täglichen Situation aber vielleicht siehst du dich darin ja wider. Dazu muss man aber auch sagen, dass es gerade in deinem Alter schnell wechseln kann. Wenn es aber schon immer so bei dir war und du kein gezieltes Interesse hast, was sich nie geändert hat, könnte es auch ein Anzeichen sein. Das Zeichnen war bei mir mit 8 bis ca. 14 Jahren mein Hauptinteresse. Danach hatte ich nur phasenweise wieder Lust darauf, bis ich es „endgültig“ als Hobby abgeschlossen habe.
Alle Gedanken gleichzeitig zu haben und vergesslich zu sein, wäre ein Merkmal für den gemischten ADHS Typus. Was du beschreibst ist der früher genannte ADS-Typ, beziehungsweise der unaufmerksame-Typ. Vielleicht fällt es dir schwer anderen zuzuhören, weil dein Kopf gerade wie im Standby-Modus ist und alle Worte gefühlt in ein Ohr rein und direkt wieder raus gehen? Zumindest würde ich es so beschreiben haha
Komischer weise erinnere ich mich nie daran, was ich z.B. vor 30 min gegessen habe aber was vor mehreren Jahren passiert ist, könnte ich locker als Roman rausbringen. Also wenn du deine Lieblingsserien auch mehrmals schauen kannst, weil du nach einiger Zeit eh alles vergisst, dann möchte ich dir gerne meine Glückwünsche aussprechen – Das ist echt das Beste an daran!
Wann genau passiert deine Derealisation? War es meistens bei vielen Menschenmengen, Ausflügen oder anstrengenden sozialen Interaktionen? Ich habe es immer nur dann gehabt. Mit dem Alter sollte es schwächer werden und passiert generell vielen im Jugendalter, da sich die Neuronen im Gehirn neu entwickeln und verbinden. Bei ADHS passiert öfters ein „Kurzschluss“, wenn mehrere Neuronen bei gleichzeitigen Reizen überfordert sind und die Verbindung nicht lange aufrecht erhalten können. Als neurodivergenter Mensch kann das Hirn die verschiedenen Reize nicht richtig filtern, also unangenehme Gerüche, Geräusche, Lichter und Stoffe/Oberflächen/Temperaturen ignorieren und sich auf einen Reiz konzentrieren, weshalb oft diese Reizüberflutung und Derealisation auftreten kann.
Es tut mir wirklich leid, dass du dich nicht ernst genommen fühlst Sei dir bitte bewusst, dass es nicht an dir liegt und es leider auch unter Psychologen schwarze Schafe gibt. Such dir gerne einen anderen Psychologen und hol dir deren Meinung ein!
Wenn dich das jetzt sehr verunsichert hat (verständlicher weise), dann könntest du versuchen eine art Übersicht zu machen. Das habe ich auch damals gemacht, indem ich über mein ganzes Leben nachgedacht habe und alles negative aufgeschrieben habe. Mir hat es auch mega geholfen persönliche und sehr spezifische Erfahrungen anderer zu lesen und zu schauen, weil es gerade am Anfang schwer ist Anzeichen zu erkennen. Wichtig ist jedoch, dass du dabei stets ehrlich zu dir sein musst und es über einen längeren Zeitraum machst. Frag deine Eltern, ob sie dir von deiner Kindheit erzählen können und ob es auch negatives gab. Ich weiß wie unangenehm das sein kann und wenn es dir genau so geht, sag einfach es interessiert sehr dich weil du gehört hast, dass Kinder sowas schnell vergessen und ihr darüber in der Schule was gelernt habt.
Online-Tests ersetzen natürlich keine Diagnose aber es könnte dir helfen neue Anzeichen zu finden, die dir zuvor nicht bewusst waren. Ich hab mich damals sehr intensiv mit Neurodivergenz beschäftigt: Ich hab Tests gemacht (die Tests von diesem Forum ist wirklich sehr gut und länger als die meisten), hab mir humorvolle Reels angeschaut und geguckt zu was ich relaten kann, ich hab alle Seiten die von ADHS bei Frauen/Mädchen berichten durchgelesen, hab meinen Freund und meine Eltern (unauffällig) ausgefragt, mein Freund hat mich bei sehr vielen Tests eingeschätzt (macht nur Sinn, wenn man sich lange kennt und sich bei der Person nicht „verstellt“) und hab wirklich nach so alltäglichen Anzeichen in bestimmten Situationen gesucht (nicht wie die meisten Tests: „Sind sie oft vergesslich?“ „Fällt es ihnen schwer anderen zuzuhören?“ „Können sie eine lange Zeit nicht still sitzen?“) sondern: „Ich muss um 12:00 beim Termin sein. Der Weg dauert genau 36 min also muss ich spätestens 11:20 raus… nee ich muss 11:15 raus, falls ich etwas vergesse oder die Bahn ausfällt. Ok also muss ich mich um 11:00 anziehen. Davor essen, duschen und mich fertig machen… 1 Std reicht (nein, meistens nicht haha). Dann ist es 10:00 Uhr, bis ich aus dem Bett bin und meine Tasche gepackt habe… Hm dann so um 9:00 aufstehen? Ja, das passt!“ Am Ende schafft man es trotzdem jedes mal auf den letzten Drücker in kompletter Hektik da zu sein. Oder man ist viel zu früh da…
Tatsächlich kann sich ein Psychologe möglicherweise nicht sicher sein, da ADHS meistens bereits im Kindesalter auftritt. Deswegen hab ich angefangen auf mein Verhalten zu achten und meine Kindheit und früheren Erfahrungen analysiert. Bestimmte Situationen habe ich mir als Notiz auch aufgeschrieben, weil ich sie sonst beim Gespräch vergessen hätte.
Es ist jetzt ein sehr langer Text geworden aber ich hoffe, dass ich dir vielleicht ein bisschen helfen konnte! Ich habe die Diagnose btw mit 22 Jahren, also vor 6 Monate, bekommen aber hab mit ca. 15 Jahren langsam angefangen darüber nachzudenken. Ich weiß noch wie schwer die Zeit damals war und hätte mir gewünscht, dass ich länger an der Vermutung dran geblieben wäre und es mir keiner ausredet hätte (weil ich mir ja angeblich das alles eingebildet habe… Schön wär’s! )
Also wenn du jemanden zum reden brauchst oder mehr wissen möchtest, kannst du mir jederzeit sehr gerne schreiben Die Leute im Forum sind auch super lieb und die Beiträge sehr hilfreich! Lass dich nicht so schnell verunsichern, wie ich damals, und beschäftige dich gerne weiter mit dem Thema und dir selbst
Liebe Grüße, Bella