ADHS Diagnose ohne Hinweise auf bereits bestehendes Verhalten im Kindesalter - möglich?

Hallo Zusammen,

ich bin 28J. alt und habe Anfang Dezember 2023 meine Diagnose anhand des wohl üblichen Fragebogens / Interviews bekommen. Dieses war in meinen Augen auch sehr eindeutig.

Ich hab das Gefühl, ich weise wirklich sämtliche Symptome der Krankheit auf:

  • Konzentrationsprobleme
  • Impulsivität
  • Unerklärlicher Bewegungsdrang
  • Unfähigkeit Ordnung zu halten / Desorganisation
  • Leuten ins Wort fallen
    Um mal ein paar Stichpunkte zu nennen, ich könnte die Liste noch weiter führen.

Jetzt kommt aber der Punkt, der mich sehr verunsichert: es gibt in meinen Grundschulzeugnissen wirklich absolut keinen Hinweis darauf, dass es damals schon ähnliche Symptome gab. Auch kann man wohl sagen, dass ich nach außen hin immer eher ein ruhiges Kind war.
Lediglich im Zeugnis der 7. Klasse (Alter zu dem Zeitpunkt: 12 Jahre) gibt es eine Passage ala „konnte sich nur schwer konzentrieren / lies sich leicht ablenken“.

Hat hier jemand Erfahrungwerte dazu? Ein bestehen der Krankheit bereits im Kindesalter ist ja Voraussetzung für die Krankheit.

Oder habe ich vielleicht doch gar kein ADHS?

Ich freue mich vorab schon auf die Antworten und bedanke mich recht herzlich :slightly_smiling_face:

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Hi,

wurden bei Dir andere Beschwerden ausgeschlossen?
Borderline, agitierte Depression, Angst, Anti-soziale Störungen usw.? Wenn ja, wie? Einfach nur den Fragebogen auswerten ist zu einfach für den Arzt.

Hast du Komorbiditäten mit welchen man arbeiten könnte?
Tics, Zwang, Depressionen, Drogenabhängigkeit bspw.

Wie hast du dich früher selber empfunden? Hattest du viele Freunde oder nur oberflächlich? Wechselnde Interessen? Wurde mal ein IQ Test gemacht?

Hier ein Auszug aus diesem Forum im Hilfebereich zur möglichen Entstehung von ADHS:
Umwelteinflüsse (insbesondere frühkindlicher Stress = first hit, sowie gegebenenfalls weiter hinzutretender Stress im Jugendalter = second hit), die die eigenen Gene epigenetisch verändern, sodass sie dauerhaft den Dopaminspiegel in der gleichen Richtung verändern

So wie ich das lese, ist es also möglich.

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Hi,

erstmal vielen Dank für die rasche Antwort!

Meine erste Vermutung war Schizophrenie, da auch hier Symptome gepasst haben. Hat sich aber nicht bewahrheitet. Der Arzt wollte die Akte dann schon vorschnell schließen und zwischenzeitlich bin ich zufällig auf die Symptomatik von ADHS gestoßen und habe festgestellt, dass eigentlich alles passt. Daraufhin ging die Untersuchung in diese Richtung weiter und es wurde nichts anderes mehr groß untersucht.

Hierzu ist zu sagen, dass ich über knapp sieben Jahre lang Amphetamin abhängig war. Die haben mich im Kopf aber eher ruhig gestellt, als aufgeputscht. Habe dann von einem auf den nächsten Moment aufgehört, da ich fast schon panische Angst hatte, dass ich mir dadurch bereits körperlichen Schaden zugefügt habe.
Depressionen bin ich unsicher, ob das zutrifft. Teilweise eher ängstlich. Es fällt mir zum Beispiel sehr schwer neue Leute kennen zu lernen, mich für diese zu interessieren.

Ich war und bin immer ein sehr introvertierter Mensch gewesen, als Kind war es aber wesentlich schlimmer. Da hatte ich so gut wie gar kein soziales Umfeld und habe die meiste Zeit alleine vor dem PC verbracht.

Wechselnde Interessen im Kindesalter auf jeden Fall, mittlerweile sind diese relativ gefestigt.

Stress im Kindesalter hatte ich von kleinauf, da ich ein schwieriges Elternhaus hatte und eigentlich bis zum jungen Erwachsenenalter auch eher ein Außenseiter war.

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Wann hast du genau aufgehört, Amphetamine einzunehmen?

Ein Amphetaminentzug kann natürlich auch ein temporäres ADHS auslösen sowie Cannabiskonsum in hohen Dosen auf Dauer den Dopaminspiegel runterdrückt - würde ich als Laie so behaupten, bin seit 8 Jahren Gras abhängig, ja das geht :smiley:

Ansonsten kann deine Lebensgeschichte doch schon auf ein verstecktes AD(H)S hinweisen. Würde das weiter verfolgen, wenn dein Ampheentzug jetzt nicht knapp vor der Diagnose durchgezogen wurde, weil deine Diagnose dann durch die Entzugssymptome verfälscht sein könnte.

Nimmst du denn schon etwas an Medikamenten ein? Ich habe bei mir auch noch die gleichen Bedenken wie du, aber ich probiere es einfach aus und wir schauen, wie sie bei mir wirken. Würde da experimentieren. Mehr als Selbsterkenntnis kann dir nicht passieren.

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Vor ca. Vier Jahren.

Ich bin aktuell in der Eindosierung von Methylphenidat, bin aber bisher mit der Wirkung und auch meinem Arzt nicht so wirklich zufrieden. Probiere es aber natürlich weiter und suche parallel auch jemand anderen, was sich aber wie wahrscheinlich überall als relativ schwierig erweist.

Wenn der Entzug so lange her ist, vergiss was ich diesbzgl. geschrieben habe.

Auf MPH hatte ich persönlich täglich nur 2h gute Zeit, habe ich 1 1/2 Monate genommen. Davor + danach war übel, besonders der Rebound mit Depressionen inkl. Zombie-Mode.

Ich wurde jetzt auf Elvanse umgestellt, hab die 30er Kapsel geöffnet und mit der Hälfte angefangen. Wirkung ist ganz anders, viel smoother reinkommen, hält länger an und fällt echt langsam ab. Da ich auch eher der ängstliche und meidende Typ bin, ist das viel angenehmer für mich. Abends rauch ich zwar noch einen, aber bei mir wirkt die Elvanse nur bis 16 Uhr, wenn ich sie um 8 nehme. Vielleicht ist das eine Option für dich. Soweit ich weiß, ist Elvanse nach S3 nun für Erwachsene 1. Wahl, nicht mehr MPH.

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Lehrer erkennen ADS nicht.
Und schreiben dazu nichts in ein Zeugnis.
Dass man keine Freundschaften pflegen kann, schreibt auch kein Lehrer ins Zeugnis.

Wenn Grundschullehrer Ahnung von ADHS hätten, wäre das Leben von sehr vielen Menschen, groß wie klein, deutlich leichter.

Da stehen dann Sätze wie „mag es, andere Kinder zu dominieren“, „stört mit Albereien und Nachbargesprächen regelmäßig den Unterricht“ oder bzgl Freundschaften „fügte sich nicht immer der Klassengemeinschaft ein“. Jedenfalls in meinem.

Ich sollte aufgrund der Auffälligkeiten damals von der Schule aus zu einer Psychologin, da war ich 11. Da wurde auch ein IQ Test gemacht. Das war 2005/6 oder so.

Also potenziell erkennen das gute Lehrkräfte schon sehr schnell, aber die wenigsten haben wohl Bock sich damit auseinanderzusetzen und oft stehen wie in meinem Fall die Eltern mit „nicht in die Schublade“ dem entgegen und behindern die Untersuchung. Meine hat mir damals gesagt, was ich erzählen soll auf bestimmte Fragen. Kann mich aber nicht mehr genauer daran erinnern.

Du sprichst mir aus der Seele, ich nehme aktuell auch Methylphenidat AL / Ratio und kann damit von der Wirkung leider nur sehr wenig anfangen. Es macht allen voran benebelt und hilft vielleicht gegen einen Bruchteil der auftretenden Symptome.

Leider will mein Arzt mich nicht auf Elvanse umstellen. Eine Begründung dafür kenne ich leider nicht. Ich werde beim nächsten Mal nochmals fragen, aber deine Nachricht bestärkt mich einmal mehr, es zu versuchen. Leider ist es nicht so einfach, jemand anderen zu finden…

Dennoch ist das Grundschulzeugnis maßgeblich für die Diagnose. Darauf habe ich mich bezogen.

Kann mir vorstellen, dass der von den neuen Leitlinien her nicht wirklich auf aktuellem Stand ist. Viele lehnen echte Amphetamine ab und reines D-AMP, also Attentin bspw., vor der Zeit von Elvanse Prodrug Erwachsenen nicht verschrieben wurde.

Von deinem Arzt eigentlich unverantwortlich da wie schon geschrieben nach Leitlinie MPH gar nicht mehr Mittel 1. Wahl ist. Kannst ihm die S3 Passage ja ausdrucken, mitbringen und ihn darauf hinweisen, dass die aktuelle Behandlung nicht förderlich für deine Gesundheit ist, so gehe ich mit resistenten Ärzten um. Wenn du sowieso wechseln willst, hast ja nichts zu verlieren - außer einen schlechten Arzt :smiley:

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Die ADHS muss bereits im Kindesalter vorgelegen haben. Für den Nachweis muss aber kein Grundschulzeugnis vorliegen. Die gibt es bei mir zum Beispiel nicht mehr. Die Kindheit wurde im Interview besprochen und ein Fragebogen dazu ausgefüllt. Das war ausreichend.

Siehe auch hier unter Punkt 5.4:

https://www.adxs.org/de/page/164/adhs-diagnosemethoden#content-54-grundschulzeugnisse

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Und noch mal durchgelesen gibt es bei dem, was du schreibst, Hinweise auf ADHS in der Kindheit…

Hier zum Beispiel:

Oder hier:

Und das da war bei mir genauso:

In der Grundschule war ich ein relativ guter, ziemlich verträumter Schüler… nach DSM 5: „ Vorwiegend unaufmerksam“

Ich würde an deiner Stelle die Diagnose erstmal nicht in Frage stellen. Vielleicht eher auf die Eindosierung gucken, dazu findest du hier ja ziemlich viel und kriegst sicher auch gute Antworten auf Fragen.

Alles Gute! :adxs_peace:

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Denke oft kommt die Diskrepanz zwischen dem was wir heute im Zeugnis „erwarten“ (als ADHSler) und dem wie uns die Lehrkräfte beschrieben haben auch aus den Klassendynamiken.

Ist in einer Klasse ohnehin „viel los“ und es gibt einfach noch schlimmere Fälle und man kann die eigenen Symptome „gut“ maskieren, fällt es vielleicht nicht besonders auf oder die Lehrer halten es nicht für mitteilenswert, weil sich der Maßstab in der Klasse ein wenig verschoben hat. Oder dem Kind soll ein ermutigendes Gefühl, weniger Ärger mit Eltern etc. gemacht werden.
Will damit nur sagen: Die Objektivität und nachträgliche Interpretierbarkeit eines Grundschulzeugnisses im medizinischen Kontext ist wahrscheinlich nicht soo gegeben.

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So wars bei mir :slight_smile:

Anders als bei meinen Brüdern waren die Noten wohl okay, habe scheinbar nicht rumgezappelt, also wurde ich nicht wie die anderen beiden getestet. In den 90ern lag der Fokus eh nur auf dem klassischen Zappelphilipp.

In den Grundschulzeugnissen gabs kaum Vermerke. Lediglich 1x wegen Arbeitstempo und später 1x dass ich in Mathematik bei komplexeren Aufgaben Probleme hatte, diese aber meist mit Hilfe der Lehrerin dann lösen konnte. Allerdings wurde auch hier das Arbeitstempo nochmal erwähnt. Also insgesamt lediglich 2 Hinweise, könnte man meinen.

Was mir aber abgesehen von dem Aufwachsen im Elternhaus noch einfiel war, dass ich am liebsten draussen auf dem Flur Aufsätze geschrieben habe. Wenn es mal einen Unterrichtsstunde gab, wo wir uns selbst beschäftigen durften und man auch freiwillig dafür draussen auf dem Flur an einem Tisch sitzen durfte, war ich sofort dabei.

Mir fiel auch ein, dass ich zwar nicht der klassiche Klassenclown war, aber wenn ich mal Späße gemacht hatte, kam ich im Vergleich zu anderen danach nicht wieder so gut rein in den Unterricht. Also umschalten ging nicht und ich war auch oft langsamer.

Und dann der ganze Werdegang (gut, ADHS gabs schon offiziell bei den Brüdern und ganz sicher auch bei meiner Mutter… die anderen in der Familie sind blind und sehen sich nicht), das machte das Bild wohl perfekt und die Hinweise reichten aus, dass da im Kindesalter schon etwas auffällig war.

Ansonsten hakts mit der Erinnerung an die frühe Kindheit leider immer noch. Wobei mir seit Medikation schon etliches mehr eingefallen ist, als früher denkbar. Da war da nämlich einfach nur ein dichter Nebel und das Hirn spuckte nichts aus.

Ich würde sicher noch einige Hinweise mehr finden, aber da laufen auch ganz bestimmt noch Schutzmechanismen ab, die es in einer Therapie erst noch zu knacken gilt. Dann kommt sicher noch mehr hoch.

Dieses Anzweifeln der Diagnose ist wohl auch so ein typisches Ding. Habe mich mittlerweile damit abgefunden. Nur, ob da noch mehr ist, das werde ich erst durch Therapien erfahren :crossed_fingers:t2:

Ich viel im klassischen Sinne auf, weil ich als Mädchen eher ein wilder Lausbub war und abenteuerlustiger und wilder wie meine drei Brüder.