Hallo zusammen
Ich habe schon viel in diesem Forum gelesen und habe mich nun dazu entschieden, doch auch noch meine Erfahrungen aufzuschreiben und mal zu schauen, ob ihr für mich irgendwelche Tipps habt, die mir das Leben evtl. etwas einfacher gestalten könnten oder mir Mut machen könnten.
Ich bin 33, weiblich, und habe vor einem knappen Jahr meine Diagnose bekommen. Ich arbeite selbstständig und gestalte meinen gesamten Arbeitsalltag selbst, was Segen und Fluch gleichzeitig ist. Da ich oft abends Auftritte habe, ist ein regelmässiger Alltag nicht möglich. Aber ich könnte mir glaub nichts anderes vorstellen (ausser mal eine Personal Assistant, aber dafür bin ich leider (noch) nicht reich genug, hehe). Nun denn. Seit meiner Diagnose bin ich dabei, immer mehr zu erfahren über ADHS und auch darüber, wie sie sich bei mir äussert. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich während meines Studiums noch einigermassen gut funktioniert habe, aber als dann die Strukturen wegfielen, wurde es immer unübersichtlicher und chaotischer. Ich habe aus der Unfähigkeit, abzuschätzen, wie lange eine gewisse Arbeit braucht, zeitweise einfach alle Anfragen angenommen und hatte dann so viele Auftritte und Engagements, dass ich ausbrannte. Vorletztes Jahr folgte dann auch das Burn Out und eine schwere Krankheit, die es mir für ein Jahr unmöglich machte, aufzutreten und/oder sonst irgendwas zu machen. Es war wirklich schrecklich und als Folge dieser Krankheit und des Burn Outs hatte ich sehr oft Panikattacken und immer noch ab und zu Angstzustände. Im grossen und Ganzen wurde das allerdings besser.
Jetzt versuche ich seit einem Jahr, meinen Alltag neu und anders zu gestalten und behutsamer und weiser an die Planung zu gehen. Das stellt sich als einigermassen schwierig dar und ich merke, dass ich früher ca. 300% gearbeitet habe. Natürlich habe ich nun ständig das Gefühl, ich würde zu wenig machen, weil jede Arbeit viel länger dauert, wenn man sich wirklich überlegt, was man da macht und nicht einfach so schnell wie möglich drüber fliegt. Und daneben auch noch ein Privatleben und Freizeit hat.
Ich bin gerade ein paar Tage allein in einer Stadt und merke wiedermal, wie unglaublich schwer bis unmöglich es für mich ist, alleine zufrieden zu sein. Meine Stimmung schwankt innerhalb eines Tages enorm und ich habe keinerlei Anhaltspunkte, wann und wie die Laune am nächsten Tag sein wird. Zu dem hat seit der Diagnose durchs Unmasking meine Unentschlossenheit sehr zugenommen und ich werweisse die ganze Zeit wegen allem hin und her und das macht mich so müde und wütend. Die kleinsten Entscheidungen sind manchmal eine riesige Sache. Es nervt mich so krass. Früher habe ich einfach immer schnell entschieden, manchmal auch falsch, aber ich wusste irgendwie auch, was ich will. Jetzt habe ich ständig das Gefühl, dass ich keine Ahnung habe, was ich will. Und das finde ich sehr mühsam.
Direkt nach meiner Diagnose habe ich Concerta 18mg bekommen. Als ich das ausprobiert habe, bekam ich direkt Angstzustände und weil das so schrecklich war, habe ich danach ein halbes Jahr die Finger davon gelassen, bevor ich mich wieder zum Psychiater getraut habe. Jetzt hat er mir Escitalopram verschrieben, das nehme ich sehr niedrig dosiert (nur 1 Tropfen am Tag) gegen die Angstzustände und die depressive Stimmung. Diese Tropfen helfen mir sehr – ich hatte im Frühling nach der Concerta Panne mal Ceres Tropfen genommen, die haben mir sehr geholfen. Im Sommer hab ich die abgesetzt wegen Hitzeempfindlichkeit, da ging’s mir wieder schlechter & der Psychiater meinte, ich solle mal Escitalopram nehmen, wegen weniger Wechselwirkung. Mit der Wirkung davon bin ich sehr zufrieden, ich habe seitdem ich es nehme, kein gefühlt „schwarzes Loch“ mehr beim Solarplexus.
Zudem hat er mir Medikinet 5mg gegeben, das habe ich nun mit Tagebuch ca. einen Monat ausprobiert. Das erste Mal habe ich es mega krass gespürt, aber schon nach ein paar Tagen hat die Wirkung sich sehr verändert, bzw. abgeschwächt. Das Problem ist: Ich kann noch kein Muster erkennen. Was quasi immer passiert, ist, dass meine Ängstlichkeit zurückgeht, was ja schonmal sehr toll ist. Sonst merke ich aber nicht mehr so viel davon, ausser dass ich keinen Appetit mehr habe und mich zum Essen regelrecht zwingen muss. Wenn ich dann vergesse zu essen, oder nichts esse, weil ich keine Lust habe, werde ich fahrig und zittrig. Komischerweise hält diese Appetitlosigkeit aber auch an in den Tagen, in denen ich keine Tablette nehme. Ich habe einfach keine Lust zu essen. Dabei bin ich eigentlich voll der Genussmensch und hatte früher immer Lust auf gutes Essen.
Ich nehme das Medi immer nach dem Frühstück, also nach dem Essen, das weiss ich, weil ich es hier schon gelesen habe. Nach so 1-2h wirkt es dann voll und es geht mir gut, leider lässt die Wirkung nach 4.5-5h erheblich nach, das ist je nach Zyklusphase sehr unterschiedlich. Heute habe ich deswegen 3h nach der ersten Einnahme nach dem Essen eine zweite Tablette genommen, aber danach war ich glaub überdosiert, habe mich gefühlt wie ein Duracel Hase.
Ich habe irgendwie Mühe damit, dass alles so viel ist: Mehr Symptome, gleichzeitig diese Medikamente, die aber auch nicht immer gleich wirken, obwohl es ja genau das ist, was ich möchte: Stabilität. Weil ich sonst schon so schwankende Launen habe.
Ich möchte in Zukunft versuchen, relativ regelmässig um die gleiche Uhrzeit aufzustehen und zu essen, damit ich da einen Rhythmus habe, aber daran scheitere ich auch schon seit mehreren Jahren, von daher…
Kann jemand damit relaten oder hat selbst ähnliche Erfahrungen gemacht? Oder hat jemand sogar Tipps? Wie lange hat das mit dem Unmasking bei euch gedauert? Wird es irgendwann besser? Soll ich einfach mit Medikinet weiterprobieren oder noch ein anderes Präparat versuchen? Ich habe den Eindruck, es hilft schon, aber irgendwie zu kurz. Und ich muss auch nich rausfinden, wann ich wie viel nachlegen kann/soll. Und wann in der Zyklusphase wie viel.
Ich struggle auch immer noch so mit der Selbstakzeptanz. Und bin natürlich ungeduldig, auch wenn ich weiss, dass sich 33 Jahre Erfahrung und Selbstkasteiung nicht so schnell verlernen lassen.
Nun ja, danke fürs Lesen, was für ein Roman. Und falls das jetzt sehr redundant ist, tut es mir Leid, aber es tut gut, das alles mal aufzuschreiben. Danke jetzt schon für eure Antworten. LG