ADHS-Diagnostik, trotz guter Schulzeugnisse usw?

Hallo liebe Forenmitglieder!

Erstmal muss ich ein Lob an das gesamte Forum, von Organisator:innen bis hin zu Mitgliedern, aussprechen - eine wertschätzende und vor allem super hilfreiche Community.

Doch nun zum Thema: Ich bin nun seit etwa 2 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung auf der mehr vermuteten als gesicherten Diagnose ‘Dysthymie’, die mich nach meiner Auffassung aber nicht sehr umfassend beschreibt. Unterstützend habe ich ca. 1,5 Jahre Sertralin in wechselnden Dosen genommen und habe wegen der Nebenwirkungen (Libido, Gewichtszunahme) vor etwa 2 Wochen (bisher erfolgreich) auf Bupropion gewechselt. Wie oben bereits angeklungen ist, bin ich seit Aufnahme meiner therapeutischen Behandlung nach wie vor auf der Suche nach einer Diagnose, die mich besser beschreibt. Es ist mir dabei eigentlich nicht wichtig, welche, jedoch kamen im Verlauf meiner kognitiven Verhaltenstherapie bereits ASS und zuletzt auch ADHS zur Sprache und für beide Krankheitsbilder waren die Ergebnisse entsprechender Screenings meiner Therapeutin zu meiner Überraschung sehr eindeutig. Dies bringt mich allerdings nur bedingt weiter, da meine Therapeutin ihrer eigenen Auskunft nach keine Expertin ist (insbesondere für ASS). Ich habe dann versucht, mich selbst etwas zu belesen und überlege, vor allem in Richtung ADHS (wahrscheinlich eher ohne ‘H’) eine Diagnostik anzustreben. Das passt nach meiner Selbsteinschätzung (und zB auch dem Ergebnis im ADxS-Selbsttest, 32/43) halt echt alles sehr gut zu mir. Leider habe ich jetzt Bedenken, dass ich mich zu sehr auf diese Diagnose eingeschossen habe und das jetzt vielleicht doch zu sehr ‘will’, denn insbesondere die Frage, ob Symptomatiken bereits in der Kindheit präsent waren, ist alles andere als eindeutig zu beantworten. Meine Grundschulzeugnisse aus der 1. und 2. Klasse sind völlig unauffällig, lediglich in der 3. und 4. Klasse gab es Vermerke, ich wäre Lehrkräften gegenüber vorlaut gewesen und hätte oft auf die Klassenregeln hingewiesen werden müssen. Sonst keinerlei Hinweise in Richtung ADHS-ähnlicher Symptomatik (ich hatte immer ganz gute Noten, war ordentlich, zuverlässig, pünktlich etc.). Meine (natürlich gebiaste) Selbsteinschätzung meiner Kindheit anhand von IDA-R und WURS-K war wiederum sehr eindeutig in Richtung ADHS (unaufmerksamer Subtyp, viele Probleme bei Impulskontrolle). Des weiteren ist es für mich problematisch, meine Eltern für die Fremdbeurteilung in eine Diagnostik mit einzubeziehen, da ich zu diesen kein gutes Verhältnis pflege. Freunde aus Kindertagen sind auch nicht wirklich vorhanden.

Ich frage mich nun, ob ich auf dieser Basis sinnvoll in eine Diagnostik gehen kann oder nicht (räumlich würde mir das ZI in Mannheim zur Verfügung stehen). Ich habe nämlich echt ein wenig Angst, dass das alles so nicht reicht oder aus Expert:innensicht doch nicht so eindeutig zu mir passt, wie ich mir das vorstelle und ich am Ende wieder ohne Diagnose, dafür mit Enttäuschung, dastehe.

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich hier im Forum jetzt eigentlich genau fragen will und bin daher offen für Anmerkungen und Kommentare in alle Richtungen!

Danke euch vielmals!!

(Vielleicht noch ein paar Eckdaten zu meiner Person: Ich bin männlich, 36 Jahre alt, seit 14 Jahren in einer stabilen Paarbeziehung, habe einen Hochschulabschluss und bin beruflich recht erfolgreich. Während ich auf einer funktionalen Ebene immer sehr gut …naja… funktioniert habe, fühle mich eigentlich soweit ich zurückdenken kann irgendwie ‘anders’ als meine Mitmenschen. Ich habe mich seit meiner Kindheit immer als angespannt, in mich gekehrt, ernst und oft traurig wahrgenommen, dies aber nie wirklich nach außen getragen. Meine Eltern (beide narzisstisch veranlagt) haben mich diesbezüglich nie ernst genommen oder das vielleicht auch gar nicht bemerkt. In therapeutische Behandlung habe ich mich erst vor 2 Jahren begeben, da ich immer dachte ‘Naja, ist doch alles gut, ich funktioniere ja.’, aber dann zusehends von meiner vorherrschenden, alles überschattenden Anhedonie genervt war.)

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Erstmal herzlich willkommen!

Deine Zweifel kann ich total nachvollziehen – bei mir lief das ziemlich ähnlich. Ich war zwei Jahre in Therapie wegen Depressionen und PTBS. Dann musste ich die Therapeutin wechseln, und sie kam zum ersten Mal auf den Verdacht ADHS.
Bei mir hat eigentlich immer irgendwie alles funktioniert, vor allem im Job. Aber jetzt weiß ich, wie viel Kraft mich das Ganze die ganze Zeit wirklich gekostet hat. Und auch ich hatte schon immer das Gefühl, irgendwie „anders“ zu sein.

Die Diagnose hab ich seit Mai. Schulzeugnisse hatte ich gar keine mehr, die sind irgendwie verschwunden, und Kontakt zur Familie hab ich auch keinen – also konnte auch niemand eine Fremdbeurteilung machen.
Stattdessen wurde ich ausführlich nach meiner Kindheit befragt, ich hab die ganzen Fragebögen ausgefüllt, und alles zusammen – plus die Beobachtung während der Diagnostik – hat dann letztlich zum Ergebnis geführt.

Also: nur Mut, geh den Schritt! Du hast echt nichts zu verlieren . :wink:

Ich gehe mal davon aus, dass niemand ADHS „haben“ will, sondern dass es bei den meisten die Erklärung für so ziemlich alles ist. Und wenn du selbst schon ziemlich sicher bist, solltest du eine Diagnostik anstreben. Denn wenn ADHS ausgeschlossen werden kann, muss es eine andere Erklärung geben. Dysthymie kann ja genau die Folge von unbehandeltem ADHS sein.

Die „Unauffälligkeit“ in der Kindheit ist ja nur das, was von außen wahrgenommen wird. Jemand mit ADS ist einfach insgesamt unauffällig. Ein braver Junge ist für alle anderen doch sehr angenehm. Auch dein erfolgreicher Beruf muss nix heißen. Er passt vielleicht einfach nur ganz genau zu dir.

Ich kann dir auch nur Mut machen. Ganz egal, wie das am Ende heißt, was du hast, es sollte herausgefunden werden…

Herzlich willkommen,

vor ein paar Jahren galt ein akademischer Misserfolg noch als Voraussetzung für die ADHS-Diagnose, was inzwischen nicht mehr so streng bewertet wird.
Ich war zwar nicht selbst im ZI in Mannheim, aber die Diagnostik dort ist soll sehr gründlich und entsprechend gut sein. Allerdings scheint die Wartezeiten insbesondere für die ADHS-Spezial-Ambulanz momentan sehr lang zu sein.

Eine wichtige Frage, die sich jeder Stellen muss, der neurobehaviorale /neurologische Entwicklungsstörung vermutet wäre, gab es die entsprechenden Auffälligkeiten schon im Kleinkindalter oder gab es irgendwann mal eine „Knick“ in der Biografie?

Hallo zusammen, vielen Dank für die aufmunternden Worte und kleinen Einblicke in eure Geschichten!

Zu Deinen Punkten, @PaLo1505 :

Ich war zwei Jahre in Therapie wegen Depressionen und PTBS. Dann musste ich die Therapeutin wechseln, und sie kam zum ersten Mal auf den Verdacht ADHS.

Dann nehme ich mal an, du müsstest ja bereits ziemlich am Ende der 60 von der KV übernommenen Langzeittherapie-Stunden gewesen sein (ich gehe mal von KVT aus)? Wie ging es denn dann weiter, konntest du nach deiner ADHS-Diagnose praktisch erneut einen Therapie-Antrag stellen oder musstest du dann eine bestimmte Zeit warten, um wieder mit Therapie beginnen zu können?

Zu Deinen Punkten, @Seven :

Denn wenn ADHS ausgeschlossen werden kann, muss es eine andere Erklärung geben.

Wie ist es denn eigentlich bei einer negativen Diagnostik (also ADHS ausgeschlossen) - bekommt man dann normalerweise gutachterliche Anhaltspunkte, nach was man sonst schauen könnte? So nach dem Motto “ADHS haben wir diagnostisch ausgeschlossen, aber es könnte noch x, y oder z sein”?

Zu Deinen Punkten, Jajoov:

vor ein paar Jahren galt ein akademischer Misserfolg noch als Voraussetzung für die ADHS-Diagnose, was inzwischen nicht mehr so streng bewertet wird.

Der akademische Misserfolg ist vielleicht meine abgebrochene Promotion (?), die ich im ursprünglichen Beitrag zu erwähnen vergessen habe.

Allerdings scheint die Wartezeiten insbesondere für die ADHS-Spezial-Ambulanz momentan sehr lang zu sein.

…das schreckt mich nicht, ich habe auf meinen jetzigen Therapieplatz ca. 1 Jahr gewartet und vieeeel herumtelefoniert, kennen wahrscheinlich fast alle hier. Ich lebe mit mir ja nun seit 36 Jahren, da kommt es auf ein paar Monate oder wenige Jahre auch nicht mehr an…

Eine wichtige Frage, die sich jeder Stellen muss, der neurobehaviorale /neurologische Entwicklungsstörung vermutet wäre, gab es die entsprechenden Auffälligkeiten schon im Kleinkindalter oder gab es irgendwann mal eine „Knick“ in der Biografie?

Im Kleinkindalter meines Wissens nicht. Der Knick in der Biografie ist bei mir sicherlich der Wechsel der Grundschule nach der zweiten Klasse (soweit ich mich erinnere, wollte ich das wirklich gar nicht). Danach haben meine ersten ggf. als ADHS-artig zu bewertenden Verhaltensweisen begonnen.

(Sorry, als neuer Nutzer kann ich nur zwei andere Nutzer zugleich in einem Beitrag erwähnen, daher nur zwei Markierungen)

@ldnier89 Ich musste einen neuen Antragstellen, der ging dann zu einem Gutachter

Der hat zum Glück gesagt das durch die ADHS weitere Therapie notwendig ist, aber mit ein paar Bedingungen. Die hat meine Therapeutin erfüllt und es wurde dann genehmigt.

Hallo und herzlich willkommen,

was da in der dritten und vierten Klasse steht, ist ja nicht nichts. Bevor Lehrerinnen sowas wie vorlaut und Regeln ins Zeugnis schreiben, muss es schon einige Male vorkommen, bei einem Mal pro Halbjahr sieht man darüber hinweg. Die Lehrerinnen wollen ja den Kindern das Zeugnis nicht versauen, und vor allem: Die Zeugnisse waren nie dafür gedacht, um Jahrzehnte später der ADHS-Diagnose zu dienen.

(Das ist es: Wir machen eine Kampagne in den Schulen und sagen den Lehrerinnen, schreibt alles ins Zeugnis, lieber mehr als weniger, in 30 Jahren braucht das die Psychiaterin! :adxs_lach:)

Wenn du in deiner Wahrnehmung ADHS-typisch warst, dann sag das und erzähl einige eindrucksvolle Anekdoten von damals.

Ich hatte bei meiner Diagnose auch keine Zeugnisse und wollte auch meine damals 70-jährige Mutter nicht einbeziehen - obwohl wir ein gutes Verhältnis hatten. Ich hatte aber eine gute Erinnerung an meine ebenfalls ADHS-typische Kindheit, und das war wohl für meinen Psychiater Beleg genug.

3 „Gefällt mir“

Das ist ja in etwa das Alter, wo die Kinder mit ADHS am deutlichsten auffallen.

Ich meinte eher in Bezug auf Aufmerksamkeitsprobleme.

Sie werden ein paar Aufmerksamkeits- und Inhibitionstests mit dir machen, mit welchen sie die offenen Fragen klären können.