Hallo zusammen,
mein Partner (männlich, 39) und ich (männlich, 49) sind bereits seit 15 Jahren in einer Beziehung.
Als ich ihn kennen- und lieben gelernt habe, wurde er noch von seinem Neurologen/Psychiater auf Hypernervosität behandelt, weil diesem der Symptomenkomplex der ADHS nicht wirklich gut bekannt war. Ich hatte davon in meiner Ausbildung zum Krankenpfleger ansatzweise etwas gehört und nach einigen Wochen etwas genauer recherchiert. Kurze Zeit später haben wir uns für die Diagnostik in der ADHS-Ambulanz der Uniklinik Düsseldorf entschieden, mit dem Ergebnis, dass er sie in einer recht ausgeprägten Form hat und unter einigen Dingen sehr gelitten hatte. Er ist medikamentös mittlerweile gut eingestellt. Natürlich mit einigen Umstellungen, die er selbst in die Wege leiten musste, weil die Beschäftigung mit neuen pharmakologischen Behandlungsansätzen eines seiner liebsten Themen ist (Betroffene kennen dies oft nur zu gut)
Kurz gesagt, haben wir all die Jahre eine stabile, gute Beziehung geführt, die natürlich viele Krisen durch Problematiken der ADHS aufwies, welche wir aber eigentlich alle mit viel Gelassenheit und Humor bisweilen aber auch großer Toleranzarbeit an mir selbst gemeistert haben. Irgendwann haben wir wohl vergessen, weiterzuarbeiten, weil es sich fast wie ein Selbstläufer anfühlte. Natürlich sind mir die Basics lange bekannt und ich kann schon lange über seine bisweilen heftigen Zappeleien lachen und ich weiß auch damit umzugehen, wenn er scheinbar nach meinem zweiten Satz mitten im Gespräch abschaltet, dennoch wünschte ich mir, ich wäre etwas tiefer eingestiegen, dann hätte ich uns in dieser momentanen Situation vielleicht rechtzeitig Hilfen holen können.
Ich versuche es einfach mal ganz direkt und offen:
Vermutlich aufgrund einiger Medikamente ist seine Libido manchmal nicht so stark wie meine. Als es Begann ab und an so stark nachzulassen, dass es für mein Empfinden nun doch zu wenig wurde, habe ich Gespräche gesucht und mit ihm geführt, in welchen ich ihn aber eher klugscheißerisch mundtot gequatscht hatte, als tatsächlich auf seine Bedürfnisse der eher kürzeren Argumentationen und des Zuhörens einzugehen. Irgendwann haben wir uns dann in einer Art Loop befunden: Wenn es zu diesem Thema kam und er mir verständlich machte, dass er nicht in Stimmung ist und das Bedürfnis in ihm insgesamt stark nachgelassen hatte, hab ich ihm zugehört und bin zwar immer wieder auf ihn eingegangen, indem ich ihm sagte, dass es kein Problem ist und ich durchaus warten kann, dass es sich wieder einstellt und er dann von sich aus an mich herantreten kann, er hat dies aber, wie ich jetzt festellen musste, trotzdessen als einen Druck verspürt, dem er sich zeitnah beugen musste. Dass er es so empfand hat er mir gegenüber jedoch nie geäußert. Und ich habe es auch nicht wahrgenommen oder wollte es auch ab und an sicher nicht wahrnehmen. Über das letzte Jahr hinweg wurde ich in seinen Augen dadurch natürlich auch immer unattraktiver. Ein mir bis vor kurzem unbekannte Aspekt ist der Hyperfokus, der bewirkt, dass er, wo er sonst so viel Schwierigkeiten mit der Konzentration hat, bei einem Thema, dass ihn brennend interessiert, nahezu Raum und Zeit vergessen kann. Hätte ich vorher davon gewusst, hätte ich sicher versucht in folgender Situation erstmal behutsam daraus zu lösen:
Wir hatten ein gemeinsames freies Wochenende und wie so oft, machte er sein Netzwerk/Server/Computer-Ding, während ich ganz banal zockte. Soweit so gut, irgendwann wurde ich etwas müde und legte mich für einige Stunden hin. Als ich wieder aufstand war er immer noch in derselben Position in sein Tablet vertieft - mittlerweile seit 12-14 Stunden am Stück! Da ich ihm für mein Empfinden doch mehr als großzügig Zeit gelassen hatte, fragte ich ihn, ob wir nicht gemeinsam ein Film schauen oder uns unterhalten wollten. Was mir bis dato auch nicht bekannt war ist die manchmal ausgeprägtere Eigenschaft, Dinge, Stimmungen, Stimmnuancen, Gestik und Mimik des Gegenüber anders - teilweise deutlich anders - wahrzunehmen, als sie tatsächlich geschehen bzw gemeint waren.
Plötzlich hatte er sich in seiner eigenen Fehlinterpretation wieder in einer ähnlich indirekten Drucksituation befunden, die für ihn nur auf ein sexuelles Ziel ausgerichtet war. Dies war diesmal aber auch tatsächlich nicht der Fall, denn ich mag durchaus auch noch ganz viele andere wundervolle Eigenschaften an ihm. Jedenfalls mündete dies in einem sehr starken Wutausbruch in welchem er mir an den Kopf warf:„Ich will das alles nicht mehr“ und so Schluss mit mir machte. Ich zog mich zurück, was aus meiner Erfahrung die einzige richtige Reaktion auf einen solchen Ausbruch ist und ließ dies, so schwer es mir auch fiel, erstmal eine Woche im Raum stehen, weil ich ihn bewusst nicht wieder totquatschen wollte, da mir seine Sprechblockaden in Stresssituationen bekannt sind. Erst dann habe ich ihn aufgefordert nun auch zu sprechen in aller Ruhe und ohne Zeitdruck.
Nun ist er bis heute nicht davon abzubringen und all dies ist begründet in zu spätem Erkennen und Besprechen seines verspürten Druckes „nachgeben zu müssen“ und in einer völlig zurechtgelegten/verqueren Interpretation der letzten Situation.
Jetzt bin ich zum ersten Male sehr hilf- und ratlos, da er sagt, dass er mich nur noch platonisch liebt und das so nicht reicht und darauf beharrt, diese Beziehung zu beenden, ohne dass wir auch nur einen Versuch starten, dies alles mit viel Zeit aufzuarbeiten. Ich versuche ihm klarzumachen, dass ich hierbei zwar hoffe, aber keineswegs versprochen haben möchte, wieder zusammenzufinden oder gar direkt das Bett wieder zu teilen. Ich kann ihm zwar von dieser Fehlinterpretation, verursacht durch die ADHS, berichten und dass ich gelesen habe, dass dies eine häufig auftretende Herausforderung in ADHS-Beziehungen sein kann, aber vermutlich bin ich gerade sein Feind und finde keinerlei Zugang zu ihm.
Lieber nimmt er in Kauf, dass er seine Mutter sehr, sehr stark finanziell belastet, da unsere Ausgaben durch zwei dividiert nicht allein von ihm tragbar sind. Dies alles fühlt sich so ungerecht an, da ich finde, dass diese lange Zeit, die wir meist sehr, sehr glücklich waren, diese Anerkennung und diesen Respekt verdient, nicht einfach für eine fehlgeleitete Wahrnehmung aufgegeben zu werden. Derzeit versuche ich weiterhin in kurzen, ruhigen Gesprächen mit ihm gemeinsam die Ursache bei ihm, aber ganz und gar nicht schuldhaft oder gar Schuld zuweisend, zu finden, sondern als Herausforderung der ADHS zu sehen.
Die ersten Wohnungsbesichtigungen durch mich laufen bereits und dennoch wende ich mich hier an Euch, ob vielleicht jemand speziell mit dieser falschen Wahrnehmungsproblematik in einer Beziehung Erfahrungen hat und/oder einen Tipp hat, wie ich ihn eventuell in seiner gerade starren Haltung besser erreichen kann. Ich sehe mich absolut nicht als sein Therapeuth und will dies auch nicht sein - dafür bin ich viel zu sehr selbst involviert. Ich habe lediglich aus meiner Not heraus recherchiert und für eine Therapie jeglicher Art (selbst ERGO) ist er derzeit gar nicht zugänglich. Auch seine sonst einzige nahe Bezugsperson, seine Mutter erreicht ihn in dieser Hinsicht nicht.