ADHS-Superkraft - was soll das sein?

Ich kenne das von Autismus genauso. Ich lese oft im Internet, dass Menschen glauben, sie seien hochbegabt oder könnten irgendetwas besonders gut wegen Autismus. Sehr oft geht es einher damit zu glauben, die „Normalen“ seien blöd im Vergleich dazu. Es ist ziemlich lächerlich, das so zu sehen, aber relativ weit verbreitet. Ich denke, ein Teil dieser Leute ist wirklich autistisch (oder hat ADHS) und sagt diese Dinge, um sich selbst besser zu fühlen. Es gibt aber auch viele Wiederkäuer im Netz, damit meine ich, dass Leute irgendwo etwas lesen und es nachschwätzen ohne viel dabei zu denken, allein weil es auf den ersten Blick gut klingt. Nicht wenige davon sind auch gar keine Autisten, sondern glauben es nur, deshalb haben sie von den wahren Problemen gar keine Ahnung.
Man merkt, ich bin davon auch ziemlich genervt. Es wäre besser, realistisch und bei der Wahrheit zu bleiben, wenn man über eine Diagnose redet. Mit Verharmlosungen ist niemandem geholfen. Ich möchte ja schon ernstgenommen werden, und ich möchte nicht, dass die erste Frage nach dem Diagnose-Outen lautet „und was ist deine Superkraft?“, vor allem, wenn man so richtig eigentlich keine hat, sondern eher eine Großbaustelle an Schwierigkeiten. (Tatsächlich ist mir das schon 2x so ergangen, dass mir diese Frage gestellt wurde)

Die eigenen Stärken herausarbeiten und nutzen ist immer eine gute Sache, aber das passiert ja in dem Fall nicht, sondern es wird einfach irgendwas behauptet. Interessant, dass das bei ADHS genauso passiert.

2 „Gefällt mir“

Ich sehe das anders.. Ich mag mich selbst - auch wenn manche Symptome hart sind, so würde ich ohne anderes Dinge nicht sein wollen..

Allerdings habe ich einen anderen Blick auf beides. Ich glaube, dass beides sehr viel häufiger ist, als die offiziellen Diagnosen hergeben (und es gibt in der Forschung ja durchaus einen wachsenden Diskurs über subklinischen Symptomatik, Kompensationsstrategien und masking) und dass der bisherige Blick auf beides sehr defizitorientiert ist, eben weil nur die Menschen betrachtet wurden, die am System scheitern..

Und nein, ich kann nicht überall auseinanderhalten, was bei mir ADHS, was Autismus, was PDA , was Hochbegabung ist, aber vielleicht ist das auch gar nicht so klar voneinander abgrenzbar?

Und nein, ich würde definitiv nicht von Superkräften sprechen, aber ich nehme eben auch wahr, dass viele Probleme in unserer Gesellschaft begründet liegen und eben nicht in der Neurodivergenz an sich..
Ich sehe die Neurodivergenz eher als Brennglas, durch dass die Probleme unserer Gesellschaft als auch individuellen Umgebung nur deutlicher werden. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Symptome von ADHS ja keine auf betroffenen Menschen beschränkte Dinge sind, sondern auch in der Forschung zunehmend als Dimensionen begriffen werden, in denen ALLE Menschen individuell verortet werden können.

Aber ich denke da noch weiter..
Zum Beispiel gehen Menschen zum Psychologen, um dort zu lernen letztlich „autistischer“ im Sinne von direkter zu kommunizieren, eben weil auch neurotypische Menschen mit oder gerade wegen all ihrem sozialen Bimbambrorium an Beziehungen scheitern..
Zudem würde unsere Welt ne gehörige Portion „übermäßigen Gerechtigkeitssinn“, Mustererkennung und ein fehlender bullshit-filter definitiv nicht schaden..

Und ich bin fern davon neurodivergente Menschen zu einer Art besseren Menschen zu stilisierten, aber viele Probleme der Welt wären nicht vorhanden, wenn zum Beispiel die bei neurodivergenten Menschen oftmals notwendige Rücksichtnahme Maßstab für alle wäre..

Und ich weiß, dass man mit sowas immer vorsichtig sein muss, aber sowohl bei Biografien von berühmten Menschen als auch in meinem Lebensumfeld sehe ich viele Anzeichen von Neurodivergenz. Nicht nur im kreativen Kontext, sondern gerade auch in wissenschaftlichen und technischen Bereichen..

Ich glaube, es geht um ein sich gegenseitige Ergänzen und das gegenseitige Anerkennen von jeweiligen Stärken:
Fachwissen und interdisziplinäres Denken gepaart mit der Fähigkeit, Dinge umzusetzen und am Laufen zu halten.. Idealismus/Perfektionismus gepaart mit Praktikabilität.. Detailierte Wahrnehmung gepaart mit dem Blick fürs Große und Ganze… Authentizität gepaart mit Rücksichtnahme.. Ehrlichkeit gepaart mit Diplomatie..
Ich könnte ewig weiter machen..

5 „Gefällt mir“

Ich bin da einer ganz anderen Meinung, was vielleicht daran liegt, dass ich in den USA und nicht in Deutschland die längste Zeit meines Lebens verbracht habe. Vielleicht ist auch der Grund, dass ich erst mit 53 diagnostiziert wurde.
Ich sehe ADHS auch als eine Beeinträchtigung, die mich ziemlich viel im Leben gekostet hat. Aber jetzt nehme ich Medikamente, meditiere, übe Achtsamkeit und mache cognitive Verhaltenstherapie und habe gelernt, dass ich einfach Wege finden muss, mich nicht nur auf die schlechten Seiten zu fokusieren.
Ja, meine Medikamente halfen ganz toll am Anfang und wirken jetzt weniger, aber zumindest kann ich meinen Job wieder normal ausüben. Es hielft mir zu wissen, dass ich einen viel größeren Sinn für Gerechtigkeit und viel mehr Emapthie habe, und deshalb sofort in die Schlacht ziehe, wenn jemand unterdrückt oder mishandelt wird. Warum, weil ich durch genau dieses Verhalten meine ganze Kariere in den USA zerstört habe. Zu wissen, wie ich meine ADHS zu meinem Vorteil in manchen Situation nutzen kann und korrekt mit Impulsen umgehe, hat mein Leben zum Positiven verändert. Ich kann mein Gehirn nicht heilen, aber ich kann wählen, worauf ich meine Energie und meinen Fokus leite und wenn da jemand von Super Power redet, dann ist mir das lieber, als ständig daran erinnert zu werden, dass ich einfach anders ticke. Übrigens, ich bin mit ADHS und Autismus diagnostiziert worden, also doppelt so viel Mist und trotzdem finde ich Happiness. Allerdings habe ich meine Facebook und Instagram Konten gelöscht, was meiner Psyche auch sehr gut tat.

5 „Gefällt mir“

Das habe ich bisher noch nie gehört. Normalerweise gehen Menschen höchstens zu irgendwelchen Coaching-Anbietern und lernen dort, wie man sich durchsetzen kann oder wie man Konflikte löst, aber sicher nicht auf die Art von Autisten. Die geht nämlich in der Regel schief.

Auch Gerechtigkeitssinn, Mustererkennung oder (fehlender?) Bullshit-Filter im Zusammenhang mit ADHS oder Autismus ist eine reine Behauptung und Besserstellung gegenüber Normalen, die diese Eigenschaften aber genauso haben können. Das sind moderne Mythen oder urban legends.

Genau: „trotzdem“ und nicht wegen. Dagegen spricht nichts. Man muss wegen Diagnosen grundsätzlich nicht Trübsal blasen, man kann das beste draus machen und sich das Leben möglichst schön einrichten, soweit das eben möglich ist.

Etwas, was ich an mir schätze, und wovon ich trotzdem nicht weiß, ob ich das wegen, trotz oder unabhängig von Autismus habe, ist dass ich immer versuche, die Dinge so zu sehen wie sie wirklich sind, ohne Schönfärberei. Weil nur wenn man die Realität kennt, kann man auch richtig damit umgehen, ist so meine Vermutung. Allerdings habe ich auch schon mitbekommen, dass es manchmal ein Segen sein kann, mit rosaroter Brille rumzulaufen und sich die Welt zu machen, wie sie einem gefällt, und das noch nicht einmal zu merken.

1 „Gefällt mir“

Nein, das sind definitiv keine Mythen. Nur weil etwas noch nicht wissenschaftlich bewiesen ist, bedeutet es nicht, dass es Unsinn ist.
“ Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit ADHS einen stärker ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben können, aber es gibt keine eindeutigen wissenschaftlichen Studien, die dies eindeutig belegen. Viele Quellen betonen die hohe Sensibilität und den Gerechtigkeitsinn von Menschen mit ADHS.”

Ich habe gerade 7 Wochen in einer psychosomatischen Reha verbracht, und wurde auch in die ADHS Gruppe einbezogen und kann definitiv sagen, dass dies ein seltsames Phänomen ist und auch der Grund, warum viele Menschen mit ADHS als Sanitäter und anderen Rettungsjobs arbeiten. Von mir selber weiß ich, das mein ganzes Leben lang eine Art Hebel umgestellt wird, wenn ich Ungerechtigkeit gegenüber anderen sehe und ich sofort, ohne a die Konsequenzen zu denken helfe. Die einzigen Menschen, die ähnliche oder gleiche Situationen nennen konnten, waren andere Menschen mit ADHS.

Wenn ich rein von der Wissenschaft ausging, wäre ich arm dran. Die haben nämlich teilweise völlig falsche oder keine Diagnosen stellen können, weil sie mangelnde Studien hatten. Deshalb wurde z.B. meine Fibromyalgie erst in den USA diagnostiziert.

Außerdem sollte man auch in Betracht ziehen, dass Studien und Wissenschaft nur passieren, wenn es Gelder zur Forschung gibt und Neurodiversity ist da ganz unten auf der Prioritätenliste. Somit wird ADHS immer noch als “Wahl” gesehen, weil wir “ja alle etwas ADHS haben,” und Autismus als schwere Behinderung.

3 „Gefällt mir“

Hey in die Runde,

danke für den Post.

Superkraft bringt mich auch jedes Mal zum Kopfschütteln.
Ich habe mir oft genug mit meinen vermeintlichen Superkräften das Leben versaut.

Regelmäßig wünsche ich mir wenigstens etwas neurotypischer zu sein, denn ich empfinde, dass mir meine Diagnose (AuDHS) einfach mehr Nachteile als Vorteile bringt.

Klar, man arrangiert sich, aber bequem oder gar „superkräftig“ ist es definitiv nicht.

Mit den Medis kann ich aber nun wenigstens manchmal richtig arbeiten (am Anfang klappte das sogar hervorragend, doch hat sich das etwas gelegt).

Ich glaube, dadurch, dass dieses Superkraft-Geschwafel aufgekommen ist, wird die Diagnose noch öfter in Frage gestellt - eher, weil man manchen die vermeintliche Superkraft damit einfach aberkennen möchte. Oft geht es dann wahrscheinlich gar nicht mehr um ADHS, sondern darum, was viele daraus machen (wollen).
Das findet noch weniger Akzeptanz als ADHS für sich allein betrachtet.

Aber das sind nur meine Gedanken dazu…

Liebe Grüsse
Ida

3 „Gefällt mir“

Wann geht es „in der Regel schief“? Zumindest nicht, wenn Menschen mit Autismus miteinander reden…

Und ich meine ja gerade Konfliktlösung..
Wenn ich mir potcast von Psychologen zu Paartherapie anhöre, dann geht es generell darum, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen, Grenzen zu setzen und gesellschaftliche (Rollen-) Erwartungen zu durchbrechen.

Die gesamte Entwicklungspsychologie und Elterncoachings kannst du runterbrechen auf „co-regulation, wenn das Kind sich quer stellt, und aufrichtiges Miteinander, wenn Reden wieder möglich ist“..

Der Diskurs in der Forschung ist da deutlich weiter als das dsm 5 oder 10..Stichwort transdimensionaler Ansatz..

Und ich habe in der Psychoedukation gelernt, dass jeder Mensch unter gewissen Umständen adhs-Symptome hat… Es ist der Leidensdruck der durch die Häufigkeit und Stärke entsteht, welche die Diagnose notwendig machen.. Und das galt explizit nicht nur für die Negativ -Symptome!
Was aber viele vergessen ist, dass man auch dann ADHS hat, wenn man sein Leben so eingerichtet hat, dass es auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt ist und man hochfunktional ist..

Es geht mir eben nicht um ein Ausschließlichkeits-Kriterium aka Superkraft, sondern um eine Häufung bestimmter traids.. Wenn es die nicht gäbe, dann gäbe es nicht das Phänomen, dass sich undiagnotizierte Menschen ganz automatisch Rudeln..

Dazu kommt eine hohe Vererbbarkeit von Neurodivergenz.. egal ob Autismus, ADHS, LRS/Dyskalkulie, Hochbegabung, Hochsensibilität…
Ich muss mich ja nur in meiner Familie umgucken… Das Sprichwort „Der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn definiert sich am Erfolg“ ist so dermaßen für uns gemacht…

Wenn ich dazu recherchieren ist die Aussage, dass das alles nur urban legends und moderne Mythen sind nicht haltbar… In Vergleichsstudien reagieren neurotypische Menschen stärker kontextabhängig, strategisch oder gruppenkonform auf moralische Dilemmata.
Neurodivergente Menschen (v. a. im Autismus-Spektrum) zeigen häufiger ein konsistentes, prinzipiengeleitetes Verhalten, auch wenn es soziale Nachteile bringt.

Menschen mit ADHS zeigen oft eine niedrigere Frustrationstoleranz bei wahrgenommener Ungerechtigkeit und eine intensivere emotionale Reaktion (Impuls, Wut, Verweigerung).

Bei AuDHS (ADHS + Autismus) kommt eine erhöhte Sensibilität für soziale Widersprüche hinzu – das verstärkt die Reaktionen oft.

Neuere Forschungsansätze wie die neurodivergenz-sensible Psychologie (z. B. Monotropism-Theorie, Demand Avoidance Framework) betrachten Gerechtigkeitssinn nicht als Symptom, sondern als Ausdruck einer kognitiven Stimmigkeitssuche – also eines Bedürfnisses nach Kohärenz in inneren und äußeren Regeln.

1 „Gefällt mir“