ich habe meine Diagnose seit zwei Wochen und habe bereits in der Diagnostikphase bemerkt, dass mir im Alltag immer mehr Dinge auffallen, die ich zuvor als „normal“ angesehen habe, nun aber im Sinne der ADHS-Symtomatik einordnen kann. Dazu zählt auch das Thema Zeitblindheit. Bis zur Diagnose habe ich gedacht, damit eigentlich keine Schwierigkeiten zu haben. Ich erscheine selten zu spät und bin meist immer viel zu früh da. Nun beobachte ich im Alltag, dass es mir total schwer fällt Zeiten einzuschätzen, die ich für bestimmte Wege oder auch Tätigkeiten (z.B. Morgenroutine, duschen, kochen, einkaufen, etc.) benötige. Zudem denke ich immer nur in Stunden. Das heißt ich plane für jeden Weg, jede Tätigkeit erstmal eine Stunde ein. Wenn ich ungefähr einschätzen kann, dass es länger dauern wird, rechne ich eine weitere Stunde dazu, auch wenn ich vielleicht nur 10 Minuten mehr Zeit bräuchte. In Abschnitten von Minuten zu denken, würde mich komplett verunsichern. Kennt jemand das von sich?
Ich kenne das auch mit der Zeitblindheit. Vermutlich sogar jeder hier.
Ich bin entweder viiiel zu früh da, weil ich so ungeduldig bin und es hasse zu warten bis ich los kann oder ich überschätz mich maßlos und muss dann hetzen. Auch plane ich immer viel mehr Zeit ein und jeden einzelnen Schritt: dann muss ich mich fertig machen, dann anziehen, dann los, dann kommt der Bus, usw.
Teilweise ist es so schlimm, dass ich vorher nichts anfangen kann, weil ich einfach nicht einschätzen kann, wie lange ich für etwas brauche. Und dann bin ich doch kurz am Handy und ich bemerke voller Panik, dass ich los muss.
Ich gucke auf die Uhr und sehe, es ist 9.50 Uhr. Ich sage mir laut vor, dass ich in 10 min los oder ein Anruf tätigen muss. Ich guck wirklich nur ganz kurz weg und plötzlich ist es 30 min später (wenn nicht gar mehr).
Ein klassisches „ich mach noch schnell eben…“ Oder ein „nur kurz noch…“ Kann unter Umständen einen halben Tag dauern, Währenddessen zig mal der Task wechselt, andere Dinge angefangen und mehrere vergessen werden…
Kleines Beispiel:
Ich wollte heute morgen mit dem Handy was nachsehen (weil ich mal produktiv in den Tag starten wollte) und bin dann dabei hängen geblieben, alte Suchanfragen bei Google zu löschen Währenddessen ich völlig vergessen hatte, was ich eigentlich suchen wollte.
In der Zwischenzeit ist jedoch fast ne Stunde flöten gegangen
*Edit 1
Generell kann ich bei 90% der Vorhaben die ich angehe, absolut gar nicht auch nur im Ansatz realistisch einschätzen, wie lange ich dafür brauchen werde…
Hat zur Folge, dass für mich eine realistische Tagesplanung nahezu unmöglich ist
*Edit 2
Bin gespannt, ob die Tagesstruktur die meine Therapeutin mit mir aufstellen möchte was daran ändern kann
Ich sage mir heute wiederholt, dass Montag nicht der 17.04. ist. Bewusst ist mir das aber erst seit heute morgen. Dass heute der 14.04. ist, war aber völlig klar.
Also nochmal für mich: Montag ist nicht der 17.04., der Termin ist nicht Montag
Zu früh kommen ist meine Strategie damit das Pünktlichkommen überhaupt klappt.
Und Zeitaufwand schätzen klappt nur, wenn ich die Abläufe wirklich kenne. Sonst liege ich oft meilenweit, äh stundenweit daneben. „Das mache ich noch eben schnell.“ geht normalerweise schief.
Ach ja, das einzige wo ich Zeiten halbwegs realistisch und zuverlässig abschätzen kann, ist beim backen… Also die gare (Teigruhe) nicht mit einbezogen. Die variiert aufgrund sich permanent verändernder Umwelteinflüsse (mal wärmer, mal kälter, vorher wärmeres Wasser genommen als das letzte mal usw…).
Willkommen liebe @leneli , und Ja ich kenne das auch mit der Zeitblindheit, übrigens sehr ähnlich wie Du es bei Dir beschrieben hast.
Ich bin ebenfalls unfähig dazu in Minuten zu planen, bin unfähig dazu abzuschätzen ob etwas 5, 10 oder vielleicht doch ehr 15 Minuten gedauert hat, oder vielleicht doch sogar schon eine halbe Stunde vergangenen ist?.
Deshalb zähle ich auch zu den Leuten die bei Parkuhren meistens eine Stunde zuviel bezahlen.
Eben ganz einfach weil ich generell lieber mehr Zeit einplane, halt um ganz sicher zu gehen.
Klar den nächsten freuts weil er von mir eine Stunde Gratis pakieren geschenkt bekommen hat, aber ich ärgere mich natürlich insgeheim, weil ich so unfähig bin meinen eigenen Zeitaufwand richtig einschätzen zu können.
Wie man sieht hat das also sogar finanzielle Folgen für mich, weil ich lieber mehr Zeit einplane als zu wenig.
Anderseits wäre ein Strafzettel teurer als eine Stunde zuviel in die Parkuhr einzuzahlen, von daher eben erfahrungsgemäss: „lieber zu früh kommen als zu spät“.
Was mein Schatz von mir kennt?, wenn ich sage : „ja gleich“, dann weiss er das er Minimum eine halbe bis Maximum eine Stunde warten muss, im schlimmsten Fall sogar den halben Tag.
Ausserdem weiss er das sogenannte „Blitz Rezepte“ bei mir in der Küche nicht funktionieren, weil ich halt immer von irgendwas abgelenkt bin, meistens vom Handy.
Ansonsten was andere hier auch bereits beschrieben haben.
Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten! Es tut super gut eure Erfahrungen zu lesen und ich kann mich in vielem wiederfinden. Tatsächlich geht es mir auch so, dass ich mir vor Terminen nichts anderes einplanen kann. Zum einen aus Unsicherheit zeitlich alles zusammenzukriegen und zum anderen, weil ich insbesondere vor wichtigen Terminen gedanklich so darauf fokussiert bin, dass sowieso nichts andere möglich wäre.
Zu früh kommen ist ebenfalls meine Strategie nicht zu spät zukommen Ich stelle mir am Morgen zudem immer einen Wecker zum Aufstehen und einen Wecker für den Zeitpunkt, an dem ich das Haus verlassen muss. So kann ich sicher gehen, dass ich mich nicht in meiner Zeitplanung oder ablenkenden Tätigkeiten verliere. Es ist so verrückt, jahrelang dachte ich: „Okay, das geht jedem so.“ und nun realisiere ich Stck für Stück, dass es mit meiner ADHS in Zusammenhang steht.