ADS Diagnose und unauffällige Kindheit

Hallo zusammen,

ich habe gerade ganz neu mit 36 Jahren eine ADS Diagnose bekommen.
Erst war es ein Verdacht und konnte auch nicht sicher durch den HASE Test bestätigt werden. Dann war ich bei einer spezialisierten Praxis und dort wurde jetzt ADS diagnostiziert. Ich bin sehr unaufmerksam und desorganisiert, kaum bis gar nicht hyperaktiv oder impulsiv.
Dort habe ich die Rückmeldung bekommen, dass sie meine Diagnose wohl viel diskutiert haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass sie trotz unauffälliger Kindheit die Diagnose stellen können.

Die These ist, dass ich in der Kindheit ein richtig gutes akzeptierendes und unterstützendes Umfeld hatte. Meine Mutter hat quasi alles an Struktur und Aufräumen für mich übernommen und alle vergessenen Gegenstände wieder eingesammelt.
Ich hatte eine irre gute Grundschullehrerin, die mir immer viel Neues, Extra-AGs und Zusatzaufgaben gegeben hat. In meinen Zeugnissen gibt’s auch nicht einen Hinweis auf ne Störung, eher im Gegenteil. Sehr sorgfältig und immer gut in der Schule.

Schwierigkeiten hatte ich dann erst ab ca. 11-12 Jahren, als mehr Selbstorganisation verlangt war. Schulisch hab ich dann trotzdem irgendwie immer alles hingekriegt, aber es wurde irre anstrengend und ich musste viel in letzter Minute ausgleichen. Für das Lernen in Fächern, die mir nicht so liegen hab ich ewig gebraucht oder es gar nicht geschafft. Das irgendwie alles mit extrem viel Aufwand doch noch fertig kriegen hat sich dann auch im Studium fortgesetzt.
Richtige psychische Probleme habe ich seit ich meinen ersten richtigen Job nach dem Studium angefangen habe. Seitdem immer wieder Erschöpfung und Depressionen. Ganz schlimm nach der Geburt meiner Tochter, wo nochmal meine funktionierenden Strukturen umgeworfen wurden und ich in eine große Überforderung gerutscht bin. Ich dachte halt jahrelang, es sei normal, dass alles so viel Kraft kostet.

Gibt es hier auch Menschen, bei denen die Kindheit so „unauffällig“ war? Ich war immer total freundlich und angepasst und nach außen voll ruhig. Innerlich aber eher das Gegenteil, Kopfchaos, viel zu viele Gedanken und Ideen auf einmal. Ich komme noch nicht ganz darauf klar, dass das so sein kann.

Kennt ihr das auch, AD(H)S, vor allem als riesige Überanstrengung nach innen wahrzunehmen?

Einerseits bin ich total erleichtert, die Diagnose zu haben, weil es wie ein fehlendes Puzzleteil so vieles in meinem Leben erklärt.
Andererseits bin gerade auf dem Weg, meine Diagnose wirklich zu akzeptieren zu können und würde mich über Erfahrungsberichte von euch freuen!

3 „Gefällt mir“

Herzlich willkommen!

Bist du männlich oder weiblich?

1 „Gefällt mir“

Weiblich. Ich bin auch erst auf die Idee einer ADS gekommen, weil eine Bekannte mir von ihrer Diagnose erzählt hat und ich dann hier im Symptomtest 29 Symptome hatte. Vorher wusste ich nicht so viel darüber, dass es bei weiblich gelesenen Personen oft anders ist :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Also in der Grundschule war ich ne absolute 1er Schülerin.

War jedoch schüchtern und verträumt. Hatte soziale Ängste. Das ist aber nicht aufgefallen glaube ich.

Zuhause dafür große Klappe. Aufräumen konnte ich nicht.

Nach der Grundschule wurde es schwieriger.

Mädchen fallen oft nicht auf wenn sie nicht hyperaktiv sind. Vor allem wenn sie intelligent sind. Kann man einiges kompensieren.

7 „Gefällt mir“

Da ist ein late-onset wesentlich wahrscheinlicher.
Schau mal hier:

Ja bei mir denke ich auch eher daran… der Persönlichkeitstyp war ich aber auch als Kind schon …

1 „Gefällt mir“

Hallo Pappkreis,
Ja,bei mir war es genauso. Ich dachte auch immer, dass alle sich so viel anstrengen müssen bzw. ich einfach weniger Kraft haben. (Eigentlich fiel mir schon in Oberstufe auf, dass ich die Organisation nicht schaffe, aber bei den eigentlichen Lerninhalten echt schnell sein kann - das war super für mein Selbstbewusstsein)
Ich bin im Leben immer wieder ins Straucheln gekommen und hatte Erschöpfungssymptome/ Depressionen… Aber ich habe auch ein Studium abgeschlossen und meine Arbeit nicht schlecht gemacht… Ich habe so viele Bücher über Selbstorganisation und Zeitmangement gelesen, auch Seminare dazu besucht. Dann hab ich Psychotherapien gemacht, weil ich mir nicht erklären kann, wo die Probleme/ Depressionen her kommen. Es ist nicht so, dass die mir nichts gebracht haben. Im Gegenteil, ich habe viel über mich gelernt, aber die Symptome blieben. Ich habe meditiert, Retreats besucht usw., um weniger emotional und empfindlich zu sein. Jetzt nehme ich 20mg Medikinet und fühle mich so ‚bei mir‘ und ausgeglichen, wie ich es nach acht Tagen Meditieren nicht geschafft habe :stuck_out_tongue_winking_eye:
Allerdings bin ich auch sehr unsicher, ob es wirklich die richtige Diagnose ist. Ich kann mich nicht so richtig freuen, dass es mir gut geht und habe Sorgen dass ich abhängig von Aufputschmittel werde oder so ähnlich. Kann es nicht besser formulieren. (Vermutlich mach ich mir unnötige Gedanken) Geht es dir auch so?

1 „Gefällt mir“

Danke für eure Antworten,

sry übrigens, manchmal brauch ich ewig, um hier was zu schreiben. Ich hab massiv formulierungs-Probleme und kriegs oft nicht hin, schriftlich Sätze zu beenden. Ich les aber gern, was ihr schreibt :slight_smile:

über meine Kindheit denke ich jetzt, dass die riesengroße Anstrengung etwa mit 10-11 Jahren angefangen hat, ist das schon late-onset?`Ab da hatte ich dieses diffuse Gefühl, dass bei mir was anders ist als bei den anderen. Also, warum können die einfach Hausaufgaben machen, ihr Zimmer aufräumen, regelmäßig irgendwas üben, und ich nicht? Aber so richtig Krankheitswert hatte das damals noch nicht. Bin ja irgendwie immer durchgekommen, und das sogar ganz gut. Also ADHS Gehirn war schon da, aber halt genau… noch ganz okay zu kompensieren.

Bis dann beim Berufseinstieg und ganz krass mit Kind das Kartenhaus zusammengefallen ist und ich Burnout/Ängste und Depressionen bekommen habe.

Je mehr ich mich im Alltag beobachte, merke ich gerade, wie in vielen Situationen versuche „normal“ wie neurotypische Menschen zuzuhören, zu sitzen etc. Ich empfinde es als sehr befreiend, dieses Masking nach und nach zu hinterfragen und teilweise wegzulassen oder gesündere Alternativen zu finden. Jetzt, wo ich weiß woran es liegt, dass ich so übermäßig angespannt bin in machen Situationen, fällt mir das auch viel leichter, da etwas loszulassen.

Ja @Xxx , das kenn ich auch. Ich hab so viel Energie in Organisationstechniken, Zeitplanung und Achtsamkeit und co. investiert… hat auch durchaus geholfen, ohne wärs Chaos noch schlimmer :slight_smile: aber auch ich war oft frustriert, weil nichts lang gehalten hat und ich gefühlt immer wieder von vorn anfange. Jetzt denke ich, ach ja, das NEU anfangen ist halt auch mein Gehirn, das sich nach kurzer Zeit langweilt und Dopamin braucht. Ich versteh halt einfach besser, was da in mir abgeht…

Mit der Unsicherheit, ob das jetzt die richtige Diagnose ist, hab ich auch immer wieder zu tun gerade. Diese Angst vor „Abhängig werden“ oder „ADHS ist nur eingebildet“ hat bei mir auch viel mit den leider verbreiteten Vorurteilen zu tun. Ich mach mir definitiv viel zu viel Gedanken, was andere denken, nicht cool.

Mir hats jetzt sehr geholfen, zu überlegen, was MIR diese Diagnose gesundheitlich nützt:

-erklärt mir endlich, wie mein Kopf funktioniert
-eröffnet mir den Weg, mich mit anderen unangenehmen Dingen auseinanderzusetzen (bei mir z.B. zwanghafte Elemente, die ich vorher nicht so richtig wahrhaben wollte)
-hilft mir, Strategien zu finden, die helfen bevor Ängste und Depressionen entstehen
-ermöglicht Zugang zu Medikamenten, die gegen die Symptome helfen (ist bei mir auch so, erste Versuche mit Methylphenidat … krass … endlich Ruhe im Kopf usw.
-macht mich in allen Lebensbereichen (Job, Familie, Freizeit…)entspannter, selbstsicherer, hoffentlich auch weniger krank
-wurde (in meinem Fall) diagnostisch von einer spezialisierten Praxis bestätigt

Jetzt soll mal jemand kommen und ein besseres Erklärungsmodell für meinen Kopf haben. Nehm ich, gerne. Immer her damit. Gibts nicht? Achja, dann ist wohl ADHS im Moment die beste und „richtige“ Diagnose.

Erzählst du anderen von der Diagnose oder wie schaffst du es ohne Masking? Oder welche Alternativen hast du gefunden? Im Moment verlange ich einfach weniger von mir selbst und das ist natürlich erstmal eine Entlastung. Aber ich habe die Diagnose noch nicht lange und weiß nicht, welche Auswirkungen das langfristig haben wird. Also, wie andere damit umgehen werden. Hast du damit langfristig positive Erfahrungen?

Same here! Mit der Mutterschaft ging plötzlich gar nichts mehr. Ich kann mich einfach nicht 14 Stunden täglich neurotypisch verhalten… Gleichzeitig ist es mir jetzt wichtiger denn je „normal“ zu funktionieren und dem Kind eine schöne Kindheit zu ermöglichen. Die Medikamente helfen, aber die Zeitspanne ist kurz.

Das ist eine gute Einstellung zu diesen Zweifeln. Das werde ich übernehmen. Danke fürs Teilen.

Ich würd nicht behaupten, ohne Masking klarzukommen. Aber ich arbeite daran, die richtig fies ungesunden Sachen wegzulassen. z.B. überfordernde Situationen zu verlassen, mich zu bewegen, wie ich das brauche, statt immer still „auszuhalten“. Ich nehm Jongliersachen mit zum Spielplatz, weil ich innerlich sterbe vor Langeweile, wenn ich das wie die anderen Eltern mache. Oder bitte in nem meeting darum, dass alle nochmal Vor- und Nachnamen nennen. Das ist z.B. Verhalten, das meist niemanden stört, aber ein bisschen Mut von mir verlangt, es halt „anders“ zu machen. Das wird noch ein langer Prozess, aber ich versuch da mal geduldig mit mir zu sein. Im Moment lande ich noch oft in Situationen, die mich extrem überfordern oder wo ich emotional überreagiere (bei mir halt stark nach innen mit Stress, Angst oder so). Bin aber auf der Suche nach Lösungen, die sozial kompatibel und gesund für mich sind.

Ich hab die Diagnose ja auch erst seit nem Monat ungefähr. Aber es war schnell klar, dass ich damit relativ offen umgehen möchte. Mein engeres Arbeitsumfeld weiß es, meine Friends und Family auch. Die Reaktionen waren bisher viel positiver als ich dachte.

Ich hab mir da erlaubt, auch Menschen in meine ADHS-Diagnosestory einzuweihen. Ich bin sehr offen bei Menschen, mit denen ich befreundet bin, die ich regelmäßig sehe und denen ich soweit vertraue, dass sie das nach und nach mit mir zusammen verstehen können.

Für mich ist es ein Riesenthema und echt ein Befreiungsschlag, mir selbst zu erlauben, dass ich darüber reden „darf“, wenn ich möchte. Und wenn ich Schwierigkeiten habe (z.B. mit den exekutiven Funktionen, beim Planen, beim Zuhören, Verstehen, mit Terminen, mit Reizüberflutung!), das auch benennen zu dürfen. Vorher hatte ich gar keine Worte, um zu beschreiben, wie es mir geht. Jetzt gibts diese neue Option, zu sagen, hey ich hab ne Aufmerksamkeitsstörung. Oder ohne „ADHS“ zu sagen, einfach bisschen selbstverständlicher mein Verhalten anderen zumuten: Ja, ehrlich, das ist bei mir ganz normal, wundert euch nicht, wenn ich nochmal nachfrage. / ich brauch kurz ne Pause / ja ich such mal wieder Papiere / ja, ich hab dich nicht gesehen / ja, der kaffeefleck auf dem dokument war von mir / äh, wo ist mein kind? / ja, ich brauch das nochmal per mail, nicht nur auf nem klebezettel / ja, die abgabefrist war gestern / danke für euer Verständnis

Ich stell mich aber darauf ein, dass ich da noch viel reden und erklären werde. Glaube aber auch, ich habe eine privilegierte Situation, sehr verständnisvolle Freunde und nen sicheren Arbeitsplatz, an dem ich mich auch traue, das nach und nach zu machen.

Habe also erstmal kurzfristig positive Erfahrungen gemacht :slight_smile:

Yes! An der Rolle als Mama hängt auch zusätzlich noch dieser Erwartungsdruck, alles zu organisieren und quasi im Alleingang die Managerin perfekter Kindheit zu sein. Dieses Mutterbild ist für mich ne ganz schwierige Konstruktion, die leider noch immer in so vielen Köpfen inklusive meinem festklebt.

Mit neurodivergentem Gehirn umso schwieriger. Chaotisch, unpünktlich, verpeilt, unaufmerksam, impulsiv, passt halt nicht so rein, bzw. wird dann total übermoralisiert, selber Schuld = schlechter Charakter. Ich glaub aber, es gibt Wege, wie alle in der Familie ne gute Zeit haben können und auch alle so sein dürfen, wie sie halt sind.
Ich finds aber auch irre schwer, da bei den eigenen Bedürfnissen zu bleiben. Und Hilfe suchen und annehmen, Dinge abgeben die ich nicht gut kann. Das würd ich echt auch gern besser können.

1 „Gefällt mir“

Interessant, was Du zum Thema Masking beschreibst:

Das habe ich mir vor Diagnose erlaubt oder eher erlauben müssen. Jetzt fällt es mir schwerer, weil ich mich noch nicht entschieden habe, wie offen ich damit umgehen will. Meine Sorge ist, dass mich dann niemand mehr ernst nimmt. So auf die Art, im Projekt lief irgendwas schief und viele denken „Das war bestimmt die ADSlerin, die vergessen doch immer alles“ oder so ähnlich, obwohl es in diesem Fall vielleicht gar nicht mein Fehler war. Ich befürchte auch, dass meine Schwächen nach dem „outing“ mehr auffallen werden. Auf der anderen Seite wäre es auch eine große Entlastung und eigentlich kann ich auch nicht weiter machen wie bisher. Es ist jedenfalls ermutigend zu lesen, dass Du bislang gute Erfahrungen gemacht hast.

Yep! Ich würde hinzufügen: An der gegenwärtigen gesellschaftlichen Aufteilung der Carearbeit zerbrechen nicht nur Frauen mit ADxS. Das ist insgesamt eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Nach und vor der Lohnarbeit muss man als Mutter täglich nochmal mindestens acht Stunden „aus Liebe“ unbezahlt funktionieren, um dann häufig in der Altersarmut zu enden. :face_with_raised_eyebrow:
Ich behauptet mal, dass es mir aber im Alltag weniger darum geht ein bestimmtes Mutterbild zu erfüllen (ich habe nämlich erheblichen Druck auf den Vater ausgeübt sich mehr zu beteiligen -leider auf die impulsive ADS-Art… bis er eben auszog und ich jetzt doch alles alleine mache muss). Aber ich will halt auch von ganzem Herzen, dass mein Kind z.B. ein gesundes Essen in der Brotbox hat, dem Wetter entsprechende Kleidung trägt, sich geborgen fühlt, die Alltagsstrutur bekommt, die es braucht usw. Auch wegen ADS komm ich dabei total an meine Grenzen bzw. habe sie eigentlich ständig überschritten… :pensive: Wenn ich meine Bedürfnisse aber nicht zurück nehme, hat mein Kind das nachsehen.

Ich bin allerdings voller Hoffnung, dass es mit der Medikation besser klappen wird… die letzten Wochen waren wirklich einfacher

1 „Gefällt mir“