ADS Diagnose weiblich mit Anfang 30

Hallo,
ich bin weiblich, Anfang 30 und habe eine ADS Diagnose bekommen. Das letzte Jahrzehnt war ein einziger Kampf mit Studienabbruch, Zwangsexmatrikulation nach nicht Bestehen und dann irgendwie mit 29 doch noch einen Bachelor und Master, kaum finanzielle Rücklagen/ Arbeitserfahrung.

Ich bin dankbar für die Diagnose, aber ich bin auch unendlich traurig und weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich war lange nicht mehr so traurig und muss am Tag mehrmals weinen. Anders als viele anderen finde ich eine ADS-Diagnose nicht „inn“, sonder schäme mich sehr dafür, dieses Defizit und diese Diagnose zu haben. Ich weiß, dass man selber dafür nicht kann, aber ich bin wütend, dass gerade ich so eine beschissene Genetik von meinen Eltern mitbekommen habe, die denen dann noch nichtmal aufgefallen ist. Ich war vor der Diagnose schon einmal in Behandlung wegen „Depressionen“. aber niemand hat erkannt, worum es geht.

Ich wollte selber eigentlich immer Kinder haben, aber zweifele jetzt sehr daran, weil ich mit meiner Genetik wirklich nicht das geringste Recht habe, einem anderen Menschen diese zuzumuten . Das schmerzhafteste ist aber der Gedanke daran, wie ADS die Beziehungen zu Menschen beeinflusst hat. Ich habe mich nur einmal wirklich in einen Mann verliebt, aber für den war ich mit meinem Lebenslauf sofort, auch verständlicherweise, raus. Ich bin emotional mit der Diagnose ADS echt überfordert und schäme mich sehr dafür.

Wie ging es euch mit der Diagnose und habt ihr irgendwie einen Weg gefunden, Frieden mit eurer Vergangenheit zu schließen?

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Hallo verzweifelt123,

wenn du möchtest, kann ich deinen Nicknamen ändern, denn ich hoffe sehr, du wirst in der nächsten Zeit nicht immer verzweifelt sein.

Andererseits - ich bin ja auch lange kein Falschparker mehr, geht auch gar nicht, weil ich mein Auto 2022 abgemeldet habe. :adxs_grins:

Diese Phase gibt es, aber man kann darüber weg kommen. Du gewöhnst dich daran, ADHS-lerin zu sein. Es ist weder in noch zum Schämen, sondern einfach ziemlich lästig und nach einer Weile normal.

Meistens gesellen sich gleich und gleich. Das heißt, der Mann deiner Träume hat vielleicht auch ADHS. Das ist einerseits doof, weil die Ordnung in der Wohnung ist bei zwei Chaoten noch schlimmer als bei einem. Andererseits versteht man einander eben besser. Ich bin 33 Jahre glücklich mit einer Chaotin verheiratet, und einen vorzeigbaren Lebenslauf haben wir beide nicht wirklich.

ADHS sehr wahrscheinlich weiter zu vererben ist eine Belastung für die Kinder, aber du weißt im Voraus worum es geht, und das ist für Eltern und Kinder viel besser als davon überrascht zu werden.

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Mir geht es auch so, akzeptieren fällt mir schwer, und ich stimme Falschparker komplett zu.

Ich hab nie gearbeitet und kein eigenes Geld, dafür schäme ich mich auch. Ich bekomme es nicht hin. Meine Wohnung ist schrecklich, ich bekomme es nicht hin. Aber ich hab mit fast 34 eine neue Beziehung begonnen (kannte den Mann von früher schon), dann mit 36 geheiratet und mit fast 38 ein Kind bekommen. Ich zweifle noch dran, ob es schlau war. Hab die Diagnose erst nach der Geburt bekommen. Ich hätte mich aber nicht abbringen lassen, weil viel zu neugierig, wie es ist schwanger zu sein, ein eigenes Kind zu haben usw. Es ist extrem extrem anstrengend, aber es funktioniert! Ich geb das Kind nicht mehr her, überlege sogar noch eins zu wollen, obwohl Wohnung, meine Energie, Schlaf usw. von meinem Mann und mir über alle Grenzen gesprengt sind. Ist auf jeden Fall nie langweilig mit einem Kind.

Ich sehe das auch so: Du weißt, was kommen kann an Schwierigkeiten und du kannst mit dem Kind da durch. Deine Eltern haben bestimmt ihr bestes getan und wussten es damals einfach nicht besser. Es war eine andere Zeit, die Informationen waren auch nicht so zugänglich. Ich hab auch eine sehr ungünstige Konstellation gehabt, kann man halt nicht ändern. Im Nachhinein ist man immer schlauer.

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Niemand von uns findet seine Diagnose „inn“

Es ist nicht cool AD(H)S zu haben . Es ist nicht cool zu Scheitern, obwohl man sich anstrengt. Nicht mitzuhalten zu können als Kind und später als Erwachsener.

Deine Scham und die Bewertung der Diagnose als Defizit, das kommt wahrscheinlich nicht erst jetzt, oder? Das Gefühl der Scham ist dir wahrscheinlich nicht neu. Sich defizitär wahrzunehmen auch nicht.
Falls ich Falsch liege, kannst du das gerne Schreiben.
Was ich damit sagen will, ist dass du aus deinen gesammelten Erfahrungen auf diese Diagnose blickst. Scheiternd. Wie auf dein Studium.
Viele hier kennen diese Gefühle und Gedanken.

Ich brauchte nach meiner Diagnose Zeit, zu trauern. Ich trauerte über ein Leben das ich nicht hatte.

Nimm dir deine Zeit.

Und dann schau was du jetzt, mit der Diagnose, dem Wissen über deine Schwächen und Stärken, vielleicht Medikamente (bei mir haben sie meine Lebensqualität um 80% gesteigert, aber dass muss jeder für sich entscheiden) oder und Therapie, was du mit deinem Leben machen willst.

Lerne dich kennen. Blicke liebevoll auf dich. Stelle dir vor, ein geliebter Mensch in deinem Umfeld hätte die Diagnose bekommen und schämt sich dafür. Was würdest du, als Freundin, zu dem Menschen sagen?

ADHSler können auch einen negativen Hyperfokus haben, dass heißt, sie können sehr lange in der Selbst"krittik/verachtung" verweilen.
Seit meiner Medikation kann ich das besserReguliern und verstehen.

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Hi @verzweifelt123 und herzlich willkommen! :adxs_wink:

„Inn“ finden die Diagnose wahrscheinlich nur Leute, die sie nicht haben.

Betroffene finden sie eher erleichternd - weil sie endlich eine Antwort auf viele „Warum“ in ihrem Leben haben.
Trauer und Wut, die mit der Diagnose kamen, kennen hier viele - ich auch. :adxs_trost: Es dauert, bis die Diagnose im Hirn ankommt und „normal“ wird.

Woher kommt die Scham? Hast Du dazu eine Idee?

Die Diagnose Depression muss nicht mal falsch gewesen sein. Haben ADHSler oft zusätzlich im Gepäck. Die Behandlung der Depression ist halt nicht erfolgreich, wenn die eigentliche Ursache (ADHS) nicht erkannt wird.

Doch das ist bei Dir nun anders und eine echte Chance für Dich, „die Kurve zu kriegen“, wenn die Trauer um verpasste Chancen nach und nach mehr Raum für Zukunftspläne lässt. Du hast noch jede Menge Leben vor Dir, das Du mit dem Wissen um ADHS und der passenden Behandlung für Dich gut meistern kannst.

Ob dann Kinder zu diesem Leben gehören, wirst Du für Dich entscheiden müssen.

Als ich meine Kinder bekam, hatte ich keine Ahnung, was ich so alles an sie weitergeben könnte, hatte keine gesundheitlichen Probleme und auch keine Diagnosen. Im Laufe der letzten Jahre stellte sich heraus, dass ich nicht nur ADHS an meine Kinder weitergegeben habe.

Es macht mich durchaus manchmal traurig, dass meine Kinder leiden, weil ich ihnen den genetischen Müll mitgegeben habe. Aber meine Kinder leiden nicht nur. Meistens sind sie glücklich und sehr froh, auf der Welt zu sein. :adxs_wub:

Meinen Frieden mit ADHS habe ich gefunden, indem ich akzeptiert habe, dass ich es nicht ändern kann. Ich kann nur das beste draus machen.

Frieden mit meiner Vergangenheit versuche ich mit therapeutischer Hilfe zu finden - wobei ADHS da bei mir nur eine untergeordnete Rolle spielt.

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Vielen Dank für eure Beiträge und Gedanken! Ja, ich glaube auch das kein Mensch, der wirklich von ADS betroffen ist, diese Diagnose „inn“ findet. Dafür sind die negativen Konsequenzen im Leben viel zu weitreichend.

Geschämt habe ich mich eigentlich schon mein Leben lang, auch wegen dem Wiederholen der Klasse usw. und dann natürlich die Probleme im Studium. Aber ich dachte immer, dass das einfach ein Charakterzug sei. Ich finde s vor allem als Frau sehr schwierig, in dem Alter Anfang 30 damit umzugehen. Ich entferne mich immer mehr von dem Gedanken, Kinder zu bekommen aber fände es auch sehr traurig. Ich bin nach wie vor sehr überfordert mit der Situation.

Medikamente werde ich sofort und so schnelle wie möglich nehmen, für mich stellt sich diese Frage gar nicht. Ich warte nur noch darauf, dass Rezept zu erhalten. Ich hoffe sehr, dass sie vielleicht genauso gut wirken wie bei euch

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Hallo liebe verzweifelt 123,

ich kann gut mit dir fühlen. Ich bin jetzt 38 und habe vier abgebroche Studiengänge hinter mir und haderne gerade mit einem Anlauf über Fernstudium, berufsbegleitend. Wobei mein „Job“ Hausfrau und Mutter von zwei Jungs, 2 und 4, ist.
Ich bin gerade vor dem 2. Diagnosegespräch, aber alles deutet auf ADS hin.
Bei mir war es vor 20 Jahren auch erst die Diagnose Depressionen und im ersten Studium die Diagnose Manisch-Depressiv im ersten Klinikaufenthalt. Es folgten noch zwei weitere Klinikaufenthalte.
Ich war jedesmal komplett überfordert mit dem normalen Alltag und erst jetzt rückblickend ergibt vieles Sinn.

Sei stolz auf dich, dass du den Bachelor und Master geschafft, besonders in Hinblick wie schwer es dir gefallen sein muss alles zu managen. Von mir hast du den größten Respekt :+1::blush:

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Hallo Nyra,

herzlich willkommen in unserem Forum!

Ich war bei meiner Diagnose noch 37, aber fast 38.

Liebe Nyra,
es tut mir sehr Leid von deinen Problemen im Studium zu hören und ich kann sehr gut nachvollziehen, was du meinst. Auch ich bin am Ende wirklich nur mit mehr Glück als Verstand da durchgekommen und kann diese Überforderung enorm gut verstehen. Mir ging es ganz genauso und am Ende zweifelt man einfach auch unfassbar an seinen eigenen Fähigkeiten. Es tut mir wirklich Leid, dass du den Studiengang nicht zu Ende führen konntest.

Ich hoffe sehr, dass du bald den Termin bekommst und dann Klarheit hast. Und ich finde dein Leben sehr bemerkenswert, Kinder ohne Diagnose zu bekommen muss sehr anstrengend sein und darauf kannst du echt sehr stolz sein , zumindest hast du da meinen vollen Respekt :wink: .Und für das Studium ist es ja nicht zu spät. Solltest du mit der Diagnose auch eine Therapie bekommen, wird es doch vielleicht deutlich besser und dann könntest du dein altes Studium vielleicht ja doch nochmal aufnehmen, wenn es die Lebensumstände zulassen. Du hättest ja noch locker 20 Jahre Arbeitsleben vor dir. ADS zu haben ist eine so große Bürde im Leben, die noch nichtmal erkannt wird. Ich finde das man unter solchen Umständen auch auf jeden Fall Dinge nachholen darf, auch wenn man vielleicht etwas älter ist als Absolventen, die aus der Schule kommen. Fühl dich auf jeden Fall gedrückt und alles Gute für eure Familie!

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5 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: Vorstellung Feather: Durchgehalten, bis die Masterarbeit begann

Danke für die lieben Worte. :blush::heart:

Hallo verzweifelt123,
ich kann vieles, was du schreibst, so gut nachempfinden.
Meine ADS Diagnose habe ich erst vor ca. drei Jahren bekommen. Ich bin Ende 20. Hinter mir liegen zwei abgebrochene Studiengänge und eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, die als Notlösung weit abseits meiner eigentlichen Stärken und Interessen liegt. Auf letztere kann ich nicht stolz sein und schäme mich eher dafür, nichts „besseres“ geschafft zu haben. Ich bin innerlich zerrissen: einerseits habe ich einen hohen Anspruch an mich selbst und möchte diesem beruflich endlich gerecht werden, bestenfalls mit etwas das auch meinen Interessen entspricht. Andererseits plagen mich Selbstzweifel und die Befürchtung, das nächste Studium wieder nicht abschließen zu können oder in einem sehr kompetetiven, intellektuellen oder anderweitig anspruchsvollen beruflichen Umfeld kläglich unter zu gehen. Und für Fehlschläge habe auch ich keinen finanziellen Spielraum, u.a. dank der BAföG-Rückzahlung, die mir meine Mutter auslegen musste und die ich ihr noch schulde.

Ich bewundere es so, so sehr, dass du es geschafft hast, Bachelor UND Master abzuschließen. Ich kann mich da Nyra nur anschließen. Wenn ich an Deadlines für Hausarbeiten, Prüfungsvorbereitung und dergleichen nur denke, bekomme ich schon Schnappatmung.

Diese Sätze treffen bei mir voll ins Schwarze. Ich bin unendlich dankbar für meinen zwar sehr kleinen, aber dafür umso innigeren Freundeskreis. Oft fühle und fühlte ich mich jedoch trotzdem einsam, weil ich außerhalb dieses Kreises kaum Anschluss finden oder Kontakte aufrecht erhalten kann und ich die meiste Zeit ein Außenseiter war. Viele Kontakte, die ich eigentlich sehr geschätzt hatte, brach ich aus Scham oder Überforderung abrupt ab. Und auch wenn ich es vor fast niemandem zugeben mag, es hat in mir bis heute schmerzhafte Wunden und ein zerfurchtes Selbstbewusstsein hinterlassen, dass ich so lange keinerlei romantischen und sexuellen Erfahrungen machen konnte, obwohl ich mich immer so sehr nach einer Beziehung sehnte.

Die Diagnose an sich hat bei mir emotional tatsächlich nicht so viel verändert. Es war schon immer klar, dass mir, bildlich gesprochen, ein Klotz am Bein hängt, der mich immer wieder runter zieht und aufhält. Jetzt steht auf diesem Klotz neben „Depression“ und „PTBS“ eben noch „ADS“. Jedoch tut die Vorstellung weh, wie eine frühere Diagnose mir womöglich, durch passende Medikation, viel Leid hätte ersparen können. Ein bisschen Wut auf meinen damaligen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten schwingt da auch mit.

Frieden zu schließen ist bei mir ein Prozess, der vielleicht nie abgeschlossen sein wird. Es ist im Laufe der Zeit, auch dank Psychotherapie, etwas besser geworden. Selbstbewusstsein, Selbstliebe und Liebe/Beziehung sind aber nach wie vor schwer belastet und können nur Stück für Stück, mit vielen kleinen Erfolgen, wie Küken aufgepeppelt werden. Wann es soweit sein wird, dass sie das Nest verlassen können, weiß ich nicht, aber ich glaube daran, dass es irgendwann passiert. (Das Bild mit den Küken ist vielleicht etwas melodramatisch, zugegeben, aber ich denke es erfüllt seinen Zweck. :sweat_smile:)

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Hi Daxos, ich finde es wirklich traurig, solche Lebenswege zu hören, auch wenn man so sieht, dass man nicht alleine ist. Ich tue mich nach wie vor schwer, die späte Diagnose einzuordnen und es hätte wahrscheinlich vielen Betroffenen in der Ausbildung sehr geholfen, wenn man schon Medikament gehabt hätte. Es sind halt sehr viele Lebensjahre, die kaum gelebt wurden oder teilweise auch noch kaum gelebt werden können und das ist einfach sehr traurig. Vor allem, weil die 20 die wahrscheinlich die wichtigste Zeit im Leben sind, was Beruf und Familie angeht. Hast du denn man darüber nachgedacht, das Studium noch abzuschließen, jetzt mit Medikamenten und vielleicht weiterer Hilfe? Die Finanzierung ist halt echt schwer.

Das mit den romantischen Partnern und körperlicher Intimität kann ich so verstehen. Ich war auch sehr spät dran und habe mich dann wieder dafür geschämt. Der Mann, in den ich mich dann richtig verliebt hatte, wollte alleine wegen des Lebensweges schon nichts mehr von mir. Das ist einfach auch sehr schmerzhaft. Ich habe nach wie vor große Probleme mit der Diagnose, weiß aber auch, dass ich die irgendwie akzeptieren muss bzw. das Beste daraus machen. Ich habe keine Ahnung wie das gehen soll, aber man muss es versuchen. :pensive:

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