Das Problem verfolgt mich schon mein ganzes Leben lang, bin jetzt Ende 30. Ich habe mehrere Körper- und Sinnesbehinderungen, HB, Epilepsie und wahrscheinlich so etwas wie subklinisches ADHS, das zwischen dem anderen Müll untergeht. So richtig doll viele Bildungsangebote und Förderung habe ich als Kind nicht bekommen (Arbeiterschicht), aber auch einfach kaum Menschen mit Modellfunktion, die eine akademische Laufbahn durchgezogen hätten. In meiner Jugend gab es nur die Musik, mit der ich mich weiterentwickeln konnte.
Ich lerne durch Verstehen, Vernetzen, Durchdringen, und vor Allem Problemlösen. Das Studium und die Klausuren (Psychologie) waren so ziemlich auf das Gegenteil ausgelegt und ich habe mich irgendwann an diesen stupiden Modus angepasst. Erst nach dem Abi habe ich meine Neigung für Informatik und Programmieren entdeckt. Davor kannte ich keine Frauen mit Technikbezug. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass ich kein klassischer Nerd bin, für den das Anhäufen von Detailwissen ein Selbstzweck ist. Mir geht es ums Reparieren, Technik besser zu machen, Dinge funktionieren zu lassen, das Leben leichter zu machen, solche Dinge eben. Wenn ein Teilgebiet mich einer bestimmten Problemlösung näher bringt, bringe ich es mir eben bei, Punkt. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum man sich einmal auf eine bestimmte Ausbildung festlegen soll. Im Studium gab es ein paar anspruchsvolle Inhalte, die hätte ich wahrscheinlich ohne Druck von außen nicht durchgezogen und da bin ich tatsächlich dankbar für. Aber im Allgemeinen bringe ich mir ständig irgendwas neues bei.
Das riesengroße Problem mit meiner abstrakten und systemischen Art zu lernen ist, dass ich oft nicht die erwarteten Wörter nutze, sondern eigene Formulierungen, und andere mich deswegen für dumm oder unwissend halten. Ich war z.B. bei einem Bewerbungsgespräch, wo es um Modelle der Projektentwicklung ging. Ich weiß jetzt, dass ich die Schlagwörter Wasserfallmodell, Agile oder Scrum hätte bringen müssen. Ich habe aber in eigenen Worten beschrieben, wie unterschiedlich man Projekte managen kann und bin in der Situation nicht auf diese blöden Wörter gekommen. Hat natürlich nicht geklappt mit der Stelle.
Bei meiner letzten Anstellung war ich gleichzeitig organisatorisch über- und inhaltlich unterfordert. Ich dachte eigentlich, ich hätte Software für Wissenschaftler programmieren und Doktoranden bei der Aufbereitung ihrer Forschungsdaten unterstützen sollen, musste stattdessen aber in dämlichen Gremien rumhängen und mir von meiner idiotischen Projektkoordinatorin erzählen lassen, dass ich meinen vorgesetzten Prof „bespielen“ müsse. O Gott, diese Jours Fixes …
Wundersamerweise kann ich sehr produktiv arbeiten, wenn es um Open-Source-Entwicklung geht. Da hat man seine Ruhe, kann sich aufs Inhaltliche konzentrieren, ab und zu gibt es ein Erfolgserlebnis. Auch wenn es dabei um Bits und Bytes geht, fühlt Programmieren sich sehr ähnlich an wie Handwerk oder Kunst. Letztlich gibt man anderen Menschen dadurch auch etwas zurück, ohne dass es offiziell als Arbeit ins BIP eingeht. Und das ganz ohne alberne Gremien, Selbstdarstellung und den ganzen Mist.
Es tut mir ehrlich Leid, dass du jetzt meinen Frust abbekommst und ich das Thema nicht positiver beleuchten kann. Aber obwohl ich ein Psychologiestudium abgeschlossen und jede Menge andere Skills gelernt habe, fühle ich mich in dieser Gesellschaft ausgestoßen, nutzlos, wertlos, nicht gewollt, auf Eis gelegt, als kompletter Versager. Und das, weil ich diese NT-Business-Spielchen nicht hinbekomme. Was nützt mir die ganze Intelligenz und unabhängiges Denken, wenn sie mir ständig im Weg stehen und wenn irgendwelche Dummbatzen darüber entscheiden, wer Arbeit hat?
Inzwischen gehe ich auf die 40 zu und bin einfach nur müde, keine Motivation mehr, mich für Arbeit oder extrinsische Ziele anzustrengen. Vielleicht bekomme ich noch meinen Pflegegrad hochgestuft und mach dann nur noch Biedermeier 2.0 mit Open source.