Asperger Diagnose bei ADHS Diagnostik angeben oder verschweigen?

Hallo,

vor einigen Jahren habe ich (42) die Diagnose Asperger bekommen und vermute, das auch ein AD(H)S vorliegt. Nun habe ich in Kürze einen Termin zur Diagnostik und frage mich, ob ich die Asperger Diagnose bei dem Termin angeben soll oder ob es einfach nur ein Grund für den Diagnostiker ist sich nicht weiter mit meinem Anliegen zu beschäftigen.
Warte bereits seit 10 Monaten auf diesen Termin und fände es schade, wenn man meinen Verdacht in den Wind schlägt, nur weil bereits eine Diagnose aus dem Bereich der ASS vorliegt.
Ich hoffe mein Anliegen kommt richtig rüber, ich möchte nicht versuchen mir eine Diagnose zu erschleichen aber ich hätte gerne eine faire Chance bei der ganzen Geschichte.
Fühle mich total schlecht, diese Frage überhaupt zu stellen aber der Gedanke lässt mich einfach nicht los.

Wünsche allen einen schönen Tag
ziejay

Ich hätte es nicht verschwiegen und ist meiner Meinung auch wichtig. In wieweit sollte eine Asperger Diagnose für die Adhs Diagnose hinderlich sein? Impusivität, Konzentrationsstörungen/ Aufmerksamkeitsdefizit, Stimmungsschwankungen sind eigentlich keine Symptome einer Asperger, oder? Wobei ich natürlich nicht weiß, welche Symptome bei dir für eine Adhs sprechen?

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Symptome können für ungeübte Augen durchaus leicht vermischbar sein. Manche mit ASS sind motorisch unruhig oder ablenkbar etwa (da auch bei ASS weniger Reizfilter vorhanden sind z.B.), bzw. schenken eher der Sache gute Aufmerksamkeit die für sie interessant ist. Klar, es gibt klare Unterschiede, aber da kann man Pech haben in der Diagnostik, wenn die nicht genau gemacht wird.
Genauso wie wenn man vorher schon als Diagnose Depressionen oder BPS hatte, da hat der der die Diagnose macht, ggf gleich eine anders gefärbte Brille an. Manche sehen andere Diagnosen nicht als Komorbidität an, sondern als „aaah, das erklärts ja eh besser, dann wirds das andere nicht sein!“ und dann hat man den Salat. Sollte natürlich nicht sein, aber ganz unvoreingenommen ist niemand.

Alle naheliegende Differentialdiagnosen und Komorbiditäten werden/sollten jedenfalls bei ner Diagnostik mehr oder weniger abgeklappert werden. Gegebenenfalls gibt’s einen Fragebogen mehr.
Es wird also in der Regel sowieso erfragt was schon vorliegt, was schon auffiel etc., und dann ist eben die Frage ob man vorige Diagnosen erwähnt…

Ich versteh also deine Unsicherheit, @ziejay.
Kann dir aber keine klare Antwort geben. In einer optimalen Welt wäre es gut, wenn man offen sagen kann was noch so ist. Ehrlichsein ist schon besser, kann einen aber in den Hintern beißen.

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Ja das ist eine schwierige Frage.

Kommt sehr darauf an, wie genau ausgerechnet der Arzt drauf ist, zu dem Du gehst.

Es kann manchmal hilfreich sein, wenn der Arzt sieht, OK, da hat schon mal ein Fachmann was diagnostiziert, OK, also ganz erfunden ist es nicht, dass da was ist - „na, den Fall muss ich also nicht abwimmeln“.

Ein anderer Typ könnte sagen, „naja, das ist sich ja so ähnlich, eine Diagnose ist da, soll er/sie doch zufrieden sein, da schaue ich mir auf der langen Warteliste lieber erstmal die Patienten an, die überhaupt noch keine Diagnose haben.“

So oder so ist es wichtig, dass Du jetzt vor allem deutlich nur das hervorhebst, was nur zum ADHS passt. Wenn das, was du sagst, es alles auch irgendwie zum Asperger passt, läufst Du Gefahr, dass einfach wieder der Asperger bestätigt wird.

Es gibt, wie oben schon gesagt wurde, dieses diffuse Überlappungsgebiet beider Diagnosen und wenn Du meinst, dass Du Probleme hast, die mit der ADHS Medikation gelindert werden könnten oder dass Du ganz konkret einen Nachteilsausgleich oder eine Unterstützung zur Teilhabe brauchst, die du nur bekommst, wenn diese ADHS-Belastung gesehen wird, dann musst du eben darauf achten, das ADHS besonders klar herauszuarbeiten.

Die Ärzte sind keine Gedankenleser, sie können nur beurteilen, was du in die Fragebögen schreibst. Ein Konzentrationstest kann auch zu gut ausfallen, wenn du plötzlich diese Aufgabe total spannend findest. War bei mir beim Computertest auch so. Allerdings kam nach ein paar Minuten dann doch das „typische“ ADHS-Problem hervor, sodass die Diagnose gestellt wurde. Aber wenn du noch nicht so „kaputt“ im Hirn bist wie ich, dann hängt es von der Erfahrung des Arztes ab, ob er den Computertest nicht für absolut erklärt.

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Bei mir war es eine ähnliche Situation, in ähnlichem Alter. Habe Asperger direkt mit angegeben.
ADHS kommt recht häufig komorbid zu ASS vor. Wenn der Arzt halbwegs up to date ist, weiß er das.

Diese Folien fand ich für mich im Hinblick auf die Differenzierung sehr hilfreich. Ich konnte im Erstgespräch sehr genau die Situationen benennen und unterscheiden, in denen eher das eine oder eher das andere zutrifft.

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Ach gut, dass du daran denkst, @anon94021787, diese Folien empfehle auch gerne. Hatte ich gar nicht mehr daran gedacht.

Die Folien von Fangmeier aus Freiburg finde ich sehr gut aufbereitet. @ziejay geh die mal durch und schreib dir auf, was für Beispiele du von dir dazu bringen kannst.

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Vielen Dank an alle, die sich geäußert haben.

Ich bin zu dem Entschluss gekommen, das ich es offen ansprechen werde. Fühle mich mit der Wahrheit wesentlich wohler als das Thema ständig umschiffen zu müssen und mich auf das Lügen zu konzentrieren.
Hoffe der Arzt ist kompetent und offen. Wenn nicht habe ich halt Pech gehabt. Werde dann nochmals Wartezeit in kauf nehmen und jemanden suchen der explizit auf beide Themen spezialisiert ist.

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So würde ich es auch immer am liebsten machen

Aber ich habe inzwischen die Vermutung, dass diese Abneigung gegen „taktisches Lügen“ auch im ASS begründet ist und nicht ganz so stark, aber je nach gesamter Ausprägung auch bei ADHS vorkommen kann.

Also ich kenne auch eine Person, die ich als ADHS einstufen würde, die lügt, dass die Balken biegen. Aber das mag auch an an Folgeerkrankungen liegen oder sie hat zusätzlich noch was anderes…

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@Nono ich kannte auch jemanden der ohne mit der Wimper zu zucken Lügen konnte, mir lief es in der Gegenwart dieser Person meistens kalt den Rücken runter, man wusste nie ob er einem jetzt direkt ins Gesicht log oder tatsächlich bei der Wahrheit blieb.
Obwohl Ferndiagnosen, noch dazu ohne Psychologie Abschluss, immer mit Vorsicht zu geniessen sind, passte die Beschreibung des Narzissten meiner Meinung nach am besten zu dieser Person.

Ja stimmt, Narzissmus passt zu dieser Person auch - und ich glaube das kann aus einem entgleisten ADHS entstehen. Das meinte ich mit Folgestörung…

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Ja, liebe @Nono das ist wahrscheinlich möglich, obwohl ich mich persönlich bei solchen Themen eigentlich lieber zurückhaltend formuliere, da mir persönlich schlicht und einfach das Wissen fehlt um eine selbsternannte „Diagnose“ über andere Personen abgeben zu können.
Aber in dem genannten Beispiel der Person die ich kannte, hatte ich nach langer Recherche und dem Abgleichen von Verhaltensmustern in bestimmten Situationen, einfach ein sehr starkes Bauchgefühl, dass Narzissmus das Verhalten dieser Person gut erklären könnte, da bestimmte Muster fast wortwörtlich auf Beschreibungen von Narzissmus zutrafen, aber wie gesagt ich bleibe trotzdem zurückhaltend mit meiner Vermutung.
Ich weiss nur eins, dass ich mich nach Zusammentreffen mit dieser Person oftmals „ausgelaugt“ gefühlt hatte, als hätte mir diese Person etwas von meiner Lebensenergie „abgezapft“, also definitiv ein negatives Gefühl zurück blieb von dem ich mich über längere Zeit nicht wirklich gut erholen konnte.

Same with me…

Auslaugen inclusive…

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Danke für die Folie, kannte ich tatsächlich nicht.
Da ich bei der Unterscheidung der beiden Störungsbilder 99% auf der ASS Seite war, es waren eigentlich nur 2 Adhs Merkmale, wo ich bei mir zugestimmt habe, muss ich mir wohl intensiv Gedanken darüber machen, ob ich mich drauf testen lasse. Wobei mir immer noch nicht klar ist, was mir das bringen würde? Und ich habe tatsächlich große Angst, dass man mir die Adhs Diagnose aberkennt und mir keine Medikamente verschrieben werden.

Was mich auch irritiert in der Folie, aber auch sonst aus Berichten von Betroffenen ist, dass man beim Hyperfokus vergisst oder nimmt Hunger, Durst etc. nicht wahr. Bei mir ist es ausgeschloßen, ich kann es einfach nicht ertragen und muss sofort meine Bedürfnisse stillen, sonst werde ich unerträglich.

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Wenn ich im Hyperfokus bin, nehme ich weder Hunger noch Schmerzen noch Harndrang noch extteme Müdigkeit o.ä. wahr, höchstens marginal, und ignoriere das dann aber komplett, obwohl ich dann schon weiß, dass das sehr unschlau ist. Der Zustand kann auch tagelang anhalten, er wird halt zwangsunterbrochen durch Struktur von außen, die ich dann aber als extrem störend empfinde, und es kostet mich dann viel Anstrengung, das andere nicht spüren zu lassen.

Zum einen sind in den Folien vor allem die Bereiche thematisiert, wo eine Abgrenzung zu ADHS von außen betrachtet schwierig sein kann. Aber es gibt ja andere Bereiche, wo es weniger symptomatische Überschneidungen gibt (kommunikative Fähigkeiten, Theory of mind…). Du solltest also eher die ICD-und DSM-Kriterien anschauen.
Wenn das für dich selbst erkenntnismäßig keine so große Rolle mehr spielt, und / oder du keine so starken ASS-bedingten Einschränkungen hast, dass du spezifische Integrationshilfen benötigst, ist eine Diagnostik sicher unnötig.
In meinem Fall habe ich mich nie mit ADHS identifizieren können, daher habe ich mich nicht damit auseinander gesetzt, bei mir standen die kommunikativen und sozialen Einschränkungen dominierend im Vordergrund. Ich brauchte dringend geeignete Hilfen, und zusätzlich hat die ASS-Diagnose mit einem Schlag alles erklärt. Das war für meine Selbstannahme quasi der Dreh- und Angelpunkt und hat überhaupt erst ermöglicht, dass die Psychotherapie Erfolge bringen konnte, da erst jetzt, unter Orientierung an meinen Voraussetzungen, die Ziele und Wege dorthin angepasst werden konnten. Die „offizielle“ ADHS-Diagnose dagegen hätte ich dann nicht mehr „gebraucht“, der Verdacht meiner PT auf komorbides Vorliegen reichte völlig (um eben Passung der Psychotherapie zu bewirken). Aber da wir im Bereich der exekutiven Funktionen an Grenzen stießen, bei denen unklar war, ob sie jeweils zu ASS oder ADHS gehörten, wollte ich ausprobieren, ob Medikation da etwas verbessern kann. Daher war dann die Diagnostik sinnvoll.
„Bringen“ tut mir die ADHS-Diagnose ansonsten nichts.

Zum einen wird man eine psychiatrische Diagnose ohnehin nur sehr schwer „los“, zum anderen würde kein Arzt einem Patienten ein Medikament „wegnehmen“, das seine Situation nachweislich verbessert.
Wie sollte die „Aberkennung“ denn praktisch funktionieren: Dass dir ein Arzt aufschreibt: „Frau Allmighty hat nachweislich doch kein ADHS“ und dich verpflichtet, den Schrieb jedem Arzt vorzulegen, die Krankenkasse auffordert, in deiner Gesundheitsakte zu vermerken, dass du KEIN ADHS hast und sie dir keine ADHS-Therapie zu zahlen brauchen…? Nein. So funktioniert das in D nicht, auch wenn es Querdenker gibt, die diese Paranoia schieben :wink:

Frag mal jemanden, der eine Schizophrenie diagnostiziert bekommen hat, wie schwer bis unmöglich es ist, die Diagnose loszuwerden, weil er eine ASS-Diagnose erhalten hat, die seine Symptome besser erklärt (und da wird die Komorbidität beider Störungen wesentlich seltener beschrieben als bei ASS, das recht häufig mit ADHS einhergeht).

Die Frage ist tatsächlich eher, ob du was von der Diagnostik hast, wenn es denn tatsächlich vorliegen sollte. Und die Wartezeiten sind ewig lang.

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Hi,

Hab schon vor 2 Wochen überlegt ob ich was hinzufüg, da @anon94021787 bereits sehr hilfreich und auf fachlich hohem Niveau kommentiert hatte, ich aber noch einen Artikel gefunden hab, ADHS und hochfunktionale ASS.

Der Artikel ist von 2019 und u.a. von einem Herren (van Elst) verfasst, der wie Fangmeier an der Uni Freiburg arbeitet und diagnostiziert. Inhaltlich ist er zu großen Teilen ähnlich, ergänzt aber ein bisschen, drum füg ich nun doch was hinzu. Auch, da es die Frage von @allmighty aufgreift, was die pharmakologische Behandlung bei Komorbidität angeht:

„Die Behandlung der ADHS bei komorbider ASS unterscheidet sich grundlegen [sic!] nicht von derjenigen einer „reinen“ ADHS. Es können gemäß S3-Leitlinie [84] Stimulanzien oder Nichtstimulanzien zum Einsatz kommen. In der klinischen Praxis zeigt sich immer wieder, dass Menschen mit ASS sehr viel geringere Dosierungen an Medikation benötigen und zudem eine ausgeprägtere Empfindlichkeit für Nebenwirkungen haben.
Es gibt wenige Studien zur Behandlung, wenn beide Störungen vorliegen. Diese stammen aus dem Kinder- und Jugendbereich, nach Wissen der Autoren liegen keine spezifischen Studien aus dem Erwachsenenbereich vor. Liegen ADHS und ASS vor können Stimulanzien eingesetzt werden. Bei Vorliegen beider Erkrankungen scheint die Wirkung im Vergleich mit einer alleinigen ADHS abgeschwächt zu sein, dennoch können diese gut eingesetzt werden, alternativ auch Atomoxetin oder Guanfacin [73, 85–96].“

Stimm ansonsten Quitte zu was das schwere Loswerden von Diagnosen betrifft.
Hinzu kommt manchmal auch noch, dass teils je nach Arzt, stationäre Abteilung etc. andere Diagnosen hinterhergeschmissen werden, da eben nicht zwingend Austausch untereinander stattfindet und dann mal eben schnell (<- immer toll) ne neue (teils halbbackene) Diagnostik gemacht wird. Fand ich immer wieder kurios zu beobachten, da teils differentialdiagnostisch absurde Kombis auftreten, wenn man manche Diagnosen so vergleicht.

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