Atomoxetin: Eingewöhnung oder Nebenwirkung? Wie lange muss man Nebenwirkungen "durchhalten"?

Hallo an alle!
Zusammenfassung (mit Fragestellung) am Ende, wer die Hintergrundgeschichte nicht lesen möchte :slight_smile:

Ich bin neu hier und freue mich auf einen guten Austausch. Kurz zu mir: Ich wurde heuer mit ADHS diagnostiziert (bin 29 und weiblich) nach jahrelangen Depressionen/Angststörungen/PTBS …
Nun habe ich seit ca. 1 Monat angefangen, Medikamente für ADHS zu nehmen.
Das erste Medikament war Bupoprion (150 mg). Es ist ein Antidepressivum in erster Linie, kann aber bei ADHS-Symptomatik auch helfen. Das habe ich ca. 3 Wochen genommen. Stimmungs- und antriebstechnisch ging es mir sogar besser, aber ich konnte nachts nicht mehr schlafen und dann musste ich auf ein anderes umsteigen.

Nun nehme ich seit 2 Wochen Atofab (= Atomoxetin, 10 mg). Ich bin sehr sensibel. Beim Antrieb merke ich zwar leichte Besserungen, aber 1. habe ich auch mit diesem Medikament Probleme mit dem Schlafen und 2. merke ich, dass ich wirklich SEHR gereizt bin. Ich bin generell nicht der geduldigste Mensch, aber zurzeit könnte ich wegen blöden Kleinigkeiten an die Decke gehen. Weiters bin ich auch sehr traurig/weinerlich - dieses Problem habe ich generell oft, aber mir kommt es vor, dass es mit Atofab verstärkt ist. Nun weiß ich nicht, ob ich noch „durchhalten“ muss und sich das bessert (Eingewöhnungsphase) oder ob das eine Nebenwirkung ist, die nicht mehr weggeht.

Zusammenfassung/Frage: 10 mg Atomoxetin, Antrieb etwas besser, dafür Verschlechterung der Stimmung (sehr gereizt und vermehrt traurig/weinerlich). Muss ich noch „durchhalten“ und es wird besser oder ist das eine Nebenwirkung und ich sollte ein anderes Medikament versuchen?

PS: Ich bespreche das natürlich mit meiner Ärztin! Aber da sie Wahlärztin ist und ich momentan arbeitslos bin, möchte ich mich mit anderen austauschen und evtl. abwarten (falls sinnvoll).

Ich danke euch!

Hallo, ich kann nur sagen, dass mein Sohn beim Eindosieren von Atomoxetin sehr emotional war. Also am Anfang und dann bei jeder Erhöhung der Dosierung war die erste Woche sehr anstrengend. Nach 5-7 Tagen wurde es besser.

Beim Absetzen bzw. Ausschleichen war es dann genau so.

Ich nehme deine Medikamente nicht, aber das Thema Schlaf pllppt auch immer wieder bei Stimulanzien auf.

Wenn man nach 4 Monaten immer noch ganz schlecht schäft könnte man in meinen Augen über einen Wechsel nachdenken, da fand ich 3 Wochen viel zu schnell. Auch die ersten 4 bis 5 Monate mit Stimulanzien hab ich ggf. 2 std Schlaf pro nacht gehabt und dann wurde es besser.

Adhs Medikamente sollen einen etwas antreiben/pushen, doch wenn sie es machen (auch nachts) ist es nicht recht - ich denke es gibt halt a) immer eine benötigte Phase der Gewöhnung und b) was man grundsätzlich möchte und muß dann erstmal entsprechend der Entscheidung Abstriche machen.

Bupropion geht ja in die ähnliche Richtung wie Stimulanzien von der Wirkung und Stimulanzien wurden mal anders eingesetzt und teils eben auch zum Aufpuschen genommen und wir nutzen ja als Adhs ler die paradoxe Wirkung, die aber zumindest eine Zeit lang auch die Wirkung, die andere spüren haben

(hoffentlich kannst du folgen)

Ich finde auch - unabhängig vom Medikament - dass drei Wochen zu kurz sind.

Wenn jetzt das Medikament aber die Symptome (Impulsivität), die es eigentlich abmildern sollte, eher verstärkt, dann ist es möglicherweise nicht das Richtige. Leider ist es viel zu oft eine Versuch-und-Irrtum-Methode.

Wie lange du es letztendlich ausprobierst, hängt auch von deinem Leidensdruck ab. Es bringt ja auch nichts, wenn das ADHS im Griff ist, aber die Depressionen usw. wieder schlimmer werden.

Vielleicht gibt es auch Nebenwirkungen, die man in Kauf nimmt, weil die eigentliche Wirkung optimal ist. Ich lebe zum Beispiel bewusst mit dem Rebound, den ich beim Medikinet habe, weil es einfach sehr gut wirkt.

Liebe alle!

Ich danke euch für die bisherigen Antworten! Die Situation mit den Medikamenten ist für mich u.a. deshalb so belastend, da ich davor jahrelang Antidepressiva genommen habe und die be mir keine Wirkung gezeigt haben. Nun habe ich eine „Abneigung“ entwickelt und spüre sofort Angstzustände, weil ich so viel Zeit verschwendet habe mit Medikamenten, die mir nicht geholfen habe.

Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Ich überlege, ob ich zu Bupoprion zurückwechsle. Ich werde morgen jedenfalls meine Ärztin anrufen und mit ihr bereden. Eigentlich hätte ic die Dosis nach 1 bis 1,5 Wochen erhöhen sollen (auf 20 mg), aber ich bin da lieber vorsichtig und meine Befürchtung ist auch, dass eine höhere Dosis die Nebenwirkungen verschlimmert.

Ich weiß nicht, wie ihr das seht. Es ist für mich schwierig, das ganze „objektiv“ zu betrachten, da ich viele schlechte Erfahrungen mit Antidepressiva gemacht habe…

Danke euch für eure Zeit!

LG

Sowas zählt leider zu den häufigen Nebenwirkungen.
Diese können entweder nach längerer Einnahme, oder auch nach Dosissteigerungen mit der Zeit wieder abklingen.

Eine Aufklärung der Patienten vor der Behandlung wäre natürlich wünschenswert, damit sie sich nicht gleich verunsichert fühlen und ihnen bewusst ist, dass dieses Medikament eher weniger zur kurzzeitigen Einnahme gedacht ist.

Man sollte Patienten z.B. auch darüber informieren, dass sich die gewünschten positiven Effekte nicht selten erst nach mehreren Wochen zeigen könnten und dass währenddessen genau solche beschriebenen Nebenwirkungen auftreten, aber eben auch wieder abklingen könnten.

Dann kommt es wahrscheinlich auch darauf an, ob der Patient bereit ist, im Falle von Nebenwirkungen einige Wochen durchzuziehen, um Verbesserungen abzuwarten, statt gefrustet abzusetzen und es nie zu erfahren, ob es letztlich doch noch etwas geworden wäre.

Ich könnte mir vorstellen, dass viele Atomoxetin innerhalb der ersten Wochen abbrechen, weil es sie im Alltag zu sehr belastet.

Mögliche Ursachen - Nebenwirkungen etc.
Pharmakologische Ursachen

Atomoxetin ist ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRI).

Durch Blockade des prä­synaptischen NET kommt es zu erhöhten Noradrenalin­spiegeln, vor allem im präfrontalen Kortex, aber auch in limbischen Regionen (z. B. Amygdala).
Sekundär steigt auch Dopamin im präfrontalen Kortex an.

Eine Überstimulation dieser Monoamin­systeme kann zu erhöhter psychomotorischer Erregung und zu Störungen der Emotionsregulation führen.

Die verstärkte Aktivität des noradrenergen Kerngebiets Locus coeruleus erhöht Alarm­bereitschaft und Angst/Unruhe, was sich als Reizbarkeit und Aggressivität äußern kann.

Häufigkeit und Onset der Symptome
  • Inzidenz: Psychiatrische Nebenwirkungen wie Reizbarkeit, Aggression oder Stimmungsschwankungen treten in 1–10 % der Fälle auf und gehören damit zu den „häufigen“ TEAEs (treatment-emergent adverse events).

  • Zeitlicher Verlauf:

    • Frühe Phase (1–4 Wochen): Die meisten Patienten berichten bereits in den ersten Tagen bis Wochen von erhöhter Gereiztheit oder Stimmungsschwankungen.

    • Spätere Phase (bis ca. 6 Wochen): In Einzelfallberichten liegt der mittlere Auftretenszeitpunkt von aggressiven bzw. manischen Symptomen bei 6,4 ± 5,4 Wochen.

Entwicklung und Abklingen der Nebenwirkungen
  • Transiente Natur der TEAEs: In großen Langzeitstudien zeigte sich, dass die meisten unerwünschten Wirkungen bereits im ersten Behandlungsmonat deutlich abnehmen und danach nur noch selten neu auftreten.

  • Langzeitverträglichkeit:

    • In einer 24-Wochen-Studie (n = 2017) gab es keinen signifikanten safety-rebound nach Absetzen und insgesamt ein akzeptables Verträglichkeitsprofil über 1 Jahr.

    • In einer 97-Wochen-Erhebung blieb die Frequenz psychiatrischer TEAEs langfristig stabil niedrig.

  • Verbesserung der emotionalen Stabilität: Post-hoc-Analysen zeigten, dass Score-Werte für Reizbarkeit und Stimmungslabilität über 24 Wochen deutlich abnahmen – ein Hinweis auf Gewöhnung bzw. Toleranz gegenüber den anfänglichen Nebenwirkungen.

Wahrscheinlichkeit des Abklingens
  • Innerhalb 1 Monats: ≥ 60–70 % berichten von erheblicher Besserung oder komplettem Abklingen der Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen.

  • Bis Wochen 6–12: Weitere 20–30 % passen sich an, sodass nach 3 Monaten über 85–90 % keine oder nur noch sehr milde Symptome haben.

  • Langfristig (> 6 Monate): Psychische TEAEs sind dann selten, und das Nutzen-Risiko-Profil von Atomoxetin bleibt günstig.

Praktische Empfehlungen
  • Langsames Titrationsschema: Schrittweise Steigerung, um das Initial-„Overshoot“ der Noradrenalinspiegel zu dämpfen.

  • Engmaschiges Monitoring in den ersten 4–6 Wochen (monatliche Verlaufskontrollen).

  • Aufklärung der Patient:innen, dass Gereiztheit und Stimmungsschwankungen meist vorübergehend sind und sich im Laufe von 1–3 Monaten deutlich verbessern.

Zusammenfassend

Die initialen psychischen Nebenwirkungen unter Atomoxetin beruhen auf einer akuten Überstimulation noradrenerger und dopaminerger Bahnen, sind jedoch in der Regel transient, mit einem Peak in den ersten 1–6 Wochen und deutlich rückläufiger Frequenz innerhalb eines Monats (und weiter abnehmend bis zum dritten Behandlungsmonat).

Mit einem langsamen Titrationsschema, konsequenter Einnahmepraxis, guten Ess- und Schlafgewohnheiten sowie begleitender psychosozialer Unterstützung lassen sich die initialen Nebenwirkungen von Atomoxetin in der Regel deutlich abmildern.

Ich danke dir für die Zeit zum Antworten.

Ich bin leider wirklich absolut unsicher, was Medikamente betrifft. Es ist für mich sogar gerade so, dass es im Vergleich mit anderen Psychiater*innen sogar mehr Zeit ist, die ich habe, bevor ich raufdosiere/wechsle, weshalb ich so verunsichert bin.

Weiters ist es so, dass ich eben mit Bupoprion bessere Erfahrungen gemacht habe - das Problem mit dem Schlaf hatte ich auch da.

Ich weiß, dass mir niemand die Entscheidung abnehmen kann, aber es ist so anstrengend. Derzeit bin ich arbeitslos, aber ich bekomme großen Druck bei der Jobsuche. Ich könnte mich krankmelden, aber die ÖGK (Krankenkasse, bin Österreicherin) macht noch mehr Druck als das AMS (Arbeitsamt). Ich war vor etwas mehr als 1 Jahr schon in einem längeren Krankenstand aufgrund von Depressionen. Als wären die Depressionen nicht schon belastend genug…

Liebe Grüße und danke!

Als Patient kann man es kaum wissen :confused:
Hab leider auch keine weiteren Tipps oder dergleichen.

Ein Kumpel von mir bekam nach Fehlversuchen mit Stimulanzien zeitweise Atomoxetin und hatte die gleichen Problemchen damit. Darauf vorbereitet wurde er auch nicht.

Für ihn klappte das im Alltag so nicht.
Es wurde dann nach 1 - 1,5 Wochen wieder abgesetzt.

Verstehe! Ich habe nun einen Termin ausgemacht. Ich werde sie absetzen. Ob ich es wieder mit Bupoprion versuche oder was anderes, weiß ich noch nicht, das bespreche ich mit der Ärztin. Aber es sind leider Nebenwirkungen, die mich im Alltag mehr stressen als wenn ich ohne Medikamente lebe. Deshalb habe ich mich dazu entschieden.

Dankeschön :slight_smile: :bouquet:

Wenn Bupropion ähnliche Nebenwirkungen verursacht, sind hauptsächlich noradrenerg wirkende Medikamente vielleicht auch einfach nicht das, was du brauchst.

Bupropion kann zwar bei ADHS und Depressionen hilfreich sein, weil es auch leicht dopaminerg wirken soll.

Es ist offiziell aber eben nicht zur Behandlung von ADHS zugelassen, sondern lediglich als Antidepressivum und hat da vor allem eine antriebssteigernde Wirkung.

Stand überhaupt mal im Raum, dass du mit Stimulanzien behandelt werden solltest und war Bupropion und Atomoxetin vielleicht erstmal bloß ein Versuch ohne Stimulanzien?


Laut den ADHS Leitlinien:

  • 1. Wahl: ADHS Stimulanzien (Methylphenidat / Lisdexamfetamin)

  • 2. Wahl: Nicht-Stimulanzien (Atomoxetin / Guanfacin) z.B. bei Nicht-ansprechen auf / erfolglosen Versuchen mit Stimulanzien, oder wenn sonst irgendetwas gegen eine Behandlung mit Stimulanzien sprechen würde

Alles andere wäre sogenannter Off-Label-Use.

Es ist so, dass der Zugang meiner Ärztin eigentlich der umgekehrte ist wie der in den ADHS Leitlinien. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das nur bei mir ist oder allgemein (das habe ich vergessen bzw. könnte es nicht korrekt beantworten).
Prinzipiell stehe ich den Stimulanzien nicht kritisch gegenüber, aber mein Wunsch war es, mal ohne zu versuchen, weshalb für mich diese Herangehensweise gepasst hat, aufgrund (meiner Angst) des Suchtpotenzials und des Rebounds.

Ich wünschte es wäre alles einfacher. Einerseits überfordere ich mich selbst, indem ich mich zu sehr informiere. Andererseits gibt mir das Informieren irgendwie einen „Halt“, da ich vor allem Angst habe und mich immer auf das Schlimmste vorbereiten will. Es ist ein Teufelskreis!

LG

Vielleicht zum Thema Suchtpotenzial von ADHS Stimulanzien und was genau ein Rebound-Effekt ist und wieso der entsteht auf PubMed oder anderen Research-Datenbanken in ein paar Studien eintauchen.

Das sind aber hier im Forum auch so Dauerthemen, die immer wieder mal aufkommen. Vor allem bei Betroffenen mit komorbider Angststörung.

Dazu gibts auch alles im Kompendium auf adxs.org.

Im Hauptmenü findest du die Suchfunktion.
Gleich über dem Suchfeld gibts auch einen Link zur KI-Suche. Da einfach die Frage reinkloppen und der KI-Bot durchsucht adxs.org, gibt eine zusammenfassende Antwort aus und verlinkt auch gleich die passenden Dokumente dazu, um sich genauer einzulesen.

Verständnis beruhigt den Kopf.
Was er versteht, muss er nicht mehr zerdenken.

Funktioniert bei mir zumindest so :slight_smile: