Hi, ich habe schon immer sehr viel gefühlt bei Musik die ich mag. Wenn ich ein neues Lied höre was mich auf irgendeine Art berührt, will ich das Lied am liebsten 24/7 und immer und immer wieder hören und habe dabei soo intensive Glücksgefühle. Außerdem kann mich Musik so unglaublich berühren kann dass ich es gar nicht richtig erklären kann. Natürlich ist das alles normal, aber es ist glaube ich einfach die Intensität dieser Gefühle, bei der ich mich frage ob das jeder so fühlt. Fühlt sich jemand so ähnlich? Und denkt ihr das könnte was mit dem ADHS zu tun haben?
Absolut.
Das gehört für mich dazu, wie auch ein bestimmtes Lieblingsessen immer und immer wieder haben zu müssen, bis es plötzlich nicht mehr angerührt werden kann.
Für mich ist das ähnlich wie mit dem Hyperfokus. Die Sache/das Lied ist gerade interessant und muss daher immer wieder thematisiert werden. Das verschafft gute Laune und gibt auch Sicherheit. Ist ein bisschen wie Stimming, was auch Anspannung abbaut.
Starke Gefühle beim Anhören von Musik wurde kürzlich von GuardianOfMind auf Instagram angesprochen. Sie hat das mit der besonderen „Verdrahtung“ des Gehirns erklärt.
Ohh spannend, hast du das Datum an dem das gepostet wurde?
Schau mal bei ihren Reels, da müsste es gleich nach den fest angepinnten Beiträgen kommen
Ist zwar schon ein älterer Thread, aber der Zufallsgenerator hat ihn mir gerade Vorgeschlagen. Da es bei mir nicht für eine offizielle ADHS-Diagnose reicht, nur HB und hohe Reizoffenheit, nutze ich Musik gezielt zur Selbstregulation. Das ist auf jeden Fall Stimming. Bestimmte Musik kann bei mir intensivere Gefühle auslösen als die meisten Geschichten. Das hat vielleicht aber auch damit zu tun, dass Instrumentalmusik keinen Inhalt hat, wo irgendwelche kritischen Gedanken mitlaufen. Sie kann einfach ganz und gar Sinneseindruck sein, ohne irgendwelche äußerlichen Bezüge. Aufgewachsen bin ich unter Menschen, die Musik hauptsächlich als biografische Gedächtnisstütze nutzen. Sie hatten nie verstanden, dass Musik für mich abstrakt sein darf und ganz für sich existieren darf, ohne dabei etwas anderes zu vertreten.
Das mit der Besessenheit ist bei mir ganz genau so, und auch die starken Gefühle. Ich habe immer wieder andere Stücke, in die ich extrem verliebt bin, die ich dann viele Male anhören kann und jeden Winkel erkunden will. Das ist so berauschend, für mich zumindest viel besser als legale Rauschmittel. Sehr wenige können das nachvollziehen. Gibt natürlich schlimmeres im Leben, aber auf eine gewisse Art finde ich das schon beleidigend, dass Musik so oft wahllos und achtlos nur als Berieselung vor sich hin läuft. Ich kenne meine Mediathek sehr gut und weiß z.B., welche Musik mir jetzt helfen kann, die Spülmaschine aus- und wieder einzuräumen. Musik kann nicht nur intensive Gefühle verstärken, sondern auch emotional und motorisch ins Gleichgewicht bringen. Tanzbare treibende Musik mit Auftakten und Synkopen bringt das fertig, dass ich Aufgaben zu Ende mache, wo ich sonst wieder wegspringen würde.
Zu sagen „Das kommt von der Neurodivergenz“ scheint mir ein zu simpler Ansatz zu sein. Die hohe Reizoffenheit und Vernetzung ist natürlich eine gute Startvoraussetzung, damit ein Reiz wie Musik mit all ihren Details dich komplett ausfüllen kann. Was man dabei fühlt und ob man überhaupt etwas fühlt, ist aber in hohem Maße kulturell erlernt. Das ist eine Langzeitbeziehung, bei der man sein Gehirn ein Leben lang immer weiter auf das Hören von Musik spezialisiert, trainiert und verfeinert. Musik ist ja nicht einfach zufälliger Lärm, sondern eine eigene Sprache mit Regeln. Ich bin hauptsächlich Klassikhörer. Klassik besteht größtenteils aus eingehaltenen Regeln und zwischendurch eingebauten Erwartungsbrüchen. Dass man sich bei vertrauten Stücken so emotional hineinsteigern und fixieren kann, liegt daran, dass man die Überraschung schon kommen sieht. Gleich kommt die bewusst eingebaute Dissonanz, der Wechsel zu Triolen, der Seufzer, daher kommen diese knisternden Erregungszustände. So etwas wird nicht in die Wiege gelegt, höchstens gute Grundvoraussetzungen. Bei Lautsprache ist uns auch nur die Bereitschaft angeboren, sprechen lernen ist dann Entwicklung und Umwelteinflüsse.
Disziplin, Geduld, Konzentration und Hingabe fällt mir spontan dazu ein.
Ich fühle das SO SEHR! Und für andere ist das teilweise so unverständlich… ich habe das tatsächlich aich mit Interpreten. Also, dass es dann phasenweise nur noch Musik eines bestimmten Interpreten ist. Heute verstehe ich auch besser, dass das alles mit dem ADHS zusammenhängt. Aber es ist schön zu lesen, dass man damit nicht allein ist. Wie lange hält so ein Hyperfokus auf ein Lied bei dir an?
@Lala1 @tamaracha Ihr sprecht mir aus der Seele, es tut wirklich gut das zu lesen.
Ich habe auch phasenweise eine Art Hyperfokus auf bestimmte Stücke/Künstler, u.A. wenn ich etwas neu oder wieder entdeckt habe. Gleichzeitig habe ich eine musikalische Schatzkammer mit Titeln, die mich immer wieder fesseln und Emotionen in einer Intensität auslösen wie nichts Anderes.
Genau das fühle ich auch. Mehr noch, es macht mich regelrecht fuchsig wenn ich Musik auf diese Weise ausgesetzt bin. Ich bin da leider sehr empfindlich. Oft ist es die Musik an sich, z.B. belangloses, weichgespültes Chart-Pop-Gedudel. Oder es wird Musik verwendet, die mir zwar eigentlich gefällt, die durch die Degradierung zur Hintergrundmusik jedoch schändlich entwürdigt wird. Oder Musik wird in Serien/Sendungen etc. plump und unverhohlen für emotionale Manipulation verwendet („Folgender Beitrag ist traurig. Dass das auch jeder Dödel SOFORT kapiert, untermalen wir das mit dem billigsten traurigen Klaviergeklimper!“ würg).
Man merkt vielleicht, dass man damit einen Nerv bei mir trifft. Ich vermute, dass ich Musik generell sehr intensiv und emotional wahrnehme und mich dadurch missbräuchlich verwendete oder als schlecht empfundene Musik besonders belastet.
@tamaracha Es ist schön, deinen Gedanken zur Musik zu folgen. Du beschreibst das so wunderbar. Ich schätze, ich könnte dir stundenlang zuhören wenn du darüber sprichst.
Schön, dass es noch mehr von uns gibt.
Absolut grausam, bist nicht allein damit, @Daxos. Dabei gibt es ja großartige Filmmusik, aber du meinst schon eher diese Fälle, die in Richtung Betreutes Gucken gehen. Entsprechend banal muss dann auch die Musik sein, damit es alle verstehen. Dazu fällt mir nur der hier ein:
Passt wahrscheinlich nicht ganz zum Thema, aber bei Filmen geht es mir manchmal sogar mit Audiodeskription ähnlich wie mit zu plump eingesetzter Musik. Da ich von Geburt an blind bin, achte ich sehr genau auf den Tonfall, in dem Leute etwas sagen, während das Aussehen mir immer nur rudimentär etwas über die Person sagt. Teilweise wird bei Audiodeskription sehr genau das Aussehen der Charaktere beschrieben, was sich für mich schnell wie eine Karikatur anfühlt. Dabei ist es vielleicht nicht so gemeint. „… Schindler hat kurzes, dunkles und zurückgekämmtes Haar …“ Bei diesem Beispiel fällt mir seine etwas steife und förmlich geschäftsmäßige Art schon an seiner Sprache auf. Diese „reingedrückten“ Details nehmen mir sogar ein bisschen die Spannung beim Lesen der Charaktere.
Musiktheorie war für mich früher als Schülerin ein bisschen so wie die neu erhaltene Diagnose für viele mit ADHS: kein Gefängnis, sondern Ermächtigung. Damit hat man plötzlich viel mehr Einfluss, kann sich gezielt weiterentwickeln und kann eher mit Worten beschreiben, welche speziellen Eigenschaften an einem Stück sein Wesen ausmachen. Denken und Fühlen sind für mich keine Feinde.
Eines dieser emotional ergreifenden Stücke, die alle paar Monate wieder auf meine Hyperfokusliste finden, ist das Larghetto aus Beethovens Violinkonzert Op. 61, mit Tibor Varga als Solist. OK, eigentlich das ganze Konzert, aber der zweite Satz … Beethoven ist so rhetorisch, als würde er in schlichten Worten etwas eminent bedeutsames und wahres sagen, ohne etwas zu sagen.
Wie gesagt, ist hochgradig kulturell abhängig, wer wobei was empfindet.
Bingo! Es gibt natürlich viele Beispiele für grandiose Filmmusik. Einer meiner Lieblingsfilme, Master and Commander, nutzt ganz wunderbar der Epoche des Films entsprechende Musik, aber auch modernere klassische Stücke (Ralph Vaughan Williams’ Fantasia on a Theme by Thomas Tallis wird sehr wirkungsvoll eingesetzt) sowie für den Film geschriebene Musik.
Ja, Beethoven beeindruckt und bewegt mich auch ungemein. Das vorgestellte Stück ist jedenfalls wunderschön und ich kann gut nachempfinden, warum es dich so ergreift. Ich kannte es vorher nicht, deshalb danke für den Musiktipp.
Leider bin ich nicht ansatzweise so gut ausgestattet mit musiktheoretischem Fachwissen wie du. Obwohl ich prinzipiell interessiert daran bin, habe ich es nie geschafft mich längerfristig und intensiv genug damit zu befassen. Könnte etwas mit dem ADHS zu tun haben…
Ein Stück, das mich besonders bewegt, ist diese Interpretation der Arie „Schafe können sicher weiden“ aus Bachs Jagdkantate:
Auch sehr schön ist Egon Petris Klaviertranskription davon. An der beiße ich mir schon eine Weile die Zähne aus.
Bach kann selbst manch Gottlosem eine Ahnung vom Göttlichen vermitteln. Das sage ich als eine, die zwar noch spirituell ist, aber nicht mehr gläubig/religiös. Wunderbar andächtig interpretiert und ich finde, die Sängerin hat einen sehr ausgewogenen Stimmklang. Da bin ich eher empfindlich, was Gesang betrifft. Vielen Dank für diese Interpretation, @Daxos.
Gerade bin ich eher am anderen Ende des Spektrums, bei Mozarts maximal unandächtigen und unspirituellen „Ein musikalischer Spaß“ interpretiert von der Staatskapelle Dresden. Es macht mir einfach diebische Freude beim Anhören.
- die ungelenke und betont uninspirierte Art der Komposition
- die verstimmten Hörner im zweiten Satz
- die Ganztonleiter in der Violinkadenz am Ende des dritten Satzes
- Das hektische Gezappel beim Dirigieren, die Scheißegal-Modulation, und natürlich der Schluss im vierten Satz
Ein bisschen Gemeinheit und Ironie gehört manchmal dazu.
Der Kenner (Eugen Roth)
Ein Mensch sitzt stolz, programmbewehrt,
In einem besseren Konzert,
Fühlt sich als Kenner überlegen —
Die anderen sind nichts dagegen.
Musik in den Gehörgang rinnt,
Der Mensch lauscht kühn verklärt und sinnt.
Kaum daß den ersten Satz sie enden,
Rauscht er schon rasend mit den Händen
Und spricht vernehmliche und kluge
Gedanken über eine Fuge
Und seufzt dann, vor Begeisterung schwach:
„Nein, wirklich himmlisch, dieser Bach!“
Sein Nachbar aber grinst abscheulich:
„Sie haben das Programm von neulich!“
Und sieh, woran er gar nicht dachte:
Man spielt heut abend Bruckners Achte.
Und jäh, wie Simson seine Kraft,
Verliert der Mensch die Kennerschaft.
Meine ersten bewussten Kontakte mit Musiktheorie und Musikgeschichte als Kind verdanke ich Paul Bartholomäi, der damals entsprechende Radiosendungen bei HR2 moderierte. Ich finde, er hatte das richtig toll hinbekommen, Respekt vor der Kunst zu vermitteln, ohne zu sehr zu idealisieren und ohne dabei die menschlichen Schwächen zu unterschlagen; sozusagen ein humorvoller Blick auf Schwächen und Fehler. „Sollte ihr Streichorchester etwas zu stränig spielen, fügen Sie der Aufnahme einfach ein wenig Hall hinzu.“ Da gehörte es auch dazu, gelegentlich ein technisches Negativbeispiel einzuspielen und kritisch zu würdigen. Danke Herr Bartholomäi, Sie haben meinen Umgang mit Kultur nachhaltig beeinflusst.
Der HR hat mein Flehen offenbar erhört und zumindest die neueren Sendungen als Podcast online gestellt. In den alten Sendungen habe ich ihn allerdings noch etwas frecher und nerdiger in Erinnerung. Die neueren sind meinem Eindruck nach etwas mehr für ein breiteres Kulturpublikum ausgelegt, mehr fürs Repräsentieren.
Es gibt auch Stücke zur Begleitung von Grübelzwängen. Nochmal Mozart, aber sehr tiefgründig, grüblerisch und progressiv. Das kann ich auch selber spielen, sollte es aber wieder mehr üben. Bei einer neuen Grübelwelle mit Gedankenkreisen wird hin und wieder dieses Stück aufgelegt oder gespielt, um den Grübelanfall zu überbrücken.
Und noch so eins, der „einfachste Chopin“:
Beide sind technisch weniger anspruchsvoll als im Ausdruck.
In Klassik höre ich mich gerade erst hinein. Habe es letztens für mich entdeckt, als es mir sehr schlecht ging und habe festgestellt, dass Klassik mich insgesamt eher beruhigt. Seitdem mache ich mir gern mal Klassik Radio an, was selten für mich ist, weil ich normalerweise Radio sonst hasse wie die Pest, auf Grund ewig-überfröhlicher Moderatoren und tonnenweise Werbung.
Insgesamt habe ich Phasen, wo ich oft erst ein Lied und dann das ganze dazugehörige Album rauf und runter und wieder zurück gehört habe. Dabei sehr wechselhaft im Genre: Cross over, Metal/Rock, (guter!!!) Pop, Jazz, Electro Swing, etwas Techno, HipHop, also eigentlich alles außer Schlager (mit Ausnahmen) und Volksmusik (die in meinen Augen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellt).
Da stimme ich dir weitgehend zu. Schön, dass du dich hineinfindest.
Bei mir würde ich sogar eher sagen, dass Klassik mich fokussieren lässt, weniger beruhigen im herkömmlichen Sinne. Es wird dadurch mental irgendwie weniger fragmentiert, Nervensystem synchronisiert, etwas in der Richtung.
Bei Volksmusik würde ich mal die Volkstümliche abgrenzen und in Schutz nehmen. Ich finde z.B., dass schlichte Zithermusik sehr naturverbunden klingen kann, nicht unbedingt kitschig.
Klassische Gitarre ist auch so ein wiederkehrender Hyperfokus bei mir. Beispiel:
Muss normalerweise auch das ganze Album haben und durchsuchten, wenn mir ein Stück oder Satz daraus gefallen hat.
Ja, mehr Fokus ist bei mir durchaus auch dabei, inzwischen auch mehr als zu Anfang. Der Effekt der Beruhigung war vielleicht eher meiner krassen Übererregbarkeit in der Zeit geschuldet.
Bin ich voll bei dir, ich meine natürlich das, was heutzutage als Volksmusik gilt, was für mich mit der ursprünglichen nicht mehr viel zu tun hat.
Stimmt, anfangs kommt dieser Effekt nach dem Motto: „Krass, ich werde nicht mit zu vielen intensiven Reizen zugeschüttet.“ Mit der Zeit kommt man mehr rein und dann kommt auch mehr der Fokus. Einmal war ich bei einem Kaufland einkaufen, wo ganz leise Impressionismus (Morgenstimmung) gespielt wurde. Mann, war das angenehm …
Das beim Spielen körperlich beruhigendste Instrument, das ich je gespielt habe, ist das Akkordeon. Das war auch mein erstes Instrument mit Unterricht usw. Ich weiß, für Außenstehende ist der Klang oft too much, besonders bei älteren Instrumenten. Da war die Stimmung auch bewusst auf Durchdringung durch Lärm ausgelegt. Also das ist für mich gut nachvollziehbar. Vom Spielgefühl körperlich finde ich es wiederum echt genial:
- Bei richtiger Haltung wird die Rumpfmuskulatur und Rücken trainiert.
- Die Arme werden Trainiert.
- Die Selbstwahrnehmung wird trainiert, fast wie beim Atmen und Singen, weil die Emotion durch die Balgführung ausgedrückt wird, nicht durch den Tastenanschlag. Der Atem synchronisiert sich dabei nach und nach mit der Balgführung.
- Durch diese Auf- und Zubewegung entsteht körperlich ein Eindruck wie bei einer Wiegebewegung, als würde man ein Kind in den Armen halten und schaukeln. Wenns dann gut klingt, kommt dabei der Oxytocinschub, ganz meditativ.
Das Instrument kann einem gesundheitlich so viel geben, ist nur leider nicht immer einfach mit der Sozialverträglichkeit. Muss mich vielleicht mal aufraffen und diese digitalen Instrumente mal durchtesten, da kann man Kopfhörer anschließen und stört niemanden damit.
Das klingt total schön, das hätte ich auch gern beim Einkauf. Ich hatte neulich mal eher das komplette Gegenteil; es lief, für mich, schrecklich platte, nichtssagende Nerv-Musik und da hat sich mein Hyperfokus drauf gelegt, sodass ich fast nix mehr gebacken bekommen habe an Einkauf, als dann noch das Piepen vom Backautomaten dazu kam habe ich fast geweint.