Eckhardt von Hirschhausen sagte mal in Bezug auf Depressionen: „Wenn du ein Pinguin bist, der in der Wüste steht, dann ist es nicht deine Schuld, wenn es nicht flutscht.“
Genau das habe ich auf mich und mein ADHS adaptiert.
Mein Gehirn funktioniert anders als das der meisten. Dafür kann ich nichts, ich wurde so geboren. Ich wurde als Pinguin geboren.
Das hat damals keiner erkannt. Dafür gab es viele Gründe, die ich hier nicht alle aufzählen muss, aber so war es halt.
Aufgewachsen bin ich aber in der Wüste. Das ist eigentlich nicht die Umgebung, die ich brauche. Das wusste ich aber sehr lange nicht. Und ich sah ja auch erstmal ganz normal aus, wie etwas, das in die Wüste gehört. Zugegeben: das eine oder andere passte nicht. Aber da hieß es dann eben nur „Sei nicht so ein Pinguin! Ein Wüstenbewohner verhält sich nicht so!“
Und ich habe mich angepasst. Ich versuchte lange ein Kamel zu sein. Hat nicht gut geklappt. Ich war immer irgendwie ein komisches Kamel. Ich versuchte es als Wüstenspringmaus, als Kaktus, ja sogar als Stein. Hat alles nicht geklappt. Zwar haben die Leute es mir lange geglaubt, aber irgendwas fanden sie dann doch verdächtig oder unauthentisch. Außerdem hat es unendlich viel Energie gekostet und glücklich war ich damit auch nicht.
Dann vor 9 Jahren im Alter von 33 hatte ich dann das Glück bei einem sehr kompetenten Arzt zu sein, der mir sagte, was das „Problem“ ist: „Sie, meine Dame, sind ein Pinguin! Und keine Angst, das ist nichts Schlimmes!“ „Alles klar!“, dachte ich. „Problem erkannt, Problem gebannt!“ Aber weit gefehlt.
Nur weil ich nun wusste, dass ich ein Pinguin bin, hieß das ja noch lange nicht, dass ich wusste, wie Pinguine in der Wüste überleben können. Ich machte also mehr oder weniger weiter wie zuvor, auch wenn ich nun schon das eine oder andere besser verstehen und akzeptieren konnte. Ich sah sogar, dass es da draußen andere Pinguine gab, aber so wirklich habe ich mich mit meinem Pinguin-Dasein nicht auseinander gesetzt. Bis ich dann vor knapp zwei Jahren nicht mehr konnte.
Mehr oder weniger sehenden Auges bin ich in einen zweiten Burn Out geschlittert. Als Pinguin in der Wüste bekommt man leider sehr schnell einen Sonnenbrand, wenn man nicht weiß, wie man sich dagegen schützen kann. Aber dieses Mal habe ich es wirklich verstanden.
Ich habe alles stehen und liegen gelassen, mich hingesetzt und zum ersten Mal mir wirklich die Zeit genommen, mein Leben als Pinguin zu überdenken. Ich habe vieles geändert, große Entscheidungen getroffen und weiß dennoch, dass es noch ein langer Weg ist.
Aber ich habe immer noch die Hoffnung und den Glauben, dass es mir möglich ist, auch als Pinguin in der Wüste ein glückliches Leben zu führen. Dass ich es schaffen kann, mir mein eigenes Habitat aufzubauen, so wie ich es brauche. Es kostet viel Kraft und Energie, denn in einer Wüste einen Ort zu schaffen, der Wasser, Eis und Fisch beinhaltet – das ist nicht einfach. Aber es ist möglich. Daran glaube ich, weil ich bei mir selbst sehen kann, wie ich immer mehr zu mir selbst finde, mich als Pinguin akzeptiere.
Mein „Problem“ (oder „Krankheit“, wenn man so will) ist nicht, dass ich ein Pinguin bin. Mein Problem ist, dass ich nie gelernt habe, was es heißt ein Pinguin zu sein, wie ich als Pinguin in der Wüste überlebe und was ich brauche, um glücklich zu sein.
Ich sehe bei vielen anderen da draußen typische Pinguineigenschaften, bei meinen Geschwistern zum Beispiel. Aber die haben sich von Anfang irgendwie besser zurechtgefunden. Sie sind auch Pinguine, aber eben Wüstenpinguine, die besser hineinpassten, sich besser anpassen konnten, ihre Pinguin-Nische gefunden und sich einfach wohler gefühlt haben. Und daher auch nie solche Probleme hatten, wie ich.
Wenn du mir eine Pille anbietest, die mich von jetzt auf gleich zum Kamel macht, dann lehne ich dankend ab. Ich bin inzwischen gerne ein Pinguin. Nicht, weil ich mein Pinguin-Dasein als Superkraft oder mich als ganz besondere Schneeflocke sehe. Tatsächlich finde ich es sehr anstrengend, ein Pinguin zu sein. Und oft bin ich einfach nur müde von dem täglichen K(r)ampf. Aber ich fühle mich einfach als Pinguin, das ist, was ich bin. Mit allen Stärken und Schwächen. Und da sehe ich, wie gesagt, auch nicht mein „Problem“.
Wenn du mir aber eine Pille anbietest, die mir von jetzt auf gleich zeigt, wie meine persönliche Überlebens- und Glücklich-Sein-Strategie als Pinguin in der Wüste funktioniert, ohne langwieriges Training, ohne Medikamente, ohne jahrelanges Leiden – ja, das wäre ich wohl sehr versucht. Ich würde ja am liebsten immer alles sofort und gleich und ohne viel Arbeit haben. Schließlich bin ich immer noch ein Pinguin.