Das (innere) Kind hat einen Namen

Hallo Community,

das (innere) Kind hat einen Namen.
Ich habe heute meinen Termin in der Klinik gehabt und meine Diagnose ‚ADHS im Erwachsenenalter‘ erhalten.

Zu mir. Ich bin Ende 30/Anfang 40 und mein Leben war bis heute gespickt mit Entbehrungen, Stolperfallen und einer Unmenge an Selbstzweifeln.

Ich bin im Ruhrpott groß geworden. Exploratives Umfeld, Fußball als Inbegriff emotionalen Expressionismus, alleinerziehende (toxische) Mutter und eine Grundschule mit Lehrpersonal, dass massiv überfordert war (mit mir).

Ende der Grundschule habe ich eine Ohrfeige bekommen, als eine Lehrerin mich beschuldigt hat und ich mich unfair behandelt fühlte. Ich drehte mich um und schrie auf den Schulhof raus, drehte mich zu ihr und es knallte. Das war mein Schlüsselmoment, ab da war mir klar „Du bist hier falsch. Du bist falsch. Du bringst andere dazu, dich zu schlagen weil du nicht richtig bist.“..

Zuhause gab es wenig Streit, hier schaffte ich es mich zu regulieren. Meine Mutter war alleinerziehend, nachdem sie meinen Ziehvater vergrault hatte und diese emotionalen Leerläufe füllte sie, indem sie mich manchmal übermäßig maßregelte. Das war mein anderer Schlüsselmoment, da war mir klar „Du musst dich anpassen. Reiss dich zusammen!“.

Ich habe meinen Schulabschluss gemacht, die gymnasiale Oberstufe in der 11.2 abgebrochen und habe im BIZ-Mobil einen Intelligenztest machen dürfen (Gesamt-IQ: 125). Ich habe es nicht verstanden, das Ergebnis sei wohl ohnehin nicht richtig weil ich so unkonzentriert sei und irgendwas angekreuzt hätte, sagte die Dame vom psychologischen Dienst.

Ich habe erst spät eine Ausbildung abgeschlossen und im sozialen Bereich lernt man sehr schnell, sehr viel über sich selbst. Man muss authentisch sein, sonst wirkt man auf die Kinder und Jugendlichen nicht zuverlässig, nicht greifbar. Man ist keine sichere Konstante und keine Vertrauensperson. Hier habe ich mich (auch berufsbedingt) das erste Mal mit ADHS beschäftigt und sah viele Parallelen. Ich war innerhalb kürzester Zeit in einer verantwortungsvollen Position, verwarf den Gedanken ADHS weil man als ‚Verantwortlicher‘ ja nicht davon betroffen sein DARF. Wie sieht das aus?!
Für die Jugendlichen war ich eine Vertrauensperson egal worum es ging. Bei Geburtstag oder Weihnachten schrieben wir uns alle Karten und alle sagten immer etwas wie ‚Du bist einfach Du, besonders und echt.‘. Nur fühlte ich mich oft nicht so.. Besonders, ja, aber nicht echt.

Ich war dann einmal bei einer Weiterbildung zum Thema ‚ADHS‘ und habe einen Jugendlichen bei der Diagnostik begleitet, die Medikation begleitet, Conners-Skala, ärztl. Anbindung und und.. Ich las mich ein in das Thema um für den Jugendlichen eine gute Wissensquelle zu sein.

Dann habe ich geheiratet, wir haben ein Haus gekauft, Corona, Vater geworden, Teilzeit-Studium neben Vollzeit-Beruf und Haus saniert/renoviert. Alles in 2,5 Jahren. Da wurde mir klar, dass irgendwas nicht stimmen kann mit mir. Also noch deutlicher als vorher schon, aber ich war ja jetzt für die Familie mitverantwortlich, für ein kleines Menschenleben (+ 2 Katzen). Hier begannen auch die ersten Probleme im Alltag, Zuhause. Ich nahm stark zu, platzte deutlich schneller wenn etwas nicht klappte (früher platzte ich auch, aber jetzt schon nach wenigen Sekunden), ertappte mich beim ständigen Zermürben und Reflektieren, bei Schuldgefühlen und erlebte ein wenig meine Kindheit noch einmal neu, emotional.
Beruflich zeigte sich dies in Teilen in emotionaler Gereiztheit, absoluter Langeweile oder darin, ein hohes Arbeitspensum zu erledigen. Das sorgte wieder für mehr Aufgaben, Vertrauen und ich fühlte mich stark, aber nicht glücklich. Andere kamen heim und waren ‚happy‘. Ich war leer. Ich beschäftigte mich mit unzähligen Dingen, lernte diverse Themen, Handwerk, zusätzliche Berufsqualifikation und und und..

Jetzt zuletzt war es so, dass meine Frau und ich uns immer öfter zofften. Ich wechselte den Arbeitgeber, war wieder angefixt und lernte innerhalb von 1 Jahr knapp 95% des ‚Neuen‘. Anbindung an eine psychotherapeutische Praxis für Diagnostik/Verhaltenstherapie, erneuter IQ-Test, bestätigt wurde ein Gesamt-IQ von 122.‘ und der Hinweis: „Beschäftigen Sie sich mit Neurodivergenz? Falls nicht, tun sie es. Ihre genannten Strategien aus dem Alltag, der Werdegang..“

ADHS.. Ich habe geweint als der Arzt sagte „[…] kann hier eindeutig von ADHS im Erwachsenenalter […]“.

Jetzt sitze ich hier, versuche in mich hinein zu fühlen was diese Diagnose mit mir macht. Mit dem Erwachsenen RheinApfel noch nicht viel, das habe ich sicher noch vor mir und ich freue mich darauf.

Aber mein inneres Kind wird endlich entschuldigt.
Du warst nicht falsch, du warst nicht schuld. Die anderen wusste es nicht besser. So wie du bist, bist du gut - aber anstrengend für andere und dich selbst auch manchmal. Die Superkräfte vom ADHS, vieles schnell aufnehmen, teils Unmengen Input aufzunehmen und ungeordnet wieder abrufen zu können.. Alles nützlich und ich hoffe das in Teilen erhalten zu können.

Ich freue mich auf den Input und das Gesunden, nach so vielen Jahren des ‚Sich selbst nicht Verstehens und falsch fühlens.‘.

Mein Plan ist es eine Ergotherapie zu suchen, die medikamentöse Einstellung zu beginnen und dann will ich einmal irgendwo sitzen, still, ruhig, nur mit mir alleine sitzen und in mich hineinfühlen.

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Herzlich willkommen und danke für Deine wunderschönen Worte!
Dein Post hat mich gerade sehr berührt und ich kann alles, was Du schreibst sehr gut nachempfinden.
Ich freue mich mit Dir, dass Du jetzt weißt, dass Du genauso wie Du bist gut und richtig bist!
Mit der Diagnose erklärt sich sehr viel und Du darfst jetzt viel milder und liebevoller zu Dir sein, damit vieles heilen kann!
Alles Gute! :heart:

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MOIN,

nice Story… könnte fast MEINE sein … :face_with_spiral_eyes: :victory_hand:
auf jeden Fall der Teil mit den Tränen wenn man was von seinem ADxS erfährt …
nach all den Jahren …

ich sage fast meine Geschichte … aber ich leg nochmal 18 weitere Jahre oben drauf :rofl: ..
bin jetzt 58 und erfahren hab ich’s vor nem halben Jahr :eyes:

Ich machs kurz … (geiler wortwitz bei ADS’lern :grin:) …
:right_arrow: Ich fühle mich seitdem wie auf der SUCHE nach dem wahren Howard
wer iss dieser Typ eigentlich mit dem ich die letzten 58 Jahre verbracht hab?? :thinking:

eine REHA … zusammen mit Leuten die NOCH krassere Dinge als ich erlebten …
gaben mir dann den „Rest“:

Ich kann mich endlich selbstverständlich finden!!!

Also keine Tränen und keine Suizid Gedanken mehr… weil ich WIEDEr und WIEDEr verletzt werde und denke ich bin auf nem falschen Planeten gelandet .

Ich bin 1967 hinter der Mauer in Ostberlin geboren…
der erstgeborene in einem streng Katholischen Elternhaus …
in dem der Vater sich für Schläge und die Mutter für Liebesentzug als angemessene Erziehungsmethoden entschieden hatten… :sad_but_relieved_face:
Also hab ich von Anfang an gelernt:
"irgendwie bin ich scheinbar nich ganz richtig auf diesem Planeten hier " …

Als angehender ADS’ler … wurde man natürlich noch von

  • seinen Klassenkameraden … mehr verprügelt als respektiert …
  • den Lehrern zusammengefaltet (der Sportlehrer sagte mal zu mir „Wenn ich könnte würde ich dich zusammenschlagen“) :woozy_face:
  • den Kindern in der Kirchengemeinde ausgegrenzt

So brauchte es dann „nur noch“ die immer wiederkehrenden nächtlichen Horrorträume um schon als 12 jähriger mit Suizid gedanken zu spielen …
Na wenigstens etwas wenn sonnst keiner mit dir spielt :rofl: :rofl: :rofl:

nun ja … also back to Story:

ich fühl mich wie neugeboren

Dein Thread Titel lässt vermuten das hast das Buch von Frau Stahl gelesen …
wenn NICHT dieses Buch hat mich nachhaltig geprägt

mehr dazu auf meiner Seite „Einhornland“
ich hab mich entschieden das ganze kreativ zu verarbeiten…

Danke für dein Input
:unicorn: :victory_hand:

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Hallo Rheinapfel :slight_smile:,

als jemand, der auch gerade erst mit ebenfalls Ende 30 diese erlösenden Worte gehört hat, wie du, kann ich dir nur sagen: Hier bist du goldrichtig! Dies ist ein fantastischer Ort. Sei es, um rauszufinden, dass du mit vielen, von nt Menschen als schräg wahrgenommenen Eigenheiten gar nicht allein bist oder um einfach Hilfe, Anregung und Austausch zu finden.

Hab bei deiner Geschichte auf einmal etwas im Auge gehabt. :wink:

Herzlich willkommen und herzlichen Glückwunsch zur Diagnose. :smiley:

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