Hey zusammen,
ich wollte an dieser Stelle mal ein etwas größeres Fass aufmachen und werde da vermutlich auch weiter ausholen. Daher weiß ich nicht, wie lang das hier wird und ob ich zwischendurch ein paar Mal den Faden verliere und um den heißen Brei rede, aber es ist ein Thema, das mich schon sehr lange (gut die Hälfte meines Lebens) beschäftigt. Also, ich würde eben auch gerne Meinungen und Erfahrungsberichte, vielleicht auch Tipps o.Ä. von euch lesen, weil ich mir durch das Thema ADxS womöglich endlich einen Reim auf alles machen kann, was für mich bisher unverständlich war.
Gut, ich fange dann mal an…
Worum geht’s? Es geht um das Thema Soziale Ängstlichkeit/Soziale Schwierigkeiten/Hemmungen im Sozialen, wie auch immer man das gerne nennen mag. Alles, was eben so in diese Kategorie mit Problemen im Sozialem fällt.
Ich hatte nämlich nicht immer Schwierigkeiten mit dem Sozialem, jedenfalls nicht so, dass es für mich ein Problem darstellte. Eine gewisse Andersartigkeit habe ich bei mir ab und zu in der Grundschule gemerkt, wurde dort aber sehr freundlich und inklusiv von meinen Mitschüler/innen behandelt. Ich hatte viele Freunde von der ersten bis zur dritten Klasse. Dann sind wir umgezogen (ich bin generell als Kind viel umgezogen, Stichwort ‚military brat‘ würde man das im Englischen wohl nennen; also mein Vater ist Soldat). Ab der vierten, aber eher noch ab der Zeit im Gymnasium ging es dann ganz schnell. Plötzlich war ich die Zielscheibe von ein paar Jungs aus meiner Klasse, was sich dann auch recht schnell auf andere Klassen meiner Stufe ausbreitete. Warum auch immer hatten die sich einen Narren daran gefressen sich über mich lustig zu machen, über mich herzuziehen und ganz schnell war ich dann auch in einer Außenseiterposition. Damals hatte ich große Schwierigkeiten mich zu wehren, konnte kaum irgendwas nicht total persönlich nehmen. Aber es ist nicht so, als wäre das plötzlich so gewesen. Ich war immer sehr sensibel und schnell beleidigt (seit Kurzem weiß ich ja auch, dass sich dieses Phänomen Rejection Sensitivity nennt, aber dafür hatte ich ja damals noch keinen Namen). Ich denke mal, dass das denjenigen, die mich geärgert haben, dann auch aufgefallen ist und sie deshalb immer weitergemacht haben. Auf der anderen Seite war ich eben auch wie ein offenes Buch, habe allen möglichen Leuten Dinge erzählt, von denen sie vermutlich gar nichts wissen wollten und habe mich überall drangehängt. Ich war eigentlich das Gegenteil von Zurückhaltung. Darüber hinaus hatte ich immer das Gefühl die anderen um mich rum sind irgendwie… schneller. Ich habe mir für alles immer wahnsinnig viel Zeit gelassen. Bei Aufgaben in der Schule, beim Melden im Unterricht (mir ist immer erst was eingefallen, wenn zig andere bereits den Finger oben hatten), beim Sport oder bei Wandertagen (ich war grundsätzlich das Schlusslicht, aber nicht, weil ich irgendwie unsportlich war… ich war einfach langsam, warum auch immer) oder bei Hausaufgaben (ich habe ewig gebraucht, die fertig zu bekommen, weil ich das Ticken der Uhr oder meine bloßen Gedanken viel spannender fand). Aber fertigbekommen habe ich sie trotzdem immer, auch, weil meine Eltern da ganz genau drauf geachtet haben. Auch, wenn ich bis 22 Uhr am Tisch saß, aber sie waren fertig. Dementsprechend hatte ich den Eindruck, dass ich nicht so kann wie andere. Ich bin irgendwie schnell hinten runtergefallen, habe im Unterricht den Faden verloren und war auch immer nicht so ganz da.
Leider hat mich diese Zeit in der Schule aber so sehr geprägt, dass ich heute recht verschlossen bin, wenn ich jemandem begegne und auch immer ein Stück weit unsicher. Das macht mich etwas traurig, weil ich dahingehend sowohl mit Medikamenten, als auch mit Therapie und guten Freunden versuche gegen an zu arbeiten. Die Diagnose ‚Soziale Phobie‘ habe ich zusammen mit einer Depressiven Episode, damaliger Essstörung und einer Borderline-Diagnose bekommen. All das habe ich heute zum Glück nicht mehr (Borderline war auch leider eine Fehleinschätzung). Bei einer anderen Therapeutin kam dann noch der Verdacht auf eine Ängstlich-vermeidende PS dazu. Aber immer, wenn ich mich näher mit diesen Diagnosen befasst habe dachte ich, dass da irgendwas nicht passt. Heute würde ich behaupten, dass ich keine Diagnose mehr für eine Soziale Phobie bekäme. Ich zeige keinerlei körperliche Angstsymptome in sozialen Situationen und vermeide auch nichts. Und trotzdem fühle ich mich durch soziale Situationen immerzu irgendwie belastet.
Vielleicht bringt es was, wenn ich es näher beschreibe und meine Vermutung teile, wodurch meine Schwierigkeiten im Sozialen bedingt sind. Denn ich glaube, dass es doch recht typisch für ADxS sein könnte.
Ich habe nämlich gar nicht so sehr Angst davor mich lächerlich zu machen oder mich peinlich zu verhalten (wie für die Soziale Phobie oder die ÄvPS üblich). Das tue ich hin und wieder und dadurch fürchte ich nichts. Wovor ich mich eher fürchte, ist eine tiefe Ablehnung von anderen. Dass ich nicht angenommen werde, dass man mit mir nichts zu tun haben will oder, dass ich bei anderen in Misskredit falle. Kurzum: Dass man mich einfach nicht mehr mag. Und wodurch habe ich das? Naja, ich habe ganz oft Schwierigkeiten in sozialen Situationen angemessen zu folgen. Mir geht alles ein wenig schnell, ich kriege Zusammenhänge nicht richtig mit, höre manchmal für eine ganze Weile nicht zu und weiß nicht mehr, an welcher Stelle wir im Gespräch waren. Ich möchte eben nicht als langsam, ignorant (weil ich nicht richtig zuhöre) bzw. uninteressiert oder komisch wahrgenommen werden. Komisch, weil ich manchmal das Gefühl habe, wenn ich zeige, wie ich wirklich bin, dann kommt das nicht gut an. Ich habe eben oft den Eindruck, ich muss mich an die meisten Begebenheiten sehr stark anpassen und mir fällt es schwerer soziale Hinweise korrekt zu deuten. Wann darf ich was sagen? Wann sollte ich meine Klappe halten? Wieviel sollte ich reden? Welches Thema ist jetzt unangebracht? Meist ploppt ein (für mich) toller Gedanke in meinem Kopf auf, den ich äußern will, der aber rein gar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Dadurch will ich nicht unempathisch erscheinen, wenn ich vom Kopf her ganz woanders bin. Als Kind war das alles noch nicht so schwierig. Da wurde das belächelt, wenn man plötzlich den Gesprächsfaden verloren hat, wurde vielleicht sogar als süß wahrgenommen. Aber mit jedem Jahr strengt es mich mehr an.
Daher suche ich selten aktiv soziale Situationen auf… weil sie mich anstrengen. Nicht, weil ich Herzrasen und Panik bekomme oder Zustände kriege, weil ich mit Menschen reden muss und sie mich auslachen könnten. Sondern, weil ich sehr viele Kapazitäten darauf verwenden muss angemessen an der Situation teilnehmen zu können. Ich dachte immer, ich sei einfach schüchtern oder bloß introvertiert. Aber ich merke, dass dahinter doch was anderes steckt. Ich glaube nämlich, dass ich als Kind gar nicht introvertiert war. Es hat sich eher so entwickelt.
Ich wollte das gerne mal von meiner Seele schreiben, weil ich glaube, dass es hier im Forum am besten Platz und Resonanz findet. Bisher habe ich eben schnell den ‚Soziale Phobie‘-Stempel bekommen oder wurde lediglich für Selbstunsicher gehalten und fertig. Aber eventuell hat jemand von euch ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich würde gerne darüber lesen.