Diagnose erhalten und nun viele Zweifel

Hallo zusammen,

vor einiger Zeit habe ich hier schon einmal geschrieben und gefragt, ob die Diagnose ohne Eltern gemacht werden kann. Tatsächlich hat sich das Verhältnis zu meiner Mutter in den letzten Monaten verbessert und ich konnte den Fremdbewertungsbogen von ihr ausfüllen lassen.

Gestern hatte ich nun meinen Termin zur Diagnostik - online. Im Vorfeld musste ich mehrere Selbstbewertungsbögen ausfüllen, zusätzlich habe ich zwei mal den Fremdbewertungsbogen für die Kindheit eingereicht (Mutter und Vater, da getrennt seit ich 2 bin und mich beide erlebt haben) und einen für das Erwachsenenalter, den mein Partner ausgefüllt hat.

Der Termin wurde von einem auf ADHS bei Erwachsenen spezialisierten Mitarbeiter der Praxis durchgeführt. Zuerst wurden mir viele Fragen zu meiner Biographie und schließlich zu meiner jetzigen Situation gestellt. Im zweiten Teil habe ich drei Tests durchführen müssen, in denen verschiedene Aspekte getestet wurden (dabei kam unter anderem heraus, dass ich einen Test sehr schnell, aber auch sehr ungenau bearbeitet habe - klassisch Flüchtigkeitsfehler, wie sie mich mein Leben lang begleiten) und bei der Grundaufmerksamkeit langsamer reagiere als die „Norm“.

Am Ende haben die Tests noch das untermauert, was mein Gegenüber nach dem Gesprächsteil bereits vermutet hat - das ich mich auf dem ADHS-Spektrum befinde. Für ihn gab es da gar keine Fragezeichen. Auch, dass meine Schwester (stark) betroffen ist und mein Vater ebenfalls sehr wahrscheinlich die Diagnose bekommen wird (Medikamente schlagen bei ihm an), unterstützen diese Einschätzung. Im Gegensatz zu meiner Schwester, die teilweise nicht einmal beschulbar war, vermutet mich der Mitarbeiter eher auf der weniger stark ausgeprägten Seite des Spektrums. Ich bekomme mein Leben irgendwie organisiert und kann auch von den positiven mit ADHS assoziierten Aspekten schöpfen (Feuer und Flamme für meinen Beruf, da sinnstiftend, kreativ, begeisterungsfähig). Trotz meiner Probleme in den Bereichen Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Desorganisation schaffe ich es, ein funktionierendes Leben zu führen. Auch dank meinem Partner, der sehr viel auffängt und meinem Talent, irgendwie doch alles ins Lot zu bringen. Aber es ist phasenweise extrem anstrengend, dieses Leben. Irgendwie muss ich mich gefühlt immer mehr anstrengen, Fehler ausbügeln, bevor sie jemand bemerkt etc. Mir wurde geraten, weiterhin Therapie zu machen. Medikamente sind eine Option, dies solle ich mir in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und auch abschätzen, ob mir aufgrund der milderen Ausprägung eventuell andere Wege ebenfalls helfen können, eine Verbesserung in den problematischen Bereichen zu erreichen. Das Gutachten erhalte ich in ca. 2-3 Wochen.

Erst war ich erleichtert… ich hatte es ja länger vermutet. Endlich weiß ich, wieso mein Leben so ist, wie es ist.

Aber aus irgendeinem Grund zweifle ich plötzlich. Die Diagnostik dauerte ca. 135min. Der Diagnosetermin meines Vaters wird mit mehr Zeit angesetzt (in Person). Ist das unterschiedlich? Ist die Diagnose trotzdem valide? Dazu muss ich vielleicht sagen, dass ich spreche wie ein Maschinengewehr, vor allem, wenn ich aufgeregt bin… habe ich die Fragen vielleicht einfach schneller beantwortet als andere?

Plötzlich überfällt mich die Angst, ich könnte das ganze manipuliert haben, eine Hochstaplerin sein. Vielleicht habe ich mich vorher zu viel informiert? Wenn das ADHS seiner Einschätzung nach eher leicht ausfällt… ist es dann überhaupt da? Muss ich mich nicht vielleicht doch mehr anstrengen? Als Referenz habe ich immer nur meine Schwester erlebt, die eben gar keinen normalen Alltag schafft. Kann ich dann überhaupt betroffen sein?

Und wie ernst wird so eine Diagnose genommen, wenn sie selbst bezahlt wird? Werde ich, wenn ich doch Medikamente ausprobieren möchte, weil ich immer wieder starke Probleme mit meiner Aufmerksamkeit habe (insbesondere auf der Arbeit), dann überhaupt von einem Psychiater ernst genommen?

Theoretisch habe ich die Möglichkeit, im 1. Quartal 2024 noch einen weiteren Diagnostik-Termin wahrzunehmen. Allerdings auch wieder für Selbstzahler. Das wäre finanziell eine Belastung. Erst war ich der Ansicht, diesen dann absagen zu können. Schließlich habe ich ja nun eine Diagnose.

Aber ich habe nun plötzlich all diese Zweifel. Ich stelle gerade alles in Frage… Ist es jemand anderem auch so ergangen?!

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Ich habe jetzt nicht alles ganz genau gelesen.

Aber - die ADHS Diagnose benötigt man hauptsächlich nur deshalb, damit man Stimulanzien bekommen kann. Wie gut die Qualität der Diagnostik am Ende war ist nicht wirklich wichtig.

Normalerweise merkt man selbst, ob man ADHS hat, wenn man die FUNKTIONSWEISE von ADHS verstanden hat. Nicht nur die Symptome.

Hast du das Video von Lachenmeier gesehen?

Probiere Stimulanzien aus und schaue ob du davon profitierst. Du hast doch nix zu verlieren.

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Hallo liebe @Maiko90,

Das wirst du hier im Forum überall lesen, wenn du dich umschaust. Selbst Menschen, die die Diagnose schon lange haben und Stimulanzien bekommen, die bei ihnen gut anschlagen, zweifeln noch manchmal.

Wie @Justine bereits sagte, brauchst du die Diagnose als Voraussetzung um passende Medikamente zu bekommen.

Selbst wenn es bei dir leicht ausgeprägt sein sollte, so hast du doch Leidensdruck gehabt und sogar für eine Diagnostik gezahlt! Das tut man doch nur, weil man nicht noch so lange warten möchte.

Deshalb: Suche dir einen Psychiater für die Medikation und setze dich gut mit dem Thema ADHS auseinander :slight_smile: Das hilft dir auch, dich sicherer zu fühlen! :heart:

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Hallo zusammen,

nach so langer Zeit ein Update: ich war mittlerweile bei einem Psychiater und bin tatsächlich an einen geraten, der sehr lange fast ausschließlich mit erwachsenen ADHS-Patienten gearbeitet hat. Meine Diagnose hat er anerkannt, aber hat auch geäußert, dass er solche Online-Diagnostiken schwierig findet, weil es wichtig ist, den:die Patienten auch persönlich zu erleben. So wie er mich erlebt hat, würde er da aber mitgehen können. Nun muss ich noch ein EKG machen und Laborwerte organisieren.

Beim nächsten Termin geht es dann los mit den Medikamenten. Ich bin aufgeregt und habe Sorgen, zuviele oder falsche Erwartungen zu haben. Aber ich lese hier viel im Forum und das hilft.

Nachdem nun auch jemand Zweites die Diagnose gestellt hat, kann ich sie nun tatsächlich „besser“ annehmen. Tja, was hätte wohl sein können, wäre da mal früher jemand drauf gekommen. Aber die Frage stellen sich wohl viele…

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