Diagnose zusammenstückeln?

Hallo an alle,

ich bin etwas verwirrt und möchte hier mal meine Situation schildern.

Ich bin w, 31. Mein Mann ist Psychologe und hat letztens in einem Nebensatz gesagt „Kann es sein, dass du vielleicht ADHS hast?“ Er arbeitet mit autistischen und ADHS-Kindern. Mich hat dieser Gedanke erst etwas amüsiert. Bis ich mich reingelesen habe. Und BOY, habe ich mich reingelesen! Ich habe mit Kind und Job wirklich nicht viel Zeit, aber das Internet ist jetzt nicht mehr blau, sondern lila.
Ich bin seit zwei Jahren in therapeutischer Behandlung, Diagnose Depression und generalisierte Angststörung. Ich habe unheimlich Glück gehabt mit dem Therapieplatz und schnell Hilfe bekommen. Meine Symptome haben sich in dieser Zeit (ca. 3 Monate) extrem verschärft, aber ich hatte mir dort auch etwas viel aufgehalst: Arbeit, Kind, Umzug ins Ausland, alleine Hochzeit mit 100 Personen planen, Hauskauf, Promotionsstipendumsbewerbung und gleichzeitig haben wir noch meine drogenabhängige Schwester zum Entzug in unserer Wohnung beherbergt. Ich konnte nicht mehr. Meine Therapeutin diagnostizierte wie gesagt die Depression und Angststörung und das fühlte sich für mich auch stimmig an. Mittlerweile geht es mir wieder besser, aber verplant, unordentlich und schnell überfordert bin ich immer noch.
Daher kam dann der ganz große AHA-Moment, als ich recherchiert habe. Irgendwie ging es mir schon immer so. Ich dachte nur immer, das wäre durch die äußeren Umstände, irgendwas war ja immer - Schreibaby, Studium, Trennung der Eltern, …
Dass ICH das bin und nicht die Umstände, war eine krasse Erkenntnis und hat mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben, weil ich das Gefühl hatte, doch kein Spielball des Schicksals zu sein. Mehrfach habe ich geheult, weil ich mir selbst als Kind plötzlich so leid tat. Immer habe ich mich falsch und nicht genug gefühlt.
Ich habe meine Zeugnisse und das Tagebuch meiner Mutter (hat sie mir geschenkt!) herausgekramt und geschaut. Dort steht einiges, was auf ADHS hinweisen könne, mein Mann sieht das auch so (er diagnostiziert allerdings bei sich auf Arbeit nicht).

Nun habe ich letzte Woche den DIVA-Test mit Kindheits-Interview gemacht und meine Therapeutin gibt mir demnächst eine Auswertung. Sie ist allerdings keine Psychiaterin und macht keine Gedächtnistests oder so.

Dazu kommt noch, dass mein Hausarzt mir bereits Medikinet verschrieben hat (wir kennen uns auch persönlich) und ich bin unendlich begeistert, wie ich mich fühle. Bin noch am eindosieren, aber muss das quasi allein machen, da mein Arzt sich nicht so sehr damit auskennt. Er kennt mich aber gut und kümmert sich auch um meine Lunge und ich vertraue ihm da, dass er mir nicht ohne weiteres Medikinet verschreibt.

Ich fühle mich durch meinen Hausarzt, meinen Mann und meine Therapeutin in guten Händen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich eine „richtige“ Diagnose bekomme - müssten dafür nicht noch Hirnscans gemacht werden? Oder andere Tests? Kann ich mir die irgendwo einzeln dazukaufen?
Wir haben hier nur geschlossene Wartelisten in der Umgebung und ich sehe nicht ein, für einen kompletten Diagnoseprozess z.B. den Divatest etc. zu bezahlen, wenn ich ihn schon gemacht habe.
Und - muss das eigentlich sein? Ich habe dann ja eine Diagnose und die Möglichkeit, an Medikamente zu kommen. Es deutet wirklich alles mögliche in die Richtung, mein Vater hat früher auch Ritalin bekommen (ob Diagnose oder nicht, weiß leider keiner). Selbst das Verhalten meiner Schwester würde das erklären, sie hat die Verdachtsdiagnose Borderline, aber es passt nicht so ganz, da bestimmte Symptome fehlen und auch ein großes Trauma.

Wann war für euch der Punkt, an dem ihr eurer Diagnose getraut habt? Und welche Tests kamen bei euch noch dazu?

Sorry für dieses Wirrwar, aber die letzten Wochen waren ein heftiger Selbsterfahrungstrip und ich bin ziemlich überfordert mit allem. Würde mich sehr über eure Gedanken freuen.

Lieben Gruß :slight_smile:

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Wenn deine Therapeutin dich anhand der Testung auf ADHS diagnostiziert dann hättest du doch eine Diagnose!

Bei mir waren es die Fragebögen und ein geführtes Interview von einem Therapeuten. Die Medikation hat ein Psychiater übernommen und der Hausarzt den Check up . (Blutbild/EKG)

Weiter Testungen hatte ich nicht.

Bekommst du Medikinet unretardiert oder Medikinet Adult ? Und bekommst du es privat oder auf Rezept ?

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Liebe Klabauterfrau,

ich vertraute meiner Diagnose schon vorher. :adxs_grins:

Mein großer Sohn bekam schon drei Jahre Ritalin, rückblickend seltsam dass ich nicht schon vorher darauf kam.

Für dich kommt es darauf an was du willst. Du hältst ADHS bei dir für wahrscheinlich, und dein Hausarzt ist zwar kein Psychiater, aber findet das offensichtlich wenigstens plausibel. Wenn er dir weiter Methylphenidat verordnet und selbst keinen Ärger mit der Krankenkasse bekommt, ist erst einmal alles gut, oder?

Nein, Hirnscans gehören nicht zur Diagnostik, und auch sonst keine Messungen mit Apparaten. Diagnostik ist einerseits Schauen ob die Symptome (aktuell und in der Kindheit) einschlägig sind und andererseits ob andere Störungen ausgeschlossen werden können. Wobei diese anderen Störungen natürlich immer auch gemeinsam mit ADHS auftreten könnten.

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Hi,

danke für die Antwort :slight_smile: Ja, ich hätte eine Diagnose, aber irgendwie zweifle ich dann bestimmt an der „Richtigkeit“ der Diagnose… Die Diagnose wäre so einfach, weil es quasi so sehr auf der Hand liegt und alles erklären würde. Es fühlt sich so an, als müsste ich zum Über-Experten gehen, um mir auch wirklich sicher zu sein, dass die Diagnose stimmt. Einfach weil ich mir einerseits so sehr wünsche, dass es ADHS ist (und kein Hirntumor, Schädelhirntrauma in der Kindheit o.ä., was ich nur nie bemerkt habe) und andererseits Angst davor habe, genau deshalb the easy way out zu suchen. Keine Ahnung, ich kann das ganz schwer beschreiben.

Ich bekomme Medikinet derzeit unretardiert zum eindosieren und adult habe ich auch hier.

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Danke dir!

Genau dieses „Schauen nach anderen Störungen“ ist es, was mich irritiert. Irgendwie habe ich das Gefühl, man müsste alles, aber auch wirklich alles andere ausschließen und dafür bräuchte es Menschen, die auf ADHS spezialisiert sind.
Ich weiß, dass ich da wahrscheinlich übertreibe.

Hey @Klabauterfrau :blush:

Das klingt für mich nach dem typischen Imposter-Syndrom, das viele mit ADHS haben. Ich bin auch eine der Glücklichen und kann das gut verstehen, dass du diesen endgültigen Beweis brauchst um es auch wirklich zu glauben!

Als ich angefangen habe, MPH zu nehmen, hatte ich auch diese Stimme in mir, die mir sagen wollte, dass die Wirkung nur der Placebo-Effekt ist und ich mir unbedingt einreden will, ADHS zu haben… war natürlich Quatsch!

Vielleicht hilft dir ja die Beschäftigung mit dem Thema ein bisschen?

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Hi @anon97342551 :slight_smile:
Ja, mit Imposter-Syndrom habe ich auf jeden Fall zu tun.
Bei MPH geht es mir auch genau wie dir :smiley: „Ist das jetzt Placebo? Bin ich eigentlich nur high wie alle nicht-ADxSler und bilde mir ein, produktiv zu sein?“ :smiley: Ich weiß aber mittlerweile auch, dass ich dieses Imposter (auch durch sehr fordernde und wenig fördernde Erziehung) wohl immer ein Teil von mir bleibt. In anderen Bereichen kann ich es wegrationalisieren (so wie "du hast in deiner Masterthesis auch ne 1,0 geschafft, da kriegst du das jetzt auch hin), aber bei dem Thema hier gibt es ja nicht um Leistung und Vergleiche.
Das „Ich bin faul und suche für alles Ausreden“ sitzt extrem tief.

Was hat dir denn geholfen, deine Diagnose anzunehmen?

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Ohja, bei mir auch!

Was mir am meisten geholfen hat: Zeit und die Auseinandersetzung mit ADHS, wie es funktioniert und wie es anderen damit geht. Aber vor allem Zeit!

Ich weiß, es wäre schöner gewesen wenn ich jetzt einen tollen Zauberspruch empfehlen könnte oder ein magisches Ritual… oder zumindest Anregungen für ein neues Notizbuch, das dein Leben dieses Mal wirklich verändern wird! :smiley:

Leider nein, abwarten und keinen Kaffee trinken :grimacing:

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…von diesen Notizbüchern habe ich auch schon 20 im Schrank stehen.
Es ist wirklich so unglaublich befreiend, dass hier Menschen sind, denen es genauso geht und dass die Scham und Schuld nicht mehr ganz so tief sitzt, hier im Austausch.
Es ist wohl noch ein langer Weg. Ich bin aber trotzdem sehr dankbar. :slight_smile:

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Ohhhh, ich auch. Spoiler: Keins davon hat mein Leben verändert :sweat_smile:

Genau das hilft mir auch am meisten: Nicht allein sein, sich nicht mehr so zu schämen und mit der Zeit kam bei mir dazu, dass ich mich selbst besser behandel und nicht mehr so fertig mache für die Dinge, an denen ich immer geglaubt habe, mich messen zu müssen.

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Das geht mir genauso. Endlich bin ich nicht mehr die einzige, die Probleme mit Ordnung, Prokrastination und all dem anderen Zeugs hat.

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Wie fühlt sich das für dich an? Wie eine gefundene Ausrede oder einfach nur schön, ohne so ein nagendes Gefühl dazu?

ich klink mich hier jetzt auch ein und antworte auf diese Frage, die zwar nicht an mich gestellt ist…
ich finde es…interessant zu sehen, dass andere auch zum Prokrastinieren neigen, Probleme haben Ordnung zu halten, ihre Schlüssel zu finden, und so weiter und so fort.
Es wär doch eine verdammt gute Ausrede, aber dieses nagende Gefühl, dass ich doch einfach nur verdammt faul bin, das kann ich mir nicht vorstellen, dass das jemals verschwinden würde
gut ich selber habe noch keine Diagnose, aber auch eine Diagnose würde an diesem Gedanken nichts ändern.

…und ich habe eine ganze Kiste voller Notizbücher, teilweise unbeschrieben und leer, weil sie doch viel zu schön sind um da was reinzuschreiben :sweat_smile:

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Ich bin im Herbst 22 mit etwa 39 diagnostiziert worden. Meine Tochter hat 2017 mit 8 ADHS diagnostiziert bekommen. Meine Mutter und Oma hatten definitiv ADHS, auch viele andere sehe ich nun verdächtig. Will mich damit nun aber nicht weiter beschäftigen. Diese Familie ist für mich immer sehr dysfunktional gewesen. Könnte man bei Zeit alles therapieren……meine 5 Kinder sind mehr oder weniger alle auffällig, mein Gatte geht schwer in Richtung hochfunktionaler Asperger, wie auch mindestens ein Sohn…

Meine eigene Diagnose war ein Befreiungsschlag, aber ebenso auch ein Tor in Richtung abgrundtiefe Traurigkeit, da soviele Dinge schon viel früher hätten angegangen werden müssen!! Meine Zeugnisse sprechen Bände. Soviele Hinweise, die nicht wahrgenommen wurden. Mein Umfeld hat sich totkompensiert und geleugnet, Medikamente unter Generalverdacht. Logisch, dass auch ich immer alles 1000fach anzweifeln musste. So auch die Diagnose. Dennoch: die am wenigsten. Daran zweifel ich nicht mehr. Das dauerte etwa ein halbes Jahr! Meine medikamentöse Einstellung dauert auch immer noch: nun seit mehr als 14 Monate. Das richtige, „annähernd perfekte“ ist noch nicht erreicht. Immer irgendetwas, was stört. Aber es gibt Momente, die schon richtig gut sind! Und es fühlt sich einfach auch alles sehr stimmig an! Einziges Problem: 5 Kinder zu managen, mindestens vier davon komplett verpeilt, dann ist man selbst noch ein totaler Brainer, das ist der komplette Wahnsinn…

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Hallo, du Liebe. Was für eine Reise! Ich konnte total mitfühlen beim Lesen. Wunderbar, dass du so gut versorgt bist!

Zu deiner Frage, wann man der Diagnose vertraut hat, kann ich antworten, wie es bei mir war.

Mit 30 fand ich eine gute Freundin, die Psychotherapeutin ist. 22 Jahre später sagt sie zu mir: „Meine Freundin aus dem Studium hat ein Buch über ADHS geschrieben. Ich habe erst den Anfang gelesen, aber ich finde, du solltest das Buch mal lesen.“ Ich lese keine Bücher, aber dieses habe ich mir dann als ebook gekauft und in derselben Nacht auf dem Handy durchgelesen.

Von da ab wusste ich, dass ich ADHS habe. Es hat alles gepasst. Zum ersten Mal. Am nächsten Tag habe ich sogar anderen erzählt, dass ich ADHS habe. :smiley: Ich bin Musikerlehrerin und befand mich grad auf einer Fortbildung. Dort gab es eine kreative Aufgabe. Als die Dozentin mit der Vorstellung der Aufgabe fertig war, hatte ich sie bereits gelöst. Als sie sagte: „Ihr habt jetzt Zeit diesen Songtext zu schreiben, kümmert euch nicht um Musik, die Melodie und alles machen wir später.“, da hatte ich bereits den Text und die Melodie. Den anderen, die nach weiteren 20min 5 Stichworte zum Thema aufgeschrieben hatten, sang ich das dann vor. Als sie fragten: „Wie geht das denn bitte?“ Sagte ich: „Ich habe ADHS. Bei Dingen die mich interessieren kann ich sehr effektiv denken, bei anderen leider zum Teil gar nicht.“

Als nächstes habe ich mich einer ADHS-Selbsthilfegruppe angeschlossen und einen ADHS-Coach gesucht und intensiv mit ihr gearbeitet.

Ein Jahr später habe ich dann von einer Psychiaterin die offizielle Diagnose erhalten. Die Psychiaterin hat mir leider durch ihre Äußerungen gezeigt, dass sie nur gefährliches Halbwissen über ADHS hat („…die Medikamente machen süchtig!“). Jetzt suche ich weiter nach einem Termin bei Psychiatern, da ich medikamentös gut eingestellt werden möchte.

Ich persönlich habe meiner ‚eigenen Diagnose‘ also sofort vertraut. Bei den Tests hatte ich auch das Gefühl, die Fragen schildern meine Symptome.

Wenn man noch nicht viel reflektiert hat, beantwortet man die Fragen in den Testungen oft beschwichtigend. ‚Bei mir war alles normal.‘ Ja, für einen selbst war das normal! Man ist ja zudem wahrscheinlich noch unter anderen ADHS-lern (biologische Familie) aufgewachsen, die das auch mehr oder weniger normal finden. Ich hatte mich jedoch schon 1 Jahr mit meinem ADHS auseinandergesetzt und auch die Scham abgelegt diese Fragen ehrlich zu beantworten.

Einen Hirnscan braucht es sicher nicht. Da MPH bei dir wirkt, ist auch klar, wie dein Gehirn läuft.

Weißt du warum du dir Hirnscans oder ähnliches ‚wünschst‘? Möchtest du lieber kein ADHS haben? Traust du deinem Erleben nicht? Kommst du dir vor, als ob du ‚dich anstellst und nichts richtiges hast‘? Ich wäre gespannt zu hören, was die Ursache für deinen Wunsch ist.

Alles Gute für dich!

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Suche Dir eine Selbsthilfegruppe für ADHS. Wenn Du (uns) alle auf einem Haufen siehst und Du Dich auf einmal erstmalig „normal“ fühlst, dann hast Du Deine zusätzliche Bestätigung. Es ist dann in der Masse mit lauter „gleichen“ sooo offensichtlich. Klar hat jeder noch seine eigene Baustelle und jeder ist etwas anders und jeder andere „Symptome“, aber gerade in der geballten Masse, muss ich als auch Recht frisch Diagontizierte doch auch sehr lachen. Es ist dann jedesmal SO offensichtlich. Ich bin derzeit in einer Klinik wegen etwas anderem, aber die behandeln auch ADHS …und was soll ich sagen…es dauert meistens keine 2 Minuten, bis ein ADHSler einen anderen „erkennt“. Es ist großartig und erschreckend gleichzeitig. Ich fühle mich trotz Traumahintergrund in der Selbsthilfegruppe für ADHS passender, als in der ehemaligen Traumaselbsthilfegruppe. Denn auch dort ist es dann irgendwann für die anderen anstrengend, wenn jemand dazwischen quatscht, etc. Zumindest war es für mich anstrengend mich gefühlt ständig zurück halten zu müssen , nicht „Ich“ sein zu können.

Die ganze Diagnostik, etc war zwar auch sinnvoll (aber die hast Du ja auch gemacht), aber nichts war so hilfreich wie die Kombi Medis plus Zusammensein mit anderen Neurodivergenten. Die ADSler irritieren mich zum Beispiel manchmal noch. Die sind für mich gefühlt zusätzlich noch an einer anderen Baustelle unterwegs.

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