Hallo zusammen,
nachdem ich im Forum seit vielen Monaten als stiller Mitleser profitieren konnte, eröffne ich heute einen eigenen Faden zur Dosisfindung meines Sohnes.
Hintergrundinformationen: Autismus-Spektrumsstörung, starker V.a. ADHS vom impulsiven Typ, aber keine Diagnose vor Schulalter. Hochbegabung. Wir haben eine lange Leidensgeschichte hinter uns - Kindergartenrauswürfe, Vereinsausschlüsse, Meldungen beim Jugendamt wegen ‚altersunangemessener Medienexposition‘ (Spezialinteressen Grusel und Blutkreislauf). Seit einem Jahr gibt es wechsende, nicht erfolgreiche Versuche mit Einzelfallhelfern. Logo- und Ergotherapieabbrüche, da Kind nicht Bus fahren kann ohne Meltdown. Autismus-Frühförderung nun bewilligt.
Seine Schwester (7J.) hat ebenfalls eine ADHS-Diagnose, ist im direkten Vergleich aber das unauffällige, ‚einfache‘ Kind. Ich kann seit dem Frühjahr nicht mehr arbeiten aufgrund von fehlender Betreuung und der emotionalen Belastung.
Im Juli haben wir mit Medikinet retard 5mg 1-0-0 gestartet. Hier sind die Aufzeichnungen aus meinen Notizen über die ersten Tage mit Mph:
Zusammenfassung
Medikinet Ari Eindosierung Protokoll
Dienstag, 9.7.: 9:20h Einnahme 5mg
Frühstück: Müsli, Smoothie, 1/2 Ei
10-11 extremer Tunnelfokus auf Spezialinteressen, Redeschwall, kann sich nicht selbst beschäftigen
Zugänglicher für Gespräche, aber fordernd
11:00 weinerlich
11:30 sehr konzentriert im Spiel mit Iva, wartet auf Anweisungen
12:00 emotionaler Zusammenbruch mit Weinen und Verzweiflung, weil er bestimmen will
12:20 „Ich bin müde“ - fragt nach Ausruhen (äußerst ungewöhnlich)
12-13:00 Kuschelbedürftig, ruhig
13:00 isst großen Obstteller, seitdem kuschlig und ruhig
14:00 Stimming/Tics; Haare drehen, Finger kauen
15:00 - 16:00 ständiges Gähnen, aber sehr friedliches Nachmittagsspiel, gute Ansprechbarkeit
16:00 Impulsivität wieder verstärkt (springt erstmalig Papa zum kuscheln an, vor Medikation mehrmals stündlich), aber händelbar
Ab da Zustand kaum von Verhalten ohne Medikation zu unterscheiden, jedoch etwas zugänglicher und geduldiger. Essen mit normalem Appetit.
19:30-20:30 liegt hellwach im Bett und kann nicht schlafen
22:00 möchte Kuscheln zum einschlafen, liegt aber noch länger wach
22:30 schläft (ca. 2-3 Stunden später als sonst)
Ari auf die Frage, wie es ihm mit Medikament gehe: „Gut, eigentlich besser als sonst“
Konzentration + + +
Impulskontrolle + - +
Grundstimmung - + -
Affektstabilität - - -
Montag, 10.07.: 10:00 Einnahme 5mg
Frühstück: Toast, 1 Apfel, 1 Joghurt
10:15 Konzentriertes Spielen + Weinerlich + “Ich will aber die Schlange“
10:30 Drehen/Ärgern
10:45 Aufmerksames Zuhören
11:00 Neid auf Marinas Geschenke und starke emotionale Reaktion darauf
11:15 kann sich überhaupt nicht alleine beschäftigen, Reibung mit Schwester wie ohne Medikation
12:00 wirkt normal, Appetit vorhanden (isst Apfel und fragt nach mehr)
13:00 impulsivität erhöht, wirft ein Huhn
13:45 Mundtrockenheit, Weinen über „ekliges Gefühl“ (mit Saft trinken besser)
14:30 leichte Tics (Mund verziehen, Augen kneifen), hohe konzentration auf Hörspiel
Nachmittags viel Gähnen
19:30 Bettzeit, sagt selbst, er sei noch nicht müde - hört Hörspiele bis 21:00
21:30 Einschlafen
Selbstreport: Es gehe ihm gut
Insgesamt ist der Eindruck “normaler” als gestern an Tag 1, impulsivität auch merkbarer. Es müssen mehr Situationen mit Schwester abgefangen werden als gestern, aber tendenziell weniger als ohne Medikation. Seine Stimmung ist stabiler als an Tag 1, weniger weinerlich und sensibel.
Donnerstag, 12.07. 5 mg Retard
Frühstück: 1/2 Apfel, 1 Banane, 1 Joghurt
8:15 Einnahme
8:30 Drehen, Unruhe, Stören, Wegrennen
- ab da Müdigkeit, viel Gähnen beim Vorlesen
9:15 Brot mit Hummus + Tomaten gegessen
9:30 Lesezeit, weiterhin müde
10:00 extrem empfindlich und weinerlich
10:30-11:00 Hochkonzentriert auf Lego, dabei müde
12:00 schläft fast ein
12:15 isst großen Obstteller - generell ist Appetit ausreichend, wenn er erinnert wird, aber er fragt nicht von alleine nach Essen
12:30 leichte Gesichtsgymnastik, aber nichts auffälliges
Nachmittags kein deutlich merkbarer Rebound, aber Müdigkeit verringert und Impulsivität erhöht ab ca. 15 Uhr
18:30 Abendessen mit großem Appetit
19:30 Bett, wie zuvor noch nicht müde
22:00 Einschlafen
Insgesamt heute etwas weniger Nebenwirkungen (Tics, Mundtrockenheit, labile Stimmung) als die zwei Tage zuvor. Allerdings auch weniger spürbare Effekte auf Impulsivität. Ansprechbarkeit deutlich besser, Sprache ebenso, als könne er Sätze besser ausdenken und dann formulieren.
Nach diesem vielversprechenden Start sollten wir in Eigenregie auf 10mg aufdosieren. Das haben wir nach drei Wochen versucht. Unter 10mg ist die Autismus-Symptomatik um ein Vielfaches verstärkt, aber die Impulsivität besser steuerbar. Allerdings ist dies die Wahl zwischen Pest und Cholera - unter 10mg ist unser Sohn nicht mehr ansprechbar oder aus seiner Welt zu holen, reagiert extrem auf leiseste Störgeräusche und hat bei jeder Unterbrechung aus seinem Fokus einen Meltdown. 5mg reichen jedoch nicht aus für eine Verbesserung in Impulskontrolle.
Heute habe ich deshalb um ein Rezept für Lisdexamfetamin gebeten und sitze nun vor 20mg Elvanse. Die Psychiaterin ist offen für Eigendosierung mit Spritze und rät uns, mit 10mg zu starten.
Meine Fragen: Gibt es hier Betroffene mit der Kombinationsdiagnose Autismus + ADHS und Anregungen/Erfahrungen hinsichtlich des Präparats? Wie sind die 10mg aufgelöst am besten ins Kind zu bekommen? MPH hatte ich in einen EL Apfelmus gemischt, was mein Sohn tapfer und mit viel Würgen annimmt. Kann ich Elvanse auch in einem stark süßen Fruchtsaft auflösen? Ich bezweifle, dass er 10ml Bitterwasser aus der Spritze annimmt. Da wir mit 10mg beginnen wollen, wäre es ideal, wenn sich die Lösung im Kühlschrank auch in Fruchtsaft für 24 verwahren ließe. Spricht irgendetwas dagegen?
Die Psychiaterin war offen für Elvanse auf mein Bitten hin, hätte aber eigens zuerst Amphetaminsaft empfohlen. Welches Präparat ist das und gibt es hierzu Erfahrungswerte mit AuDHD? Wäre es sinnvoll, auch Modafinil anzusprechen?
Unser Leidensdruck ist extrem und die Situation hat uns aufgezeigt, dass auch wir Eltern höchtwahrscheinlich neurodivergent sind und unsere erlernten Kompensationsstrategien in der derzeitigen Situation nicht mehr ausreichen und funktionieren. Unsere Diagnostik kann erst in 1.5 Jahren losgehen.
Ich bin froh, dieses hervorragende Forum gefunden zu haben.