Vor mehr als 6 Jahren hatte ich meinen Partner zum Hausarzt geschleppt. Die Situation war unterträglich geworden. Dieser vermutete eine Depression und riet zum Psychiater. Ich organiserte einen. Er stellte rasch eine Depression fest und startete mit dem ersten Medikament (Escitalopram) und Trittico zum Schlafen. Nach der dritten medikamentösen Umstellung bezahlten wir privat eine Gendiagnostik (pharmgenetix). Das Ergebnis war, sein CYP450 verhielt sich tatsächlich anders als üblich. In dieser Zeit fiel mir auf, dass mein Mann oft anfangs gut auf etwas ansprach, aber nach ca. 3 Wochen keine Wirkung mehr vorhanden war. Schließlich war mit Venlafaxin etwas gefunden - vorübergehend, denn als er die Einnahme an einem Wochenende einmal vergaß, fing seine Haut an zu jucken und er lag tagelang im abgedunkelten Zimmer und erbrach. Der Psychiater besorgte - in der ersten Phase der Pandemie - ein Bett im Krankenhaus zur EKT Behandlung. Allerdings entschieden sich die Ärzte vor Ort für eine Moclobemid-Einstellung (Aurorix) und der Versuch mit Ketamin. Innerhalb einer Woche wurde Venlafaxin abgesetzt, was einen ununterbrochenen Kotzanfall zur Folge hatte. Meines Erachtens ein kalter Entzug - was aber angeblich nicht möglich sei. Es war sehr hart für mich, ihn nicht besuchen zu dürfen. Nach der Entlassung und einem Reha Aufenthalt über Weihnachten/Silvester war er nach außen „normaler“, aber ich wusste, er war nicht er. Statt der Nebenwirkung (massiver Gewichtszunahme) fand nun eine massive Gewichtsabnahme statt.
Ich stritt in den ersten zwei Jahren oft mit ihm. Ich dachte, „na gut, niemand will auf Dauer ein Medikament einnehmen, aber wenn es hilft, was soll’s. Manche müssen täglich Schiddrüsenmedikamente nehmen oder Insulin spritzen. Für mich war sein Benehmen nicht nachvollziehbar. Reiß dich zusammen, ich schaffe ja auch mein Leben zu organisieren - und nicht alles ist lustig“. Aber, ohne Magenschutz konnte er keine Tabletten nehmen und wie er sich fühlte konnte ich mir nicht vorstellen. Er war überfordert mit der täglichen Einteilung, wann er welche Tablette nehmen sollte. Mein Vater gab ihm seine Medikamenten-Tages-einteilungsbox.
Ein halbes Jahr später begann tatsächlich eine EKT-Behandlung, an einer anderen Abteilung des Krankenhauses. Die Diagnose therapierefraktäre Depression wurde allerdings vom Stationsarzt des ersten Aufenthalts nicht geteilt - wie er mir sehr unwirsch am Telefon mitteilte- und wenn sich jemand so unwohl auf der Station fühlte, wolle er ihn sowieso nicht aufnehmen. Ich hatte mich erdreistet eine Beschwerde über die Pandemievorschriften bei der Patientenanwaltschaft einzubringen. Sein Kind durfte ihn 6 Wochen nicht sehen.
Außer, dass er anfing sich an Dinge nicht mehr zu erinnern, die kürzlich passierten, war EKT weder gut noch schlecht. Monatlich wurden allerdings Erhaltungs EKT angesetzt. Die behandelnde junge Ärtztin war sehr bemüht. In dieser Zeit waren wir durch Corona eingeschränkt, mein Vater unheilbar an Krebs erkrankt und bedurfte Pflege. Ich hatte alles über Depression gelesen und wusste: „irgendetwas wird übersehen“. Dass er so gar nicht ansprach, auch nicht auf Psychotherapie und zig anderer Dinge wie glutenfreie Ernährung, Akupunktur, Neurofeedback … Ein Aushilfsarzt der Abteilung hatte ihn wegen seiner Konzentrationsstörungen und kurzen Aufmerksamkeitsspannen auf ADHS angesprochen. Ein Test darauf war nicht ganz eindeutig. ADHS war weder bei mir, noch beim Psychiater am Schirm - mein Mann war weder hyperaktiv noch flippte er aus, wie ich es landläufig in Zusammenhang brachte. Im Gegenteil, es hätte ihm gut getan mal seine Wut und Zorn wenigstens verbal rauszulassen.
Die Ärztin sprach sich mit mir ab. Sie meinte, es müssten viel mehr Fortschritte sein. Wenn auch ich einverstanden wäre, würden sie meinem Mann statt der Erhaltungs EKT eine niedrige Dosis Ritalin verabreichen. Ich war einverstanden - und schöpfte danach wirklich Hoffnung. Die Dosis Ritalin wirkte sofort. Mein Mann konnte zwei Stunden lang ein Buch lesen, es behirnen und sich merken. Das Ritalin wirkte nicht wie bei „normalen Stoffwechslern“ aufputschend und antreibend, sondern bei ihm beruhigend und dämpfend. Ich kann mich erinnern wie er sagte: „Ich kann seit langem wieder klar denken“. Danach wurde medikinet versucht, auch concerta, letztlich war für ihn Elvanse das vielversprechendste Mittel. Nun recherchierte ich alles zu AD(H)S und stieß auch auf diese - wirklich sehr umfassende - Webseite. Und uff - es gibt auch ADS! Nun wurde die Vergesslichkeit verständlich, die Unorganisiertheit, das Verrücktwerden wenn Leute durcheinander sprechen uvm. Ich habe meine Einstellung zu Depression geändert. Es ist eine temporäre Stoffwechsel-Erkrankung, egal wodurch ausgelöst. ADHS ist meines Erachtens keine Erkrankung nur eine besondere Form der Wahrnehmung und der Art zu Denken. In der Leistungsgesellschaft, wo alle „in der Norm“ sein sollen fällt das eben auf. Leider wurde bei meinem Mann in der Kindheit die Anzeichen von ADS nicht erkannt. Er hat sich selbst, leider blöde Strategien beigebracht, und in der ersten Phase des Erwachsenseins schwierig zurechtgefunden. Trotzdem hat er nicht aufgegeben. Hätte er als Kind ADHS Strategien an die Hand bekommen (vielleicht sogar damals schon mit Ritalin bei Bedarf genommen), hätte er sich besser konzentrieren können, und leichter Erfolgserlebnisse gehabt. Und man hätte ihm Strategien beibringen können, wie er seine Zeit managen kann und worauf er besonders achten muss. Ich bin überzeugt, der Verlauf seines Lebens wäre ein anderer gewesen.
Ich hatte viele Gespräche mit meinem Mann, auch sehr harte, eine Trennung stand oft im Raum. Es fällt mir oft heute noch schwer, das Anderssein zu akzeptieren. Er hat mir aber oft anschaulich vermitteln können, wie es ihm im inneren geht, was er fühlt (oder eben nicht). Wir haben auch beide gelernt, immer wieder aufeinander zuzugehen. Wir wissen, der Dampf muss raus. Und wir wissen, es steckt hinter einem Streitthema viel mehr, meist völlig etwas anderes.
Leider war das nicht das leztzte Puzzlestein. Irgendwann konnte er Elvanse auch nicht mehr nehmen, es graute ihm davor. Im Internet fand ich einen ähnlichen Fall, der den ABCB1 Test empfahl. Ein Test hinsichtlich Wirkstoffübertritt Blut-Hirnschranke. Wir ließen diesen nachmachen - und lt. diesem kamen noch weniger Medikamente in Betracht. Elvanse wurde nicht empfohlen.
Es ging noch lange weiter, aber ich bin schon müde und der Abwasch wartet.
Die Kurzfassung: eine blöde vorübergehende Erkrankung aus dem Nichts wirft ihn aus der Bahn, wieder ein Zusammenbruch, neuer Klinikaufenthalt, Verdacht auf Persönlichkeitsstörungen, Ärzte am Ende ihres Lateins, er finanziell am Ende. Die Klinik macht ihn zusätzlich Benzodiazepinabhängig. Wir reisen nach Amsterdam - er in ein Psilocobyn- Retreat. (hilft nicht) und ich schicke ihn zu einem Arzt, der Hypnose macht (empfehlenswert!).
Die gute Nachricht - wir haben nun ein gutes Bild an Diagnosen:
ADHS im Erwachsenenalter + chronische Depression + perfektionistische Persönlichkeitscharakteristika
behandelt wird mit Ritalin LA, Wellbutrin, gezielter Verhaltenstherapie, Rivotril Entzug ist noch am Laufen
Ich gebe hier soviele Informationen über unser Leben preis, weil mir selbst Berichte anderer immens geholfen haben. Vorallem zu den richtigen Diagnosen und Behandlungen zu kommen, Ideen zu bekommen wenn schon so gut wie alles ausprobiert wurde, wenn man ein Spezialfall ist.
Es ist oft nicht 1 Diagnose sondern es zeigt sich ein Zustandsbild aus verschiedenen.