Erfahrungen mit Medikation bei ADHS (Kind, 8 Jahre, frisch diagnostiziert) - Ratschläge gesucht

Hallo zusammen,

unser achtjähriger Sohn hat vor Kurzem die Diagnose ADHS bekommen. Besonders die Themen Aufmerksamkeit und Konzentration fallen ihm sehr schwer. Seit dem neuen Schuljahr (3. Klasse) ist es deutlich herausfordernder geworden - sowohl beim Lernen als auch im sozialen Miteinander.

Unsere Klassenlehrerin ist zum Glück sehr verständnisvoll und engagiert: Sie hat für die Kinder Fidget Toys und Kopfhörer bereitgestellt, achtet auf Pausen und hat unseren Sohn inzwischen auf einen Einzelplatz gesetzt, um Ablenkung zu reduzieren. Trotzdem beschreibt er selbst, dass seine Gedanken oft „weghüpfen“. Das zeigt sich z. B., wenn er Aufgaben nicht mitbekommt oder aus Unachtsamkeit Dinge tut wie beim Gruppenarbeiten den Teppich mit einem Stift anmalen. Auch zu Hause brauchen Routinen (Schlüssel nicht vergessen, Geschirr wegräumen usw.) viel elterliche Unterstützung.

Heute hatten wir einen Termin bei der Kinderpsychologin. Sie testet aktuell seinen IQ, bei dem die Ergebnisse sehr durchwachsen ausfallen: von sehr stark (Zahlenketten merken) bis eher schwach (Suchbilder, Bildgeschichten erzählen - heute wahrscheinlich auch wegen Erschöpfung nach einer Mathearbeit). Die Ärztin empfiehlt uns nun eine verhaltens- und handlungsorientierte Ergotherapie und hat uns außerdem Medikation als Option vorgeschlagen.

Hier sind wir als Eltern unterschiedlicher Meinung:

  • Mein Mann ist offen und meint: „Lass uns alles ausprobieren, was helfen könnte.“

  • Ich selbst bin sehr skeptisch, da ich viele negative Beispiele kenne und innerlich noch die „ruhiggestellten Zombie-Kinder“ der 80er vor Augen habe. Auch die Aussage der Ärztin, „vorsichtig und bedacht zu dosieren“, hat mich nicht wirklich beruhigt.

Daher meine Frage an euch:
Welche Erfahrungen habt ihr mit Medikation gemacht - sei es mit euren Kindern oder aus eigener Betroffenheit? Hat sie euch oder euren Kindern langfristig geholfen, Chancen eröffnet und den Alltag erleichtert? Oder gab es eher negative Auswirkungen auf Persönlichkeit, Entwicklung oder Wohlbefinden?

Ich weiß im Moment nicht so recht weiter und würde mich sehr über eure ehrlichen Ratschläge, Erfahrungen und Einschätzungen freuen.

Herzlichen Dank!

Hallo Hullahoop und herzlich willkommen,

ich habe nur gute Erfahrungen gemacht, bei mir selbst und auch meinen beiden Kindern.

Natürlich muss man immer vorsichtig dosieren. Viele schlechte Beispiele sind auf Fehldosierung zurück zu führen. Oder darauf, dass bestimmte Teile des Tages einfach nicht abgedeckt sind, dann denkt man, die oder der Betroffene ist mit Medikament noch schlimmer als ohne, und dann sind es Wirklücken, weil die nächste Dosis viel zu spät gegeben wird, oder ein nicht abgefangender Rebound am Nachmittag. Ein häufiger Fehler von Ärzt/innen gerade bei kleineren Kindern ist, zu viel zu geben und das in zu langen Abständen. Das tut dem Kind natürlich nicht gut.

Meine Kinder haben ihr Medikament immer als hilfreich empfunden und es gerne genommen. Mein Kleiner hat es bald „meine Denk-Tablette“ genannt. Beide sind viel zugänglicher und kooperativer mit Medikament.

Ich selbst habe meine Diagnose mit 37 bekommen, das war 2003, und nehme seitdem Methylphenidat. Ich habe den Eindruck, mit Medikament mehr sein zu können, wie ich sein möchte. Es gibt weniger Streit mit meiner Frau, ich fühle mich sicherer im Straßenverkehr, und ich bin ausgeglichener und zufriedener. Ich fühle mich nicht so schnell angegriffen und rege mich weniger über Kleinigkeiten auf. Rückblickend finde ich es natürlich schade, nicht schon als Kind und Jugendlicher diese Möglichkeit gehabt zu haben, aber das kann man ja nicht ändern.

Ich vermute, es könnte auch für deinen Sohn eine große Hilfe sein, so wie du ihn beschreibst. Es ist ja sehr schlimm für ihn, schnell abgelenkt zu sein und mit Routinen nicht so gut zurecht zu kommen. Und auch im Familienleben und beim Umgang mit Freunden könnte es für ihn eine Erleichterung sein, guckt nicht nur die Schulleistungen an.

Viele Grüße

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Ich kann dir nicht von Kindern sondern von mir selbst Erfahrungen mitteilen bezüglich Medikation, welche mit 47 erst begann und entsprechende Vorprobleme und Diagnosen mit Vorgeschichte hatte und schon sicher bin, daß wäre meine Adhs als solches deutlich eher diagnostiziert und mit Medikamenten behandelt worde hätte es den Crash, bei dem nichts mehr ging, der in schwere chronische nicht behandelbare Depressionen endete, die ich mit Ärzten und Therapeuten dich ohne Medikamente bewältigen musste, weil sie alles verschlimmerten.

In der Einstellungsphase kann es gut passieren, das man recht ruhig und zurückgezogen lebt, denn der Körper muß sich an die Medikamente gewöhnen und dann wird das stetig besser und klar mit Dosissteigerung wird es auch erst mal schlimmer. Dazu muß man auch so ein Stück auch dann mit diesem ANDEREN ZUSTAND auch irgendwie zurecht kommen. Man ist ja irgendwie gewöhnt das i Mio Dinge gleichzeitig durch den Kopf flitzen und man denen irgendwie nachgeht und dadurch auch sehr viel geschafft bekommt.

Ganz schwierig fand ich teils zu verstehen aber auch damit unzugehen, daß ich einfach nicht mehr getrieben oder innerlich teils auch gejagt war sondern wußte das es Pflichten sind, diese aber nicht getan habe, ich keine Lust hatte, aber auch nicht verstand das ich das jetzt selbst beschließen, umsetzen und anfangen muß. Irgendwie wartete ich wie früher das der Impuls kommt, doch die Medikamente sollen das ja verändern.

Das ist wirklich schon eine große Umstellung und ein neues „sich kennenlernen“. Das braucht Zeit, aber zeichnet sich nicht ich sag mal so 1 /4 Jahr nach erreichen der Verweildosis lohnt es sich zu schauen warum das so ist.
.Zombimodus kann gut überdosiert sein, das es nicht das richtige Medikament mit der richtigen Wirkung ist. Es gibt genug Medikamente und auch wenn genug den selben Wirkung haben wirken sie nicht gleich, denn die Art der Retardierung kann schon viel ausmachen.

Ich finde die Sorge bei Medikamenten nicht berechtigt, weil sie schon, wenn es das richtige ist, eine sehr große Unterstützung ist und auch viel positiven Einfluß auf den sozialen Umgang und die Interaktionen haben kann, das Leid im Kopf, das alles anders wie bei den anderen ist nehmen kann, es kann helfen „die geistigen PS durch die Reifen auf die Straße zu bringen“ was ohne Medikamente nicht oder nur sehr schwer möglich ist, vergleichbar mit einem Wagen im Leerlauf, bei dem man vollgas gibt und sich wundert wieso man nicht von der Stelle kommt, obwohl man vollgas gibt.

Wenn es dir richtige Ergotherapie ist, sprich das Verhältnis zum Ergotherapeuten passt aber auch der Therapeut die richtigen Therapieformen für einen verwendet finde ich Ergotherapie sehr gut und sehr hilfreich - WICHTIG WIRKLICH AUF ADHS FÜR KINDER SPEZIALISIERT. Meine erste Ergotherapeutin, hatte es nur für Kinder und ich glaube mit einem anderen Therapeuten. Menschlich war es sehr nett, sie bestätigte, daß sie für Adhs bei Erwachsenen spezialisiert sei (keine Hinweise oder Verweise gefunden) und hat dann eher wie eine Psychotherapie und mit Kleinkindmustern falsche Symptome behandelt, denn ich sagte ich bekomme das Anfangen nicht hin, sie wollte mich zwingen mit Mustern zum Ordnung lernen zwingen. Mein Problem war aber Anfangen und eben das nicht und auch soziale interaktionen. Ich habe die Praxis gewechselt und hatte eine nette Theraleuten, was deutlich besser begonnen hat, wo wir uns mögen und ich mich auch besser innerlich sortieren kann, dann kam ihr Urlaub und ich bekam eine Kollegin zur Vertretung, bei der ich bleibe weil es besser passt und die Erfolge größer sind. Sie hält mich mehr und deutlicher in der Struktur, ist nicht so vorsichtig und sie hat glaube ich gefühlt viel besser verstanden wo meine Probleme liegen. Ich hatte auch von beiden die Chefin ausprobiert, was menschlich überhaupt nicht gepaßt hatte, doch dafür gibt es mehrere Therapeuten in einer Praxis nicht jeder kann alles gleich gut und nicht jeder fasst gleich auf und kann es dann so umsetzen. Das ist auch nicht schlimm, im gegenteil eine bemühte Praxis berät sich und findet Wege mit einem umzugehen, daß es funktioniert.

Hast du das Gefühl die Ergotherapie hat nach einem 1/2 Jahr nichts oder nicht viel verändert lohnt auch dort zu bitten mal einen anderen Ergotherapeuten auszuprobieren. Ich konnte das als Erwachsene nicht, nur das es so nicht ausreichend ist - da ist es meist für ein Kind noch ein wenig schwieriger das so zu benennen.

Ihr scheint eine gute Psychiaterin zu haben, und ich denke es lohnt mit ihr einige Wege vielleicht sogar kombiniert auszuprobieren

Kann nur für mich sprechen und eindeutige mit Jaaaaa antworten.

Sobald das eintritt ist es nicht die passende Dosierung oder das falsche Medikament.

Die Ärztin möchte ja behutsam eindosieren , damit genau der Effekt nicht eintritt.

Ihr könnte es testen und dann wenn ihr merkt , dass es nicht der Richtige Weg ist damit wieder aufhören.

Vielleicht kennst du dann ja auch positive Beispiele?
Ein Zombiekind will keiner und ist auch nicht das Ziel . Ihr seid ja bei der Eindosierung dabei und habt es mit in der Hand .
Im Idealfall passt die Dosis so gut, dass es im wesentlich für alle den Alltag erleichtert aber das Wesen und das Lebendige des Menschen erhalten bleibt.

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Hallo und willkommen!

Ich teile sie Meinung deines Mannes

Am Ende ist es so: Die Medikamente wirken ja nur ein paar Stunden, also könnt ihr sie jederzeit ohne Nachwirkungen wieder absetzen.

Andererseits muss man deutlich sagen dass die Eindosierung anstrengend werden kann. Das richtige Präparat, die richtige Dosis, die richtigen Abstände für die nächste Dosis etc. Das verlangt viel Geduld und Zeit. Aber es lohnt sich, das werden dir hier alle bestätigen die diese Phase erfolgreich hinter er sich gelassen haben.

Je positiver ihr als Eltern dem gegenüber steht, desto besser wird es laufen. Also: informieren, informieren, informieren. Der podcast ADHS Family ist auch sehr zu empfehlen, neben den vielen Einträgen hier im Forum und der dazugehörigen Info Website.

Alles Gute :white_heart:

PS. Ergo ist grundsätzlich gut, aber Kinder sind oft ohne Medikamente gar nicht fähig wirklich dazu zu lernen, egal wie bemüht die Therapeutin ist. Es ist ein hirnphysiologisches Problem.

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Herzlich Willkommen Hoolahooop!

Für meinen Sohn und auch für mich als Spätdiagnostizierte ist die Medikation ein Segen. Ich kann dir nur Mut machen es auszuprobieren.

Zitat meines Sohnes: in meinem Kopf ist es wie auf einer Autobahn, aber alle fahren durcheinander und kreuz und quer und hupen und es ist sehr laut. Dann nehme ich die Tablette und es ist wie wenn die Polizei kommt und Stopp sagt und alle fahren dann in geordneten Bahnen.

Mit einer gut eingestellten Medikation sind Dinge möglich, die vorher einfach nicht gingen.

Nur Mut!

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Mir kommt gerade ein Beispiel meines Sohnes in den Sinn: Er hat vor der Medikation IMMER ALLES in der Schule liegen lassen - Trinkflasche, Snackbox, Turnbeutel, Jacke, Kappe, Schirm - einfach ALLES. Jeden Tag fehlte irgend etwas, und wurde dann mit Glück irgendwann irgendwo wieder gefunden.

Seit Start der Medikation kann ich an einer Hand abzählen, was er seither verloren hat.

Wir hätten uns dumm und dämlich abmühen können mit Belohnungsplänen, ihn nochmals in die Schule schicken um die Dinge zu suchen etc. etc. NICHTS hätte so einen Effekt wie es die Medikation hat.

Und das ist jetzt nur ein relativ unwesentliches Beispiel, aber gut um darzustellen, wieviel Energie man unnötig verbratet, wenn man es um jeden Preis ohne Medikamente schaffen will.

Anderes Beispiel: Vor der Medikation hat es mein Sohn kaum geschafft, sich selbständig anzuziehen (er hat nach jedem Kleidungsstück den Faden verloren und war wieder irgendwas am spielen), hatte kaum jemals ohne mich irgendwo übernachtet, hatte grosse Schwierigkeiten im Kontakt mit Gleichaltrigen, ständig Konflikte. Im Jahr nach dem Start der Medikation wollte er plötzlich unbedingt ins Pfadfinder-Lager - und es hat einfach so geklappt, wir haben keinen einzigen Anruf erhalten und er ist glücklich und zufrieden nach einer Woche wieder nach Hause gekommen.

Also von meiner Seite her ganz klar - unbedingt ausprobieren :four_leaf_clover:

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Hallo,

Bei meiner Tochter, jetzt 8, wurde vor einem knappen Jahr ADHS diagnostiziert und wir starteten im November mit Medikinet unretardiert. Ihr geht es seitdem viel besser, sie kann die Schulaufgaben bewältigen, wodurch sich auch das Selbstbewusstsein wieder gebessert hat. Die Eindosierung war bei ihr total unkompliziert und sie ist nicht wesensverändert :+1: Da Medikamente mit MPH keine Spiegelmedikamente sind, könnt ihr sie einfach wieder absetzen, wenn es für euch in eine falsche Richtung läuft :woman_shrugging:t3:

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Man könnte es noch erweitern - eine (medikamentös unbehandelte) ADHS kostet nicht nur Geld und Ärger, weil man viele Gegenstände verliert, sie kostet nicht nur Freundschaften und Familienfrieden, weil man impulsiver ist, sie kann auch Gesundheit und Leben kosten, weil das Unfallrisiko höher ist.

Damit will ich niemand Angst machen, aber zu sagen, ich vermeide ADHS-Medikamente und lebe gesünder - nee, stimmt nicht.

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