Hallo,
es folgt ein „kurzer“ Erfahrungsbericht zu Medikinet und Kinecteen, der gerne auch übersprungen werden kann. Am Ende dann meine eigentlichen Fragen bzgl. dem Medikament, dass ich aktuell nehme: Atomoxetin.
ich teste seit meiner „halbherzigen“ ADHS-Diagnose im März 2024 Medikamente zur Behandlung von ADHS. Angefangen habe ich mit Medikinet adult retardiert. Um den Rebound (bei mir extreme Gereiztheit, kaum steuerbar, und schlechte Laune) möglichst zu umgehen, habe ich 3-mal täglich i.d.R. 20-10-10 mg eingenommen. Hatte zwischenzeitlich mit der Dosierung herumexperimentiert (z.B. nur 30 mg oder 30-10 oder nur 10 mg usw.).
Als vorteilhaft an dem Medikament erwies sich für mich:
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mehr Antrieb und Motivation
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verminderte Wahrnehmung von Reizen, wie Lautstärke
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fühlte mich ausgeglichener, weniger gereizt (bis zum Rebound)
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konnte besser Entscheidungen treffen
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In sozialen Interaktionen fiel es mir leichter mich abzugrenzen, ich fühlte mich sicherer, weniger labil und emotional. Ich bezog nicht alles auf mich, sondern konnte Dinge, Situationen realistischer, sachlicher einschätzen.
Leider begann ich unter dem Medikament verstärkt meine Kopfhaare auszuzupfen. Das Verhalten entwickelte ich im Alter von 7 oder 8 Jahren, konnte es aber im Laufe der Zeit gut kontrollieren. Ich war deswegen nie in Behandlung, erwähnte es aber immer bei Therapeuten oder Psychiatern (Anfang 20 Panikattacken, seit Anfang 30 rezidivierende Depressionen und generalisierte Angststörung). Ob es sich dabei um Trichotillomanie als komorbide Zwangsstörung handelt oder um eine Kompensationsstrategie von z.B. zu viel Stress, weiß ich nicht. Gemeinsam mit der Tatsache, dass ich das Medikament mehrmals täglich einnehmen musste und den Rebound als sehr störend empfand, wechselte ich zu Kinecteen.
Ich begann mit 18 mg Kinecteen und erhöhte bis 36 mg. Wirkung war wie bei Medikinet, nur relativ gleichbleibend über den Tag. Rebound habe ich nicht wahrgenommen. Zwang Haare auszurupfen normalisierte sich. Aber ich entwickelte extreme Lust auf Alkohol und Zigaretten. Dabei rauche ich seit 15 Jahren nicht mehr und trinke seit mindestens 6 Jahren kaum Alkohol. Habe auch nach Beiden kein Verlangen gespürt. Plötzlich kaufte ich mir ab und zu kleine Prosecco-Büchsen und einmal nach starkem Verlangen sogar Zigaretten. Ich rauchte 4 Zigaretten innerhalb von 1 Stunde und war wirklich erschrocken, dass ein Medikament so etwas bei mir bewirken konnte. Am nächsten Tag ließ ich Kinecteen weg und meine Gelüste waren ebenfalls weg. Also wusste ich, nicht mein Medikament. Leider. Denn ich fand ansonsten die Wirkung sehr unterstützend im Alltag.
Mein Psychiater meinte, vielleicht aktiviere das Medikament mein Suchtgedächtnis an. Hatte zwar nie eine ernsthafte Suchtproblematik entwickelt, bin aber schon suchtgefährdet. Daher weg von Stimulanzien. Nun versuche ich seit 3 Wochen Atomoxetin. Habe mit 40 mg zehn Tage lang begonnen und nehme jetzt 80 mg täglich. Nebenwirkungen sind überschaubar: Appetitminderung und anfangs ein paar Nächte Schlafprobleme, evtl. schwitze ich mehr (kann auch am Wetter liegen).
Wahrnehmungen:
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Fühle mich wach und aufnahmefähig
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Wenn ich mich zu einer Sache entschließe, bin ich sehr fokussiert ohne große Anstrengung dabei zu spüren, lasse mich nicht ablenken
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Fühle mich ausgeglichener, aber eher im Sinne von gelangweilt oder „mir doch egal“, daher auch selbstsicherer, aber manchmal irgendwie traurig, fast weinerlich
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Wenn ich nichts mache, fühlt sich mein Kopf fast wie leer an (wenig Gedanken, Ideen, …)
Mir fehlen auf jeden Fall Antrieb und Motivation. Ich komme nicht richtig in die Gänge. Es bleibt wieder alles liegen (Haushalt, Dokumente abarbeiten). Ich muss mich regelrecht überwinden, die Wäsche aufzuhängen. Alles kommt mir so monoton vor, so langweilig. Überwinde ich mich z.B. zu dieser E-Mail, dann klappt das gut. Und ich mag es, mich wach und fit zu fühlen, selbstsicherer und nicht so impulsiv, unkontrolliert. Aber…
Was würdet ihr mir raten? Habt ihr ähnliche Erfahrungen?
Frage(n) 1:
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Dem Medikament noch eine Chance geben? Es heißt ja, die volle Wirkung entfalte es erst nach ca. 6 Wochen (bin bei 3). Aber ist die volle Wirkung dann das, was ich jetzt spüre, nur stärker oder kommen da noch Antrieb, positive Stimmung und Motivation dazu? Hat jemand Erfahrung?
Frage(n) 2:
Erwarte ich zu viel von den Medikamenten? Sind keine Zaubermittel, dass mir jedes positive Gefühl gibt, dass ich benötige. Dennoch fand ich die Wirkung von Kinecteen schon gut, aber dieses Verlangen nach Suchtmitteln geht gar nicht. Sollte ich Elvanse noch ausprobieren? Aber das beeinflusst ja auch eher den Dopaminspiegel. Wäre dann wieder das Risiko bzgl. Sucht ausleben (Zig., Alk.) da. Oder kann das wieder ganz anders wirken?
Frage(n) 3:
Oder Atomoxetin kombinieren mit Medikinet oder Kinecteen in niedriger Dosis? Medikinet z.B. 5 mg, max. 10 mg und Kinecteen 18 mg? Vielleicht sind dann die negativen Effekte nicht so präsent, da ich auch Atomoxetin nehme? Wobei ich bei 18 mg Kinecteen auch das Verlangen nach Zigaretten usw. hatte. Im muss dazusagen, dass ich aufgrund der bisherigen Diagnose Depression auch 20 mg Escitalopram (SSRI) abends nehme. D.h. dann wären das schon 3 Medikamente.
Frage 4:
Oder gar nichts nehmen? Aber ich bin so froh, dass ich durch die Medikamente merke, dass ich bisher ganz andere Voraussetzungen hatte, als andere Menschen und ich mir so unterstützend helfen kann: Ausblenden von Lärm, sich konzentrieren können, Aufgaben fertig machen können, Aufgaben überhaupt erst anfangen, Prioritäten setzen können, Entscheidungen treffen, Emotionen nicht gleich rauslassen (Weinen, Fluchen, sich Aufregen), den Tag nutzen können, nicht alles als Last zu empfinden usw. Eigentlich möchte ich noch nicht aufgeben.
Danke für eure Geduld für den langen Text. Ich konnte das Thema irgendwie nicht kürzer halten …