Essstörung 12 Jahre und ADS

Hallo, ich bin neu hier. Meine 11jährige Tochter scheint ebenso wie ihre ältere Schwester eine Essstörung/Magersucht zu entwickeln. Ich hatte bei ihr schon einmal ADS vermutet, sie hat auch eine leichte LSR, dabei sehr klug, unkontrollierte Wutausbrüche zu Hause (nicht in der Schule) etc., Jetzt bin ich auf Helga Simchen und ihre Artikel zu ADS und Anorexie gestoßen, und das passt alles ganz unheimlich. Wir haben jetzt sowieso erst einmal einen Ärzt*innenmarathon vor uns und werden das auch mit der Psychiaterin besprechen, aber gibt es hier jemanden mit Erfahrung zum Austausch? Sie ist wahnsinnig verletzlich, wollte sich schon bei der LRS nicht helfen lassen, verneint natürlich die Essstörung und ich frage mich, wie wir behutsam schon alleine mit der Diagnoseerhebung vorgehen. Würde mich über Erfahrungsaustausch freuen.s

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Hallo @Mirja! Ich habe keine Erfahrungen mit Essstörungen, aber ich habe gerade kürzlich dieses Video von D. Winkler gesehen, vielleicht ist da etwas hilfreiches dabei:

Weiss nicht, ob man Links posten kann, ansonsten suchen in Youtube nach „ADHS und Essstörungen - Dr. med. Martin Winkler“

Ich wünsche euch alles Gute :heart:

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Dank dir vielmals! LG, xmx

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Hallo Mirja,

ich bin auf dem Gebiet absolut kein Experte, bin aber selber Untergewichtig.

Ich versuche mal aufzuschreiben, was ich in Bezug auf Essen erlebe und/oder erlebt habe. Was davon auf deine Töchter zutrifft ist für mich nicht ersichtlich, das müsstest du im Gespräch herausfinden.

Ich habe schon immer eher wenig gegessen, war als Kind aber im Normbereich. Zugenommen habe ich nur im Urlaub bei Oma, wo es 4 Mal am Tag regelmäßig Mahlzeiten gab und ich lange ausschlafen konnte. Verunsichert hat mich direkt nach so einem Urlaub ein Kommentar meiner Mutter, dass ich im Gesicht dick aussehen würde. Zum Glück war das aber nur dieser eine Kommentar und das hat mich nicht nachhaltig beeinflusst.

Im Jugendalter ist mir zum ersten Mal richtig bewusst geworden, dass ich auf Nahrungsmittel eine Art Hyperfixierung haben konnte. Mehrere Wochen lang habe ich beispielsweise fast täglich Currywurst gegessen, danach konnte ich überJahre nicht mehr ran. Da diese Lieblingslebensmittel aber immer verfügbar waren und niemand Kritik geäußert hat, konnte ich gut essen und auch mein Gewicht halten.

Schwierig wurde es, als es familiäre Probleme gab. Sobald ein Streit aufzog konnte ich nichts mehr essen. Erst recht, wenn man dazu mit den Streitparteien in Berührung kommen konnte. Dann lieber nichts essen. Mein Magen macht heute noch dicht, wenn es mir emotional nicht gut geht.

Ebenso bei genereller Überforderung. Ist in meinem Leben zu viel los (individuelle Stressoren, kann für Außenstehende „normale“ Anforderung sein) habe ich keine Energie, mir etwas zu Essen zu machen oder eben etwas zu essen. Mir schmeckt dann nichts und ich habe keinen Appetit.
Hier hilft dann aber Comfort-Food. Für jeden können das andere Lebensmittel sein. Für mich ist das zum Beispiel ein schnelles Gericht, das meine Oma immer zubereitet hat. Auch, mit anderen gemeinsam etwas zuzubereiten hilft mir dann. Body-Double sind für mich immer eine gute Unterstützung, auch bei anderen Aufgaben. Und ja, essen ist für mich oft eine Aufgabe, eine Anstrengung.

Wichtig war für mich immer, dass niemand mein Essverhalten kommentiert. Also keine scherzhaften Kommentare, wenn ich schon wieder das gleiche Essen haben will, auch wenn es gefühlt schon zum 100sten Mal das Gleiche ist. Macht mir jemand das eine Essen madig, das ich gerade mag, esse ich es nicht mehr. Ich war immer sehr schnell bei Kritik verunsichert, und wenn es nur gefühlte Kritik war. Dann konnte ich urplötzlich diese eine Sache nicht mehr machen.

Außerdem keine Kommentare zu meinem Untergewicht. Ich wollte nie zu wenig wiegen, habe mein Gewicht trotz Mühe nicht hoch bekommen und Äußerungen dahingehend haben mich noch mehr frustriert. Wenn dann noch jemand von einer Essstörung sprach, war es ganz vorbei. Ich hatte nie ein gestörtes Verhältnis zu Essen an sich, ich liebe Essen sogar, ich habe ein Problem mit Antrieb, Anstrengung und Motivation. In allen Lebensbereichen, nicht nur Essen.

Mir passiert es auch, dass ich vergesse, zu essen. Ich merke nicht immer direkt, dass ich Hunger habe. Erst, wenn es schon zu spät ist und keine Energie mehr da ist. Dann bin ich zittrig und extrem launisch. Mein Körper schaltet dann in den Überlebensmodus. Diese Zustände waren immer sehr belastend für mich. Erst Recht, wenn dann noch jemand mit Unverständnis oder gar Schimpfen reagiert hat. „Ja, dann iss doch rechtzeitig!“ kam dann immer, dazu noch der unausgesprochene Teil „Und nerv mich damit nicht.“ Wenn es so einfach wäre, hätte ich das Problem nicht.

Was mir enorm hilft, mein Gewicht halbwegs zu halten:

  • Es ist immer Essen da. Fertige Mahlzeiten, nicht nur Zutaten.

  • Jemand, der sich selbst etwas zu essen macht, fragt mich, ob ich auch etwas haben will (ich denke ja nicht selber dran und bekomme erst Appetit, wenn ich jemanden essen sehe)
    Das Essen muss mir dann auch gebracht werden. Nicht, weil ich faul bin, sondern weil ich es nicht holen kann

  • Hyperfixierung ist ok, auch wenn es sich um „ungesundes“ Essen handelt. Besser irgendwas essen als gar nichts.

  • Essen muss mir schmecken und für mich irgendwie attraktiv sein. Kann sich jederzeit ändern.

  • Schule: Brotbüchse muss attraktiv sein.
    (Ich hätte als Kind gerne mit meiner Mama Bentoboxen gemacht, statt die immer gleichen Schnitten heimlich dem Hund zu geben). Als Mutti hatte ich mit meiner Tochter lange das Abendritual, mit ihr zusammen die YumBox zu befüllen. Die hat abgedichtete Fächer, wo Kekse knusprig bleiben und Banane nicht den Reis im Geschmack verändert.

  • Ich lerne, auf mein Gefühl zu hören. Ich esse was, wann, wie, und wie viel mir gut tut. Essen beim Fernsehen? Ja, weil es dann nicht zu einer langweiligen Tätigkeit wird. Süß am Abend und Herzhaft am Morgen? Warum nicht? „Weil man das so (nicht) macht“ hilft mir nicht

Für mich war lange nicht klar, dass ich ADHS haben könnte und all diese Schwierigkeiten damit zusammen hängen. Es ist toll, dass ihr da schon weiter seid! Ich kam erst als Erwachsene auf diesen Gedanken. Nach wie vor ist für mich wichtig, dass ich - und da kann ich nur von mir selber sprechen - keine Essstörung habe, sondern ein Problem in den Exekutivfunktionen. Ob das für deine Töchter ebenfalls so ist, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht aber schon und dann hast du vielleicht durch meine Erfahrungen und innere Wahrnehmung ein paar Anhaltspunkte, worüber du mit ihnen sprechen kannst.

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Hallo Hobbyhopper,
vielen Dank für diesen super-ausführlichen Beitrag, das hilft mir sehr zum Verständnis! Also meine Töchter haben leider schon Essstörungen, aber insbesondere das mit der Kritik ist totalbhilfreich, und auch mit dem regelmäßigen Ablauf und etwas da sein.
Ganz liebe Grüße, Mirja

Gerne.
Weißt du denn, was bei deinen Töchtern Auslöser sind? Wurde die ältere Tochter richtig diagnostiziert?

In dem Vortrag, den moya verlinkt hat, wurde ja auch gesagt, dass die Essstörung ein Versuch ist, Kontrolle zu gewinnen. Das macht auch total Sinn. In unserem Leben haben wir auf viele Umgebungsvariablen keinen Einfluss. Schule ist, wie sie eben ist. Unser Elternhaus ist, wie es ist. Wohnumfeld, finanzielle Situation usw.
Tauchen in diesen Bereichen Probleme auf, die man nicht lösen kann, setzt man an anderer Stelle an. Ich habe in dem Vortrag so verstanden, dass die Essstörung hier aber Folge der Grunderkrankung ADHS ist. Betroffene geraten also durch die Symptome der ADHS inSchwierigkeiten, können diese nicht lösen und kontrollieren dann ihr Essverhalten als Ersatz.

Es wäre also wichtig wissen, was die Ursache bei deinen Kindern ist. Es kann ja durchaus auch sein, dass das soziale Umfeld bzw. die Gesellschaft einen Druck ausüben, der sich dann in der Essstörung manifestiert. Gerade Social Media ist da ein sehr großes Thema. Das hat ja sogar Einfluss auf die Psyche, wenn man als reflektierter Erwachsener um die Thematik weiß.

@Moderatoren @Hobbyhopper Ich finde diesen Beitrag super, könnte man da ev. einen eigenen Thread daraus machen, „Tipps bei Appetitlosigkeit“ oder so? Vielleicht gibts dann eine Art Sammlung, wo jeder seine Tipps teilen kann. Ist ja ein verbreitetes Phänomen bei ADHS soweit ich weiss. Bei uns jedenfalls immer ein Thema, ob mit oder ohne Medikation…

@Moya, @Moderatoren, oder vielleicht einen Thread Appetitlosigkeit oder Essstörung? Vielen Dank auf jeden Fall schon einmal

Kukuck und Willkömmchen :adxs_winy:

Im Kompendium auf adxs.org findet man neben der Symptome-Übersicht auch einiges zu Komorbiditäten.

Hier z.B. ein bisschen weiter unten im Inhaltsverzeichnis unter Punkt 16 zu Essstörungen:

https://www.adxs.org/de/page/170/psychiatrische-komorbiditaeten-bei-adhs

Oder auch hier:

https://www.adxs.org/de/page/173/adhs-uebergewicht-und-essstoerungen

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Ihr könnt auch im Forum ein Thema erstellen:

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Nachdem das Thema erstellt ist und um immer auf dem Laufenden zu bleiben, könnte man dann noch das Thema auf „Verfolgen“, oder „Beobachten“ einstellen und auch ein Lesezeichen setzen, um darüber immer schnell dahinzukommen:

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