Fehlende Hinweise auf ADHS in der Kindheit / lang

Hallo,

ich bin neu hier. Bin grade maximal frustriert und bräuchte mal euren Rat.

Ich war jetzt fast 1/2 Jahr in der hiesigen ADHS-Ambulanz zur Diagnostik. Sehr umfassend, mit mehreren Interviews, Fragebögen, die Angehörige ausfüllen sollten, alle Schulzeugnisse von der Grundschule bis zum Abi.

Anfang der Woche war der Auswertungstermin. Ich habe beim eigenen Ausfüllen der Wender Utah Kriterien viel mehr Punkte, als ich für eine Diagnose bräuchte. Leider liegen die beiden Angehörigenfragebögen weit darunter. Einer wurde von einer Freundin ausgefüllt, die wenig Kontakt mit mir im Alltag hat (sie ist dennoch „am nähesten dran“, da ich keine Beziehung und keine engeren Kontakte habe). Der andere, der sich auf die Kindheit bezog, wurde von einer Mitbewohnerin meiner Eltern ausgefüllt, die in der Grundschule auch zwei Jahre meine Klassenlehrein war (fragt nicht… Dorfschule und ziemlich verquere Familiensituation. Das macht es alles nicht einfacher). Diese beiden Personen sind die einzigen, die auch nur annähernd Auskunft über mich geben können.

Ich war hoch auffällig als Kind, bin aus der Schule weggelaufen, hab mich mit (deutlich älteren) Mitschülern geprügelt, hatte keinerlei Frustrationstoleranz, hatte schlimme Wutanfälle, bei denen ich Dinge zerstört hab, weil etwas nicht sofort so geklappt hat, wie ich es wollte. ABER ich hatte immer gute Noten, bis kurz vor dem Abi, und in allen Zeugnissen wird extrem betont, wie engagiert und clever ich bin. Die Verhaltensauffälligkeiten werden, wenn ünerhaupt, nur in einem Nebensatz erwähnt. Andere Unterlagen von damals gab es nicht, weil (frühe 80er Jahre) mein Zustand meinen Eltern egal war, solange die Noten ok waren. (bzw. einfach egal waren. Meine Schwester hat eine LRS, die ihre Noten stark beeinflusst haben, auch das wurde nie behandelt).

Aufgrund dieser Tatsachen findet die testende Psychologin, dass bei mir kein ADxs vorliegt. Sie hat selbst gesagt, dass sie unsicher ist, weil sie meinen Leidensdruck sieht, aber sie bräuchte halt irgendwelche Symptome in der Kindheit.

Dazu kommt, dass ich aufgrund der Impulsivität, Depression und Selbstverletzungen mit Anfang 20 die Diagnose Borderline bekommen habe. Die stimmt sicher auch zum Teil. Es gab viel emotionalen Missbrauch/Vernachlässigung zuhause, mehrere sex. Übergriffe (außerhalb) in der Pubertät. Ich habe 20 Jahre Therapie gemacht, viel Trauma- und DBT-Therapie, sodass die Borderline-Symptomatik unter Kontrolle ist.

Ich hab in dieser Zeit (bzw. schon vorher) aber auch extrem gut gelernt, alle Schwierigkeiten zu verbergen, weil ich viel Gaslighting und Invalidierung aus dem psychiatrischen System gekriegt habe (nach dem Motto: „sie sind doch so klug/kriegen doch ihren Alltag/ihr Studium/Job auf die Reihe, kann also nicht so schlimm sein“.) Ich hab eine recht hohe HB, die dabei sicher geholfen hat, außerdem hab ich in der Zeit nix anderes gemacht als studieren/arbeiten und zuhause irgendwie versuchen, mit Symptomen klarzukommen.

Im Prinzip ging die ADHs-Symptomatik (vor allem Konzentration, Zeitblindheit, task initiation, Priorisierung und Ordnung halten) los, sobald ich aus dem Elternhaus/der Schule weg war (fehlende Strukturen?) Ich habe mit unmenschlichem Kraftaufwand und vielen destruktiven Coping Mechanismen (Selbstverletzung, Alkohol, exzessiver Sport, immer wieder Burnouts) zwei Studiengänge abgeschlossen, einen vorher abgebrochen. Beruflich habe ich nie richtig Fuß gefasst.

Ich bin jetzt 46, arbeite Teilzeit 10h/Woche, brauche aber mindestens 20h dafùr (100% Homeoffice und sehr überlastete Kollegen, die das nicht mitbekommen). Seit ich Kinder habe, (die sind jetzt 5 und 7, die Kleine hat schon seit 2-3 Jahren ähnliche Symptome wie ich als Kind) kann ich meine Überforderung nicht mehr verstecken.

Aufgrund diese (ohne Frage sehr komplexen) Ausgangssituation und der fehlenden Nachweise für Symptome in der Kindheit sieht die Psychologin eher eine Depression und eine generalisierte Angststörung bei mir. Ich wäre mit diesen Diagnosen als Komorbiditäten einverstanden, aber nicht als Hauptdiagnose. Dafür finde ich die ADHS-Symptomatik in den letzten 25 Jahren zu deutlich.

Sie möchte jetzt gerne Sertralin ansetzen, das hatte ich vor ein paar Jahren schon mal. Hat gut gegen die Depressions- und Angstsymptomatik geholfen, aber an den anderen Symptomen (logischerweise) nix geändert.

Ich möchte raus aus der psychisch Kranken-Schublade, weil es auch beeinflusst, wie man mir mit den Verhaltensauffälligkeiten meiner Tochter begegnet (muss ja an mir liegen… Dass meine große Tochter komplett unauffällig ist, spielt keine Rolle).

Und ich möchte gerne die Chance, an der Wurzel meiner Schwierigkeiten ansetzen zu können (mit den passenden Medikamenten/Therapien) und nicht nur an den vordergründigen Symptomen rumzudoktern.

Hat jemand eine Idee, wie ich noch argumentieren könnte? Die Psychologin würde mir die Diagnose vielleicht sogar aus Mitleid geben, sie ist aber von der Klinik her ans DSM gebunden und darf es nicht.
Ich bin so müde von Kämpfen und vom immer wieder gesagt bekommen, dass meine Wahrnehmung von mir selbst falsch ist.

Falls ihr bis hierher durchgehalten habt: Danke fürs Lesen!

Hallo,

um eine Idee zu bekommen, ob, wie stark und mit welcher Ausprägung du ADHS haben könntest, kannst du den ADHS-Symptomtest auf ADxS.org machen. Es handelt sich um ein Onlinescreening. Eine richtige Diagnostik kann immer nur ein erfahrener Arzt oder Therapeut machen.
Viele User hier im Forum kennen den Test, sodass das Ergebnis hilft, deine Beschreibung besser einzuordnen.

Viele Grüße

Liebe @Dhana und herzlich willkommen,

aha, das sind also fehlende Hinweise auf ADHS in der Kindheit? Im Gegenteil, da drängt sich doch sehr auf, dass die ADHS in der Kindheit bereits bestand. Was will man mehr?

Was die Psychologin vielleicht meint, sie hat keine offiziellen Belege. Die bräuchte man beispielsweise für eine Gerichtsverhandlung. Aber hier geht es um eine Beziehung zwischen Ärztin und Patientin, und die sollte nicht von Misstrauen geprägt sein.

Die Konsequenz wäre, dass man jenseits eines bestimmten Alters keine ADHS-Diagnostik mehr erstellen kann. Wer 60 oder älter ist, hat in der Regel keine Lehrer oder Eltern als Zeugen, und Zeugnisse sind oft auch nicht erhalten. Ärzte, die glaubhafte (!) Angaben der Ratsuchenden selbst nicht werten wollen, können dann keine positive ADHS-Diagnose stellen.

Könnte Absicht dahinter stecken.

3 „Gefällt mir“