Heute gibt es eine neue Geschichte, diesmal aus Adas Zeit im Übergang vom Abitur zum Studium. Credits gehen auch an die großartige Koautorin:
unsere liebe @Elementary. Juristische Korrektheit und Finesse mussten allerdings dem unnachgiebigen Sog des Plot weichen.
Ada und die Flying Monkeys
„Nun Frau von Grell, was können wir denn für Sie tun?“
Ada saß in der Beratungsstelle für behinderte Studierende ihrer heimischen Uni.
Der Behindertenbeauftragte war einer dieser typischen blinden Juristen, schon etwas älter.
Er schien zum lebenden Inventar dieser Lehranstalt zu gehören.
„Naja, ich werde demnächst mein Abi abschließen und dann würde ich mich gern hier in in einem Studiengang einschreiben. Deswegen wollte ich mich schon mal erkundigen, welche Hilfen es für Menschen mit Einschränkungen so gibt.“
„Im Allgemeinen gibt es häufig die Möglichkeit, einen Antrag auf Nachteilsausgleich zu stellen. Dann müssten Sie genau darlegen, in wie fern ihre Behinderung Sie im Studium benachteiligt.“
Aha, er war altmodisch und sagte Behinderung statt Einschränkung.
„OK, und wo muss ich den einreichen?“
„Das machen Sie beim Prüfungsamt ihres Fachbereichs. Übrigens empfehle ich ihnen auch, im Studentenwerk die Sozialberatung aufzusuchen.“
Ohje, offenbar wurde man hier von Pontius zu Beratus geschickt; oder Piratus?
„… um Sie spezifischer beraten zu können.“
Verdammt, ein Aussetzer von einer Sekunde. Vermutlich wollte er aber ihre konkreten Einschränkungen wissen. Eigentlich erzählte sie das nicht so gern herum, aber zumindest war er der Beauftragte, also gut.
„Ich habe eine ADHS-Diagnose. Gibt es da überhaupt was spezifisches?“
„Inzwischen ja. Sie wissen ja vielleicht, dass es für Blinde seit Jahrzehnden die Möglichkeit gibt, die Vergütung von Vorlesestunden zu beantragen. Etwas Ähnliches gibt es jetzt auch für ADHS: Sie können sich Leistungen eines ADHS-Sekretariat vergüten lassen.“
„Aha, und wobei hilft mir so ein Sekretariat genau?“
„Nun, es unterstützt sie bei der Bewältigung ihrer außerfachlichen Herausforderungen, die mit dem Studium zusammenhängen. Das wären u.A.“
- Rechtzeitige Zahlung der Semesterbeiträge, damit Sie immatrikuliert bleiben
- Rechtzeitige Abgabe der BAFÖG-Anträge
- Erstellung eines Stundenplans ohne Überschneidungen und rechtzeitiges Eintragen in die Vorlesungsprüfungen und Seminare
- Rechtzeitige Ausleihe und Rückgabe von Literatur zur Prävention von Mahngebühren
- Sicheres Verstecken von Büchern in der Bibliothek, damit Ihre Mitstudierenden diese Bücher nicht vor Ihnen ausleihen
- Strukturierung Ihrer Vorlesungsmitschriebe in Mindmaps und Listen
- …
„Was? Das muss man im Studium alles machen?“
„Ja, und noch weit mehr.“
„Ähm, also dann klingt diese Sekretariatsgeschichte ziemlich interessant. Wie kommt man da ran?“
„Ganz ähnlich wie bei den Vorlesestunden, nach dem Arbeitgebermodell. Am besten suchen Sie sich zuerst in unserer Kartei eine Person aus, die für Sie organisieren soll, nehmen Kontakt auf und stimmen sich ab. Dann stellen Sie beim Sozialamt einen Antrag auf Vergütung von Hilfeleistungen zur Teilhabe in der Ausbildung, die Formblätter dafür gebe ich Ihnen mit. Sachbearbeiterin ist Frau Stoßverkehr. Die Lohnsteuerkarte der organisierenden Person muss ebenfalls vorgezeigt werden. “
„Moment, das muss ich mitschreiben.“ *kritzel kritzel*
„Anschließend müssen Sie die abgeleisteten Stunden dokumentieren, um das Geld vom Sozialamt überwiesen zu bekommen. Sie können es dann an die organisierende Person weitergeben.“
„Das klingt ja schon fast ähnlich aufwändig wie die Studienorganisation.“
„Klar, niemand mag Bürokratie, aber da muss man eben durch.“
Es war Adas letzte Meile bis zum Abitur.
Sie blickte dem Tag X mit äußerst gemischten Gefühlen entgegen.
Einerseits war sie natürlich gespannt auf das neue Leben, andererseits fragte sie sich, wie sie das alles schaffen sollte, was damit verbunden war.
Irgendwie drücke ihr nur jeder von allen Seiten Mental load auf, statt wirklich mal welchen zu reduzieren.
Lustlos trottete sie den Schulweg entlang, den kannte sie auswendig.
„Hey, fängst du hier demnächst mit dem Studium an?“
Ein Typ zwischen Ende 20 und Anfang 30 hatte sie angesprochen, kurz bevor sie die Schule erreicht hatte.
„Was? Ja, das stimmt.“
Sie war so überrascht, dass sie nicht auf „Geht Sie nix an“ gekommen war. Andererseits, so ein bisschen Abwechslung war ja auch mal interessant.
„Cool! Dabei hast du bestimmt auch viel Bürokratie zu erledigen.“
Woher wusste er das denn jetzt?
„Ja …“
„Perfekt! Ich hab da nämlich so ne Agentur. Wir erledigen solche Sachen für bürokratisch überforderte Studis.“
„Das hört sich gut an. Ich muss Leistungen für — naja — also — ADHS-Sekretariat beantragen. Könnt ihr so was auch?“
„Mensch, da sind wir genau die Richtigen! Wir machen dir nicht nur den Papierkram, sondern stellen dir auch die Sekretariatsleistungen.“
Klar war das eine schräge Situation, aber endlich bot ihr mal jemand wirklich Hilfe an.
Das würde eine ganze Menge offene Todos abhaken.
Und wenn die schon Erfahrung damit hatten, ging das ja auch flüssiger als wenn sie sich da erst durchquälen musste.
Komisch war aber schon, dass die Beratungsleute so etwas nicht erwähnt hatten.
Aber die waren ja selber auch komisch.
„OK, was soll ich machen, damit das funktioniert?“
„Du gibst mir jetzt deine Email, dann schreiben wir dich an für die nächsten Schritte. Ich bin übrigens der Norman.“
„Alles klar. Also ich muss dann erst mal nichts machen?“
„Nein, wir machen die Unterlagen fertig, fragen ggf. Details bei dir nach, und dann laden wir dich ein für die letzten Schritte.“
„Frederika, heute habe ich jemand getroffen, der mir mit dem ADHS-Sekretariat hilft.“
Ada musste es einfach jemandem erzählen, so erleichtert war sie.
„Hm, ich weiß nicht. Das hört sich irgendwie merkwürdig an.“
„Aber warum denn?“
„Du kannst dir doch immer noch unter den Studierenden jemand suchen. Das sollte doch auch so klappen.“
Och Mann, jetzt war die ganze schöne Euphorie futsch! Aber sie hatte auch keine Lust, die ganze Bürokratie jetzt nochmal wiederzugeben.
„Stimmt auch wieder. Na gut, dann mache ich es so.“
Hat einfach keinen Zweck, mit Erwachsenen zu reden.
Neue Freunde
Von: StudiVZ-Zentrale
Hallo Ada!
Du hast eine neue Freundschafts-Einladung bekommen!
Norman-Kevin Berger möchte Dich als Freund hinzufügen, aber bevor wir das machen können, musst Du noch bestätigen, dass Ihr Freunde seid.
Einfach einloggen und unter „Neue Freunde“ bestätigen!
http://www.studivz.net
Danke!
Dein studiVZ-Team
Treffen
Von: berger42@stud.uni-seligenburg.de
Hallo Ada!
Wann sollen wir uns für die erste ausführliche Besprechung treffen?
LG.
Norman
re: Treffen
Von: Ada von Grell
Hallo,
dieses Wochenende hätte ich Zeit für eine ausführlichere Sitzung. kann allerdings nicht versprechen, dass ich wirklich zusage. Bevor ich irgendwo zusage, will ich alles haargenau wissen. Es geht morgen um drei, es geht auch Sonntag um drei oder sonst einer Uhrzeit. Such dir was raus an diesem Wochenende. Man könnte sich ja vor der Mensa treffen und dort irgendwo niederlassen.
Ada
re: Treffen
Von: berger42@stud.uni-seligenburg.de
Morgen um drei Uhr, vor der Mensa, passt mir hervorragend. Dann bis morgen.
Lg,
Norm
- 15:00: Drinnen lief offenbar irgendeine Party, der lauten Musik nach zu schließen. Sie sollte aber draußen auf ihn warten.
- 15:10: Kein Norman und auch sonst niemand. Naja, gab schlimmeres als Unpünktlichkeit.
- 15:20: Immer noch nichts.
- 15:30: Das wurde heute wohl nichts mehr. Also zurück nach Hause.
Norman Berger — Sekretariat
von: Ruben Schmidt
wann: ein paar Tage später
Hallo Ada.
Mein Name ist Ruben und ich schreibe im Auftrag von Norman Berger. Norman hat mich angerufen und mich gebeten, dass ich mit Dir Kontakt aufnehmen soll. Zunächst möchte sich Norman entschuldigen hinsichtlich des Nichtkommens zum vereinbarten Termin. Seine Mutter ist plötzlich krank geworden und musste dementsprechend ziemlich schnell nach Hause fahren. Es tut Ihm wirklich leid.
Melde Dich, sofern noch Lust und Interesse besteht
Ruben
Es kam später tatsächlich noch zu weiteren Treffen, aber nicht mehr mit Norman, sondern mit Stellvertreter Ruben und Sekretärin Marisa.
Auffällig war, wie anders als Norman die beiden wirkten. Irgendwie naiv, fast schon wie unterwürfige Mäuschen (gab es eigentlich männliche Mäuschen?), während Norman eher einen forschen Ton in Wort und Schrift drauf hatte..
„Ich glaube, du hattest doch recht, Frederika. Mit diesen Sekretären da ist was ziemlich schräg.“
„Ach schade, hätte ja ein bisschen gehofft, dass es etwas Hilfreiches wäre. Wer ist das denn eigentlich? Und was hast du mit denen erlebt?“
Ada gab Frederika eine Zusammenfassung der bisherigen Etappen.
„Das klingt echt unseriös. Hm, und die haben auch keinen Handelsregistereintrag. Und das mit der kranken Mutter, das kann der dem Prinz von Nigeria erzählen, aber nicht mir.“
„Ach, hab da inzwischen auch kein Bock mehr drauf. Außerdem läuft es momentan einigermaßen mit dem Studium.“
Von Norman kamen immer wieder Mails, in denen abwechselnd freundliche Floskeln vorkamen und Zeitdruck, der Antrag müsse endlich abgeschickt werden, weil es sonst „teuer für uns werde, was wir natürlich nicht wollen.“ Ada reagierte nicht mehr auf die Mails. Irgendwie wusste sie nicht so recht, wie sie die Sache glatt abschließen sollte. Hallo Norman, ich habe keine Lust mehr auf die Zusammenarbeit, weil euer Auftreten verdächtig wirkt und ihr nicht im Handelsregister steht? Das geht doch nicht. Man musste bedenken, dass sie noch nie neutral formulierte Geschäftsbriefe geschrieben hatte.
ultimativer Vorschlag
Hey Ady, wie geht es denn so? Ich habe heute den ultimativen Vorschlag für Dich, wie Du
zu noch mehr Geld und Spass kommen könntest? Was hälst Du davon Dich in ein weiteres Hauptfach
einzuschreiben? So, dass Deine Gesammtstudienkonstellation als Doppelstudium gilt. Mit
einer derartigen Kombination, könntest Du bis zu 800 Euro pro Monat bekommen. Du müsstest
nur, nominell und formell, eingeschrieben sein, alles andere andere würden Ruben und Marisa und ich
in die Wege leiten. Sowohl das Einschreiben als auch das Aufrechterhalten des zweiten
Faches, werden wir übernehmen. Das Aufrecherhalten ist nur mit geringer Mühe verbunden.
Bitte gib, diesbezüglich, sobald wie möglich Bescheid. Thanks Ady!
Lg,
Norm
Zahltag ......dringend
Hey Ada, ich hoffe, dass es Dir gut geht. Wie Du es Dir sicherlich denken kannst, ist durch Deine Inanspruchnahme unserer Dienste für uns Unkosten entstanden. Diese Unkosten belaufen sich auf 40 Euro, und zwar jewils 10 Euro für eine Stunde. Dies wäre normalerweise vom ersten Vorlesegeldeingang abgegangen, aber da Dich umentschieden hast,wird dies jetzt in dieser Art und Weise geregelt.
Der Beitrag wäre auf das folgende Konto zu Überweisen: Sparkasse Hintertupfingen eG–Bankleitzahl:01906666666
Kontonummer:01906666
Stichwort: Teddybär
Dies bitte in den nächsten 5 Tagen. Im Falle einer Weigerung, werden wir uns, unter Vorhaltung von Beweisen, die jeweilige Summe, bei der Stadt Seligenburg holen. Die Wiederum holen sich ihr Geld, mittels eines Gerichtstvollziehers. Ferner würden wir Dich, bei derselben Institution wegen potentieller Unterschlagung und Non-Cooperation anzeigen. Kannst Dir alles ersparen, wenn Du baldist zahlst.
Lg,
Norm
re: zahltag
Hallo Norman,
ich habe mich bei verschiedenen Stellen erkundigt und werde nicht zahlen, weil es für eure Forderungen keine Rechtsgrundlage gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Ada
re: zahltag
Aber Ada, dieses Katz- und Mausspiel muss doch nun wirklich nicht sein.
Endlich war es so weit. Norman-Kevin Berger saß auf der Anklagebank von Richterin Barbara Salesch. Und Ada saß im Publikum und war gespannt auf das Battle zwischen Bernd Römer und Ulrike Tašić.
Staatsanwalt Römer: „Dem Angeklagten Norman-Kevin Berger wird folgendes zur Last gelegt: Er brachte die Abiturientin Ada von Grell unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu, ihm vertrauliche Daten auszuhändigen und nötigte sie zur Zahlung von Geldbeträgen für Dienstleistungen, die er nicht auf legalem Wege anbot. Es soll sich hierbei um Hilfeleistungen im Bereich der Studienorganisation gehandelt haben Desweiteren wird vorgeworfen: Er sprach gezielt angehende Studierende an, die potentiell für Sozialleistungen zur Teilhabe in der Ausbildung bezugsberechtigt sind, um entsprechende Leistungen durch diese Personen zu hinterziehen. Um sie für sich zu gewinnen, bewarf er sie mit rosa Luftballonherzen, die er vorher mit Seifenschaum befüllt hatte.“
Richterin Salisch: „Herr Berger, möchten Sie sich dazu äußern?“
Norman: „Hey, Frau Richterin, jetzt hören Sie mal. Das ist doch wohl ein witz oder?“
Salesch: „Keineswegs. Und wenn doch, dann wäre er fast schon lustig. Also wie ist das aus Ihrer Sicht gelaufen?“
Norman: „Mensch, ich hab die halt angesprochen und interessante Angebote gemacht, was ist denn da groß dabei?“
Römer: „Das gesamtbild spricht eher für sittenwidrige Geschäftspraktiken, Herr Berger.“
Norman: „Ach kommen Sie mir doch nicht so. Bei diesen jungen Dinger muss man eben manchmal etwas nachhelfen, das kennen sie doch sicher auch …“
Römer: „Bitte keine Vertraulichkeiten.“
Norman: „Ach und das mit der Schwarzarbeit, das ist doch nicht so wild. Und hey, wir schaffen studentische Arbeitsplätze!“
Römer: „Die gäb’s auch so, und eigentlich sollen Studenten in erster Linie studieren.“
Tašić: „Sie müssen es ja wissen, Herr Römer!“
Salesch: „Meine Herrschaften … Herr Berger, wie kommen Sie zu diesen ungewöhnlichen Acquise-Methoden? Sie könnten doch auf dem Campus z.B. auch Aushänge am schwarzen Brett anbringen oder sich in die Kartei der Studienberatung eintragen.“
Norman: „Für Sie mag das ungewöhnlich klingen, aber ich wähle meine Opf — äh, Klientel gezielt aus.“
Salesch: „Nach welchen Gesichtspunkten, wenn ich fragen darf?“
Norman: „Ich hab einen sechsten Sinn dafür, ob jemand Potential hat. Ich will was für die Allgemeinheit tun, deswegen spreche ich die an, bei denen ich Potential sehe.“
Römer: „Und ich bin der Kaiser von China. Auf welcher Esoterikmesse haben Sie denn das gelernt?“
Tašić: „Nur weil Sie, Herr Römer, sich so etwas nicht vorstellen können, heißt das nicht, dass mein Mandant nicht in der Nebenklägerin bereits lange vor ihrem erfolgreichen Durchbruch großes Potential erkannt hat und einfach nur die Absicht hatte, dieses zu fördern!“
Römer: „Fakten, Frau Tašić, keine Spekulationen! Ist Ihr Mandant wenigstens in der Lage, seinen Eindruck schlüssig zu begründen? Laut der Nebenklägerin hatte er bei seinem Vorschlag nicht einmal das Fach genannt, das sie auf sein Anraten zusätzlich belegen solle. Es solle nur kein ZVS-Fach sein.“
Tašić: „Selbst wenn er es begründen könnte, was würde das heute rückwirkend schon besagen?!“
Römer: „Außerdem stand in der Email ausdrücklich ‚Geld und Spass‘, da legt sich diese fadenscheinige Auslegung natürlich nahe, der Angeklagte habe Potential gesehen. Ja vielleicht für seinen Geldbeutel und seine Drogengeschäfte.“
Tašić: „Vorurteile, Herr Römer, nichts als Vorurteile! Damit beleidigen Sie sowohl die Nebenklägerin als auch meinen Mandanten.“
Römer: „Beleidigen ist Teil meiner beruflichen Aufgaben.“
Tašić: "Darf ich Sie im Übrigen daran erinnern, Herr Römer, dass die Staatsanwaltschaft den Anklage-Vorwurf ‚schlüssig begründen‘ muss und nicht mein Mandant seine Unschuld? Von diesen fundamentalen Basics einmal abgesehen: Sie, Herr Römer, wären doch heute ganz vorn dabei, es ihm als mansplainende Übergriffigkeit auszulegen, wenn er schon damals das überragende Coding Talent und den USP der Nebenklägerin dergestalt konkretisiert hätte.“
Norman: „Ganz genau. Es wäre übergriffig gewesen. Aber es hätte auch verhindert, dass die Nebenklägerin ihre wahre Bestimmung selbst erkennt.“
Römer: „Das tut doch hier alles gar nichts zur Sache, aus welchen Motiven Sie gehandelt haben. Der Anklagevorwurf lässt sich mühelos begründen. Die gesicherte Email-Korrespondenz zwischen der Nebenklägerin und Ihrem Mandanten bestätigt den Vorwurf schließlich lückenlos, Frau Tašić.“
Tašić: „Ach was! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie einfach es ist, Emails zu fälschen oder unter falschem Namen zu verschicken?!“
Römer: „Ja klar Frau Tašić, einer hatte noch ne Rechnung mit dem offen und in seinem Namen diese Mails verschickt. Das sind doch alles Ausflüchte. Oder wollen Sie behaupten, die Nebenklägerin hätte diese Korrespondenz fingiert?“
Salesch: „Gehen wir erst mal weiter zur nächsten Zeugin. Sind die Zeugen schon da?“
Draußen standen Marisa und Ruben, verkleidet als éowyn und Legolas.
„Ihr seid ‚uninformiert‘, sagte ich, nicht ‚uniformiert‘!“, kam ein erstaunlich wütender Schrei von der Anklagebank.
„Achso, alles klar“, kam es kleinlaut von Marisa.
Salesch: „Gut Frau Marillenkern, wo Sie schon mal am Reden sind, können Sie auch gleich aussagen. Sie heißen Marisa Marillenkern, 22 Jahre alt, leben in Seligenburg und sind nicht verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten. Sie können schweigen, wenn Sie sich selbst oder eine Ihnen verwandte Person einer STraftat bezichtigen müssten.“
Marisa: „Ja, richtig. Aber ich weiß genau, der Norman hat nichts Schlimmes gemacht, ehrlich, das müssen Sie mir glauben.“
Salesch: „Ach mit dem Glauben hab ich’s eher weniger. Seit wann und wie gut kennen Sie den Angeklagten?“
Marisa: „Seit zwei Jahren ungefähr mache ich bei seiner Agentur mit. Er brauchte damals Hilfe und meinte, dass wir mit dieser Sache auch vielen anderen helfen und interessante Erfahrungen machen.“
Salesch: „Klingt an Sich ja sehr löblich. Von dem Vorwurf der Illegalität ist Ihnen nichts bekannt?“
Norman: „Sag jetzt bloß nichts falsches!“
Salesch: „Herr Berger, ich schätze es nicht, wenn man meine Zeugen bedroht und beeinflusst. 100€ Ordnungsgeld, wahlweise 1 Tag Ordnungshaft. Also, Zurück zur Frage.“
Marisa: „Nein, Norman hat das doch alles geregelt.“
Salesch: „Naja offenbar nicht. Denn ein Eintrag im Handelsregister liegt tatsächlich nicht vor, und die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher und dass die Stadt Seligenburg da entsprechend aktiv würde, sind absolut wahrheitswidrig.“
Römer: „Ziemlich dünne Luft wird das so langsam für Sie, Herr Berger.“
Marisa: „Aber das mit der Schwarzarbeit ist doch nicht so schlimm. Und die Drohungen, OK, da ist er manchmal etwas impulsiv. Und außerdem, im Grunde hat er da keine andere Wahl als ab und zu mal ein paar deutliche Worte zu sprechen. Sonst würden ihn doch alle nur noch ausnutzen, den Armen. Und überhaupt, eigentlich ist das total unfair und fies, dass der hier jetzt angeklagt ist.“
Salesch: „Sie sollten die Nebenklägerin doch betreuen. Wie oft sind Sie sich begegnet?“
Marisa: „Ein oder zweimal. Ich hatte ihr noch gesagt, dass sie einen viel schöneren Namen hätte als ich.“
Salesch: „Vielen Dank, Frau Marillenkern. Herr Rubinstein bitte?“
Ruben: „Frau Richterin, ich weiß gar nicht, warum wir überhaupt alle hier sind.“
Salesch: „Moment, ich muss Sie noch belehren, dass sie zur Aussage verpflichtet sind, sich aber nicht selbst belasten müssen. Wir sind hier, weil der Angeklagte hier unter Anderem der Hinterziehung von Sozialgeldern und heimtückischer Täuschung mit Betrugsabsicht angeklagt ist.“
Ruben: „Waaas? So was soll der gemacht haben? Das kann doch nicht sein, er hat doch im Sinne der guten Sache gehandelt. Und das mit der überraschend erkrankten Mutter, das tut ihm wirklich Leid.“
Norman: „Mann Ruben, das gehört doch gar nicht hierher!“
Salesch: „Auch die gute sache muss sich im Rahmen des Gesetzes bewegen.“
Ruben: „Trotzdem … Da will man denen was Gutes tun, und die sind so undankbar und bringen einen vor Gericht. Die sind doch gar nicht zurechnungsfähig, diese ADHSler und Behinderten. Wer weiß, was die sich da zusammenfantasieren.“
Salesch: „So einen ableistischen Unfug dulde ich nicht hier in meinem Gerichtssaal! Haben wir uns verstanden?“
Ruben: „Ja, schon gut.“
Salesch: „Noch Anträge? Dann schließ’ ich die Beweisaufnahme. Staatsanwalt Römer bitte.“
Römer: „Ja Frau Vorsitzende, die Beweislage ist doch hier sonnenklar, die Email-Korrespondenz spricht eine deutliche Sprache und das gepaart mit den Befunden aus dem Handelsregister sowie den Aussagen des Behindertenbeauftragten aus der Studienberatung, das ergibt ein stimmiges Gesamtbild. Hier liegen sowohl love Bombing als auch Entwertung in höchstem Maße vor, beides bei vollem Bewusstsein, ich beantrage daher lebenslange Freiheitsstrafe, nicht zur Bewährung auszusetzen.“
Salesch: „Vielen Dank, Herr Römer. Frau Rechtsanwältin Tašić bitte.“
Tašić: „Ich erinnere nur an die buddhistische Weisheit: Der Lehrer kommt, wenn die Schülerin bereit ist. Die Nebenklägerin war damals noch nicht bereit, 0 und 1 zusammenzuzählen. Allein deshalb blieb mein Mandant vage bzgl. des Zweitstudienfachs, auch wenn er sich über die Gaben längst im Klaren war. Er ordnete nicht nur das Chaos seiner Klientinnen. Er sah ihre Bestimmung im Chaos der höheren Ordnung.
Eine weitere Sentenz kommt der Verteidigung in den Sinn: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ - Mein Mandant war bereits mit 6 Jahren Montessori-Schüler. Selbst Sie dürften nun daraus ableiten können: Er hat sich seit frühester - schwerer - Kindheit selbstlos auf seine Coaching-Karriere vorbereitet. Und das darf er sich in Ihren Augen nicht angemessen vergüten lassen, Herr Römer? Sie haben gerade einmal 14 Semester Jura studiert. Doch selbst Sie arbeiten nicht für Gotteslohn. Ihr Beruf mag spaßbefreit sein. Die Berufung meines Mandanten ist es nicht. Geld und Spaß - das ist kein Widerspruch. Dieses dynamische Duo der Wertschätzung stützt nicht den Anklagevorwurf. Es trägt im Gegenteil allein: den Freispruch. Damit mein Mandant seiner Berufung weiter nachgehen kann.
Da draußen sind noch viele Hochbegabte, die verzweifelt auf seine Validierung warten! Negieren Sie nicht deren Leidensdruck, nur weil Sie selbst Standardabweichungen von dieser Lebensrealität entfernt sind, Herr Römer!"
Und ich frage Sie ganz tiefbegabt, Herr Römer: Was ist überhaupt die Anklage? Was wird dem Mandanten zur Last gelegt? Was müsste die Staatsanwaltschaft ihm überhaupt nachweisen? Hinterziehung von Sozialgeldern unter Ausnutzung unschuldiger neurodivergenter Hochbegabter junger Menschen, unter dem perfiden Vorwand, ihre Talente fördern zu wollen? Wie kann ein solches Ansinnen nur verwerflich sein? Darauf kommt nur jemand wie Herr Römer.
Nicht zu vergessen, er tat es aus reiner Menschenliebe, um durch sein Wirken die Welt ein kleines bisschen gerechter zu machen, die Vorstellung mag Ihnen fremd sein, Herr Römer, indem er den Neurodivergenten einen kleinen Teil ihrer schweren bürokratischen Last abnehmen wollte. Ein früherer Apologet der: Barrierefreiheit. Und jetzt frage ich Sie, Herr Römer: Womit befasst sich die Nebenklägerin heute?“
Das letzte Argument der Anwältin versetzte Staatsanwalt Römer in einen Zustand vollkommener Perplexität, sodass auch er schließlich seinen Antrag zurückzog und für Freispruch plädierte. Er wand sich nur noch vor Lust stöhnend am Boden, niedergestreckt von einem cum hoc ergo propter hoc.
Insgesamt war es eine ganz gute Show gewesen, fand Ada. Außerdem hatte es dazu geführt, dass der Staatsanwalt und die Rechtsanwältin sich endlich ihrer wahren Liebe zueinander bewusst geworden waren und sich öffentlich dazu bekannten, und Ada war zur Hochzeit eingeladen. Sie konnte ja schon mal in der Studentenverbindung mit den etwas konservativen Juristen üben, wie man so unter feiernden Anwälten überlebte. Und dass Norman freigesprochen wurde, war ihr im Grunde gar nicht so unrecht. Denn Subjekte wie er nutzten hauptsächlich die Mängel und Probleme aus, die andere nicht beheben wollten. In gewisser Hinsicht hatte er ihr also tatsächlich dazu verholfen, ihre Berufung zu erkennen, wenn auch nicht ganz auf die Art und Weise wie im Plädoyer beschrieben.