Habe das Gefühl dass mein ADHS relativiert wird

Guten Tag,
Ich bin 33 und habe vor ca. 2 Monaten meine ADHS Diagnose erhalten. Der Facharzt hat sich gewundert dass es vorher nicht schon diagnostiziert wurde (Ich war in einer Fachambulanz für ADHS Betroffene, meine Mutter hat ebenfalls ADHS).
Ich werde ab Januar Medikamente bekommen und suche mir eine Verhaltenstherapie. Beruflich bin ich als Softwareentwickler unterwegs, arbeite dort gerne aber meine Kondition macht mir zu schaffen. Hab einen Master mit ach und krach bekommen, Lernen an sich kostet mich einfach extrem viel Aufwand und Zeit. Manchmal krieg ich den Hyperfokus aber kann das nicht kontrollieren.

Ich hab nen Freund der hat eine Legasthenie und mit ihm darüber geredet. Er argumentiert dass jeder auf dem ADHS Spektrum ist und auf dem Autismus Spektrum. Seine Ansicht nach wenn man jeden in Deutschland testen würde dann hätte so gut wie jeder eine Diagnose auf dem Spektrum.
Er meinte zu dem, dass ich ja mein lebenlang ohne Medikamente ausgekommen bin und es ne gute Sache ist dass ich gelernt habe ohne zu leben.
Ich hab ihm entgegen gehalten, dass ich mehrere schwerst depressive Phasen hatte, schlechte Noten trotz viel Anstrengung bekommen hab, emotionale Dysregulation etc. und ich wirklich unter dem ADHS leide, vor allem wenn man Jahrzehnte lang nicht weiss warum.
Er findet die Idee nicht gut Kindern Ritalin zu geben. Ich hab ihm entgegnet dass ja wenigstens eine Diagnose mir geholfen hätte mich besser zu verstehen.
Er meinte daraufhin dass ich ja dann evtl. angefangen hätte faul zu werden und gar nichts mehr zu lernen weil ich ja dann als Diagnose ADHS hätte. Also die Gefahr dass ich damals aufgegeben hätte überhaupt zu lernen. Ich hab ihm entgegnet dass ich das ganz anders sehe und mir evtl. einfach eine menge Leid erspart geblieben wäre, anstatt über meinen Kopf hinweg mir Mittel zu verwehren. Zu mal muss man ja die Medikamente nicht jeden Tag nehmen sondern kann sie auch mal weglassen.
Er war auch der Meinung dass Psychologen ja keine Antwort hätten und alles was die so erzählen ja auf Siegmund Freud beruht.

Ich hab das Gefühl von ihm bekommen, dass er meine Sorgen kleinredet, ähnlich wie meine Mutter die erst nicht glauben wollte dass ich ebenfalls ADHS habe und das hat mich sauer gemacht.
Mein Kollege ist kein schlechter Mensch und hat selber soviel negatives erlebt ich denke sein Weltbild ist einfach was anders dadurch.
Bin ich da berechtigt oder sollte ich das anders betrachten? Ich hätte gerne eine Sicht von außen.

Frag ihn doch ob er sich auf seine Legasthenie Diagnose ausruht ? :wink:

Sind halt so Mainstreammeinungen die er hat. Ist die Frage ob du Energie bei ihm und deiner Mutter investieren willst um beide zu überzeugen , wenn deren Meinung schon so vorgefestigt ist?

Vielleicht suchst du erstmal deinen Weg um dich mit der Diagnose und der Medikation zu arrangieren. Man bleibt eh für sich selbst verantwortlich .

Ich habe es mit aus diesen Gründen entschieden gar nicht erst diskutieren zu müssen und die Diagnose weitgehend für mich behalten.

Such dir Gleichgesinnte wie hier , das bringt dich eher weiter und du fühlst dich verstanden .

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Was er sagt, ist fachlich Unsinn und für dich sehr verletzend.

Dein Kollege ist kein schlechter Mensch? Finde ich nicht. Er wertet dich ab um selbst besser da zu stehen, vielleicht unbewusst, aber das ändert das Ergebnis nicht.

Dir bleibt die Wahl, die Freundschaft entweder abkühlen zu lassen oder speziell das Thema bei ihm zu vermeiden. Sein Weltbild zu ändern versuchst du besser nicht, das verletzt dich auf Dauer noch mehr.

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Ich habe mal bei einer Ehrenamtsfortbildung einen Alzheimer-Parcours absolviert:

Da steckt man die Hände in eine Kiste und versucht, etwas auf eine Gabel zu bugsieren oder etwas zu malen, während man seine Hände nur wirr gespiegelt sieht.

Oder man trägt Handschuhe und eine Prismabrille und soll was einfädeln oder einsortieren…

Dass es so schwierig ist, konnte ich mir bei aller Empathie nicht vorstellen, bis ich es ansatzweise in so einer Simulation erlebt habe.

Ich kann mir Legasthenie auch nicht vorstellen. Dass ich schlicht keine Ahnung habe, ist dabei aber vielleicht noch einfacher zu realisieren als bei dimensionalen Problemen auf dem Spektrum.

Will sagen: Wenn wir fehlende Perspektivübernahme beklagen (zu Recht) und uns das traurig macht (zu Recht), hilft vielleicht, selbst die Perspektive einzunehmen, dass es das Gegenüber gerade nicht besser weiß? Weil wir den ADHS-Parcours noch nicht gebaut haben…

Manchmal ist es auch nur eine Frage der Zeit. Ronja von Rönne hat vor 10 Jahren mal einen aus meiner Sicht recht gedankenlosen Text über Depression geschrieben. Heute sieht sie sich aus inzwischen eigener Betroffenheit wohl als eine Art Botschafterin für Depression und ADHS und schreibt Bücher und gibt Interviews dazu.

Und in dem Artikel von damals steht vielleicht, warum wir manchmal solche Reaktionen im Umfeld erleben, wenn wir die Diagnose offenlegen:

"Sie ist krank. Ich muss verstehen. Und ich verstehe tatsächlich. Nicht nur das, ich bin sogar etwas neidisch. Die Krankheit befreit meine Freundin aus dem Rennen, in dem sich der Rest von uns befindet. Ich kann mich kaum auf unser Gespräch konzentrieren, denke an Abgabefristen, Facebook-Likes, die Planung der nächsten Monate. Ich bin fast neidisch, denn C. hat sich ausgeklinkt. "

Wir sind alle auf anderen Stationen der Reise. Vielleicht kommt Dein Freund noch nach. Wie @Nelumba_Nucifera schon so gut geschrieben hat: In der Zwischenzeit findest Du andere Gesprächspartner.

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