Hallihallo, ich habe gerade erst deine Nachricht gelesen und möchte dir unbedingt aus meiner Sicht etwas dazu schreiben. Ich selbst bin jetzt 39 und habe vor drei Jahren erst die ADHS-Diagnose bekommen. Ich habe sowohl mein Abitur als auch mein Hochschulstudium mit guten und sogar sehr guten Noten geschafft. Ohne Medikamente. Ohne sonstige Hilfe. Ich hatte natürlich Unterstützung von meinem Partner und meiner Familie. Nach außen hin hat niemand etwas geahnt. Wie sehr ich aber innerlich gelitten habe, hat niemand gesehen. Ich hatte immer einen sehr hohen Anspruch an mich selbst, weil ich gespürt habe: eigentlich kann ich das. Eigentlich ist mein Hirn zu so viel mehr fähig. Aber das Lernen zu Uni-Zeiten hat mich manchmal wirklich verrückt gemacht! Wie oft habe ich mir vorgenommen, „rechtzeitig“ mit der Hausarbeit anzufangen oder für die Klausur zu lernen. Seufz. Und dann war es doch wieder einen Tag vorher! 
Aber trotzdem hatte ich super Noten.
Dank schlafloser Nächte und gnädiger Professoren, die mir immer wieder mal einen oder einen halben Tag Abgabe-Aufschub gewährt haben. 
Meine Professoren waren völlig perplex, als sie dann zum Teil irgendwann von meiner ADHS-Diagnose erfahren haben. Ein Professor meinte: Aber du warst doch immer so organisiert und hattest immer alles ganz ordentlich auf dem Tisch! Woraufhin ich ihm geantwortet habe, ja, ich musste mein Material im rechten Winkel ganz perfekt und ordentlich auf dem Tisch haben, ohne irgendwelche Ablenkungen, weil in meinem Hirn schon so ein Chaos ist, dass ich nicht auch noch äußeres Chaos gebrauchen kann. Mittlerweile vermute ich bei mir auch noch Autismus, der aber jahrelang durch die stärkere ADHS-Symptomatik überdeckt wurde. Das ist aber noch nicht diagnostiziert, ist nur eine Vermutung von mir, weil manche ADHS – Merkmale bei mir gar nicht zutreffen, eben eher auf Autismus hindeuten. Vielleicht ist das bei dir auch der Fall? Das würde dann auch eher untypische ADHS – Symptome erklären. Es ist schon schwierig genug, Menschen zu finden, die sich mit ADHS bei Frauen wirklich auskennen, noch dazu mit der unaufmerksam Variante. Noch viel schwieriger wird es, jemanden zu finden, der sich mit AuDHs auskennt (Autismus plus ADHS) und NOCH schwieriger wird es dann, wenn auch noch Hochbegabung mit ins Spiel kommt. 
Auf jeden Fall hat bei mir die hohe Intelligenz auch dafür gesorgt, dass ich es sehr lange ausgleichen und kompensieren konnte. Erst durch das Referendariat (ich bin Gymnasiallehrerin) und dann erst recht durch die Mutterschaft (ich habe drei Kinder) ist bei mir der Stress so groß geworden, dass es nicht mehr ging. Wie bei dir eben mit der Berufstätigkeit.
Und da ich auch bei meinen Kindern erkannt habe, dass da irgendwelche Neurodivergenzen im Spiel sind, wollte ich zuerst bei mir Klarheit bekommen und in meinem Leben aufräumen, bevor ich bei den Kindern die Diagnosen angehe. Mir ist bei meiner Tochter schon recht früh aufgefallen, dass sie ein paar sehr typische ADHS-Merkmale hat. Allerdings ist es bei ihr sehr ähnlich wie bei dir: Sie ist eher ruhig, hat die Hyperaktivität eher innerlich, nicht so sehr äußerlich. Sie ist sehr intelligent, in der Schule kommt sie super klar, schreibt lauter Einser, maximal eine Zwei. Ich höre von außen immer, was für ein liebes und angenehmes Kind sie ist. Zuhause verzweifeln wir regelmäßig mit ihr, weil sie keinen Antrieb hat, nur lethargisch auf dem Sofa hängt, es superschwer ist, sie zu irgendetwas Abstrengenderem oder Langweiligeren zu motivieren. Ganz starke RSD-Momente hat sie häufig, wenn wir etwas von ihr verlangen oder sie auf etwas hinweisen, weil sie sich dann unglaublich schnell zutiefst angegriffen und unverstanden fühlt. Sie tut sich unglaublich schwer mit Aufgaben, die eine Art von Priorisierung oder gutes Arbeitsgedächtnis & exekutive Funktionen erfordern, wie zum Beispiel Tischdecken, anziehen, Dinge, die eine gewisse Reihenfolge haben und die man vorher durchdenken muss. Ich weiß nicht, ob dir so etwas auch schwerfällt oder eher nicht? Sie ist auch extrem langsam bei vielem (immer die letzte, die den Klassenraum verlässt, aus dem Auto steigt usw.). Sie hat, ähnlich wie du, ein sehr großes Ruhebedürfnis, weil sie die allgemeinen Anforderungen im Leben (Schule und zwei sehr aktive kleinere Geschwister 
) so stressen, dass sie viel Regenerationszeit braucht, um überhaupt zu funktionieren.
Andererseits ist sie supersportlich und klettert Routen, bei denen die Erwachsenen mit den Ohren schnackeln! 
Ganz stark haben bei ihr übrigens Schlaf, Bewegung und Essen Auswirkungen auf ihre Symptome. Obwohl sie schon neuneinhalb Jahre alt ist, müssen wir ganz stark darauf achten, dass sie früh genug schläft, regelmäßig isst und sich ausreichend bewegt. Sie hat eine Zeit lang viel Sport gemacht. In der Zeit waren die Symptome wesentlich weniger stark ausgeprägt als im Moment. Jetzt macht sie kaum noch Sport und wir merken ganz stark, wie ihr Dopaminhaushalt dadurch durcheinander gerät, bzw. sie wirklich nur noch für die Dinge Kraft hat oder funktioniert, für die sie muss. Also in der Schule hauptsächlich. Aber wie gesagt, nach außen hin funktioniert sie super.
Deshalb waren bisher auch zwei Diagnosen unauffällig bei ihr. Sie kann so super maskieren und kompensieren, dass es bei den Tests nicht auffällt. Die Tester haben uns jedes Mal gesagt: das, was Sie erzählen von dem Verhalten zu Hause, klingt stark nach ADHS. Aber unsere Tests geben das leider nicht her.
wir haben jetzt im Februar zum dritten Mal ein Diagnoseverfahren, für beide Töchter, und ich hoffe sehr, dass meine Mädels diesmal gesehen werden. Bei meiner mittleren Tochter vermute ich zu der ADHS noch PDA-Autismus/Autismus allgemein. Ihre Merkmale sind viel offensichtlicher nach außen und sie maskiert nicht so stark wie die Große, bei ihr wird es vermutlich leichter sein. 
Zu dem „Nebel im Kopf“: Was du beschreibst von deinem Hirn und wie sich das anfühlt im Kopf, das kenne ich sehr gut, diesen Zustand. Ich würde es als eine Art Brain Fog bezeichnen. In diesen Momenten habe ich das Gefühl, dass ich weder denken noch fühlen kann. Ich starre vor mich hin. Es ist ein ganz seltsames, leeres, taubes Gefühl im Kopf. Als Kind und Jugendliche hatte ich es häufiger, mittlerweile nicht mehr so oft. Ich habe das auch meinem Therapeuten erzählt, er konnte irgendwie nicht verstehen, was ich meine. Für mich fühlte es sich irgendwie immer so an, als würde ich nicht richtig fühlen können. Er meinte, die Emotionen, die ich in der Therapie im Zusammenhang mit dem zeige, was ich erzähle oder was er sagt, passen sehr gut zusammen, weshalb er nicht denkt, dass ich da irgendein Problem mit den Gefühlen habe. Mittlerweile habe ich schon von mehreren neurodivergenten Menschen ähnliche Beschreibungen gelesen und es macht für mich jetzt Sinn, dass das mehr mit meiner Hirnstruktur zu tun hat als allgemein mit der Fähigkeit, „richtig empfinden zu können“.
Ich habe die Vermutung, dass es etwas mit meinem Zyklus zu tun haben könnte, aber auch mit Stress und Schlafmangel usw. Ich habe bisher aber noch nicht den einen auslösenden Faktor dafür gefunden. Wie hast du das im Zusammenhang mit Stress, Zyklus etc. bei dir beobachtet?
Ich nehme jetzt übrigens seit einiger Zeit Elvanse und habe das Gefühl, dass es mir sowohl bei Konzentration und Prokrastination hilft, dass ich eben nicht mehr alles hinausschiebe und es mir tatsächlich viel leichter fällt, die unangenehmen, langweiligen Alltagsdinge zu anzugehen und zu bewältigen. Vorher war es manchmal schier unmöglich, die Spülmaschine aus- oder einzuräumen, Wäsche zu waschen oder, noch schlimmer, zusammenzulegen und wegzuräumen, zu kochen usw. Aber vor allem hilft mir Elvanse auch bei der Emotionsregulierung gegenüber den Kindern und meinem Mann.
Also, ich weiß nicht, ob dir das jetzt geholfen hat, das besser einzuordnen, und wenn du Interesse hast, noch mehr speziell über die Merkmale/Verhaltensweisen meiner Tochter oder mir zu erfahren und warum ich mir sicher bin, dass es bei meiner großen Tochter ADHS ist, schreib mir gern, dann kann ich mal noch genauer berichten. Aber jetzt ist der Roman hier schon lang genug.
Alles Gute dir weiterhin auf deinem Weg zu dir und dem Verständnis von deinem Hirn.
🫶🏽