Hirnentwicklung und "geistiges Alter"

Hallo zusammen,
diese Frage formuliere ich aktuell aus einem eher traurigen Anlass. Wobei sie mich aber irgendwie schon seit Jahren beschäftigt hat, auch wenn ich da noch nichts von meinem ADS wusste.

Es geht darum, dass ich schon lange das Gefühl habe, in meiner Entwicklung den meisten Leuten meines Alters (bin 32) stark hinterher zu hinken. Sei es mit Bildungsabschlüssen bzw beruflich als auch in den mehr oder weniger typischen „Lebensabschnitts-Dingen“ wie Ablösung von den Eltern, eigene Wohnung, Partnerschaft, Familengründung usw. Damit möchte ich keinesfalls behaupten, dass dies Dinge sind, die notwendig oder „normal“ wären, ohne die ein erfülltes oder „sinnvolles“ Leben nicht denkbar sei und die daher für jeden Menschen erstrebenswert sein müssten. Absolut nicht! Alle Lebensentwürfe und -geschichten haben ihre Berechtigung. Es ist jedoch schlimm für mich, mir eben jenes zu wünschen und (noch?) nicht dazu in der Lage zu sein.

Auch was meine Interessen angeht schätze ich mich selbst recht „kindlich“ ein. Ja ich weiss, es gibt unzählige Erwachsene, die sich mit Hobbys beschäftigen, die man eher bei Kindern oder Jugendlichen erwarten würde. Es ist eher deren Intensität bei mir, den Stellenwert, den ich ihnen in meinem Leben gebe (wenn nicht zeitlich, dann aber dennoch emotional). Ich bin ein hoffnungsloser Tagträumer und diese Träume sind nicht unbedingt realistisch in vielen Fällen. Ich hatte das bisher aber auch als Qualität betrachten können.

Im Verhalten und Fühlen scheine ich auch unreif zu wirken, wie ein Jugendlicher in der Pubertät (ausser auf der Arbeit wo es mir -hoffentlich- gelingt, die „Maske“ der Professionalität zu tragen). Unpassende Dinge sagen und machen, Albernheit, ein brodelnder „Gefühlsvulkan“ sein (auch wenn man mir die Gefühle meist nicht ansieht und ich sie oft nicht deuten kann, sie sind sehr intensiv), keine Ordnung halten können, den Alltag kaum eigenständig organisiert bekommen … usw.

Ihr denkt jetzt vermutlich „Ja, das kennen wir doch. Das ist halt ADxS“.
Ich weiss nicht so recht, wie ich das hier auf den Punkt bringen kann, worum es mir geht. All das ist ja eigentlich vollkommen ok. Aber es hört auf ok zu sein, wenn jemand darunter leidet. Das bin in einigen Punkten ich, in anderen Punkten Menschen in meinem Umfeld. Vieles wird mir immer wieder zum Vorwurf gemacht.

Das ist auch der Anlass, aus dem ich schreibe. Der Mensch den ich liebe hat mich vor kurzem verlassen aus (unter anderem) genau diesen Gründen. Der Mensch sagte, sie_er könne mich nicht als Partner auf Augenhöhe sehen, nichtmal als erwachsenen Menschen. Ich würde mich für sie_ihn eher wie ein Kind anfühlen, um das sich gekümmert werden muss. Das hat mich unheimlich verletzt und mein ohnehin über die Zeit stark angegriffenes Selbstwertgefühl weiter geschädigt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine mir wichtige Person sich aus diesen Gründen von mir abwendet.

Was ist nun mein Anliegen? Ich würde gern mehr über die tatsächliche Verzögerung in der Hirnentwicklung bei ADxS erfahren. Ich habe gehört, dass wir im Durchschnitt Menschen ohne ADxS 5-6 Jahre hinterher sind, sich das aber im Laufe des Lebens „auswachsen“ würde. Wer weiss dazu mehr? Wo kann man darüber etwas lesen?
Ich würde mich über eure Antworten freuen.

LG,
schnuppi

In etwa so habe ich es auch schon mehrfach von meiner Partnerin zu hören bekommen, auch dass ich ihr deswegen keinen Halt spenden könnte. Scheint bei mir wohl auch auffällig zu sein (bin Mitte 30). Wobei sich bei mir im letzten Jahr dahingehend einiges geändert hat. Ich spiele keine Computerspiele mehr, bin mit der Ortschaft zufrieden, in der wir wohnen, kann mir Wohneigentum und eine Familie vorstellen. Also ich mache zumindest Schritte in Richtung Erwachsenwerden.

Hallo Drei. Wie fühlst du dich, wenn sie dir das sagt? Wie gehst du damit um?
Ganz ähnlich wurde mir das durch meinen Menschen auch mitgeteilt. Es macht mich so traurig, weil ich so gern eine Unterstützung wäre in seinem_ihrem Leben. Aber ich merke auch selbst, dass es die Wahrheit ist und ich das nicht leisten kann. Ich frage mich, ob ich jemals in der Lage sein werde, einer anderen Person Halt geben zu können und wie ich dort hin kommen kann.

Hm… schade, dass du darunter so leidest… ganz genau verstehe ich das noch nicht… also eine Beziehung ist ja jetzt auch nicht per se unbedingt darüber definiert, dass jeder dem anderen „Halt geben“ muss…

… so ganz leise kommen mir da gewisse Fragezeichen… ob das von Seiten deiner jeweiligen Partner nicht auch aus Gründen ihrer eigenen Persönlichkeit heraus so betont wird… dann sind sie vielleicht über die Maßen haltbedürfrig und dann bist du in dem speziellen Fall nicht der/die Richtige… aber ich finde meinen Mann und mich auch nicht in jeder Hinsicht „reif“… und das mit Ü50/Ü60…

Das heißt für mich jedenfalls nicht, dass du deshalb für eine Partnerschaft nicht geeignet wärest!

Du bist du und lass dich nicht durch sowas abwerten!

Jeder ist liebenswert so wie er ist, wenn es nur um Reifedinge geht.

Wenn da natürlich noch andere Dinge sind, an denen man arbeiten sollte und die man reflektieren müsste… dann könnte man vielleicht in einer Therapie mal schauen, wo solche Punkte sind…

In einem Vortrag über Lernen und Hirnforschung hieß es, dass das normale menschliche Gehirn und damit die Persönlichkeit erst mit etwa 25 Jahren ausgereift ist.

Dann die paar Jahre Verzögerung durch ADxS dazu gerechnet, dann bist du ja fast noch im Rahmen!

Also… ich weiß nicht… ich denke, du solltest dich einerseits nicht zu sehr herunterziehen lassen und andererseits vielleicht mal schauen, welche Punkte mit der Unreife gemeint sind und ob das wirklich dein Problem ist oder nicht doch vielmehr ein nicht wahrgenommenes Problem der anderen…

Ich muss zugeben, dass das für mich tatsächlich frustrierend ist, da es dadurch eine Lücke in den Bedürfnissen meiner Partnerin gibt, die ich nicht ausfüllen kann. Ich scheine es aber an anderer Stelle zu kompensieren, da wir ja immer noch zusammen sind.

Ich gebe mal folgendes zu Bedenken: Klar, man kann auch als ADHSler so hart an sich arbeiten, dass man irgendwann die Erwartungen der Umwelt so halbwegs erfüllt, auch in Beziehungsfragen. Dummerweise klappen viele, die das über Jahre vermeintlich erfolgreich praktiziert haben, irgendwann zusammen. Warum, dürfte klar sein…

Möglicherweise wird man als ADHSler glücklicher, wenn man sich damit abfindet, in seiner Entwicklung nicht einfach verzögert zu sein, sondern dass man wohl nie richtig erwachsen werden wird, zumindest nicht in den Kategorien der Neurotypiker. Das dadurch entstehende Ungleichgewicht in der Beziehung ist etwas, was mMn von beiden Seiten akzeptiert werden kann, wenn die typischen positiven Eigenschaften des ADHSlers erfolgreich in die Waagschale geworfen werden können.

Was im übrigen nicht heißen soll, dass man nicht dennoch immer versuchen sollte, sich weiterzuentwickeln, aber eben nach eigenen Maßstäben.

@schnuppi

Hier kannst du lesen, dass die verzögerte Hirnentwicklung nur im Kindes- und Jugendalter eine Rolle spielt und danach aufgeholt wird, also im Erwachsenenalter keine Rolle mehr spielt:

<LINK_TEXT text=„ADHS bei Kindern: Verzögerte Hirnentwicklung … ntwicklung“>ADHS bei Kindern: Verzögerte Hirnentwicklung</LINK_TEXT>

Das bedeutet, dass dein „Problem“ vermutlich lediglich indirekt durch ADHS bedingt ist.

Vielleicht ein Trost für das spätere „reifen“: nach (nicht nur meinem, allerdings durch und durch unwissenschaftlichen, also sehr privaten) Eindruck werden AD(H)Sler auch langsamer alt. Ich staune immer wieder, wie viele AD(H)Sler rein optisch und auch von der Lebendigkeit her mit 50 durchaus für 40 oder Mitte 40 durchgehen…
Klar, schwacher Trist, wenn man AD(H)S-symptomatisch auf kurzfristige Belohnungen steht… Aber der Trost kommt, höchstwahrscheinlich.

Hm…
Es gibt doch so Software, bei der man Bilder hochlädt, und die Software ermittelt dann das optische Alter…
Das könnte man doch glatt in einen kleinen Onlinetest verwandelt…
„Bitte lasse einen Freund drei aktuelle Portaits von Dir machen und lade diese auf XYZ hoch. Welches Alter wurde ausgegeben ?“

Und danach mache ich eine Umfrage, welche Umfragen wir noch machen könnten :wink:

Schöner Unfuch…

VG UlBre

Das kann ich bestätigen.

Ich würde eine Beziehung auch nicht darüber definieren, aber finde, dass es ebenfalls dazu gehören sollte. Es kann gut sein, dass mein_e Partner_in im Moment hilfsbedürftiger ist als gewöhnlich, da auf seiner_ihrer Seite neben den dauerhaften Belastungen auch ein Schicksalsschlag der jüngeren Vergangenheit dazu kommt. Da kann ich tatsächlich nicht viel mehr tun, als da sein und zuhören, wenn das gewünscht ist. Das schien ihm_ihr aber nicht zu reichen bzw ich konnte auch das nicht in der benötigten Form tun, da sie_er sich eher Zuwendung durch eine Person in ähnlicher Lebenslage wünscht. Diese Info bekam ich aber erst im Laufe des Trennungsgesprächs.
In Therapie bin ich wegen Depressionen, komme da aber zur Zeit nicht so recht weiter.

Welche positiven Eigenschaften zählst du denn dazu? Inwiefern könnten diese in einer Beziehung hilfreich sein?

Danke dir für den Link, das war die Info, die ich gesucht hatte.

Hm, ich werde mit meinen 32 Jahren meist für gerade mal 18 bis Anfang 20 gehalten. Das liegt vermutlich auch daran, dass ich trans* bin und gerade körperlich in der „männlichen Pubertät“ stecke, an meinem Kleidungsstil… und vielleicht also auch am ADS. Interessant. Wobei ich sagen muss, dass ich diese Tatsache mal positiver mal negativer bewerte. Ich habe tatsächlich noch nie in meinem Leben die Erfahrung gemacht, von meinem privaten Umfeld oder auch Fremden Menschen durchgängig als erwachsene Person behandelt zu werden. Zumindest habe ich das Gefühl, dass das so ist.

Auch in Beziehungen halte ich die Klassiker für bedeutsam: Humor, Spontanität, Kreativität, Steh-auf-Männchen-Mentalität, kühler Kopf bei Gefahr usw.

Es wird schließlich nicht nur der Alltag verwaltet…

… hm… vielleicht hast du ja auch leichte Elemente aus dem Autismus-nahen Bereich des ADHS… ich kenne das von meinem Mann, der ist auch so in dem Bereich, was das erkennen der Gefühle anderer Menschen und entsprechend darauf einzugehen, quasi blind… und dennoch leben wir eine Ehe und ich bin immer wieder froh, mit ihm zusammen zu sein. Und die Autismusdiagnostik unseres Sohnes brachte bei meinem Mann und mir so einen allmählichen Prozess im Stillen in Gang, der irgendwann dazu führte, dass er mir gegenüber dann auch mal sagte, dass er mit Gefühlen der anderen Menschen, also auch bei mir, immer sehr unsicher sei. Im Grunde imitiert er in solchen Situationen dann das Verhalten, das er bei anderen so beobachtet hat… es ist aber irgendwie nicht so ganz authentisch, das merke ich immer wieder… bei meinem Vater ist es auch so… und der ist auch seit über 50 Jahren verheiratet… allerdings hat meine Mutter ihn manchmal ganz schön fertig gemacht… dabei vermute ich bei ihr volles ADHS… beide sind natürlich nicht diagnostiziert… und wollen davon in ihrem Alter auch um Himmels Willen nichts wissen.

Also deshalb bin ich der Meinung, es hängt von den Bedürfnissen des/der jeweiligen Partner ab, ob man das eben so als gegeben nimmt oder ob es nicht geht.

Du jedenfalls bist OK so und lass dir deswegen bloß nix einreden!

das hat doch auch Vorteile… ich bin 32, wirke aber äußerlich wie auch psychisch wie 25… Zielgruppe bei den Chics ist auch um die 25, mit 25 war das scheiße hoch 10, im etwas weiteren Alter profitiert man sogar davon…

:?

Ich fühle und benehme mich wie ein 23 Jähriger, bin leider deutlich mehr als zehn Jahre älter.

Ich bin auch nicht so alt, wie ich bin :innocent:

Es heist immer „Gegesätze ziehen sich an“. Genau so würde ich das nicht unterschreiben. Aber ich denke das ein Partner auch von einem Adhsler oder einer kindischen Art provitieren kann, insbesondere wenn beide von den stärken und schwächen wissen. Vermutlich dauert es aber oft etwas länger den richtigen zu finden. Und gerade in jungen Jahren verändert sich auch sehr viel, woran dann viele Beziehungen scheitern, wenn der Mensch auf einmal eine andere Seite zeigt. Vielleicht passiert das bei ADHS erst später?

Ich finde ohne (teilweise) kindliches Verhalten wäre es ja auch furchtbar langweilig. Irgendwer muss sich ja darum kümmern! Kennt ihr die Sparkassenwerbung mit dem Kuchen? Sparkasse - Kuchen Werbung 2011.mp4 - YouTube