Ist eine Diagnostik vielleicht nachteilig?

Mein Sohn wird 6. Niemand aus unserer Familie hat bisher eine Diagnose, allerdings bin ich überzeugt davon, dass ich ADS habe und der Papa im Autistischen Spektrum liegt. Alle Tests, die ich hier für uns gemacht habe, weisen auch deutlich darauf hin.

Unser Sohn ist ein fröhliches Kind, das viele Freunde hat und überwiegend sozial kompatibel ist. Es gab jedoch ein paar Vorfälle in der Vorschule (Toiletten überlaufen lassen, einem Kind ins Gesicht hauen inkl. kaputter Brille). Aktuell läuft es prima. Es gibt eigentlich keinen offensichtlichen Grund zur Besorgnis.

Ich sehe jedoch auch

  • starkes Knirschen mit den Zähnen nachts
  • Fingernägel kauen
  • Lippen zupfen
  • Ticks, wie rhythmische Atembewegungen während konzentrierter Phasen, aber auch beim Sport usw.
  • Zeitprobleme („Was gibt’s zum Frühstück“ am Abend oder „Kann ich gleich noch spielen bevor ich ins Bett muss?“ zur Mittagszeit)

… und zahlreiche weitere Hinweise. Er ist auch uns Eltern gegenüber recht impulsiv, haut z. B. schnell, wenn er seinen Willen nicht bekommt.

Nun habe ich das bei der Kinderärztin angesprochen und sie hat direkt Ergotherapie empfohlen und uns gleichzeitig Adressen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie mitgegeben. Sie empfiehlt, dass wir bald mit der Diagnostik starten und uns jetzt schon auf Wartelisten setzen lassen.

Einerseits möchte ich das sehr, weil ich die Gefahr sehe, dass unser Kind eine Kombination aus ADHS, Autismus und Hochbegabung geerbt haben könnte und in seinem Inneren z. B. zwischen Desorganisation, Impulsivität (vom ADHS) und hohem perfektionistischem Anspruch bei hoher Reizempfindlichkeit zerrieben wird. Ich finde ja mein ADS Gehirn schon sehr anstrengend… Dafür möchte ich empfindsam bleiben und möglichst viel wissen, um gute Entscheidungen für ihn zu treffen. Und natürlich dass er später gute Entscheidungen für sich treffen kann.

Andererseits bin ich nicht sicher, ob das nicht auch große Nachteile bergen könnte. Aktuell gibt es ja keinen (offensichtlichen) Leidensdruck und auch keine klare Lage, dass er auf jeden Fall irgendeine der drei Besonderheiten wirklich geerbt hat.

  • Könnte ihn eine (vielleicht sogar falsche) Diagnose im Kindesalter später im Weg stehen, wenn er z. B. im Gesundheitswesen arbeiten möchte oder wenn er verbeamtet werden möchte? Oder verjährt eine Diagnose irgendwann?
  • Zusatzversicherungen, Wechsel von Versicherungen, …?
  • schulische Folgen, z. B. dass durch die Diagnose die Schule leichter ohne unsere Zustimmung ein AO-SF Verfahren einleiten könnte o. Ä.?

Andere Folgen?

Ich bin total unsicher, ob wir wirklich jetzt die Diagnostik anstreben sollten oder noch warten sollen… Was meint ihr?

Meine Idee wäre , sich auf eine Warteliste setzten zu lassen , weil es vermutlich eh länger dauert bis es zu einem Termin kommt.

Ergo würde ich auf jeden Fall machen, weil ihr dann unabhängig zur Diagnose eine Zweitmeinung habt . Dann in Ruhe sich weiter mit dem Thema auseinandersetzen und wenn es dann nicht stimmig ist könnt ihr den Diagnosetermin immer noch absagen.

Was eure Zukunftsperspektiven betrifft . Versicherung Beruf etc. steht es eh in den Sternen und ein nicht behandeltes ADHS könnte ebenso die Berufsfindung erschweren oder doch noch eine Diagnostik notwendig machen.

Wenn Diabetes im Raum stände würdest du doch auch nicht darüber nachdenken ob es Auswirkung auf Versicherung etc. hätte und nicht zum Arzt gehen.

Ich war in jungen Jahren in psychischer Behandlung, dementsprechend waren und sind einige Versicherungen für mich nicht möglich .

Aber ich hätte auch keinen Vorteil daraus wenn ich auf die Behandlung verzichtet hätte und nun rund um versichert wäre, weil ich hätte vermutlich nicht dass erreicht was mir doch noch gelungen ist.

Aber Ob ihr vielleicht jetzt schon was absichern könnt, dass weiß ich nicht.

Das ist auch auf jeden Fall geplant.

Das stimmt natürlich und habe ich auch im Kopf. Ich möchte ihm auf jeden Fall benötigte Hilfe auch zukommen lassen. Nur erscheint es mir bisher nicht so, als gäbe es wirklich schon einen Leidensdruck… (Widerspreche ich mir? Mir fällt ja durchaus auf, dass er Stresssymptome zeigt. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass das vielleicht fast alle Kinder in dem Alter zeigen.) Ich habe gerade diese Angst, zu früh und ohne echte Anhaltspunkte(?) eine für ihn dann nachteilige(?) Diagnostik zu starten…

Mach dir keinen Stress , du kannst dich doch jetzt in Ruhe damit auseinandersetzen. Es ist ja richtig nichts zu überstürzen und über die Notwendigkeit nachzudenken.

Was sagen denn die Lehrer?

Ansonsten mach doch erstmal die Diagnostik für dich selbst , dann ist es vielleicht sogar einfacher später deinen Sohn darin zu begleiten wenn es notwendig ist.

Welche Nachteile könnte es denn geben?

Eine Diagnostik bietet die Möglichkeit, das Kind medikamentös behandeln zu lassen. Dafür braucht man das.

Muss man aber auch nicht.

Nachteile kenne ich nicht.

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Es ist so, dass ich das Gefühl habe, mögliche Folgen gedanklich anzureißen, aber nicht zu überblicken. Es ist nicht so, dass wir denken: „Ohje, unserem Kind geht’s schlecht. Es braucht jetzt Hilfe.“ Es ist eher so, dass ich vor dem Entstehen größerer Probleme gern wüsste, woran wir sind, damit dann im Problemfall nicht so ein großer Zeitverlust durch Diagnostik und Therapieplatzsuche verloren geht. Aber vielleicht schießen wir auch gerade mit Kanonen auf Spatzen? :face_with_spiral_eyes:

Ich antworte auf deine konkrete Frage mal mit dem Zitat von oben.

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Gesundheitswesen glaube ich nicht, hier sind ja auch sehr viele, die im Gesundheitswesen arbeiten. Verbeamtung weiß ich nicht, könnte ich mir aber vorstellen. Ist wahrscheinlich von Bundesland zu Bundesland noch mal verschieden. Hier steht was dazu. Grundsätzlich gibt es ja tatsächlich auch Menschen mit ADHS, die als Erwachsene keine Probleme mehr haben.

Berufsunfähigkeitsversicherung wird vermutlich schwierig. Guckt Du hier. Ähnlich wird es vermutlich bei einer privaten Krankenversicherung sein.

Aber wie @Nelumba_Nucifera schon schrieb, sollte dein Sohn ADHS haben, könnte er durch die fehlende Behandlung mehr Probleme bekommen als durch die Schwierigkeiten bei Versicherungen. Wenn er momentan gut zurecht kommt, spricht ja nichts dagegen, mit der Diagnostik noch zu warten. Oder schon auf die Warteliste setzen lassen und ggf. noch mal verschieben.

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Im Moment hat unser Sohn eine Vorschullehrerin. Von ihr weiß ich, dass unser Sohn

  • Urinale verstopft und mit Wasser geflutet hat (mehrfach)
  • andere Mitschüler körperlich angegangen ist
  • das Pausenende manchmal nicht mitbekommt
  • in stillen Arbeitsphasen der Letzte ist, der noch laut spricht, aber es oft nicht merkt
  • in konzentrierter Atmosphäre laute Atemgeräusche / Grunzen macht

Sie findet das alles aber noch im Rahmen und meint, Kinder bräuchten erstmal Zeit zur Eingewöhnung. Unser Sohn selbst findet die Vorschule großartig, viel besser als die (ihm immer zu laute) Kita.

Da er allerdings in einer KESS 1-Schule, also einer Schule mit dem niedrigsten Sozialfaktor (von 1 bis 6) in unserer Großstadt (in Bezug auf Einkommen, Bildungsstand usw.), lernt, ist der Fokus der Lehrer tendenziell eher auf interkulturelle Konflikte, Sprachförderung und Elternkommunikation (Verständnis des Schulsystems, bei nicht gewaltfreien Erziehungshandlungen Einbezug von ASD usw.) gerichtet. Ich glaube ehrlich gesagt, dass dort viele Probleme, die durch Autismus oder ADHS auftreten könnten, von den vielschichtigen anderen Problemfeldern innerhalb der Schule überdeckt werden.

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Zu deinen Bedenken:

Gesundheitswesen: Nein.

Verbeamtung, in der Theorie: Nein.
Was jedoch problematisch ist, wenn man vor einer Verbeamtung in einer psychiatrischen Klinik war. Da legt der Amtsarzt oft ein Veto für die „gesundheitliche Eignung“ ein. Dagegen vorgehen ist oft schwierig. Ein mögliches Schreiben/Gutachten/Beurteilung vom zuständigen Psychiater/Psychotherpeuten kann helfen. Ist jedoch kein Garant! Seit 2013 darf eine psychische Diagnose/Krankheit kein Auschlusskriterium mehr sein, sondern muss mit im Gesamtbild zur gesundheitlichen Eignung erruiert werden.

Versicherung:
Sollte man nicht meinen. Fakt ist, ich kenne keinen ADHSler, der keine Berufsunfähigkeitsversicherung bekommen hat, NACH einer Diagnose. Ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel, weil gerade wir von sowas maßgeblich profitieren könnten. Gilt aber auch oft für andere Einschränkungen/Behinderungen.

AO-SF:
Mach dir da mal keinen zu großen Kopf. Die können es dir Vorschlagen und dich dahingehend beraten. Mehr dürfen die nicht so einfach. Die dürfen dein Kind zwar der Schule verweisen und auch vom Unterricht eine gewisse Zeit verweisen, es versetzen, oder nicht versetzen.
Alles andere ist dein Machtwort. Einfach in eine andere Schulform stecken ist nicht ohne weiteres erlaubt. Ein Verfahren zur AO-SF dürfen die ohne deine Zustimmung im Normalfall nicht einleiten.
Es gibt nur wenige Ausnahmefälle, wo eine Schule/Lehrkräfte dieses auch selbstständig einleiten dürfen, jedoch nicht ohne die Eltern/Sorgeberechtigten informiert zu haben. Und diese Gründe müssen sehr gut begründet sein.
Weiteres kannst du auch hier lesen. :wink:

Ansonsten: Die Diagnose würde deinem Kind jetzt zunächst nicht schaden, sondern nur Vorteile bringen, weil du selbst dann weißt, was du jetzt als Mutter tun kannst und weißt, was hilft. Du kannst dahingehend dann einfacher eingreifen und wenn du merkst, dass der Leidensdruck zu hoch wird, kannst du immer noch entscheiden dein Kind psychologisch/psychiatrisch unterstützen zu lassen. Ob du dein Kind jetzt schon dahingehend behandeln lässt, ist allein deine Entscheidung.

Also jetzt würde es deinem Kind nur Vorteile bringen. Je früher du es weißt, desto besser wird es am Ende laufen. Wenn du zu lange wartest und dann erst auf die Warteliste kommst, dann kann das vielleicht total in die Hose gehen, wenn schon sehr große Probleme aufgetaucht sind und der Leidensdruck ab einem bestimmten Alter plötzlich wesentlich größer wird.

Ich würds befürworten eine Diagnostik in betracht zu ziehen. Behandeltes ADHS seit Kindheit bringt für den Verlauf in der Kindheit und Jugend immense Vorteile, wenns gut behandelt und beachtet wird. :wink:

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Die Aussagen der Vorschullehrerin, wenn wir so etwas im Rückblick auf unserer Kindheit im Diagnostikbogen angeben würden, dann wären das Punkte die für ADHS gesprochen hätten.
Aber bleib mal mit der Lehrerin in Kontakt , wenn die so entspannt ist , wird sie wohl anmerken, wenn gar keine Entwicklung stattfindet.

Sollte ADHS vorliegen und behandelt werden und dein Sohn kommt dadurch besser im Leben klar benötigt z.B. so im jungen Alter keine psychologische Hilfe mehr, könnte das gar sogar ein Vorteil sein wenn es da um Versicherungen geht.

WICHTIG ! wenn ihr eine Diagnostik macht kann es ja auch sein das er gar keinen Diagnose bekommt.
Diagnostik heißt ja auch , das was ausgeschlossen werden kann.

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Du siehst es ja schon, hattest du ja später auch nochmal geschrieben. Und die Kinderärztin scheint ja auch irgendwas zu sehen, wenn sie zur Diagnostik rät.

Da kann ich aus meiner KiTa-Erfahrung sagen: Nein, tun sie nicht. Vielleicht hilft dir die Info ja?

Finde es toll, dass du dir so viele Gedanken machst und da das Beste für ihn möchtest :blush:

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Sorry, bisschen off- topic, dennoch relevant für Yellow Birds Frage bezüglich möglicher Nachteile. Wen geht meine Diagnose überhaupt etwas an???
Ich selbst habe sie nicht auf Papier (sollte ich besser, falls morgen plötzlich die Praxis schließt?) , nur eine schriftl. Legitimation für die Medis, Art und Dosierung. Hausarzt weiss Bescheid und es gibt wahrscheinlich Vermerk in meiner Akte aufgrund Überweisung wg. Blutwerte etc. Kann das relevant sein sein für Versicherungen.o.ä.?

@YellowBird: Ich sehe nämlich auch gar keine Nachteile einer diagnostischen Abklärung, auch nicht für dich selbst, falls du das auch erwägst. Klarheit ist immer besser, Unklarheit finde ich eher überfordernd…
Und vll kann er von Medis profitieren, da sie er sein bisher impulsives Verhalten besser steuern kann.

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Wenn Du eine private Krankenversicherung oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen möchtest, musst Du bekannte Diagnosen angeben. Manchmal sind diese Angaben auf die letzen x Jahre limitiert.

Deinen Arbeitgeber nicht, ob man sie jedoch beim Betriebsarzt (falls es einen gibt) angeben muss, weiß ich nicht sicher.

Hallo YellowBird,

die wichtige Frage ist nicht, ob die Diagnose Nachteile hat, sondern ob die Vorteile die möglichen Nachteile überwiegen.

Ganz bestimmt tun sie das. Es wäre fahrlässig, jetzt nichts zu machen, du siehst ja dass sich die Schwierigkeiten so langsam zusammenbrauen. Und da möchtet ihr vorbereitet sein und nicht die Zeit einfach verstreichen lassen. Das finde ich richtig.

Eine falsche Diagnose verbaut gar nichts. Wenn auf eine Diagnose keine Behandlung folgt oder nur eine kurze erfolglose, und die Probleme verschwinden von selbst, interessiert sich da später niemand für.

Eine richtige Diagnose kann Wege verbauen, klar, falls dein Sohn mal eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben will oder eine Verbeamtung. Um das zu verhindern, müsstet ihr nicht nur jetzt, sondern bis zum Erwachsenwerden darauf verzichten, Hilfe zu bekommen, und ihm die Kindheit und Jugend und euch das Familienleben versauen.

Keine Option, oder?

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Wenn man das Kind irgendwann in die private Krankenversicherung wechseln lassen möchte, kann es problematisch sein. (Wie oben erwähnt). Sonst sehe ich keine Nachteile.

Wenn die Kinderärztin es vorschlägt, könnte ja was dran sein und hätte ich es an deiner Stelle gemacht.
Warteliste SPZ dauert hier 7-8 Monate bis Termin, noch Zeit genug zum Absagen :crazy_face: