Medikation und Identitätsprobleme

Guten Tag :sun_with_face:

Seit ich ADHS Medikamente nehme, beschäftige ich mich ständig mit der Frage, wer ich wirklich bin. Also das tat ich auch schon davor ausgiebig, aber seit der Medikation noch mehr, was mir ab und zu Angst macht.

Ich habe letzte Woche Elvanse pausiert und nach und nach kamen wieder die typischen Probleme zurück. Vor allem war ich emotional wieder schnell aufgewühlt, sowohl positiv als auch negativ. Heute habe ich wieder mit der Einnahme begonnen und merke sehr stark die Diskrepanz zwischen der letzten Woche und jetzt. Die Gefühle sind „gedämpfter“ also sie schlagen keine Purzelbäume mehr und ich fühle mich „normaler“. Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber trotzdem hinterfrage ich ständig mein Gefühlsempfinden. Bin das wirklich ich? Wie bin ich eigentlich? Was ist denn nun meine Persönlichkeit? Chaotisch und sensibel oder ordentlich und fleißig?
Soll das so wirken?

Außerdem hinterfrage ich meine Alltagsführung und frage ich mich ständig, ob das alles überhaupt sinnvoll ist, was ich tue.

Gerade in Bezug auf das Roboterempfinden, bin ich mir wirklich sehr unsicher, ob das bei mir der Fall ist, weil eben die Emotionen nicht mehr sooo stark und wechselhaft sind. Vieeeel ruhiger im Kopf. Leider bin ich dann in Katastrophengedanken gefangen und male mir aus, dass es der Beginn einer Depression sein könnte und ich mir früher oder später das Leben nehmen könnte. Versteht mich nicht falsch. Ich möchte leben und mir nichts antun und ich bin mir sicher, nicht depressiv zu sein, aber sind halt einfach nur Befürchtungen und vielleicht weiß ich einfach noch nicht, wie ich meine „neuen Fähigkeiten“ durch die Medikation nutzen könnte und wie ich mein Leben gestalte.

Ich weiß auch nicht, ob man überhaupt nachvollziehen kann, was ich hier geschrieben hab… bin ich ja selbst gerade verwirrt, aber um nochmal auf den Punkt zu kommen:

Kennt jemand dieses Gefühl, als wenn man quasi 2 Identitäten hat? Sprich die unmedikamentierte und die medikamentierte? Hat man jetzt eine andere Persönlichkeit und Wesen?

Muss man sich quasi einfach neu kennenlernen?

Ich fühle mich leicht verzweifelt durch diese Fragen und Sorgen :frowning:

7 „Gefällt mir“

Huhu liebe @Danisahne
Danke für deinen spannenden Beitrag.

Ich kenne das selbst mit den 2 Persönlichkeiten nicht so. Auch ohne Medis bin ich noch ich (dachte ich zumindest bislang) und an manchen Tagen zB wenn ich morgens früh direkt ins Gym gehe, dann bin ich ohne Medis top gelaunt und voller Energie

Es liegt aber sicher daran, dass jede Adhs Einschränkung bei jedem einen anderen Schwerpunkt hat. Zum Beispiel ist mein Schwerpunkt eindeutig die Arbeit und dort auch die soziale Interaktion mit anderen.

Der Job gelingt mir Elvanse besser in Punkto Struktur, Energie und Konzentration, allerdings habe ich festgestellt, dass ich mit Elvanse dazu neige mich menschlich zurück zu ziehen. Völlig verrückt, kann ich garnicht gebrauchen.

Die Frage ist - und das reflektiere ich gerade durch deinen Beitrag - ist jetzt der Wunsch ohne Menschen um mich drum herum zu sein im job vielleicht wirklich meine wahre Persönlichkeit? Und bin ich sonst nur so gern mit anderen zusammen quasi auf der Jagd nach Dopamin was ich durch Elvanse nicht mehr brauche?

Wenn das so wäre, dann kostet das arbeiten gegen die Persönlichkeit viel Energie und ist nicht sinnvoll.
Es macht dann unglücklich und auch krank auf Dauer

Da hast du mir eine Hausaufgabe gegeben, da muss ich mal intensiv drüber nachdenken.

Danke für deine Idee :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Ja, ich hatte am Anfang auch solche Phasen, jetzt auch ab und zu. Ich hinterfrage nicht nur meine Persönlichkeit, sondern auch meine Entscheidungen im Leben. Ich sehe jetzt klarer und leider auch alles, was ich in den Jahren aus Selbstmitleid, Angst und „Faulheit“ verpasst habe.

Aber, das hier sollte so nicht sein und wäre für mich ein Indiz für eine Überdosierung.
Seit wann nimmst du Elvanse und wieviel? Hast du davor MPH gehabt oder ist Elvanse dein erstes Medikament?

Bei mir ist das verschwunden. Ich habe plötzlich seit einem Monat die Lust mit meinen Kolleg*innen und anderen Bekannten zu quatschen und suche sogar selbst das Gespräch. Ich hoffe, es bleibt auch so. Und langsam glaube ich, dass bei mir nicht nur Elvanse der Auslöser dafür war, sondern die Situation der letzten 3 Jahren, wo ich 2/3 im Homeoffice arbeitete. Vielleicht bin ich sozial faul geworden.

1 „Gefällt mir“

Hallo @Lea ,

Ich danke dir für deine Antwort und freue mich, dass dir mein Beitrag Input gegeben hat :slight_smile:

Genau das gleiche stelle ich bei mir auch fest, aber in Bezug auf den Medienkonsum. Früher war es so, dass mir YouTube und co so eine Art Kick gegeben hat und viele Glücksgefühle ausgeschüttet hat. Ich bin dann ständig von Video zu Video gesprungen und konnte nicht mehr aufhören. Während der Wirkzeit von Elvanse hingegen, bin ich nicht mehr so mit großer Begeisterung dabei und finde es nicht mehr so sinnvoll den ganzen Tag damit meine Zeit zu verschwenden.
Einerseits gut, da ich ja ohnehin mein Medienkonsum reduzieren wollte, aber andererseits interpretiere ich es als Interessenverlust und die Sorgen machen sich wieder breit, ob alles so richtig läuft. Irgendwie kann man es mir auch nie recht machen :smiley:

Wahrscheinlich fühle ich mich auch deswegen etwas hilflos, weil ich noch nie ein richtiges Hobby hatte. Stichwort: schnell gelangweilt, schnell frustriert und einfach mal dranbleiben. Also ihr wisst wahrscheinlich schon, was ich damit meine :smiley:
Da kam halt einfach der Medienkonsum sehr gelegen, da schneller Taskwechsel, wenn ich kein Bock mehr hatte und und und. Deswegen fühle ich mich etwas aufgeschmissen und weiß noch nicht so recht, wie ich mich selbst an die Hand nehmen könnte durch den Alltag, diesen einfach nach meiner Zufriedenheit ausfüllen.

Da komme ich dann zur Frage von @allmighty
Ich nehme zur Zeit 20 mg und habe vor Elvanse 1 Jahr Medikinet genommen. Elvanse bekomme ich seit November 22 verschrieben.

Mit dem Robotergefühl bin ich mir einfach nicht so sicher, ob sich das wirklich so anfüllt oder ich etwas missinterpretiere. Es ist nicht so, dass ich vollkommen kalt geworden bin und nur noch funktioniere (davon bin ich noch gaaanz weit entfernt), aber als ich wieder für ein paar Tage Elvanse ausgesetzt hab und seit heute wieder nehme, merke ich einfach diesen krassen Unterschied: Letzte Woche war das eine Achterbahn der Gefühle und heute ist es so ruhig und eher neutral/normal von der Stimmung her.

Vielleicht ist man ja sonst nichts anderes gewohnt, außer innerlichen Stress und Verzweiflung und durch die jetzige Ruhe, füllt es sich einfach „unnormal“ entspannt an? So von wegen „Das kenne ich ja gar nicht von mir“

Einfach diese starke Diskrepanz, weil es mit Elvanse emotional geradliniger ist und ich Angst habe, dass es ein Zeichen ist, dass meine Gefühle ausgeschaltet werden. Oder ist das schon ein Zeichen einer Überdosierung?

Ach Mann, jetzt merke ich schon wieder, dass ich ständig unsicher bin und alles hinterfrage, anstatt sich mal zurückzulehnen. Durch die Stimmungsschwankungen ohne Medis geht es mir nicht gut, kann mich selbst nicht leiden und durch die Medis sind sie nicht mehr so da und schon mache ich mir trotzdem Gedanken, ob ich jetzt emotional kalt werde :sweat:

Ich meine, was soll man denn zu dieser Angelegenheit großartig schreiben? Es klingt doch irgendwie schon bescheuert, was ich hier gerade schreibe. Ihr müsst doch bestimmt denken „omg was redet die da“? Das frage ich mich gerade ja selber!

Eigentlich sollte ich doch froh sein, aber ich bin einfach ein Mensch, der alles hinterfragt und schnell zu verunsichern ist, viel grübelt, alles zerdenkt….

Wie fühlt sich denn für euch Ausgeglichenheit an? Seit ihr von der Stimmung her eher neutral, fröhlich oder wie?

Auch wenn ich schon seit über einem Jahr ADHS Medikamente nehme, habe ich mich immer noch nicht richtig kennengelernt und bin noch nicht angekommen.

2 „Gefällt mir“

Hallo @Danisahne

ich kann in Teilen gut verstehen was du meinst! Ich kenne zwar kein Elvanse sondern nur Medikinet, aber habe mir auch schon viele ähnliche Gedanken wie du gemacht. Es ist zwar nicht direkt das Gefühl zwei verschiedene Persönlichkeiten zu haben, sondern eher dass man sich ein bisschen neu kennenlernen kann. Daher würde ich das gar nicht als so „negativ“ sehen. Ich glaube diese harte Unterscheidung ist gar nicht nötig denn beides bist ja trotzdem DU. Und niemand sagt, dass man immer exakt gleich sein muss. Wir Menschen teilen zwar gerne in Schubladen ein, weil es das Denken vereinfacht, aber gerade in Bezug auf uns selbst sollten wir das nicht tun. Und es ist auch in Ordnung nicht immer zu wissen wer genau man jetzt ist. Ich selbst habe auch kein wirkliches Hobby außer Computerspiele und hab mich auch oft gefragt ob ich das nur wegen des schnellen Kicks mache oder mir es wirklich einfach Spaß macht. Letztendlich ist es ja auch egal aus welchem Grund wenn du verstehst was ich meine :smiley:
Wenn man ein Hobby findet was einen erfüllt, dann ist das super! Wenn nicht, dann auch nicht schlimm. Wer sagt denn dass man eins braucht?
Ich bin selbst kein Fan von Aussagen wie „einfach positiv“ denken. Das ist immer leichter gesagt als getan. Dennoch kann es hilfreich sein sich vor Augen zu führen, dass Persönlichkeiten nie in Stein gemeißelt sind und wir ein Leben lang uns von anderen Seiten neu kennenlernen können oder auch einfach andere Seiten wahrnehmen die vorher etwas versteckt waren. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu philosophisch :smiley:
Ich selber nehme noch nicht sehr lange Medikamente und bin auch gerade in einer Lebensphase, in der sich alles ändert (Studium kurz vor dem Abschluss und Beziehung nach 9 Jahren vorbei). Deshalb kann ich die Zweifel und das Hinterfragen („wer bin ich & was will ich“) sehr gut nachvollziehen. Das hab ich das komplette letzte Jahr wirklich durchgängig getan und bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass es letztendlich gar nicht so wichtig ist diese Fragen endgültig zu beantworten.

Es kann helfen, sich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen. Denn ich glaube solche Fragen haben bestimmt viele Leute mit erst im erwachsenen Alter diagnostiziertem ADHS oder auch aus dem Autismusspektrum. Vielleicht gibt es ja bei dir in der Nähe eine Selbsthilfegruppe? Gerade der persönliche Kontakt kann wirklich Gold wert sein!

So, ich hoffe das war jetzt nicht allzu konfus geschrieben und hilft dir vielleicht ein bisschen weiter. :smiley:

3 „Gefällt mir“

@Danisahne , mich persönlich hat mein Methylphenidat und mein Anti-Depressiva Medikament schon bis zu einem gewissen Grad verändert, ich war natürlich nicht mehr so extrem impulsiv und auch viel weniger emotional aufgewühlt, es ging nicht mehr so stark auf und ab wie vorher ohne Medikamente.

Aber als ich meine Medikamente verschrieben bekam steckte ich ja auch mitten in einem Burnout, und klar war ich dort auch emotional total am Anschlag, ausserdem depressiv und am Boden zerstört, habe lange gebraucht um mich wieder aufzurappeln, denn Burnout heisst ja zu deutsch „ausgebrannt“, und genauso habe ich mich gefühlt.

In dieser schweren Zeit haben mir persönlich meine Medikamente sehr geholfen, ich war wirklich unendlich dankbar als ich diese Medikamente damals verschrieben bekam, ausserdem machte ich eine längere Therapie.

Und jetzt wo es mir psychisch inzwischen wieder verhältnismässig gut geht, ich mich wieder erholt habe und in den letzten Jahren auch sehr viel über mich selbst und Adhs gelernt habe, komme ich auch ohne Medikamente wieder gut zurecht.

Und natürlich habe ich mich verändert, denke aber nicht das dass die „Schuld“ der Medikamente ist.

Ausserdem habe ich mich ja eigentlich zum positiven verändert, bin endlich nicht mehr impulsiv, bin viel gechillter, kann fünfe auch mal grad sein lassen, mir selbst auch mal was verzeihen, oder habe ich gelernt mich selbst im grossen und ganzen besser zu akzeptieren.

Menschen verändern sich doch normalerweise sowieso ständig, denn Leben heisst lernen, niemand bleibt sein ganzes Leben lang immer gleich, insofern ist das doch also ein ganz normaler Prozess.

Und wegen den Medikamenten, dass muss man halt austesten, muss die Medikamente eine gewisse Zeit lang regelmässig und zuverlässig einnehmen bevor man eigentlich wirklich etwas darüber sagen kann.

Und letztendlich ist wichtig ob Dir Deine Medikamente helfen, ob Du damit eine Verbesserung in Deinem Alltag spürst, wenn man sich nicht sicher ist finde ich die Idee ein Tagebuch zu führen ziemlich gut.

Und wegen Hobbys finden, natürlich „muss“ man kein Hobby haben, aber wenn man für sich was entdeckt hat was einen interessiert oder auch einfach nur Spass macht, oder vielleicht auch hilft um Stress abzubauen, je nachdem was man halt selbst dabei sucht, kann das schon etwas schönes sein. :heart::four_leaf_clover::tulip::seedling::biking_man::sun_with_face:

2 „Gefällt mir“