Mein 12-jähriger, fröhlicher und sehr impulsiver Junge

Nein, es sind keine Kopfschmerztabletten. Jeden Tag Kopfschmerztabletten nehmen kann schlimmste Organschäden verursachen, die sind nur für die gelegentliche Einnahme gedacht.

Nein, schlimm sind nicht die Medikamente, schlimm ist ADHS! Unbehandelte oder nicht konsequent behandelte ADHS ist lebensverkürzend durch häufigere Unfälle, mehr Risikoverhalten, häufigere Neigung zu Tabak, Alkohol und anderen Rauschgiften, psychische Komorbiditäten und leider auch Suizidalität. Ich nehme seit ich 37 bin täglich Methylphenidat und bin jetzt 59 und es geht mir auch körperlich nicht schlechter, sondern besser.

Natürlich sollst du nicht auf Gut Glück Medikamente geben, sondern in Absprache mit dem Arzt. Wenn er seinen Patienten die Medikamente nur für die Schultage verordnet, finde ich das fahrlässig.

Ja, er fühlt sich unterdrückt, wenn du ihn zu der Medikation drängst. Die Kunst besteht darin, dass er es selbst als vorteilhaft ansieht, seine Impulse unter Kontrolle zu haben. Das gelingt leider nicht immer.

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Nein, natürlich nicht mehr als die verschriebene Dosis, aber du wirst mehr erreichen wenn du informiert zum Arzt gehst und sagst:

  • „Die 18mg haben nicht ausreichend gewirkt, können wir mal 27mg probieren?“
  • Oder: „Das Kinecteen wirkt relativ gut, aber am Morgen zu wenig. Dürfen wir noch etwas unretardiertes Medikinet dazu geben?“
  • Oder: „Das Medikinet wirkt gut, aber nur bis nach dem Mittag, dürfen wir am Nachmittag noch eine zweite Dosis geben?“

Das sind alles beispielhafte Fragen, die du nur stellen kannst, wenn du dich entsprechend informiert hast. Und auf die der Arzt vielleicht nicht von sich aus kommt.

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Ja, es ist tatsächlich nicht leicht. Aber ich stelle bei uns immer wieder mal fest, wenn der Sohn wieder mal kurz vor dem Burnout ist, lässt sich dann doch noch so einiges streichen im Alltag… Hobbys (die vielleicht mehr Stress bringen statt Entspannung), Veranstaltungen / Anlässe, wo man hingeht einfach weil man das so macht, etc. etc.

Das haben wir leider schon alles gestrichen, weil es nur ein weiterer Punkt auf unserer To Do Liste war. Ob ich das wirklich besser finde, weiß ich manchmal nicht. Dadurch spielt sich noch mehr hier Zuhause ab, fernab sozialer Kontakte mit anderen… Ein ständiger Balanceakt zwischen zu viel und zu wenig - von allem irgendwie! Er soll ja trotz allem eine gute Kindheit haben. So viel Zeit geht für die Hausaufgaben drauf , das Üben oder dergleichen… Das meiste davon wird vertrödelt mit Diskussion oder der Suche nach einem Reiz..
Wir fahren demnächst zum Feldberg in die Kur und ich hoffe sehr , dass sie noch den ein oder anderen Tipp für uns haben, was die Hausaufgaben oder auch das Bearbeiten der Aufgaben in der Schule betrifft…
aber langsam denke ich, dass es nicht anders geht als doch häufiger Tabletten zu geben.. allerdings mehr für mich als für ihn, denn er ist trotz der Probleme ein glückliches Kind. Genau darum habe ich so meine Probleme mit der Medikamentengabe.. sie scheinen mehr für alle anderen als für ihn zu sein. Das fühlt sich häufig nicht richtig an

Hallo,

das tut mir leid, dass es bei euch so abläuft.

Aber ich glaube, auch wenn du es weniger siehst, er leidet unter der Trödelei und Diskutiererei. Er ist nach deiner Empfindung trotzdem ein glückliches Kind, aber er wäre in der Situation noch viel glücklicher, wenn er die Hausaufgaben schnell hintereinander weg schaffen würde und nicht so viele Diskussionen mit und Ermahnungen von Mama hätte.

Du merkst es vielleicht nicht, aber das gegenseitige Gezerre ist ganz sicher auch für ihn frustrierend. Wenn das durch Medikamente besser würde, geht es ihm besser, nicht nur euch.

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Das ist die typische Folge einer nicht-mehr-Medikamentenwirkung.

Ich spüre aus deinen Einträgen, dass du eine grundsätzliche Abneigung gegen ADHS-Medikamente hast. Die Folge davon ist, dass du eine vernünftige Medikamenteneinstellung nicht verfolgst (wenn dieser Arzt es nicht kann, könntest du einen anderen suchen). Das Ergebnis bestätigt logischerweise deine Einstellung zu Medikamenten. Das hilft nur leider deinem Kind nicht.

Was für dein Kind an Gewinn drin ist, könnt ihr erst erfahren, wenn ihr es konsequent ausprobiert habt.
Das hier ist KEIN Plädoyer dafür, dass ADHS-Medikamente die einzige Lösung seien. Es ist ein Plädoyer dafür, eine bewusste Entscheidung zu treffen. Und das erfordert, die Erfahrung gemacht zu haben, was mit Medikamenten möglich ist. Das habt ihr bisher nicht ausgelotet, weshalb keine bewusste Entscheidung möglich ist.

Die Skepsis gegenüber ADHS-Medikamenten wird durch Memes in der Gesellschaft befeuert.
Hier ein paar Fakten:

  1. Stimulanzien sind mit die ältesten Wirkstoffe, die in der Psychiatrie verwendet werden. Es gibt kaum eine Medikamentenklasse, die derart gut erforscht ist. Es gibt etliche Langzeitstudien, die ihre Sicherheit festgestellt haben. Lies mal zum Vergleich den Beipackzettel von Aspirin, um ein Gefühl dafür zu bekommen.

  2. Stimulanzien sind keine Smarties, sondern Medikamente. Alles, was wirkt, kann nebenwirken. Was nicht nebenwirken kann, kann nicht wirken. Die Nebenwirkungen sind ins Verhältnis zu setzen zu den Folgen einer nicht-Behandlung. Und die sind bei ADHS gravierend:

  • 8 bis 11 Jahre verkürzte Lebenserwartung (Unfälle und Suizide)
  • mehr Unfälle
  • 4- bis 5-fache Wahrscheinlichkeit der Folgekomorbiditäten Angst oder Depression (was bei Angststörungen, die ohnehin schon fast 20 % haben, auf ein nahezu gesicherte Lebenszeitprävalenz rausläuft)
  • erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Suchtentwicklung (Stimulanzien verringern das Risiko einer Suchtentwicklung bei ADHS)
  • geringere Bildung, geringeres Einkommen
  • häufigere Trennungen und Scheidungen
  • geringere Lebensqualität und Lebenszufriedenheit

Zum Nachlesen: Folgen von ADHS: Auswirkungen auf Alltag, Psyche und Lebensverlauf - ADxS.org

Und nun setze das bitte ins Verhältnis zu dem, wofür Aspirin genommen wird. Kopfweh und Kater?

  1. Eine gute Eindosierung braucht Geduld, Mut und Erfahrung des begleitenden Arztes. Man muss die gesamte Bandbreite der Dosierung ausschöpfen, und auch zwischendurch auftretende Verschlechterungen aushalten. Wenn dein Sohn Radfahren lernt, lässt du ihn ja auch nicht das Rad für immer in die Ecke werfen, wenn er sich einmal das Knie aufgeschlagen hat.
    Ein paar Wochen Erfahrungssammlung können viele Jahrzehnte Leben beeinflussen.

Zum Nachlesen: Eindosierung von Medikamenten bei ADHS

  1. Stimulanzien haben bei ADHS eine Wirkstärke (Fachbegriff Effektstärke) die weit ober das hinausgeht, was in der Medizin üblich ist. MPH: 099 bis 1,1, AMP: bis 1,5. Zum Vergleich: Antidepressiva im Schnitt 0,3. Erst ab 0,5 merkt man etwas beim Individuum, ab 0,8 ist die Wirkung gut.)
    Wer das nicht versteht (selbst den meisten Ärzte, die sich mit ADHS nicht näher beschäftigt haben, wissen das nicht), kann zwangsläufig die möglichen Nebenwirkungen nicht ins Verhältnis zur Wirkung setzen. Das erklärt viel der gesellschaftlichen Grundschwingung.

Zum Nachlesen: Effektstärke von Behandlungsformen bei ADHS

  1. ADHS endet nicht mit der Schule oder der Arbeitszeit. Das belastendste Symptom für Betroffene selbst ist die emotionale Dysregulation. Stimulantien können diese deutlich verbessern, Wenn außerhalb der Wirkzeit von Stimulanzien emotionale Dysregulation weiter belastet (Familienleben) ist eine Ergänzung mit Nichtstimulanzien (Atomoxetin oder Guanfacin) eine Option.

  2. Lisedexamfetamin (Elvanse) hat einen steady state von 3 Tagen. Das bedeutet, dass die Wirkung erst nach 3 Tagen durchgängiger Einnahme voll da ist. LDX ist daher NICHT für eine ab-und-zu-Medikation geeignet.
    MPH geht da eher.

Ich wünsche Euch alles Gute :slight_smile:

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Schule sollte nicht den Familienfrieden zerstören , dass ist es nicht wert .
Würde auf Hausaufgabenhilfe in irgendeiner Form ausweichen und das Problem auslagern .
Wenn eh schon Schwierigkeiten im Alltag zwischen Eltern und Kind vorhanden sind , kann ein Kind dies nicht mal eben brav für die Hausaufgaben ausblenden, das zwischenmenschliche gerät in den Vordergrund.
Bei neutralen Personen sind diese zwischenmenschlichen Probleme nicht vorhanden und die Hausaufgabenproblematik an sich steht im Vordergrund.

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Oh je. Eure Situation kommt mir bekannt vor. Die Eindosierung braucht Geduld. Wir hatten das Glück, dass wir eine gute ärztliche Begleitung hatten. Sie hat meinem Sohn (damals auch 12) sehr lange erklärt, wie die Medis wirken, warum er sie nehmen sollte, etc. Das hat sehr geholfen. Ich hatte wirklich Angst, dass er sich verweigern würde - wenn ich gesagt hätte, er solle sie nehmen, hätte er das vielleicht auch - er hatte ja das Gefühl, dass es ihm gut geht. Wichtig, das kann ich gar nicht zu sehr betonen ist, dass er die Medis auch ausserhalb der Schulzeiten nimmt. ADHS wirkt sich nich nur auf sein Wohlbefinden aus, sondern auf das Wohlbefinden aller. Er fühlt sich bevormundet, das verstehe ich sehr gut. Und ihm geht es ja gut - denkt er. Wenn er nicht immer anecken würde, ginge es ihm aber noch viel, viel besser. Denk mal an all die Zeit, die ihr mit Seilziehen und Stürmereien verbringt. Und damit euch als Familie. Vielleicht ist es wichtig, dass du deine (unterschwelligen?) Vorbehalte gegen die Medis versuchtst abzulegen. Er dürfte das ja auch mitbekommen. Wenn immer möglich, versuche, dass er die Medis mal durchnimmt. Ich hoffe für euch, dass es klappt!

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