Hallo,
ich bin neu hier und dachte, ich schreibe mir einmal alle meine Probleme in Bezug auf ADHS von der Seele. (Ich bin 24 Jahre alt.) Ich hoffe ich erstelle den Beitrag im richtigen Thema.
Angefangen hat alles bereits in meiner Kindheit. Ich war immer der Unruhige, der in der Grundschule ständig wegen Störverhaltens Abmahnungen oder Elterngespräche hatte. Auch zuhause lief nie alles glatt. Ich war immer der impulsive und oft aggressive Junge. Viele Freunde hatte ich nie, und auch in der Grundschule konnte ich mit den meisten nicht umgehen.
Ich habe nie ein Hobby gefunden, weil alles nach dem zweiten Mal schon langweilig wurde. Spiele habe ich nie länger als zehn Minuten gespielt, weil sie zu langweilig wurden. Meine Klassenkameraden waren in der Grundschule davon genervt und wandten sich von mir ab.
Der Verdacht auf ADHS wurde von Grundschullehrern oft geäußert, doch meine Familie wollte es anfangs nicht wahrhaben. Irgendwann war jedoch auch meine Mutter von meinem impulsiv-aggressiven Verhalten irritiert und wusste mit ihrer Erziehung nicht mehr weiter. Also entschied sie sich, mit mir, als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war, unseren Hausarzt aufzusuchen und ihn um Rat zu bitten.
Mein damaliger Hausarzt machte einen Test mit mir: Ich bekam Bauklötze und sollte etwas bauen, was mir gefällt. Natürlich wollte ich die Situation schnell hinter mich bringen. Nach kurzer Zeit kam der Doktor zurück und ich sollte erläutern, was ich gebaut hatte. Es war das Haus inklusive Carport meiner Oma, bei der wir mitwohnten. Der Hausarzt entkräftete den Verdacht auf ADHS, und meine Mutter fühlte sich dadurch bestätigt, dass ich dies nicht hatte. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir keine Gedanken über meine Gesundheit gemacht – ich war ja noch ein Kind.
Mein Leben verlief etwas holprig weiter. Die fünfte Klasse der Realschule habe ich wegen Konzentrationsschwierigkeiten nicht geschafft. Auch die fehlende Motivation, Hausaufgaben zu erledigen, machte mir den Weg nicht gerade leichter. Mich hinzusetzen und Hausaufgaben zu machen, war für mich extrem schwer und löste ein Gefühlschaos in mir aus. Das Nachdenken und das stille Sitzen empfand ich als absolute Qual. Auch Nachhilfestunden brachten nichts, da ich mich nie auf die Gespräche und den Stoff konzentrieren konnte.
Meine Eltern waren ratlos, doch ein erneuter Test auf ADHS fand nicht statt, da dies ja vom Kinderarzt nicht bestätigt wurde. Ich schlug mich also bis zur zehnten Klasse durch, absolvierte meine erste und meine zweite Ausbildung mit einem Dreierschnitt. Immer wieder hörte ich, dass mehr in mir steckt, und ich hatte auch dieses Gefühl. Doch ich schaffte es nicht, denn auch in dieser Zeit erledigte ich kaum Hausaufgaben und lernte selten. Alles, was ich geschafft habe, gelang mir nur, weil ich alt genug war und mich gezwungen habe, im Unterricht mit schwingenden Beinen, trommelnden Fingern oder irgendwelchen anderen Mikrobewegungen zu entspannen.
Heute, nach 23 Jahren, sitze ich auf dem Sofa mit der Diagnose ADHS, die nach Befragungen bereits im Kindesalter hätte festgestellt werden müssen.
Ich bin 2020 bereits mit meinem Freund zusammengezogen und habe hier einige Schwierigkeiten in der Beziehung, die durch offene Kommunikation bisher gut überwindbar waren. Dazu gehören die Abwesenheit in Gesprächen, fehlende Gesprächsinhalte, das Ablenken durch äußere Einflüsse, das Nicht-stillsitzen-Können während eines Filmabends oder eines Gesprächs usw.
Ich habe meine zweite Ausbildung abgeschlossen und arbeitete in diesem Bereich bis 2023. Es war übrigens die perfekte Arbeit für mich: IT-Systemintegrator inklusive Außendienst. Oft hatte ich zehn verschiedene Kunden an einem Tag. An Bürotagen hatte ich oft nach 30 Minuten bereits den nächsten Kunden mit einem Problem am Telefon und musste mich auf komplett neue Situationen einstellen. Genau das, was ich immer gesucht habe. Kein Tag war wie der andere.
Durch Corona und meine Abkapselung von der Familie aufgrund der getrennten Wohnsituation habe ich meinen bisher größten Tiefpunkt im Leben erreicht.
Toxische Arbeitskollegen machten mir den Alltag zusätlich ziemlich schwer. Bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Ich konnte nicht mehr, mein Leben wurde auf den Kopf gestellt und ergab keinen Sinn mehr. Ich, der immer lebensfroh war, weinte, weil ich nicht aufstehen und arbeiten wollte? Meine einzige Frage war: Was geht hier eigentlich vor sich? Wer bist du?
Ich wurde krankgeschrieben und bekam zwei Notfalltermine mit Tests und Gesprächen. Diagnose: Verdacht auf Depressionen durch möglicherweise ADHS. Ich wollte es selbst nicht wahrhaben, fing wieder an zu arbeiten und versuchte, einen Termin beim Psychologen zu bekommen. Als Kassenpatient erhielt ich keinen Termin, obwohl ich täglich mehrere Praxen anschieb. Für Privatpatienten wäre oft noch Platz gewesen. Mein Freund versuchte mich immer wieder zu unterstützen, mir aufzuzeigen, weshalb ich in Therapie gehen sollte und weshalb der Verdacht in Bezug auf mein Verhalten gerechtfertigt war.
Nach einem zweiten Fast-Zusammenbruch zog ich die Reißleine, kündigte meinen Job, weil es mir nicht mehr möglich war, so zu arbeiten. Ich entschied mich, noch einmal die Schulbank zu drücken und mein Abitur nachzuholen, um mehr im Leben zu erreichen. Doch nun, im Januar 2024, fing alles von vorne an. Keine Konzentration, am liebsten keine Hausaufgaben, zu denen ich mich aber zwingen konnte und bisher keine feste Diagnose und keine Möglichkeit auf Hilfe.
Doch ich hatte Glück. Ich habe jemanden in der Klasse, dem es erschreckend ähnlich ging. Er hat mir eine Psychotherapeutin empfohlen. Ich holte mir eine Überweisung und bekam zwei Monate später einen Termin. Endlich wieder ein Lichtblick für mich. Ich musste mich überwinden, den Termin wahrzunehmen, denn auch ich war leider von den typischen Ängsten und Gedanken betroffen.
Ich hatte ein langes Gespräch, musste vier schriftliche lange Fragebögen beantworten und einen längeren Test vor Ort durchführen. Ich war aufgeregt, hatte Angst vor den Ergebnissen und viele Fragen im Kopf. Was kommt raus? Wie geht es weiter? Bekomme ich Hilfe? Denkt die Therapeutin, ich lüge? Bin ich der Einzige, dem es so geht? Was, wenn mir niemand helfen kann?
Dann kam letzte Woche das Gespräch zur Besprechung meiner Ergebnisse. Definitiv ADHS, keine Zweifel. Und tatsächlich erneut der Verdacht von Depressionen in Abhängigkeit von ADHS. Irgendwie hätte ich weinen können, natürlich vor Freude, auch wenn es merkwürdig klingt. Doch für mich war es endlich etwas, was einiges erklärt hat, und anscheinend kann mir ja geholfen werden, oder nicht?
Die Ärztin empfahl mir, Elvanse zu nehmen, anfangs 30 mg 1x morgens. Leider habe ich das Rezept, auf dem fälschlicherweise 50 mg angeordnet waren, eingelöst und musste auf Rückmeldung von meiner Therapeutin warten, was nun zu tun ist. Gestern konnte ich das richtige Rezept abholen und heute konnte ich bereits morgens meine erste Tablette nehmen. Laut Therapeutin wirkt es den ersten Tag schon und ich muss keinen „Spiegel“ aufbauen.
Ich fühle mich heute schon minimal anders. Ich weiß nicht, ob es davon kommt oder vielleicht auch nur eine Einbildung ist. Ich fühle mich freier, diese gefühlt 10.000 gleichzeitigen verschiedenen Gedanken sind stiller, ich konnte mich nun hinsetzen und diesen Text ohne Unterbrechung und ohne andere Gedanken schreiben. Sitzen bleiben beim Schreiben, ohne dabei noch den TV anzuhaben, am Handy zu schreiben oder andere Dinge. Also keine impulsiven Handlungen.
Ich habe heute mehrfach überlegt, ob ich diesen Text schreibe, aber mir hat es im nachhinein definitiv geholfen, das erste Mal vieles niederzuschreiben. Und die Hoffnung vielleicht auch von anderen dazu etwas zu lesen. Vielleicht ermutige ich sogar andere, Schritte zur Selbsthilfe im Leben einzuleiten.
Viele Grüße vom neuen Mitglied,
SwiftMind