Mein (langer) Weg zur ADHS Diagnose

Irgendwie bin ich gerade in Schreib-Laune und ich will einfach mal
teilen, wie das bei mir so alles angefangen hat und überhaupt.

Wir starten mit dem Kindergarten. Eigentlich nichts auffälliges, aber
ich war derjenige, der immer erst später gebracht werden durfte
weil ich so einen unfassbaren Bewegungsdrang hatte und die
Stuhlkreisrunde anfangs so gestört habe, dass es nicht anders ging.

Wir wechseln zur Grundschule.

Alles beginnt normal, aber so ab der dritten Klasse bin ich derart
fickerig, dass ich in beständiger Regelmäßigkeit vor die Tür gesetzt
werde, weil ich den Unterricht massiv ablenke. Ich sollte dann immer
vor der Tür warten, aber da ich schnell merkte, dass es keine Sau
interessierte, was ich trieb, bin ich dann vom Hof runter und hab die
Gegend erkundet.

Übrigens hat dort niemand, nicht mal die Schulleitung meinen Eltern
von den Vorkommnissen berichtet, also die wussten nicht, wie unrund
es lief.

Nächster Sprung in Richtung Gesamtschule. Hier ging es in der fünften
Klasse ganz normal los, ich begann in einer Mathe Naturwissenschaft AG
und alles lief seiner Wege.

So ende der sechsten Klasse fiel den Lehrern auch hier auf, dass ich sehr
oft raus geworfen wurde und hier war der Mathe Lehrer so pfiffig, an der
Schulleitung vorbei, mal meine Eltern zu informieren.

Ich bekam dann für etwa 8 Monate eine Schulbegleitung, die einfach
gucken sollte, was da lief bzw. was nicht.

Die war auch recht ratlos woher die Hummeln und Flöhe im Hintern
kamen und der Kinderarzt kam dann auf den Trichter, es könnte ADHS
sein. Mir sagte das damals nix, ich wusste nur, dass ich da so Tabletten
nehmen sollte und es lief danach auch besser.

Nicht perfekt, aber gut. Ich war konzentrierter und konnte fortan den
Unterricht ganz normal mit machen. Klassenfahrten habe ich aber bis
auf die von 10er Abschluss bewusst nicht mitgemacht, weil mir wäre
das alles zu viel geworden. Ich hab die ganz bewusst selber abgelehnt.

Die Probleme von dem Medikinet was ich nahm, waren, dass ich massive
Schlafprobleme hatte, die ich auf die Pubertät schob und das ich tagsüber
absolut keinen Hunger hatte. Da ging vor 18 Uhr nix in mich rein, aber
dann wurde mit großem „Hallo“ sämtliche Mahlzeiten des Tages nachgeholt.
Ich hab Unmengen verschlungen.

Ich glaube auch das ich durch meine Medis das Night Eating Syndrom
entwickelt habe. Eine Essstörung, bei der ich nachts irgendwann wach
werde, wie ferngesteuert in die Küche stolper, da nach irgendwas
essbarem suche, egal ob Wurst, Käse, Schokolade, was davon esse
und wieder ins Bett falle. Bekomme ich aber mal nichts zu beißen,
dann werde ich alle 20 Minuten wach und laufe wieder in die Küche
zum Nachschauen.

Dann musste ich im Abi vom Kinderarzt zum normalen wechseln, der mir
die Medis noch eine Zeit geben durfte und dann sollte ich zu einem
richtigen Neuro.

Diese Episode war eine der Schlimmsten meiner ADHS Laufbahn.

Ich weiß noch als ich das erste Mal dort war mit Eltern (ein verregneter
Donnerstag Nachmittag) und das erste was ich sah war ein abgegammeltes
Wartezimmer, eine Sprechstundenhilfe hinterm Tresen vom Typ „Computer
sagt Neeeein!“ und im Behandlungszimmer ein Arsenal antiquierter
Medizintechnik aus den späten Siebzigern.

Der Arzt selbst war zu der Zeit etwa Ende 60 und war so von der alten Schule.

ADHS schien er mal irgendwo aufgeschnappt zu haben und parkte mich
kommentarlos vor einem Test, den ich fortan „Kreis-Arschloch“ nannte.

Dabei handelte es sich um einen Monitor wo ein Kreis bestehend aus 62
kleinen Kreisen abgebildet war un ein Punkt lief durch die Kreise. Wenn
der Punkt einen Kreis übersprungen hat, dann sollte ich eine bestimmte
Taste drücken. Das Ganze ging 30 Minuten und jeder einzelne Fehler
wurde da sehr kritisch beäugt. Ich hatte bei jedem mal nur so 2-4 Fehler,
die wohl auch jeder normale Mensch haben würde.

Dann wollte er meine Medikation von der üblichen und für mich guten
Dosierung um das fünffache erhöhen und da haben ich und Eltern
gemeinsam beschlossen, dass ich das erst mal normal weiter nehme.

Nach einigen Monaten fragte der Arzt wie das mit den Medis läuft, ich
hab ihm gesagt wie wir das handhaben und er hat im Beisein beim
Straßenverkehrsamt versucht zu veranlassen das ich als fahruntauglich
eingestuft werde. Sowas dauert immer einige Zeit also drohte mir da
noch keine Gefahr, aber ich und mein Vater sind noch am selben Tag
zur Polizei, haben da Anzeige erstattet und da mein Vater Jugendgerichtshilfe
macht, hat er seinen befreundeten Staatsanwalt angehauen.

Um das Ganze abzukürzen: Ich hatte zu keiner Zeit was zu befürchten,
der Arzt war seine Zulassung sofort los, ich bekam eine ordentliche
Stange Geld zugesprochen, die Praxis wurde sofort zur Beweissicherung
dicht gemacht und es kamen später noch etliche Nebenklagen von falsch
therapierten Patienten hinzu. Der Typ hatte am Ende keinen Fitzel Geld
mehr und sogar noch Schulden zum Begleichen der Kosten.

Ich habe seitdem zwar keine Therapie mehr, aber das hat mir damals
schon Genugtuung verschafft.

Ja und ich stehe aktuell an dem Punkt, wie damals als das mit dem
Arzt geendet hat.

Bin auf der Suche nach einer Behandlung und habe jetzt vor paar
Wochen eine gute Selbsthilfegruppe gefunden, die alle 2 Wochen
zusammenkommt und man sich austauscht.

Die kann natürlich keine Therapie ersetzen, aber bei Alltagsdingen
wie Aufräumen, Einkaufen usw. habe ich schon gute Tipps und Hilfe
erhalten können.

Das ist meine Geschichte rund um ADHS und wer mag, kann gern
seine Story mit dazu schreiben oder einfach so was dazu sagen oder
Anregungen geben.

Ich bin jedenfalls froh, es mir mal von der Seele geschrieben zu haben
und falls meine Ausführungen auch nur einem anderen helfen, dann
bin ich schon zufrieden.

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