Neuer Job: Zu viel Reden/ Rejection Sensitivity

Guten Abend,

ich bin jetzt längere Zeit nur Mitleserin gewesen (nach einigen Posts zu meinen Medikamenten). Kurz zur Info: Die Diagnose habe ich seit letztem Jahr. Derzeit nehme ich 30-30-0 Medikinet.

Vor kurzem habe ich einen neuen Job angefangen. Dieser fordert mich sehr heraus, der Job ist von den Aufgabengebieten komplett anders, als in der Ausschreibung und im Vorstellungsgespräch vermittelt (das nicht nur mein Gefühl, sondern entspricht den Tatsachen, meine Rolle ist auch derzeit noch sehr unklar) und ich habe auch die Umstände sehr unterschätzt. Die Kernarbeit ist anspruchsvoll, aber gut und macht mir Spaß. Womit ich sehr schlecht zurechtkomme sind die sozialen Umstände bzw Rahmenbedingungen und Anforderungen von außen.

Es gibt gefühlt tausende Mitarbeiter, Abläufe und Bereiche, ich bin in fast allen unterwegs, muss flexibel agieren (das wäre bei der ausgeschriebenen Stelle nicht so gewesen), es herrscht eine große Unzufriedenheit bei den MA, man muss ständig aufpassen, nicht zwischen die Fronten zu geraten, die Strukturen sind sehr undurchsichtig, hierarchisch und es gibt sehr viele verschiedene Posten mit überlappenden Aufgabengebieten. Ich habe ständig das Gefühl, mich 100% kontrollieren zu müssen, um flexibel agieren zu können, den Überblick zu behalten, was gerade angebracht ist.

Wenn das Medikament gut hilft (ohne das ginge es gar nicht, aber generell bin ich damit zufrieden momentan) klappt das ganz gut. Häufig habe ich aber das Gefühl, alles falsch zu machen, muss mich ständig bei Kollegen rückversichern, was mir hinterher super peinlich ist (weil es wirklich einfach zu viel ist). Und, was mich am meisten belastet: Wenn ich mich nicht mehr im Griff habe rede ich viel, sehr viel Mist, habe Wortfindungsstörungen, verhaspel mich und versuche gleichzeitig irgendwie nicht inkompetent zu wirken, es irgendwie zu retten, was es noch schlimmer macht. Fühlt sich ein bisschen an wie ertrinken. Zudem muss ich gefühlt 1000 Mal am Tag Entscheidungen treffen und habe kein Gefühl dafür in dem Wirrwarr und auch da habe ich das Gefühl, alles falsch zu machen.

Das ist besonders schlimm gegen Ende der Arbeitszeit, wenn die Medis nachlassen. Fast jeden Abend zerreißt es mich innerlich, ich fühl mich wie der letzte Versager und denke ständig über jede kleine Situation nach. Was ich gesagt und getan habe. Was das für Folgen haben kann. Das tut fast körperlich weh und ich bin wirklich verzweifelt.

Das wird jetzt von Woche zu Woche schlimmer und ich bin ziemlich fertig. Schlafe schlechter, bin kaputt. So wie heute Abend bin ich mir Mal wieder sicher, dass ich heute an allen möglichen Stellen negativ aufgefallen bin, mich keiner mag, weil ich einfach auch nichts kann und alle bereuen, mich eingestellt zu gehen. Dass ich machen kann was ich will, sowieso nie einen Job durchhalten werde. Ich stelle mich auch einfach wirklich dämlich an. Ich weiß einfach nicht wohin mit mir. Warum bekomme ich es nicht einfach Mal hin?

Hat jemand von euch vielleicht noch eine Idee, wie ich zumindest mit dieser Rejection Sensitivity abends besser zurechtkommen könnte?

Ich danke euch!

1 „Gefällt mir“

Manche Menschen reden zuviel, manche Menschen reden zuwenig, aber wo ist das Mittelmass?.

Und das Mittelmass beherrschen bekanntlich die wenigsten, dass einzige was uns weiterhelfen könnte wäre die Akzeptanz, aber auch diese beherrschen bekanntlich nur die wenigsten.

Deshalb wird das Problem zwischen dieser Diskrepanz auch nie wirklich verschwinden, und der Umstand zwischen „zuviel“ und „zuwenig“ dann also nie restlos verschwinden.

Was den einen „zuwenig“ ist werden diese immer so empfinden, was den anderen „zuviel“ ist werden diese immer so empfinden, aber"perfekt" gibt es nunmal nicht.

Und das müssen beide Seiten begreifen, denn jeder Mensch ist nun mal so wie er ist.

Der Schlüssel liegt deshalb nur in gegenseitiger Akzeptanz, ob einem das gefällt oder nicht, heisst wie immer müssen wir Menschen uns miteinander auseinandersetzen, miteinander diskutieren, miteinander kommunizieren, anders geht es nicht.

Wenn wir offen füreinander bleiben, uns nicht gegenseitig verurteilen, dann können wir voneinander lernen, können unsere Beziehungen fruchtbar sein.

Offenheit, Ehrlichkeit, Neugierde und Verständnis füreinander können uns zu besserem gegenseitigem Verständnis verhelfen, alles andere nicht.

Servus!

Das Folgende kenne ich auch:

Eigentlich bin ich ein geübter und guter Reder, rede gerne und viel, bringe aber auch viel Informationen und anderen interessanten Inhalt rüber, weshalb man mir (nicht immer, aber häufig) gerne zuhört und Leute sich auch in ein Gespräch verwickeln lassen, obwohl sie das gar nicht vor hatten.

Aber ab und zu ist es so, wie du oben schreibst. Da denke ich mir danach - und oft sogar während ich rede - was ich da gerade für einen Schmarrn rede, ohne Faden herumeiere und immer weiter in eine Sackgasse komme.

Sowas passiert mir nicht oft, aber immer mal wieder. Begünstigte Faktoren scheinen zu sein, wenn ich längere Zeit wenig längere Gespräche v. a. mit Fremden geführt habe, längere Zeit nur Gespräche geführt habe, die entweder hochspeziell oder besonders banal waren, wenn ich nicht ganz wach bin, andere Sachen im Kopf habe, unkonzentriert bin und es unerwartet zu dem Gespräch kam.

Beruhigend ist, dass sich das schnell wieder gibt. Manchmal kann ich mich schon während des Gespräches, z. B. in einer Pause während der andere redet, zusammenreißen. Ansonsten läuft es schon beim zweiten, zeitnah erfolgenden Gespräch viel besser bzw. bin ich wieder in Form.

Nun hoffe ich und wünsche es dir, dass das auch in deinem Fall nur temporär auftritt, sich schnell wieder gibt und sich die Aussage, dass es von Woche zu Woche schlimmer wird, auf was anderes bezieht.

F.

  1. Wie lange bist du da nun schon tätig?

  2. Du schreibst dass alles sehr komplex ist. Das ist normal am Anfang.

  3. Du hast Angst Fehler zu machen. Aber auch das ist normal - also die Fehler. Mit der Angst kann es aber dazu kommen, dass du anfängst Aufgaben aufzuschieben. Du musst dich um die Angst kümmern (Buchtipp dazu zum Schluss!)

  4. Du bist da neu. Du kannst nicht jeden kennen und alles können. Wäre auch komisch.

  5. Du machst dir selber Druck und puschst dich selber hoch. Da ist jeder nach Feierabend fertig. Niemand erwartet von einem Neuling 100% oder gar mehr. Zudem fühlst du dich wie ein Versager. Kennt man von ADHSlern ganz gut, obwohl die Performance gar nicht schlecht ist und es keinen Anlass gibt für diese starken Versagensgefühle. Schreibe dir immer auf was du erledigst. Da kannst du am Abend dann draufschauen. Da kannst du dir ggf. auch Unklarheiten oder Fragen notieren (siehe Folgepunkt).

  6. Du vermutest, dass du zwischenmenschlich bei Kollegen als anstrengend (meine interpretative Zusammenfassung) ankommst. Kann durchaus sein. Es ist sicherlich richtig viele Fragen zu stellen (siehe Punkt 4). Dein Verhaspeln kommt womöglich aus der gesamten Verunsicherung. Kenne ich gut.

Nun ist der soziale Aspekt in der Arbeitswelt je nach Branche häufig wesentlich wichtiger als die Leistung. Da geht es dann um Akzeptanz bei den Kollegen. Die Leistung sollte sich mit der Zeit natürlich einpendeln, zudem die Lernkurve bei ADHSlern anders ist als bei Normalos (bei ADHS: Erst gar kein Fortschritt und plötzlich die Erleuchtung). Wenn du ständig mit Fragen ankommst und das Gefühl hast, dass die Kollegen deswegen mit den Augen rollen ein Vorschlag: „Hey Sieglinde, ich weiß nicht ob dich meine ständigen Fragen in deinem Arbeitsfluss aufhalten. Daher wollte ich dich fragen wie du es momentan siehst. Vielleicht können wir einen fixen Zeitpunkt am Tag ausmachen wo wir uns dann die Zeit nehmen und es gesammelt durchgehen. Aber vielleicht hast du eine bessere Idee als ich.“

So 15-20 Minuten bei den gesammelten Fragen zu dem Zeitpunkt sollten ausreichen. Da hast du auch den Vorteil besser sozial anzuknüpfen, die obige Phrase zeigt dass du Rücksicht nimmst, aber dennoch Verantwortungsbewusstsein zeigst.

Zu guter letzt: Ich weiß nicht was du bzgl ADHS bis jetzt alles gemacht hast. Du nimmst Medikamente. Aber ich habe das Gefühl dass du dein ADHS noch nicht so gut kennengelernt hast wie es tatsächlich von Bedarf wäre. Da hat mir folgendes Buch sehr gut geholfen:
https://amzn.eu/d/jhPs7dF

Glaub mir, das Buch ist es wert. Eine Menge Erleuchtungen.

1 „Gefällt mir“

Kurz OT: Das Buch ist super. Das empfinde ich auch als richtig hilfreich. Und durch den Seitenaufbau auch einfach zu lesen… in - gefühlt - kleinen Häppchen, so dass die Aufmerksamkeit immer ausreicht um bis zum Ende eines Gedankens zu lesen.