Hallo liebe Forumianer! Ehrlicherweise bin ich bisher nur gefühlt ein ADHSler, denn diagnostisch wurde mir zum 2. Mal eine Anpassungsstörung im Abstand von 5 Jahren diagnostiziert. Zweimal Kurzzeit-PT wegen schwierigen Lebensumständen, Prokarastination und depressiven Verstimmungen. Habe 10 Jahre studiert, aber beide Abschlüsse mit guter Note erreicht. Im Moment die größte Schwierigkeit der (Wieder) Einstieg in einen „richtigen“ Job mit 37 (noch nicht in Sicht, da ich seit 2 Jahres das Bewerben hinausschiebe). Hatte eigentlich durch die ganze Schulzeit hinweg Lernschwierigkeiten, viele Fehlstunden, eher durchschnittliche Leistungen, außer phasenweise wirklich gute Leistungen z.B. wenn ich die Lehrkraft mochte oder mir das Thema zusagte. Sonst irgendwie unterm Radar mitgelaufen, ohne besonders auffällig zu sein. Innerlich ständig überfordert, sich total hinter allen her gefühlt, oft so getan, als würde ich verstehe, was andere sagen, wollte aber einfach meine Ruhe haben. 3-er Abitur gerade so geschafft, dann Uni ohne wirklichen Plan zu haben, was ich mit einem Sprachstudium später mal machen könnte. Ohne Plan weiterstudiert, Master in der Coronazeit unter größter Anstrengung und nahe einer Psychose geschrieben, BÄÄÄM 1,3! Natürlich auf die Sympathie/Mitleid des Korrektors geschoben, denn mir selbst würde ich das nicht attestieren. Mangelnder Selbstwert war schon immer ein Thema, habe 1000 Schulen gewechselt, gemobbt, gedemütigt, sich eingefunden und wieder umgezogen. Letzter großer Umzug nach Deutschland, Deutsch in Windeseile gelernt und eine zeit lang als Over-Achiever gegolten, weil ich so fehlerfrei spreche. Nun zum heutigen Problem: Ich bin buchstäblich an der Grenze zur Armut und zittere jeden Monat um meine Miete und Rechnungen. Arbeite als Kellnerin und verzweifle daran, mich irgendwo zu bewerben. Zuletzt ging ich ins Ausland und habe dort an einer Uni Deutsch unterrichtet. Da war noch alles recht vielversprechend, hatte neuen Mut und Motivation endlich etwas aus meinem Leben zu machen. Doch bei Rückkehr nach Dtl. strake Zweifel entwickelt, der Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsanforderungen schüchtern mich extremst ein. Beim Resümieren von vergangenen Vorstellungsgesprächen kommt mir die Galle hoch, weil ich mich so unbeholfen und vollkommen inkompetent fühle. Das sei „normal“ sagte meine PT zu mir, aber ich selbst empfinde das nicht mehr als „normales Maß an normal“, wenn ich schon eine echte Phobie vor Personalern habe ( insbesondere wenn ich ihre Art als überheblich interpretiere). Im Moment versacke ich deshalb zu Hause und schaffe es nicht mal Überbrückungsgeld zu beantragen, weil mein Geld gerade nicht zum Leben ausreicht. Schiebe das alles vor mir weg und hoffe einfach, dass ich einer Tages aufwache mit frischem Kopf und Motivation. Der Lehrjob an der Uni war inhaltlich übrigens eigentlich echt cool, aber ich war permanent gestresst und kam völlig k.o. nach Hause. Im Moment frage ich mich, welchen Job ich mit meinen wenigen Energiereserven überhaupt in der Lage bin auszuüben und ob ich einfach verdammt bin unterdurchschnittliche Jobs auszuüben, weil mich anspruchsvollere Dinge so auslaugen. Und ob meine PT sich vielleicht einwenig zu zuversichtlich mit ihrer „Anpassungsdiagnose“ ist. Denn es fühlt sich alles andere als vorübergehend an. Danke schon mal fürs Lesen und vielleicht auch fürs Kommentieren. sofern mein Anliegen hier überhaupt deutlich geworden ist. Im Moment fehlt mir nämlich jede Struktur, auch im Denkerischen. Grüße!
Hast Du jemanden, der Dir dabei helfen kann und zwar in einer Weise, bei der Du Dich nicht unbeholfen und inkompetent fühlst, sondern akzeptabel unterstützt? Deine PT vielleicht?
Das wäre aus meiner Sicht der erste wichtige Schritt. Parallel zum Abklären einer ADHS-Diagnose, was leider mit viel Suche, Wartezeiten etc. verbunden sein kann. Und parallel zu Bewerbungen oder ggf. Berufsberatung nach Alternativen, die Dich ggf. besser absichern.
Mit der Vermeidung ist das ja leider wie mit Tur Tur, dem Scheinriesen, aus der Augsburger Puppenkiste. Je weiter man sich von einer realen Herausforderung X entfernt durch den Vermeidungsteufelskreis, desto größer scheint X zu werden. Ich habe leider sehr viel Erfahrung damit.
Du schreibst, der Job an der Uni war eigentlich ganz cool. Vielleicht hatttest Du beim Einstieg eine besonders harte Lernkurve. Schau Dir zum Beispiel im Forum mal die Beiträge zu Lachenmeier an oder diese Info zum Einstieg. Wenn Du das damals gewusst hättest, vielleicht hättest Du mit dem Stress umgehen können mit der Aussicht, es wäre mit der Zeit besser geworden?
Der Punkt ist: Solange Du Dich dem nicht stellst, wirst Du es nicht überprüfen können. Und derweil wachsen Deine Projektionen und die Zweifel an der Selbstwirksamkeit. Siehe: Scheinriese.
Und leider wächst dabei ja auch der reale Druck. Kann sein, dass Du der Typ bist, der existentiellen Druck braucht, um in sich die Schalter zu finden und „aufzuwachen mit frischen Kopf und Motivation“.
Kann aber auch sein und ist vielleicht sogar wahrscheinlicher, dass Existenzsorgen nicht zur Gesundung beitragen.
Überhebliche Personaler mag niemand, keine Frage.
Du scheinst schnell zu lernen und logisch zu denken. Also kannst Du Dir selbst die Frage beantworten: Bist Du solchen Gestalten mit einer wachsenden Lücke im Lebenslauf nicht immer stärker ausgeliefert? Jeden Tag mehr?
BÄÄÄM 1,3 - das ist suoer, sicher. Darauf kannst Du in Momenten des Selbstzweifels immer zurückblicken. Nutz das aber bitte als Energie für mehr und bessere Selbstfürsorge - und nicht als Selbstwert-Notverband im Sinne einer „Erlaubnis“ für weitere Vermeidung. Weder Hochbegabung noch gute Prüfungsnoten zahlen ohne Weiteres Deine Miete. Das sind Grundlagen, auf denen Du aufbauen kannst, aber leider auch musst. Weißt Du längst selbst, ich weiß…
Du bist schlau. Vermutlich hat Dich das Schreiben des Textes schon weitergebracht als es die Antworten könnten.
Ich finde dieses Video sehenswert. Mir hat es konkret geholfen, „Diskrepanzen erlebbar“ zu machen und weniger wegzulaufen. Die Technik wird da als Future Pacing beschrieben: Wenn Du mal weiter überlegst, wie die Zukunft ist, wenn Du weiter primär darauf setzt, dass Du „mit frischem Kopf und Motivation“ aufwachst…
Und wie könnte die Zukunft sein, wenn Du Dir jetzt etwas Hilfe holst, um dem Scheinriesen entgegenzugehen.
Denn was wir als Zeitblinde manchmal vergessen: Bis die Wirkung solcher Hilfe anrollt, kann es auch etwas dauern. Also warte bitte nicht, bis es alles ganz unaushaltbar wird…
Und kleines PS: Hier sind viele Leute, die vergleichbare Erfahrungen haben und gerne zuhören und nach Kräften helfen. Du erreichst sie ADHS-bedingt etwas leichter mit
ein paar
mehr
Absätzen
im nächsten Text. Alles Gute, @ena_rova. Hol Dir Dein BÄÄM zurück ins Leben.
Wow, das ist seit einer Ewigkeit der hilfreichste und hoffnungsvollste Kommentar. VIELEN LIEBEN DANK! Ich fühle mich so gesehen und verstanden und auch absolut bestätigt in meinen Ängsten, die wie du ja auch beschreibst, mit der Zeit noch riesiger werden. Im Mlmnet zeitweise in panische Ausflüchte umschlagen, ich kann mich zwar immernoch irgendwie auffangen,aber bewegen tut sich trotzdem nichts. Auf meine PT zähle ich nicht mehr, ich hatte bei ihr das Gefühl,dass sie mich loswerden wollte. Aber ich verstehe auch einwenig im Nachhinein, wieso. Trotzdem hätte sie mich so aufgenommen wie du, wäre ich vielelicht schon ein Stückchen weiter. Du schreibst du hast Erfahrung mit dem Prokrastinieren. Kannst du mehr dazu sagen? Wie gehts dir jetzt?
Sehr gern. Nimm es als Zeichen, dass Du nicht allein bist damit und viele von uns in der Lage waren oder immer mal wieder sind.
Naja, wir haben da mal was vorbereitet: https://adhs-forum.adxs.org/t/prokrastinierend-der-prokrastination-auf-der-spur/
Bei mir brauchte es leider einen körperlichen Warnschuss. Es war über mehrere Wochen nicht klar, ob das reversibel ist oder sich sogar noch ausdehnt.
Es ist immer noch ein Thema für mich, aber seitdem kann ich besser „abrufen“, was passieren kann, wenn ich mich nicht überwinde und sei es in ganz kleinen Mini-Schritten.
Und ich habe dadurch verinnerlicht, dass ich es selbst angehen oder mir irgendwie stolpernd Hilfe suchen muss. Es kam leider keine Fee, obwohl ein kleiner Teil von mir darauf vielleicht gehofft hat.
Ich hoffe, Du schaffst es ohne körperlichen Warnschuss. Alles Liebe.