Prolongierte Berufsentscheidung- Sluggish Decisioning?

Ich bin Ende 50, habe drei Vollstudiengänge erfolgreich abgeschlossen und bin trotzdem total unglücklich mit meinem Berufsleben. Ständig habe ich neue Ideen, was ich beruflich machen könnte oder wollte. Die Ideen halten sich dann ein paar Tage oder Wochen und zerplatzen dann wie Seifenblasen und ich habe die nächste Idee. Und das geht so seit dem Abitur. Ich verstehe gar nicht, wie sich Menschen für einen Beruf entscheiden können. Wie machen die das? Ich bin gerne zur Schule gegangen, da es jede Stunde ein anderes Fach gab und wenn ich ein Fach hatte, dass ich nicht mochte, wußte ich, in der nächsten Stunde habe ich wieder mein Lieblingsfach und konnte das aushalten. Nun habe ich einen völlig unkreativen Bildschirmarbeitsplatz und bearbeite Listen in SAP. Ich werde zwar gut bezahlt, aber ich kann das nur schwer aushalten. Ich habe lange Jahre Psychotherapie gemacht, um das Problem in den Griff zu bekommen, aber es hat nicht geholfen. Mittlerweile ist klar, dass ich ein leichtes ADHSI habe und ich vermute auch autistische Fragmente. Das ist natürlich in der Therapie nicht erkannt worden. In der Woche ist der soziale Druck so groß, dass ich keine Probleme am Arbeitsplatz habe, aber am WE nehme ich MPH, damit ich meinen privaten Kram erledigt bekomme. Mit Atomoxetin, Guanfacin, Elvanse komme ich nicht klar. Ich habe eine Histaminintoleranz und von Elvanse bekomme ich eine unerträgliche Mundtrockenheit.
Am liebsten würde ich nochmal studieren oder eine Ausbildung machen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich mit meinen Überlegungen, welcher Beruf zu mir passt, so langsam annähere. Aber ich habe ein Haus mit komplizierten Besitzverhältnissen, 3 Kinder und muss arbeiten, Unterhalt zahlen und fürs Alter vorsorgen. Mein Wunschstudium oder Ausbildung werden weder in meiner Gegend noch als Fernstudium angeboten. Es ist frustierend. Ich habe als Jahrgangsbeste Abitur gemacht und mir nie vorgestellt, im Leben so zu scheitern. Und ich möchte wenigstens mal eine Zeit lang gerne zur Arbeit gegangen sein, wenn ich in 9 Jahren in Rente gehe. Gibt es Leute, denen es ähnlich geht? Ich wäre an einem Austausch interessiert.
Herzliche Grüße
Gefion

Mit ritalin ist das ganze sinngesuche verloren gegangen. das muß man aber durchgängig ne ganze weile nehmen, damit du den veränderungen im gehirn zeit geben kannst. dein denken und wesen verändert sich langfristig.

die bekloppten ideen gehen weg. du sitzt dann zuhause und bist zufrieden beim gitarrespielen oder beim plfanzengießen.

kümmer dich um diagnose und behandlung.

psyschotherapie nütz bei mir nichts, weil das ist immer die gleiche laberei, aber mein probleme bleiben, und sind tag für tag dieselben. die traumatischen erlebnisse wiederhole sich wieder und immer wieder, da ich ja das problem bin, nicht meine umwelt.

O nein, wie traurig. Ist das Sinn Suchen nicht unglaublich wichtig und wertvoll?

@Gefion: Ich kenne das Gefühl der Sinnsuche sehr gut und auch das Gefühl nie wirklch anzukommen.

Früher habe ich das als Problem gesehen. Heute sehe ich es als ganz wertvolle Ressource und bin glücklich heute nicht zu wissen was ich in 5 Jahren beruflich tun werde. :slight_smile:

Einfach tun. Ausprobieren. Einen Weg einschlagen. Und abbiegen. Etwas Neues tun. Weiterlaufen. So mache ich das.

In einem Job verharren, den du nicht magst? Nein. Nochmal ein komplettes viertes Hochschulstudium beginnen mit knapp 60? Würde ich auch nicht empfehlen. Eher zusätzliche Weiterbildungen oder Fortbildungen. Je nach Thema und Ausrichtung kannst du dort sicher auch viele interessante neue Menschen kennenlernen. Die auch alle irgendwie auf der Suche sind und sich weiterentwicklen wollen.

Meine Meinung ist wirklich nur meine ganz persönliche. Aber ich finde, dass weder Psychotherapie noch Medikamente hier sinnvoll oder zielführend sind. Nur TUN und MACHEN. Einen ersten Schritt in eine neue Richtung gehen. Und sehen was passiert.

Ich hatte früher die Neigung Dinge ewig zu durchdenken und dabei zu zerpflücken. Heute durchdenke ich immer noch viel, achte aber darauf, das Handeln nicht aus den Augen zu verlieren.

Früher: Lesen über aktives Handeln und darüber nachdenken. Bei Kaffee, Tee, Zigaretten etc.

Heute: Immer noch viel nachdenken etc., aber eben auch aktiv tun!

wenn du dich in der mauretanischen wüste wiederfindest, und 3 tage auf einen zug warten mußt, ist das nicht besonders lustig.

das ist ein haarsträubendes beispiel von sehr vielen quälenden beispielen.

neee, nach einer weile hast du da keinen bock mehr drauf.

ich war auf dem gymnasium, auf der abendrealschule, auf der fachoberschule, in der berufsschule, und auf dem abendgymnasium.-

also nur für eine realschulabschluß.

ich suchte nach selbstakzeptanz, und mir wuirde eingeflößt, daß ich das bekomme, indem ich studiere. also hab ich das verzweifelt versucht, und bin wieder und wieder gescheitert. und das war sehr schlecht für mich.

mein vater sagt: „das sind die trauben die zu hoch hängen:“

tja

Hallo PPaul,

vielen Dank für deine Anregungen. Ich habe auch schon mal längere Zeit durchgehend MPH genommen- ich bin zwar konzentrierter, aber es hilft nicht gegen die ständig neuen Ideen. Und Ritalin enthält Weizenstärke, was ich nicht vertrage. Es ist vertrakt.

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Hallo NaraX,

vielen Dank für deine Antwort und deine Anregungen. Ich hatte im Sommer schon den Studienplatz für das 4. Studium in der Tasche- habe dann aber gesagt, da ich mir dann doch blöd vorkam und auch gedacht, vllt sollte ich lieber eine Weiterbildung machen, eben weil die Teilnehmer dann vllt auch schon ein bisschen älter sind und nicht meine Kinder sein könnten. Je älter ich werde, um so mehr habe ich das Gefühl mich zum Affen zu machen, wenn ich etwas Neues probiere. Vllt gesteht man es älteren Frauen noch viel weniger zu, als älteren Männern :woman_shrugging:

Aber da habe ich das gleiche Problem: auf Anhieb fallen mir 4 Weiterbildungsstudiengänge ein, die mich interessieren könnten- wie soll ich mich da entscheiden? Und wenn ich beginne zu sortieren, dann sortiere ich alle aus. Es ist wie immer- entweder interessiert mich sehr viel und wenn ich dann versuche es einzugrenzen, bleib nichts mehr übrig. Und außerdem beginnen alle Studiengänge erst wieder zum WS- im Juli, wenn man sich einschreiben müsste, bin ich innerlich und interessenmäßig schon wieder um diverse Ecken herum und habe ganz andere Ideen. Und pünktlich nach dem Ablauf der Bewerbungsfrist ist das Interesse wieder da.

Einen Weg einschlagen und abbiegen, etwas Neues machen- finde ich okay… Aber wenn ich immer nur ausprobiere, dann bekomme ich nie Expertise, was mein eigentliches Ziel ist, bleibe immer der Anfänger und werde entsprechend auch so bezahlt, wie gesagt, ich bin unterhaltspflichtig für meine studierenden Kinder. Und dann sehe ich immer die Leute, die sich einfach entscheiden können, vllt nicht hinterfragen, im Mainstream bleiben, an mir vorbeiziehen. Das frustriert mich extrem. Aktiv bin ich immer gewesen. Allein schon wegen der Kinder. Und trotzdem drehe ich mich ein Leben lang im Kreis.

Gruß Gefion

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Ganz ohne wäre ich heute nicht da wo ich jetzt bin. Machen und Tun ging plötzlich nicht mehr und ohne Medikation und therapeutische Begleitung und Psychoedukation wäre ich nicht mehr ins reflektiertere „Machen und Tun“ gekommen.

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ich war auch in psyschotherapie. das war bitter nötig,. weil die frau sehr lieb zu mir war, und ich schlichtweg sowas brauchte mit 20 . ich war komplett im eimer nach der bundeswehr.

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Dann war Studium vielleicht auch einfach nicht das was du selbst von Herzen wolltest, sondern dein Umfeld. Schreibst du ja selbst.

Abitur und Studium sind ja nun wirklich nicht die einzigen Wege berufliche (und persönliche) Erfüllung zu finden.

Ich selbst habe auf jeden Fall gelernt immer mehr in mich selbst hineinzuhören und zu fühlen. So oft lese ich, gerade hier, von Menschen, die sich dem beruflichen Stress nicht gewachsen fühlen. Und oft denke ich: Vielleicht ist es einfach der falsche Beruf oder das falsche berufliche Umfeld.

Wir Menschen sind so verschieden. Und das ist auch gut so. Und ich bin davon überzeugt, dass es für jeden von uns einen Platz auf der Welt gibt.

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Dann hast du das in deinem Fall gebraucht und es war genau das Richtige.

Ich glaube, dass in vielen anderen Beispielen, die ich hier im Forum lese, gar nicht immer die Person FALSCH ist, sondern die Situation, der Beruf, das Umfeld.

Es ist weder gut introvertiert noch extrovertiert zu sein. Weder ein Träumer noch ein Macher. Weder ein Theoretiker noch ein Praktiker.

Wenn allerdings ein Mensch, der ein Däumchen für Planzen hat und gerne an der frischen Luft ist, Jura studiert und anschließend in einer Anwaltskanzlei sitzt. Tja, dann passt das vielleicht einfach nicht. Und andersrum genauso.

Und so bin ich überzeugtk, dass es auch für Gefion etwas gibt, das sich RICHTIG anfühlt.

Du hast ja bereits mehrere Studiengänge absolviert. Ich gehe mal davon aus, dass diese jeweils mit einem Diplom/Magister/Bachelor- oder Masterabschluss verbunden sind. Das waren/sind ja die gängigen Abschlüsse.

Lassen sich denn die verschiedenen Richtungen nicht verbinden? Zu etwas einzigartig Neuem, das eben nur DU ganz allein in dieser Kombination zu bieten hast?

Ich finde, dass sich in wilden Patchwork-Lebensläufen oft erst im Rückblick ein roter Faden verbinden lässt. Etwas, dass das Verbindende ist.

Und gerade sehr unterschiedliche Bereiche zu verbinden ist total spannend.

Magst du etwas über deine Studiengänge schreiben? Oder darüber welche Richtung dich interessiert?

Denn, es stimmt schon: Immer neu starten ohne das alte gelernte Wissen mitzunehmen, bringt nicht so viel. Dann startest du immer wieder bei Null und dein ganzes gelerntes Wissen nützt dir nichts. Und der Welt auch nicht, die ansonsten bestimmt von deinem Wissen profitieren könnte!

Hallo NaraX,

Patchwork-Lebenslauf ist auch ein schöner Begriff. Personaler sehen darin meist nichts Gutes.

Und nein, ich habe mit den Studien nicht den Druck von Außen erfüllt. Die Erwartungen an mich waren eher Mutter und Hausfrau zu werden.

Als frühe Jugendliche wollte ich Pilotin werden, da mich der Blick von oben auf die Welt fasziniert hat. Aber damals hat die Lufthansa noch keine Frauen zur Pilotin ausgebildet. Ich habe über die Feiertage mal mit einem Flugsimulator gespielt- ich glaube es ging mir nicht darum diese Flugzeuge zu steuern, sondern um das visuelle Erleben, die Mustererkennung. Ich wäre auch gerne Sängerin geworden. Ich singe für mein Leben gern, habe aber eine einseitige Stimmbandlähmung.

Ich möchte nicht meine wirklich absolvierten Studiengänge offenlegen, da ich Sorge habe, dass man dann schnell auf meine Person schließen kann. Ich sage mal als Beispiel: ich habe ein Diplom in Chemie, eine abgeschlossene Lehramtsausbildung mit Chemie und Physik und ein Staatsexamen in Lebensmittelchemie. Verwandtschaft der Studiengänge ist da, da entsteht auch durch eine Kombination nicht wirklich was interessantes Neues. Und Ich habe Probleme mit Mathe, deshalb ist Chemie und Physik schwierig und ich esse nicht gerne - deshalb passt Lebensmittelchemie nicht.
Oder anders erklärt, als Beispiel- ich bin Tierärztin für Meerschweinchen, habe aber Angst vor Hunden …das geht in der Kleintierpraxis schlecht zusammen

Es gibt also an jedem Beruf eine Ecke, die ich nicht passt oder mit der ich echt nicht klar komme, bei der ich Ängste oder starke Abneigungen habe und die Ratschläge- „du musst nur die passende Nische finden“- funktionieren nicht. Suche die Nische schon mein Leben lang.

Und dann ist da noch die andere Seite in mir, die ewig unbefriedigt bleibt- die Seite die kreativ ist, ständig neue Ideen hat, ästhetisches Empfinden hat. Ich war mal an einer Kunsthochschule eingeschrieben- da habe ich schnell gemerkt, dass passt gar nicht für mich, dieses Chaos dort, das Laissez-faire und die wischi-waschi Inhalte.

Ich glaube mittlerweile, dass die Kombination aus ADHS und ASS-Fragmenten (Stichwort AuDHD) eine unheilige Mischung sind: es ist ein permanentes Stop-and- Go: die ADHS-Seite hat ständig neue Ideen, möchte was erleben, durch die Gegend springen und mit Leuten reden und die ASS- Anteile wollen lieber ganz gewissenhaft und bodenständig, zurückgezogen und im Stillen vor sich hin arbeiten und haben archaische Ängste, die sich auch durch Therapie nicht bessern. Und so oszilliere ich ständig zwischen diesen Polen.

Aktuell bin ich gerade an dem Punkt, dass Innenarchitektur vllt gut für mich sein könnte. Oder eine Planungswissenschaft, Kartografie, weil ich mir stundenlang Karten angucken kann- aber dafür braucht es wieder viel Mathe. Und generell wollte ich eigentlich schon immer was mit Bildern oder visuellen Medien machen. Jura wäre zum Beispiel nichts für mich gewesen, da dort kaum Abbildungen in den Büchern sind.

So, mehr fällt mir gerade nicht ein.

Herzliche Grüße
Gefion

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Ich erkenne mich in vielem, was du schreibst, wieder.

Ich kenne diese lange intensive Suche nach dem richtigen Studium, dem ewigen Weiterprobieren und dem Gefühl noch immer nicht das Richtige gefunden zu haben.

Auch heute noch steigen diese Gefühle immer wieder in mir hoch. Aber ich bremse mich mittlerweile und habe für mich folgende Erkenntnis gewonnen:

Mein ewiges Suchen nach neuen Studiengängen und Abschlüssen war auch ein Zeichen enormer Unsicherheit. Ich habe mich immer als Lernende definiert. Also als eine Person, die immer noch nicht genug weiß, die erst noch lernen muss etc.

Und irgendwann mal habe ich mir selbst gesagt: STOPP. Ich bin jetzt wirklich alt genug und habe genug Erfahrungen in Studium, Beruf und Leben gesammelt, um MEIN WISSEN an ANDERE weitergeben zu können.

Wem bringt es etwas, wenn ich ständig nur Neues dazulerne OHNE das Ganze dann sinnvoll einzusetzen oder das Wissen an andere weiterzugeben?

Die Suche nach neuen Studiengängen etc. ist für mich - in meinem Fall aus heutiger Sicht - ein Zeichen von Prokrastination. Das echte Leben eines erwachsenen Menschen aufschieben.

Aus dem Gefühl heraus immer noch nicht so richtig erwachsen zu sein.

So ganz wird man das wohl nie los und ich akzeptiere, dass Selbstzweifel einfach Teil meiner Persönlichkeit sind.

Aber ich definiere mich heute als erwachsene Person, die ziemlich viel Wissen erworben hat.

Nichts spricht gegen Weiterbildungskurse nebenbei. Aber die Zeiten, in denen ich über ein weiteres Masterstudium etc. nachgedacht habe, sind endgültig vorbei.

Und in dienem Fall: Wenn du jetzt mit einem komplett neuen Studium anfangen würdest, was wäre dann nach 5 Jahren? Wenn du den BA- und MA-Abschluss in der Tasche hättest? Oder vielleicht bräuchtest du weniger Zeit, weil du auf etwas aufsatteln kannst oder die ein BA-Abschluss reichen würde…

Bist du sicher, dass es nicht andere Wege gibt, deine Wissensbausteine zu vernetzen und zu etwas Neuem zusammenzubringen?

Du schreibst, dass immer etwas nicht passt. Aber es gibt doch immer so viele alternative berufliche Möglichkeiten!

Nehmen wir dein Beispiel Staatsexamen. Angenommen man ist also Leher und merkt, dass das Unterrichten von Kindern oder Jugendlichen so gar nicht passt. Das geht ja tatsächlich einigen Lehrern so. Dann gibt es super viele alternative Betätigungsfelder in der Verwaltung, Beratung etc.

Ein Mediziner, der doch kein Arzt sein möchte, kann bei einem Amt oder einer Behörde arbeiten. Oder als freier Berater und Consultant.

Aus der Wirtschaft steigen viele aus und geben Kurse und Seminar oder beraten.

Es gibt heute soooo viele Möglichkeiten. Bestimmt auch für dich!

Du betonst deine kreative und künstlerische Seite! Gerade diese Seite an dir kannst du zum Vorschein bringen, auch ganz ohne Diplom.

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Liebe NaraX,

zunächst danke ich dir ganz herzlich für deine lange Antwort und die Auseinandersetzung mit „meinem“ Thema und das du mir Mut machen möchtest. Ich finde es sehr interessant was du schreibst und es hat mich zum nachdenken angeregt.

Hm, ja, das Gefühl, immer noch nicht so richtig erwachsen zu sein kenne ich auch. Erwachsen habe ich mich erst gefühlt, als ich die Kinder bekommen hatte und als ich mit Mitte 30 im Referendariat den ersten Schlüssel ausgehändigt bekommen hatte. Das war was sehr Symbolisches. Endlich bin ich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, endlich habe ich ein eigenes Einkommen.
Und jetzt habe ich oft das Gefühl, dass ich doch gerade erst anfange zu leben und kann es irgendwie nicht verstehen, dass schon so viele Türen geschlossen und Chancen vorbei sind. Und es anfängt, dass man mir wegen meines Alters keine Chance mehr gibt. Dabei war ich mir immer sehr meines Alters bewußt. Vielleicht hat es was mit veränderter Zeitwahrnehmung zu tun, wobei ich im täglichen eher selten das Zeitgefühl verliere.

In den vielen Beratungen, in denen ich war, wurde mehrfach zu mir gesagt, ich sei eben eine Lernerin. Ich selbst habe das nie so gesehen. Ich lerne sehr gerne und vielleicht auch manchmal zum Selbstzweck- ein ausgeglichenes Noradrenalinniveau fühlt sich sehr angenehm an, aber ich wollte eigentlich eine Expertin werden und was erreichen.

Hm, ich arbeite seit 12 Jahren in meinem Beruf. Ich wollte dort unbedingt ankommen, gerade weil ich erwachsen sein wollte, endlich auch Karriere machen, meinen Kindern etwas bieten können, weil ich gute Aufstiegschancen gehabt hätte und ich habe mich sehr bemüht, gegen das Gefühl, dass ich da nicht hinpasse, gegen zu arbeiten, auch mit 10 Jahren Psychoanalyse, habe viel freie Zeit und Geld in weitere Zertifikate gesteckt, aber es hat sich nicht verändert. Ich quäle mich nach wie vor täglich zur Arbeit und kann mich mit meinem Beruf nicht identifizieren. Mittlerweile habe ich es aufgegeben. Der Bürojob ist entlastend, aber auch so schrecklich langweilig, dass ich es auf einer anderen Seite nicht aushalten kann.

Hm, ich habe nicht das Gefühl viel gelernt und viel Wissen zu haben. Aber das scheint so ein grundsätzlicher Wahrnehmungsfilter zu sein: oftmals, wenn wir in der Oberstufe Klausuren geschrieben haben, habe ich mich manchmal im Raum ungesehen und die anderen angesehen und nicht verstanden, warum ich wohl wieder eine der besten Klausuren schreiben werde und die Anderen nicht, denn die Anderen waren ja auch nicht dumm. Mittlerweile denke ich, dass ich das System Schule einfach sehr gut durchschaut habe.

Wenn ich da jetzt so reflektiere, dann fehlt mir sicherlich auch jemand, der mir Mut macht und mich pusht, wobei ich davon sehr viel brauchen würde. Stattdessen bin ich viel damit beschäftigt meinen Kindern Mut zu machen, die haben diesbezüglich irgendwie die gleichen ungünstigen Hirnwindungen geerbt.

Und sicherlich bin ich zu kritisch (und habe hohe moralische Maßstäbe- aber ich komme da nicht ran, um was zu verändern(ASS??)) : ich habe keine Lust im Bereich Beratung, Schulung, Coaching zu arbeiten, da komme ich quasi her und ich mag dieses ewige Gerede nicht, ich wünsche mir konkrete Inhalte, die man mehr messen kann- aber bei „messen“ bleibe ich gleich mit meinen schlechten Mathekenntnissen hängen.

Meine Kinder sagen mittlerweile, Bewerbungen schreiben sei mein Hobby. Ich bin da sehr umtriebig, aber ich komme einfach nicht in die Nischen, die gut für mich wären hinein oder aus meinem Bereich heraus. Heute habe ich gerade mit jemanden telefoniert, der meinte sich solle doch einfach mal in der Abteilung XYZ anrufen und fragen, ob die mich gebrauchen können- dass ist z.b. was, was ich nicht machen werde, da bin ich irgendwie zu schüchtern, oder zu ordentlich.

Du erwähnst den Mediziner- auch wenn der beim Amt oder der Behörde arbeitet, dann sieht er immer noch Patienten oder arbeitet am Fließband Patientenakten ab und muss sich an Leitlinien halten. Ein Mediziner wird nicht als Projektmanager arbeiten oder sich kreative Lösungen überlegen können oder Räume gestalten können.

Und dann sehe ich immer wieder Job-Angebot, wo ich denke, dass wäre genau das Richtige für mich- aber ich habe nicht im entferntesten die passende Qualifikation. Ich weiß nicht, ob ich da Illusionen aufsitze oder das nur gut finde, da ich es eh nicht erreichen kann. Ich habe mich schon so darum bemüht, es zu verstehen und über das Verstehen dann verändern zu können, aber ich bleibe ewig in so einem ewigen Strudel hängen.

Naja, jetzt will ich noch ein paar Bewerbungen schreiben. Lieber irgendeine Veränderung initiieren, als in dem langweiligen Bürojob zu bleiben. Lieber Veränderung als Stillstand.

Liebe Grüße
Gefion

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Guten Morgen Gefion,

12 Jahre in einem Job. Ich finde das ja immer wieder erstaunlich, wenn ich das lese. Wobei ich in meinem Umfeld genug Menschen kenne, die schon viel länger bei einem Arbeitgeber sind und denselben Job erledigen.

Ich selbst habe es, ganz ADHS-typisch, nie länger als maximal 3 Jahre bei einem Arbeitgeber ausgehalten. Und mit den Jahren wurden die Zeitabstände immer kürzer. Weil immer etwas nicht gepasst hat oder ich eigentlich etwas ganz anderes wollte. Ich kenne also das Problem. Nur aus einer anderen Perspektive.

Deine Kinder sagen Bewerbungen schreiben sei dein Hobby? Wurdest du denn schon zu Gesprächen eingeladen oder hast du Jobangebote bekommen, die du dann doch abgelehnt hast? Ansonsten bekomme ich die Aussagen „Bewerbungen schreiben“ und "seit 12 Jahren in einem Job"nicht zusammen. Oder hast du gerade erst angefangen mit dem Bewerbungen schreiben?

Es kann natürlich auch sein, dass dein Alter abschreckt. Ganz einfach deshalb, weil Menschen in einigen Bereichen - v.a. Beamte - ja oft mit 60 in Pension gehen. Für die bist du tatsächlich raus, da du ja kurz vor der Rente/Pensionierung stehst.

Für andere ist es normal bis Ende 60 zu arbeiten. Dann hättest du noch 10 Jahre. Und der Trend geht ja hoffentlich dahin, dass das Renteneintrittsalter flexibler gehandhabt wird. Denn ein fixes Alter für alle ist sowieso Quatsch. Ein Gerüstbauer kann und sollte natürlich nicht mehr mit 70 aufs Gerüst klettern. In anderen Jobs kann man aber durchaus mit 70+ noch gute Leistung erbringen. Für Politiker, Schauspieler etc. ist es ganz normal zu arbeiten solange man noch aufrecht stehen kann. 70+ scheint ja auch gerade im Trend zu sein, um Präsident oder Bundeskanzler zu werden! :wink:

Wenn du gerade Bewerbungen schreibst, heißt das, du findest Jobs, die du ansprechend findest. Das ist gut. Und ich bleibe dabei, dass es immer auch Nischenjobs gibt und für jeden etwas Passendes.

Zurück zum Mediziner-Beispiel. Ich kenne tatsächlich einen Mediziner, der sich heute nicht mehr mit Patienten oder Patientenakten herumschlägt. Er bietet stattdessen Supervision für den Gesundheitsbereich an. Hat also selbst mit Patienten etc. gar nichts mehr zu tun.

Du selbst möchtest nicht beraten oder lehren. Aber dann gibt es sicher andere Möglichkeiten. Auch ohne Mathe! :wink:

Und da fällt mir noch etwas zu Psychoanalyse ein. Du schreibst, du hast 10 Jahre Psychoanalyse hinter dir. Hast du denn das Gefühl, dass dir das was gebracht hat?

Ich sehe das „in die Vergangenheit Eintauchen und Analysieren“ ja sehr kritisch. Ich kenne ein paar Leute, die das hinter sich haben und denen das Ganze eher geschadet hat. Weil der Blick nach Vorne fehlt und das Handeln und aktive Tun nicht gefördert wird.

Ich selbst neige schon so genug dazu alles Mögliche zu analysieren, zu reflektieren. Ich brauche eher Impulse, um aktiv zu handeln. Sobald ich merke, dass ich anfange zu sehr zurückzuschauen und vermeintliche Ursachen für dies und das in der Vergangenheit zu suchen - und zu finden - stoppe ich mich. Denn es hilft mir nicht.

Aber ich spreche hier nur von mir ganz persönlich. Anderen mag es helfen, aber ich kann nicht anders als beim Wort „Psychoanalyse“ mit einer gewissen Skepsis zu reagieren.

Gerne kannst du von deinen ganz persönlichen Erfahrungen berichten.

Hallo NaraX,

also ich arbeite seit 12 Jahren in dem Beruf, aber nicht auf der gleichen Arbeitsstelle. Zum einen musste ich aus berufsinternen Gründen, um verschiedene Abteilungen zu durchlaufen, immer mal wieder wechseln, und leider auch von Plätzen wechseln, die ich relativ gerne mochte. Ich glaube die längste Zeit bin ich 2,5 Jahre bei einem Arbeitgeber gewesen. In den letzten 5 Jahren war ich selbständig, was sich finanziell nicht wirklich gelohnt hat, aber ich habe die Zeit genutzt und nebenher promoviert- war ein alter Herzenswunsch und bin jetzt seit Mai wieder angestellt, aber in diesem langweiligen Bürojob.

Ja, ich werde auf meine Bewerbungen auch eingeladen, aber meist nicht für die Stellen, die ich gerne hätte, sondern nur für die, für die ich mich aus pragmatischen Gründen beworben habe. Und oftmals sage ich auch ab, weil die Bezahlung nicht nach Tarif ist oder ich genau spüre, ich will eigentlich was anderes, oder die Büros sind schrecklich häßlich oder die Atomsphäre ungut oder der Chef unfreundlich…oder ich müsste dazu umziehen und dass bekomme ich nicht realisiert.

Und der Mediziner muss auch als Supervisor reden, reden, reden…

Ich habe gestern noch über Rejection Sensitivity nachgedacht und ob es ein Grund sein könnte, dass ich nicht bei einer guten Idee bleiben kann: ich bin von meinem Bruder immer gemobbt worden und in der Schule von vielen Jungs ausgelacht worden- mein Bestreben war „euch werde ich es zeigen“- vielleicht ein schlechtes Motiv. Männer in unserer patriarchalen Gesellschaft sowieso immer die Gewinner.
Und ich habe überlegt, ob es mich kränkt, wenn ich eine neue Idee habe, dann danach herum forsche und dann feststellen muss, dass auch schon andere Leute die Idee hatten, in dem Bereich arbeiten, etc… Es gibt halt keinen Neuschnee, wie Tucholsky in seinem Gedicht beschreibt. Den Aspekt mit dem RS finde ich sehr interessant, da muss ich noch mal weiter drüber nachdenken.

Was machst du denn beruflich?

Liebe Gefion,

wow, du hast in den 5 Jahren nebenbei promoviert? Das finde ich großartig. Und das zeigt, dass du auf keinen Fall das ansonsten typische ADHS-Problem hast, Dinge nicht geregelt zu kriegen oder ewig aufzuschieben oder Dinge nicht zu Ende zu bekommen!

Du kannst enorm viel leisten, bist strukturiert und zielorientiert.

Natürlich wirst du jetzt von Arbeitgeberseite als eine Person wahrgenommen, die aufgrund ihrer Bildungsabschlüsse und ihres Alters nur für bestimmte Positionen in Frage kommt. Und das sind dann wahrscheinlich die Jobs, die du gar nicht möchtest!

Hättest du denn Lust auf „klassische“ Führungsjobs? Auf Personalverantwortung? Oder aber gerade nicht?

Ich für mich habe irgendwann erkannt, dass ich das wirklich nicht kann und nicht möchte. Andererseits lasse ich mir aber auch total ungern von anderern etwas vorschreiben und kann mich nicht gut unterordnen.

So ein richtiger Teamplayer bin ich auch nicht direkt. Ich arbeite gerne mit Menschen, für Menschen, bin aber gerne meine eigene Fachfrau und arbeite gerne für mich alleine.

Daher habe ich genau den Weg eingeschlagen von dem du schreibst. Meine letzten unbefristeten Jobs habe ich gekündigt und mich selbstständig gemacht. Mit allen Vor- und Nachteilen. :wink:

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