Spätdiagnostizierte - wie wichtig war für euch begleitende Therapie und Edukation?

Die Frage richtet sich insbesondere an diejenigen die relativ spät im Erwachsenenalter diagnostiziert wurden und die gelernt haben zu maskieren und sich anzupassen, bei denen sich gewisse typische (vom Umfeld eher negativ wahrgenommene) ADHS-Verhaltensweisen über Jahrzehnte eingespielt haben (zB versumpfen am Handy): Wie hilfreich waren für euch Psychotherapie/ -edukation um diese Muster zu durchbrechen, eure Resilienz und Belastbarkeit zu steigern?
Wie groß war der Effekt aller Maßnahmen insgesamt eurer Meinung nach und wie lange hat es gebraucht, bis ein signifikant messbarer Effekt für euch wahrnehmbar war, eine echte Verbesserung der Umstände?

Ich bin nicht der motorische ADHS-Typ und bisher ist der Effekt der Medikamentierung mäßig, es war kein Aha - Effekt, eher eine subtile Verbesserung, leider auch nicht ohne Nebenwirkungen (verstärkte innere Unruhe, die zum Teil leichte Panik triggert). Ich stehe noch am Anfang und bleibe dran, da gibt es noch viele Optionen, aber eure Erfahrungen würden mich schon interessieren.

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Also der Austausch in einem Forum wir hier war für mich sehr sehr hilfreich .

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Laut meinem Therapeuten habe ich hochfunktionales, aber dennoch mittelschweres ADHS. Um irgendwie mit meinen Symptomen klarzukommen, habe ich mir im Laufe der Jahre einen extremen Perfektionismus angeeignet. Ich rechtfertige mich für jeden kleinsten Pups. Der Satz „Du musst dich nicht rechtfertigen“ ist für mich fast schon Alltag, weil ich ihn so oft höre.

Wenn jemand Erwartungen an mich hat, ist es für mich nicht genug, sie gut oder ausreichend zu erfüllen – es muss perfekt sein. Dieser Anspruch an mich selbst erzeugt ständig Stress und Druck. Dadurch bin ich relativ zuverlässig in Bezug auf andere Menschen. Aber sobald es um mich selbst geht und niemand außer mir darunter leidet, verfalle ich in extreme Prokrastination.

Mein Selbstwertgefühl ist ziemlich schlecht. Selbst bei Dingen, für die ich objektiv nichts kann – die einfach neurologisch bedingt sind – suche ich den Fehler immer bei mir. Es fällt mir unglaublich schwer zu akzeptieren, dass manche Herausforderungen einfach außerhalb meines Einflussbereichs liegen. Vermutlich liegt das daran, dass ich auch hier Kontrolle und Perfektion haben möchte.

Dieser innere Druck kostet mich enorm viel Kraft. Teilweise gehe ich zwanghaft/krampfhaft vor, um sicherzustellen, dass ich nichts vergesse – selbst bei klitzekleinen Kleinigkeiten. Es fühlt sich an, als wäre mein Kopf ständig in Alarmbereitschaft.

Die Diagnose ADHS habe ich erst im April erhalten. Seitdem habe ich mit meinem Therapeuten begonnen, mehr über mein ADHS zu lernen und einige kleine Strategien entwickelt, um besser damit umzugehen (Büro, Aufgaben beenden). Das große Ganze haben wir bisher noch nicht angepackt, aber ich hoffe, dass wir das bald angehen. Es braucht vermutlich einfach Zeit, solche tief verankerten Verhaltens- und Denkmuster zu verändern, wenn sie sich über 27-28 Jahre hinweg aufgebaut haben.

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Sehr wichtig! Nur die Medikamente alleine richten es bei mir nicht. Ich habe regelmäßig Termine mit einem Coach der auf ADHS spezialisiert ist.

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Ich kann, was @Mondkatze berichtet, fast zur Gänze unterschreiben.
Mir helfen zum Glück die Medis recht gut! Aber ich habe ehrlich gesagt das Gefühl, dass mir Psychotherapie nicht wirklich hilft bzw. helfen würde. Psychoedukation ja, das ist interessant und gut zu wissen, was wie woher und warum kommt. Schadet definitiv nicht.
Dass ich denke, dass bei mir Psychotherapie nicht viel hilft kommt denk ich daher, dass ich mir sehr schwer tu, mir etwas sagen zu lassen… und ein rotes Tuch ist bei mir, wenn man versucht ADHS irgendwie positiv zu verpacken, was man wohl gerne macht. Sicher, es hat auch seine „Stärken“, aber das kann ich persönlich (!) gerade echt nicht brauchen, wenn es mir leider im Alltag nur Probleme bereitet. Nein, ich werde jetzt kein Sportler oder Künstler! Und toll, dass bei ner Apokalypse der ADHSler wohl super reagieren könnte, weil das Gehirn dann überhaupt erstmal auf Normalbetrieb kommen würde, während alle „Normalos“ völlig am Rad drehen würden. Bringt mir auch nix und wird mir hoffentlich auch nie was bringen, weil ich keinen Bock auf Apokalypse hab!!! :roll_eyes:

Ich würde dir empfehlen, es einfach auszuprobieren. Jeder tickt da anders, jeder Therapeut ist anders. Zu verlieren hast du praktisch nichts.

Was bei mir ist: Ich habe gar nicht den Anspruch an mich, dass sich irgendwie über Jahrzehnte festgefahrene Maskierungen/ Strategien auflösen. Wenn es passiert, schön. Freut mich. Wenn nicht, dann weiter wie gehabt. :woman_shrugging: Klar, viele Dinge sind blöd. Richtig blöd. Aber ich kann nichts übers Knie brechen! Jahrzehnte lang konnte es sich aufbauen. Vielleicht braucht es genauso lange, bis es sich wieder abgebaut hat… hört sich deprimierend an? Ja, ist es irgendwo auch. Und hier kommt dann gerne die Trauer ins Spiel. Trauer darüber, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Trauer über verpasste Gelegenheiten. Trauer über Verletzungen, selber erfahren oder anderen zugefügt. Und das darf auch sein! Diese Trauer. Aber (!), man muss aufpassen, dass man da nicht hängen bleibt. Über verschüttete Milch… das lohnt sich nicht und vorbei ist vorbei. Es ist bereits geschehen.
Sich bewusst werden, was bei einem das ADHS ist und was nicht (! → nicht alles ist ADHS!), ist schon mal ein guter Anfang und sehr wertvoll, um sich besser verstehen zu können. Erkenne dich selber und dann schau, ob und wie du da was machen kannst und willst (!). Da könnte Therapie helfen.

Ach ja: @Nelumba_Nucifera 100% Zustimmung! Das Forum hat mir schon sehr geholfen und tut es jetzt noch!

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Interessant. Ich war bis zu meiner Diagnose in meiner Perspektive „gefangen“ und hab vieles einfach nicht verstanden, auch wenn es mir signalisiert wurde. Deshalb hab ich oftmals Strategien entwickelt, dass ich Ansprüche anderer gar nicht erst erfüllen muss oder für mich entschieden, dass es eben nicht geht. Familie und Beruf gleichzeitig? Ausprobiert, ging leider nicht, Familie war da, also auf Familie fokussiert. Und ihr könnt euch denken, dass ich letztlich nicht der einzige Betroffene war, entsprechend komplex ist mein Familienalltag.

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Ich hab noch keine Famile und könnte es mir aktuell auch gar nicht vorstellen. Bin ja mit mir selbst schon maßlos überfordert und ein Kind würde mich ehrlich gesagt ziemlich reizen.

Aber schön, dass du dir deine Gesundheit zu Herzen genommen und nur das vorgenommen hast, was du auch kannst. Du hast dir nicht zu viel zugemutet. Das fällt mir schwer. Ich hab kaum Selbstmitleid und hohe Ansprüche an mich selbst.

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Also es war dann doch immer zuviel für mich oder zumindest sehr fordernd trotzdem und meine Frau wünscht sich einen zweiten Verdiener. Wegen der unter Anderem damit Konflikte hab ich mir dann Hilfe gesucht und die Diagnose bekommen.
Jetzt schauen wir mal, wo es hingeht.

Ich bin tatsächlich schon in Therapie, gerade pausiere ich wegen der Eindosierung (es sind notgedrungen zwei verschiedene Personen für Therapie und Medikation) und weil ich mich viel um die Kids kümmern musste. Im neuen Jahr geht es weiter.
Ist alleine deshalb schon wichtig, weil der Therapeut meinen Partner mit einbezieht, der sich damit nicht du recht auseinandersetzen will. Und ich nehme für mich mit, was geht.

Nachdem ich einfach schon oft gehört hab, dass die Psychotherapie oftmals nur nice to have ist und der Effekt höchstens moderat (zumindest in Bezug auf ADHS), haben mich eure Erfahrungen interessiert. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Medikamente bei mir bisher(!!!) kein Gamechanger sind.